Chips: was man nicht sieht

Begonnen von Horst Wörmann, April 21, 2020, 20:54:03 NACHMITTAGS

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Horst Wörmann


Liebe Chips-Freunde,

es gehört etwas Mut dazu, in diesem erlauchten Forum ein Bild zu zeigen, auf dem man das Wesentliche nicht sieht...

Ich habe mich beim letzten Beitrag von Carsten gefragt, warum beim Gehäuseaufschluß in heißer, oxidierender Schwefelsäure die Aluminium-Leiterbahnen nicht aufgelöst werden, die ja als oberste Lage auf dem Chip liegen und als silbergraue Bahnen im Mikroskop erscheinen.
Die Lösung bringt die Mikrospektralphotometrie.

Einen Ausschnitt aus einem älteren IC 82C55 zeigt Bild 1. Mit Vcc und Gnd sind die Stromversorgungsleitungen gekennzeichnet, der auf Vcc markierte rote Kreis ist die Abbildung der Meßblende des Spektrometers, hier mit einem Durchmesser von 43 µm.


Bild 1: IC 82C55 im Auflicht. Gnd und Vcc sind die Stromversorgungsleitungen aus Aluminium.

Das zugehörige Spektrum zeigt Bild 2 (rote Kurve): ein typisches Spektrum der Interferenz dünner Schichten. Auf dem Chip ist also eine dünne Schicht aufgebracht, als Schutz gegen mechanische Beschädigung und Korrosion, die auch Carstens oxidativen Chip-Abbau übersteht. Diese Passivierungsschicht ist mikroskopisch nicht sichtbar! Sie ist nur indirekt mittels Spektroskopie nachzuweisen.
Allerdings mit Einschränkungen: man sieht ja nur, was man weiß - so kann man gelegentlich Kratzer in dieser Schicht entdecken, oder im DIK ganz feine Abrundungen an Kanten.
Die Schutzschichten bestehen aus einem amorphen Material, Siliciumdioxid, Siliciumnitrid, Polyimid oder auch aus Glas, deshalb im Amerikanischen ein ,,Glassivation" genannter Prozeß.


Bild 2: Gemessenes Spektrum im Meßfleck Bild 1 (rot). Gerechnete Vergleichsspektren für Siliciumdioxid auf Aluminium, Dicken 800 nm (gepunktet), 1000 nm (durchgezogen blau) und 1100 nm (gestrichelt grün). Ordinate: willkürliche Einheiten.

Glücklicherweise habe ich ein Datenblatt dieses ICs mit Angaben zu ,,Metallization: Silicon-Aluminium 11 kÅ" und ,,Glassivation Type SiO2 8 kÅ". Damit ist das Material und der Brechungsindex gegeben, man kann die Schichtdicke also aus den spektroskopischen Daten nachrechnen. Die Rechnung ergab aber 1,08 bis 1,10 µm, also deutlich höher als die angegebenen 800 nm. Ich habe mit rechnerisch simulierten Kurven verglichen (siehe Bild 2), die für 1000 nm berechnete Kurve paßt am besten zu den Meßergebnissen. Also eine Diskrepanz zwischen Messung und spezifizierten Daten, vielleicht kann das ja einer der Forumsexperten wegerklären?
Zu beachten ist bei solchen Rechnungen, daß Interferenzmessungen nur das Produkt n * d ergeben, also die optische Dicke. Im vorliegenden Fall ist n aus dem Datenblatt bekannt, in den allermeisten Fällen aber nicht. Es ist deshalb nicht möglich, Höhenlagen bzw. Schichtdicken im Chip mikroskopisch zu bestimmen.

Viele Grüße aus Bonn
Horst Wörmann



reblaus

Lieber Horst -

vielen Dank für diese Zusatzinfos, damit es bei mir halbwissendem Neugierigen nicht beim bloßen staunenden Betrachten bleiben muss - ich habe mich auch schon gefragt, warum konz. H2SO4 so viel von dem Chip übrig lässt!
Gehe ich recht in der Annahmen, dass der Messfleck mittels der Axiophot-Optik aus dem Strahlengang zu Deinem Spektroskop abgezweigt wurde?

Viele Grüße

Rolf

wilfried48

Hallo Horst,

sehr schön, ich bin begeistert !

Ich würde mal vermuten, dass die Abweichung zwischen Messung und Theorie am nicht genau bekannten Brechungsindex der Schicht liegt. Oft wird zur Passivierung auch eine Mischung Oxid und Nitrid benutzt oder auch Oxid und eine Nitridschicht aufeinander. Auf das was im Datenblatt angegeben ist würde ich mich daher nicht verlassen, ich glaube nicht dass ein Hersteller sich durch Angabe der genauen Zusammensetzung in die Karten schauen lässt. Der Brechungsindex der Schicht kann also durchaus um soviel vom Brechungsindex vom reinen Quarz abweichen.

viele Grüsse
Wilfried
vorzugsweise per Du

Hobbymikroskope:
Zeiss Axiophot,  AL/DL/Ph/DIC/Epi-Fl
Zeiss Axiovert 35, DL/Ph/DIC/Epi-Fl
Zeiss Universal Pol,  AL/DL
Zeiss Stemi 2000 C
Nikon Labo-/Optiphot mit CF ELWD Objektiven

Sammlung Zeiss Mikroskope
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=107.0

Horst Wörmann

Lieber Rolf,

ja, das ist die modifizierte Axiophot-Optik. Optimal, weil man den Meßfleck einspiegeln und auch fotografieren kann. Hier war reichlich Licht vorhanden, da macht der Lichtverlust durch Optovar und Axiophot nichts aus.

Viele Grüße
Horst

Horst Wörmann

Lieber Wilfried,

Du hast sehr wahrscheinlich recht mit Deiner Vermutung. Das Datenblatt ist vom Januar 2020, man kann also vermuten, daß neuere Techniken verwendet wurden. Ich habe mal im Institut für Detektorphysik nachgefragt:

"Die Schichtdicken von Metall- und Isolationslagen liegen dabei typischerweise in dem Bereich von einigen hundert nm bis zu ein paar um. Nicht jeder Chiphersteller macht diese technischen Details zugänglich. Und wenn, dann auch meist nur auf Basis einer Nichtverbereitungsklausel (non disclosure agreement). Zusätzlich erschwert wird eine exakte Berechnung des Schichtsystems durch die Tatsache, dass viele Hersteller durch Zusätze im Si02 die Dielektrizitätskonstante künstlich herabsetzen, um so die parasitären Kapazitäten im Leitungsaufbau, und damit die damit verbundenen Zeitkonstanten, zu verringern. Diese Verfahren bleiben auch vor uns Chipdesignern verborgen."

Weißt Du zufällig, ob die Dotierung des Siliciums einen Einfluß auf den Brechungsindex hat? Hier gibt es exakt zwei Meinungen...natürlich gegensätzlich.

Viele Grüße
Horst