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Plankton II

Begonnen von Martin Kreutz, Mai 15, 2020, 22:46:31 NACHMITTAGS

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Martin Kreutz

Liebes Forum,

hier möchte ich einen zweiten Beitrag mit meinen Beobachtungen am Plankton des Teiches der Entsorgungsbetriebe Konstanz einstellen. Der Teiches der Entsorgungsbetriebe war für mich bisher unattraktiv, da er mit dem geklärten Wasser der Kläranlage befüllt wird. Er ist mit zahlreichen Fischen und Schildkröten besetzt. Eigentlich kein Traum-Biotop für Tümpler, aber es sind einige sehr interessante Planktonbewohner enthalten, die ich bisher noch nicht zu Gesicht bekommen habe. Hier eine kleine Mixtur von altbekannten und (für mich) neuem.

In einer Probe fand ich sehr zahlreich das Rädertier Asplanchna. Hier eine Übersichtsaufnahme eines frei schwimmenden Exemplars:


Hier etwas gequetscht, aber mit dem 40 X Objektiv. Asplanchna ist gegenüber Deckglasdruck empfindlich und verformt sich sofort. Der Kauer quillt hervor:



Ich habe dann gesehen, dass das Vitellarium nicht kugelfömig war, wie bei der häufigen Asplanchna priodonta, sondern wurstförmig, wie man auf folgender Aufnahme des gepressen Exemplars gut erkennt:


MD = Magendrüsen
Ma = Magen
VI = Vitellarium
HB = Harnblase

Die genaue Zuordnung gelingt allerdings erst bei Betrachtung des Kauers. Er war Zangenförmig, jedoch völlig ohne "Zähne" in der Zange. Das konnte nur Asplanchna girodi sein:



Als nächstes zwei typische Planktonciliaten. Zuerst Paradileptus elephantinus.

Dieser große Räuber wird über 500 µm lang und trat in den Proben sehr zahlreich auf. Weil ich genug Material hatte, habe ich etwas herum probiert, die Exemplare möglichst in ungestörter Form zu fotografieren, was nach dem Auflegen des Deckglases kaum gelang. Ich habe es dann ohne Deckglas versucht, was dann weniger aufgelöste Fotos lieferte, aber eine bessere Darstellung der frei schwimmenden Form. Sie ähnelt einer Eistüte mit ,,Henkel". Die ,,Spitze" der ,,Eistüte" wird mit Deckglasdruck sofort eingeschmolzen und abgerundet:



Nach dem Auflegen des Deckglases muss man schnell sein, um noch Exemplare mit einer halbwegs natürlichen Form zu erwischen. Bei folgendem Exemplar wurde allerdings der Rüssel schon eingeschmolzen. Dafür erkennt man die Mundöffnung am Grunde des ,,Fangtrichters":


MO = Mundöffnung

Bei höherem Deckglasdruck verformt sich Paradileptus, aber man kann noch ein paar Details beobachten. Der mit Extrusomen besetze "Rüssel" begrenzt einen Trichter mit der Mundöffnung am Grunde. Der Extrusomensaum des Rüssels verläuft im Uhrzeigersinn zum Grunde des Trichters. Eingefangene Beute wird sofort zur Mundöffnung befördert:



MO = Mundöffnung
KV = kontraktile Vakuole

Hier noch zwei Aufnahmen von stark gequetschten Exemplaren von Paradileptus elephantinus. Der Makronukleus ist sehr prominent und perlschnurförmig:


Ma = Makronukleus

Fokussiert man auf die Pellikula erkennt man zwei Typen von Extrusomen. Die größeren sind 6,5 µm lang und die kleineren nur etwa 2 µm:



Ein weiterer planktischer Ciliat, den ich bisher noch nie gefunden habe, ist Linostomella vorticella. Er ist mit 200 µm Länge recht stattlich und besitzt ebenfalls eine Form ähnlich einer Eistüte, mit einer prominenten Mundöffnung:



Der Mundtrichter ist auf der linken Seite von einer adoralen Mempranellenzone gesäumt und auf der rechten Seite von einer mächtigen undulierenden Membran. Letztere fächelt Nahrungsbestandteile in den Mundtrichter, wo sie durch die Tätigkeit der adoralen Membranellenzone zur Mundöffnung am Grundes des Mundtrichters befördert werden:


UM = undulierende Membran
AZM = adorale Membranellenzone

Der Makronukleus von Linostomella vorticella ist perschnurförmig:


Ma = Makronukleus

Es gab in den Proben natürlich auch zahlreiche planktische Algen. Immer wieder fotogen ist Micractinium pusilla:



Beim Fokus auf die Schwebeborsten, welche wie Hohlnadeln geformt sind, fragt man sich, wie sie von der Zelloberfläche aus exprimiert werden. Sie scheinen auch nicht aufgewachsen sondern brechen leicht ab:



Massenweise fand ich eine Diatomee, welche ich für Melosira granulosa halte:


ZK = Zellkern

Die Schale besitze ein netzförmiges Muster aus Poren und die Zellen bilden an ihren Enden Dornen, welche ineinander verzahnt sind (Pfeil). Beim Strangbruch ragen diese Dornen heraus:



Zum Schluss noch Polyarthra vulgaris. Diese Art wurde hier schon oft gezeigt, aber vielleicht noch nicht mit dem 60 X Objektiv. Bei dieser Vergrößerung erhält man nur optische Schnitte des Rädertieres. Deshalb habe ich ausnahmsweise mal gestackt. Das folgende Foto ist aus drei Aufnahmen gestackt (mit Picolay). Profistacker werde nur milde lächeln, wenn nur 3 Aufnahmen gestackt werden, aber bei beweglichen Objekten wird die Zahl der Artefakte bei einer höheren Bilderzahl einfach zu groß. Deshalb habe ich größere Fokusschritte gewählt und nur 3 Aufnahmen verwendet. Das klappt ganz gut:



Viel Spass beim anschauen!

Martin

   

David 15

Hallo Martin,

deine Bilder zeigen so viele Details der Tierchen...es ist einfach traumhaft !!

Liebe Grüße
David
''Wir leben in einem gefährlichen Zeitalter. Der Mensch beherrscht die Natur, bevor er gelernt hat, sich selbst zu beherrschen.'' ( Albert Schweitzer)

Vorstellung: ''Hier''

Michael

Hallo Martin,

vielen Dank für diesen tollen Beitrag! Ich muss gestehen, dass ich mich noch niemals mit den Plankton beschäftigt, sondern mich immer nur durch den Schlamm gewühlt habe. Dieser Beitrag motiviert mich, endlich das geplante Planktonnetz zu basteln - das Material habe ich schon seit Monaten hier herumliegen.

Das Stacken bei transparenten Objekten hat - zumindest bei mir - nur dann geklappt, wenn man mit wenigen Bildern arbeitet. Bei Deinem Bild hat sich das Stacken jedenfalls gelohnt - sowas sieht man nicht oft!

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

RainerTeubner

Hallo Martin,

gesehen habe ich die Tiere in Planktonproben aus einem eutrophen Teich schon öfters, aber noch nie so meisterhaft photographiert!

Viele Grüße!

Rainer
Mikroskop: Carl Zeiss Standard Universal
Bildbearbeitung: Gimp, Helicon focus und picolay
Kamera: Canon EOS 5D II

Michael Plewka

Hallo Martin,

neben der Präsentation von Arten in der sehr guten Qualitat der Bilder schafft Dein Beitrag natürlich auch Impulse bzw. Denkanstöße.

Dein Hinweis auf das leiche Abbrechen der Borsten (ich schreibe bewusst nicht: "Schwebeborsten" s.u. ) bei M. pusiillum provoziert natürlich sofort die Frage nach dem "warum" im proximaten Sinne.
Die Recherche im www. hat dabei bei mir (noch) kein Ergebnis gebracht, aber ich bin auf zwei m.E. interessante Hinweise gestoßen (wovon der eine vielleicht für Dich als Protistologen auch interessant sein könnte):
Bei google findet man den Hinweis, dass das Auftreten von M. pusillum mit dem von dem Rädertier Filinia longiseta und dem Ciliaten  Cyclidium glaucoma  zeitlich korreliert ist:

https://books.google.de/books?id=y2PBw5c3pJQC&pg=PA107&lpg=PA107&dq=micractinium+pusillum+steinmann&source=bl&ots=0XrmecDr_p&sig=ACfU3U3oLXL-sbQsAYifQg6YLfwnV1M5Mg&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwjhp43j-bfpAhVc4KYKHbNTCcUQ6AEwAnoECAsQAQ#v=onepage&q=micractinium%20pusillum%20steinmann&f=false

hast Du diese Art(en) auch  in deinen Proben  gefunden?

Ein weiterer interessanter Befund (den ich vorher nicht kannte) ist, dass es (1) bei M. pusillum  sowohl Formen mit, aber auch solche ohne Borsten gibt; und (2) die Bildung der Dornen bei M.pusillum durch einen "Brachionus -Stoff" (wahrscheinlich ein Polypeptid)  induziert werden kann.

https://www.researchgate.net/publication/229504820_Polyphyletic_distribution_of_bristle_formation_in_Chlorellaceae_Micractinium_Diacanthos_Didymogenes_and_Hegewaldia_gen_nov_Trebouxiophyceae_Chlorophyta

Letzteres  finde ich insofern  bemerkenswert, als die Dornenlänge bei dem Rädertier  Brachionus wiederum durch einen "Asplanchna-Stoff" induziert werden kann.


Im Kosmos-Algenführer werden in Box 72  die zwei klassischen (ultimaten) Erklärungen für die Borsten: angegeben: 1. Vermeidung des Absinkens ("Schwebeborsten") und 2. Fraßschutz. Zwar steht der Effekt der Erhöhung des Reibungswiderstands   (Reynolds-Zahl) außer Frage, aber der Nachweis eines Effekts, den die Anwesenheit eines Rädertiers auf diese Algen haben kann, finde ich ziemlich spannend.


Beste Grüße
Michael Plewka

Peter V.

Hallo Martin,

wenn gleich ich fachlich nix Kluges beitragen kann, möchte ich dennoch meiner Begeisterung Ausdruck verleihen. Die Bilder sind einfach nur toll und eine absolute Bereichung für dieses Forum. Ich bin - trotz nur marginaler Kenntnisse der Wasserlebenwelt - immer wieder von Deinen und Michaels Beiträgen fasziniert, auch von Euren Erläuterungen.

Herzliche Grüße
Peter

Dieses Post wurde CO2-neutral erstellt und ist vegan. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

Martin Kreutz

Hallo,

vielen Dank für Eure netten Kommentare!

@Michael (Plewka): Vielen Dank für Deine Literaturrecherche! Mir waren all diese Fakten nicht bekannt! Ja, in der Probe tummelte sich auch Filinia longiseta. Cyclidium glaucoma habe ich jedoch nicht gesehen. Für mich ist noch unklar, wie diese Borsten von Micractinium überhaupt gebildet werden. Die Zelle besitzt ja eine Zellwand und auf dieser Zellwand wachsen die Borsten auf. Das kann doch höchstens durch Poren in der Zellwand geschehen? Vielleicht wird die Zellwand von der Zelle an diesen Stellen auch enzymatisch aufgelöst oder zumindest "perforiert". Bei Deckglasdruck brechen sie wie Glas von der Zelloberfläche ab, jedoch ohne dort eine Spur zu hinterlassen, die ich lichtmikroskopisch erkennen könnte. Die Verbindung zwischen der Borste und der Zellwand scheint also sehr locker zu sein.

Allen einen schönen Abend!

Martin
   

Fahrenheit

Lieber Martin,

wieder ganz großes Kino! Und mit Deinen Erläuterungen auch für einen Pflanzenschnippler immer wieder interessant zu lesen!

Herzliche Grüße
Jörg
Hier geht's zur Vorstellung: Klick !
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Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

M.Butkay

Hallo Martin,

vielen Dank für den tollen Beitrag und den dazu passenden Bildern, wie immer großes Kino! Die Schwebeborsten von Micractinium pusiillum haben mich jetzt auch angefixt. Nächste Woche bin ich wieder für 4 Tage in MäcPom und werde dort den Gutshofteich befischen (Planktonproben), denn letztes Jahr waren massenhaft M. pusiillum in dem Teich und mehr.

Der Teich hält für uns Tümpler immer wieder große Überraschungen bereit, die noch alle aufgearbeitet werden müssen.

Herzliche Grüße,
Michael
Captain Kirk (Wächter des Plankton...)

Bernd

Hallo Martin,

wie die Borsten gebildet werden, weiß ich auch nicht. Es ist aber wohl so, daß sie nicht aus Cellulose, sondern aus Proteinen bestehen (Schnepf 2018 Bristles and spikes in chlorococcales - Ultrastructural studies in Acanthosphaera, Micractinium, Pediastrum, Polyedriopsis, Scenedesmus, and Siderocystopsis. JOURNAL OF ULTRASTRUCTURE RESEARCH 72, 367-379). Das erklärt zumindest, warum sie ohne erkennbare Rückstände oder Verletzung der Zellwand abbrechen können.

Viele Grüße
Bernd

Martin Kreutz

Hallo Bernd,

danke für diese Recherche! Das wusste ich auch noch nicht. Die Borsten müssen also eine wichtige Funktion habe, wenn dafür wertvolles Protein verwendet wird. Fraßschutz scheint mir da schon naheliegend.

Martin