Thysanomorpha bellerophon - ein sehr seltenes und eigenartiges Wimperntier

Begonnen von Michael, Mai 24, 2020, 18:35:19 NACHMITTAGS

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Michael

Liebes Forum,

als ich vor ca. 14 Tagen in einem meiner Mikroaquarien ein sehr eigenartiges Wimperntier, das ich überhaupt nicht einordnen konnte, fand, bat ich Martin Kreutz um Hilfe (nochmals Danke, Martin). Die Überraschung war groß, als ich erfuhr, dass ich Thysanomorpha bellerophon (PENARD, 1914) gefunden habe, einen sehr seltenen und eigentümlichen Ciliaten, dessen Lebensweise nahezu unbekannt ist. Obwohl ich das Habitat kannte, in dem dieses Wimperntier vorkommt, gelang es mir die nächsten zwei Wochen nicht, nochmals ein Exemplar zu beobachten. Als ich schon fast aufgeben wollte, fand ich doch noch eine Methode, einigermaßen zuverlässig die Tiere aus den Proben zu separieren und insgesamt 5 Exemplare über einige Tage in einem Mikroaquarium zu beobachten. Deshalb ist es mir möglich, hier über die Separationsmethode für und die Morphologie und Lebensweise von T. bellerophon zu berichten.


Bild 1: T. bellerophon, Fundort GPS: N 49.128588 E 12.128241

Der Fundort ist ein seit Jahrzehnten unbewirtschafteter Fischteich in der Nähe von Regenstauf. Er wird durch den Ellerbach gespeist, einem ausschließlich von  Niederschlagswasser gebildeten kleinen Bach, der etwas nördlich von Regenstauf in den Regen mündet und ist der erste einer Treppe von Fischweihern. Der Teich ist von großen Laubbäumen umgeben und erfährt durch deren Laub im Herbst einen sehr großen Nährstoffeintrag. Deshalb ist der gesamte Teich bis wenige Zentimeter unter der Oberfläche mit Falllaub bzw. Faulschlamm gefüllt. Dieses sauerstoffarme und schwefelwasserstoffreiche Sapropel ist ein erstaunlich reichhaltiger Lebensraum und lohnt immer eine Probennahme. Um die speziellen Bedingungen der Proben nicht zu verfälschen, sollten die Proben luft- und lichtdicht (z.B. in alten Filmdosen) aufbewahrt werden. Viele Organismen vertragen den erhöhten Sauerstoffeintrag bzw. -produktion bei offener Aufbewahrung im Hellen nur sehr schlecht.
T. bellerophon lebt in diesem Sapropel und ist kaum von dem ihn umgebenden Schlamm zu separieren. Wie ich später ausführen werde, lebt das Tier die meiste Zeit sessil auf den Schlammflocken und ist deshalb kaum zu finden.


Bild 2: T. bellerophon, Separierung mit "Teebeutel-Methode"

Um die Tiere aus dem Schlamm hervor zu locken, habe ich eine Portion Schlamm in ein feines Netzgewebe (ähnlich einem Plankton-Netz) gefüllt und mit einem Faden zugebunden. Dieser "Teebeutel" wurde denn in ein spitz zulaufendes Glas (ich verwende billige Einweg-Sektgläser) mit Fundortwasser gehängt und über Nacht stehen gelassen. Während dieser Zeit verlassen viele der motilen Organismen durch ihre natürlichen Bewegungen den "Teebeutel" und gelangen in das frei Wasser. Hier sinken sie zum Grund des Sektglases ab und konzentrieren sich hier auf. Mit einer langen Pipette ist es dann leicht möglich, dieses Konzentrat aus der Spitze des Glases in ein Präparat zu überführen. Diese Separationsmethode ist an den sog. Bärmann-Trichter angelehnt, mit dem Nematoden aus Kotproben extrahiert werden. Auf diese Weise konnte ein Mikroaquarium mit fünf Exemplaren von T. bellerophon erstellt werden, die sich jetzt - nach 4 Tagen - immer noch guter Gesundheit erfreuen und über eine längeren Zeitraum beobachtet werden konnten.
T. bellerophon erwies sich leider als sehr helligkeitsempfindlich, so das die folgenden Fotos bei sehr wenig Licht und im Mikroaquarium bei relativ großer Schichtdicke aufgenommen werden mussten. Deshalb ist die Qualität leider nicht so, wie ich sie mir gewünscht hätte.


Bild 3: T. bellerophon, frei schwimmend

Wenn man T. bellerophon schwimmend antrifft, fällt der etwa 150µm große Ciliat durch einen Gürtel von pilzförmigen Auswüchsen auf, der sich um die Kontur des Tieres zieht. Da das Wimperntier sich in einem Mikroaquarium frei bewegen kann und beim Schwimmen ständig rotiert, ist es mir nicht gelungen, die Auswüchse beidseitig scharf abzubilden. Um die Gestalt des Tieres zu würdigen, muss ich daher auf den unten angegebenen Film verweisen, der auch diese Schwimmphase zeigt. Diese "Auswüchse" sind kontrahierte Tentakel, die das Tier beim Schwimmen eingezogen hat.


Bild 4: T. bellerophon, kontrahierte Tentakel, links lateral, rechts von oben

Bei genauere Betrachtung fällt auf, dass an der Spitze dieser Tentakel ein Bündel leicht gebogener, stabförmiger Extrusome sitzen, die bei Bedarf blitzschnell ausgestoßen werden können. Diesen Extrusomen verdankt das Tier seine Namen "Bellerophon", der ein griechischer Sagenheld und berühmter Bogenschütze war, der vom Rücken seines geflügeltem Pferdes Pegasus so manches Monster erlegte. Knapp unterhalb der Tentakelspize entspringen einige Tastcilien, die wohl eine Sinnesfunktion besitzen und möglicherweise die Auslösung der Extrusome steuern.


Bild 5: T. bellerophon, abgefeuerte Extrusome

Wartet man die erste Panik der Tiere ab und reduziert die Mikroskopbeleuchtung soweit wie möglich, beginnen die Tiere sich einen guten Platz zwischen den Detritusflocken zu suchen, an dem sie sich niederlassen und die Tentakel ausfahren:


Bild 6: T. bellerophon, in Lauerstellung mit expandierten Tentakel

Ein Teil der Tentakel wird verwendet um das Tier fest am Substrat zu verankern, währen ein anderer Teil zum Beutefang frei bleibt.


Bild 7: T. bellerophon, expandierte Haltetentakel, Inset: Tentakel beim Expandieren

Die Tentakel können eine Länge von 130µm erreichen und tragen an der Spitze weiterhin das Extrusomenbündel. Bei den Haltetentakel werden die Extrusome etwas zurückgezogen, so dass der bei den Fangtentakel der ansonsten innen liegende Kragen den Abschluss des Tentakels bildet und wie ein Saugnapf kreisförmig am Substrat anliegt.


Bild 8: T. bellerophon, Fangtentakel mit Extrusomen an der Spitze

Bei den frei im Wasser schwingenden Fangtentakel dagegen verbleibt das Extrusomenbündel an der Tentakelspitze, so dass es zum Beutefang eingesetzt werden kann.


Bild 9: T. bellerophon, Basalkörper

Auffallen ist, dass sich am Fuß der expandierten Tentakel meist ein relativ großer, runder Basalkörper findet. Dies ist bei Tetakeln, die am Rande der kontraktilen Vakuole entspringen besonders gut zu beobachten.

Wie eine Spinne in ihrem Netz wartet T. bellerophon nun ab, bis sich eine Ihm genehme Beute seinen Fangtentakeln nähert. Dabei werden andere Wimperntiere, Flagellaten oder Algen ignoriert. Ab und an verfängt sich mal ein Wimperntier an der Spitze der Fangtentakeln, die aber ihre Extrusome nicht abfeuern. Man kann dann beobachten, dass die "Beute" an der Tentakel haftet und sich dann mit einer leichten Anstrengung wieder befreit. Auch die Fangtentakel haben beim Kontakt mit Substrat (oder den "Beutetier") also eine Haftfunktion.
Bei meinen Beobachtungen konnte ich nur den Fang eines Gastrotrichen beobachten (und filmen):


Bild 10: T. bellerophon, Anheften eines Fangtentakels an die Beute

Ein Bauchhärling (Ichthydium sp.) gelangte in den Bereich des Lauerjägers und berührte eine der Fangtentakel. Die Extrusome wurden nicht ausgelöst, aber die Tentakel haftete an der ahnungslosen Beute. Erst bei der Berührung der zweiten Fangtentakel wurden die Extrusome ausgelöst und der Gastrotrich innerhalb Sekundenbruchteilen erlegt.


Bild 11: T. bellerophon, der zweite Fangtentakel feuert die Extrusome auf die Beute und haftet ebenfalls an der Beute

Die Beute kann sich noch vom Zugriff der anhaftenden Tentakel befreien, ist aber bereits tödlich getroffen.


Bild 12: T. bellerophon, nach der Tötung der beute sind in beiden beteiligten Fangtentakel keine Extrusome mehr vorhanden

In beiden Fangtentakeln finden sich nach der Aktion keine (oder nur sehr wenige) Extrusome. Anscheinend hat auch die erste Fangtentakel ihre Extrusome verfeuert. Im Folgenden werden alle Tenkakel eingeschmolzen und T. bellerophon geht wieder in die "Schwimm-Konfiguration" über. Das Tier dreht sich so, dass die erlegte Beute vom Zellmund aufgenommen werden kann:


Bild 13: T. bellerophon, Verschlingen der Beute

Anschließend sucht sich das Tier einen neuen Platz zum Auflauern auf eine neue Beute. Dabei haben sich alle beobachteten Tiere innerhalb von 3 Tagen nur um wenige Millimeter im Präparat bewegt. T. bellerophon verbringt also einen Großteil seines Lebens fest an die Detritusflocken seiner Umgebung angeheftet. Dies mag der Hauptgrund sein, warum das Tier nur so selten beobachtet wurde.
In der neuen Lauerstellung werden die verfeuerten Extrusome in den Tentakeln wieder ergänzt. An der Oberfläche des Tieres ist ein Vorrat der Extrusomen eingelagert und wird von hier in die Tentakel transportiert, wo sie langsam bis zur Spitze wandern.


Bild 14: T. bellerophon, Ersetzen der verbrauchten Extrusome

Den Beutefang konnte ich filmen:


Bild 15: T. bellerophon, zum Starten des Films bitte anklicken

Ich glaube, das dies die ersten Beobachtungen des Beutefangs dieses Lauerjägers im sapropelen Lückenraum sind und helfen, die Funktion der Tentakel zu klären.

Ich hoffe, dieser Beitrag war für Euch von Interesse.

Viele Grüße

Michael






Gerne per Du

Martin Kreutz

#1
Hallo Michael,

wie ich an diesen großartigen Beitrag von Dir sehen kann, hast Du weitere Exemplare von diesem selten beschriebenen Ciliaten gefunden. Ich selbst habe ihn leider noch nie gefunden. Deine Beobachtungen stellen mit Sicherheit eine Multiplikation über das Wissen zu diesem Ciliaten dar! Deine Mikroaquarium-Technik hat hier Beobachtungen ermöglicht, die sonst nicht möglich gewesen wären. Dein Bild 6 ist unglaublich und auch das tolle Video von der Nahrungsaufnahme, die mit Sicherheit noch nie beobachtet wurde. Wenn man das sieht, muss man eigentlich schon von einem echten Verhalten dieses Ciliaten sprechen. Dass er nach dem "Erlegen" der Beute die Tentakeln einschmilzt, sich umdreht um die Beute zu suchen und zu verschlingen, sieht doch aus wie ein festgelegter Handlungsablauf!? Andere haptoride Ciliaten, wie z.B. Spathidium schwimmen mehr oder wenig ziellos herum und fressen was eher zufällig ihren Extrusomen bestzten Mundwulst berührt. Hier scheinen wir es aber eher mit einem versierten Lauerjäger zu tun zu haben.

Du scheinst sogar mehrere Exemplare gefunden zu haben, was schon an sich außergewöhnlich ist. Solltest Du noch weitere finden, wären vielleicht noch ein paar morphologische Untersuchungen interessant, wie Zahl der Tentakel und wie sie über den Zellkörper verteilt sind oder auch Längenmessungen der Individuen.

Nochmal meinen Glückwunsch zu diesem außergewöhnlichen Fund und Deinen bemerkenswerten Betrag!

Martin

M.Butkay

Hallo Michael,

herzlichen Glückwunsch zu diesem Fund! Ich Glaube, dass Martin hierzu schon alles gesagt hat und ich mich nur anschließen kann. Sollte ich jemals diesen seltenen Exoten unter die Augen bekommen, wird mein Herzschlag bei mehr als 240 liegen, vor Aufregung, um bloß nichts falsch zu machen.

Nochmals vielen Dank für den Beitrag, vorallem der Film war SPITZE, ganz nach meinem Geschmack, so macht Tümpeln Spaß!

Herzliche Grüße,
Michael
Captain Kirk (Wächter des Plankton...)

Michael

Hallo Martin und Michael,

vielen Dank für Euer Lob, sowas spornt einen immer an!

@Michael: Die Verwendung von Mikroaquarien verringert entscheidend das Risiko für einen Herzinfarkt! Man hat Tage Zeit, um die Beobachtung zu wiederholen und die hektischen Fehler zu vermeiden. Aber die zufällige Beobachtung des Fressverhaltens ist natürlich ein großer Glücksfall - das treibt die Herzfrequenz schon nach oben.

@Martin:
Zitat von: Martin Kreutz in Mai 24, 2020, 19:20:03 NACHMITTAGS
Du scheinst sogar mehrere Exemplare gefunden zu haben, was schon an sich außergewöhnlich ist. Solltest Du noch weitere finden, wären vielleicht noch ein paar morphologische Untersuchungen interessant, wie Zahl der Tentakel und wie sie über den Zellkörper verteilt sind oder auch Längenmessungen der Individuen.

Auch hier ist das Mikroaquarium von Vorteil: Ich habe gerade nachgesehen und in zwei Aquarien noch fünf lebende Exemplare gefunden. Die sind alle in Lauerstellung, alle Angaben beziehen sich also auf die abgerundete, sessile Phase:

  • Größe: 136µm x 85µm; Tentakel-Zahl: 23; max. Tentakel-Länge: 76µm
  • Größe: 94µm x 79µm; Tentakel-Zahl: 23; max. Tentakel-Länge: 110µm
  • Größe: 120µm x97 µm; Tentakel-Zahl: 23; max. Tentakel-Länge: 66µm
  • Größe: 110µm x 90µm; Tentakel-Zahl: 23; max. Tentakel-Länge: 115µm
  • Größe: 66µm x 51µm; Tentakel-Zahl: ?; max. Tentakel-Länge: ?µm


Das letzte Exemplar hatte sich noch nicht ganz festgesetzt. Als ich es später beobachten wollte habe ich es nicht mehr gefunden.
Durchschnitt:
Größe: 105µm x80µm; Tentakel-Zahl: 23
Die Tentakelzahl scheint recht konstant zu sein, war aber leider bei dem kleinen Exemplar nicht zu beobachten. Die Tentakel-Länge richtet sich nach der Entfernung zum nächsten Haltepunkt, kann aber bis zu 115µm betragen. Bei den freischwimmenden Exemplaren sind die Maße sicherlich anders. Die sind langgestreckter und runden sich erst in Lauerstellung ab. Die Tentakelanordnung ist schwer zu beschreiben. Es ist ein Gürtel, der um nahezu die gesamte Peripherie des Tieres herumläuft. Lediglich die Mundregion bleibt ausgenommen. Am Ende der Linie beim Mund konnte ich eine Verdopplung der Linie beobachten. Dies betrifft aber nur 1 bis 2 der Tenkalen. Ob das an beiden Enden der Fall ist, habe ich nicht beobachtet. Die Anordnung der Tentakel ist eigentlich nur am frei schwimmenden Tier zu beurteilen (siehe Video). Ich habe da noch mehr als eine Stunde Videomaterial, vielleicht kann man da etwas mehr sehen.

Was mich an den Mikroaquarium fasziniert, ist die Möglichkeit, das Verhalten der Organismen zu beobachten. Je länger ich mich damit beschäftige, desto mehr glaube ich, dass unsere kleinen Freunde stark unterschätzt werden. Ob das die Brutpflege bei Gastrotrichen, das Fressverhalten von Ciliaten oder auch von Amöben ist, man kommt aus dem Staunen nicht heraus, wenn man bedenkt, dass wir es mit sehr primitiven Tieren - oft Einzellern - zu tun haben. Die meisten Verhaltensmuster setzen zumindest ein rudimentäres Gedächtnis voraus. Gehirn wird überschätzt!

Ich bin eigentlich nicht davon überzeugt, dass Thysanomorpha bellerophon so selten vorkommt, wie es die spärlichen Funde nahelegen. Das Tier verbring sicherlich 99% seiner Lebenszeit rundum angeheftet an Schlamm-Flocken, von denen es sich nur in Paniksituationen oder mal kurz zum Schlucken löst. Ich glaube, dass es praktisch unmöglich ist, ein angeheftetes Tier (das dann ja rundum mit Schlamm dekoriert ist) aus einer Probe mit den üblichen Methoden (Stemi etc.) zu extrahieren. Eigentlich erwischt man nur ein zufällig frei schwimmendes Exemplar. Vielleicht ist das Tier also viel häufiger als man denkt! Wir sollten vielleicht alle mal versuchen, mit der "Teebeutel"-Methode mal ein bisschen den Schlamm zu untersuchen. Vielleicht erleben wird dann noch ganz andere Überraschungen. Aus meinen Proben habe ich jedenfalls mit dieser Methode mehrmals eine ganze Reihe von Exemplaren (insgesamt 8 Stück) präparieren können, während ich bei meiner "üblichen" Vorgehensweise fast zwei Wochen lang vergeblich auf einen Zufallsfund hin gearbeitet habe. Selbst wenn man weiß, dass sich einige Exemplare in einem Mikroaquarium befinden, ist es manchmal praktisch unmöglich, diese wieder zu finden, wenn sie sich - z. B. wegen zu heller Beleuchtung - unter Detritus-Flocken verzogen haben. Am nächsten Tag ist das Tier dann plötzlich wieder da!

Viele Grüße

Michael






Gerne per Du

limno

Hallo Michael,wieder ein phantastisches Video der Extraklasse von Dir!  8) Dass selbst ein Martin Kreutz dieses Tierchen noch nie gesehen hat, spricht für Deinen Bienenfleiß und Deine dadurch geschärfte Intuition! Versuch's doch mal mit einem Kardioidkondensor!
Enthusiastische Grüße von
Heinrich
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

Michael

Hallo Heinrich,

danke für Deine netten Worte! Du hast natürlich recht, dass die Fotoqualität besser sein könnte. Aber dieser Ciliat ist helligkeitsempfindlich, so dass die Fotos bei so wenig Licht wie möglich entstanden sind - da tut man sich mit dem Scharfstellen manchmal schwer. Da hätte auch ein andere Kondensor nicht geholfen.

Noch ein Update zu den Tentakel:
Bei den oben angegebenen Tentakelzahlen habe ich lediglich die ausgefahrenen Tentakel gezählt und bin implizit davon ausgegangen, dass alle expandiert sind. Beim Nachzählen der freischwimmenden, rotierenden Exemplaren in den Videos, musste ich feststellen, dass die Tentakelzahl bedeutend größer ist. Offensichtlich werden nicht alle Tentakel gleichzeitig verwendet. Die Zahl sollte also eher bei 30+ liegen - ich muss das noch genauer auswerten.
Auch die genaue Anordnung der Tentakel ist individuell unterschiedlich. Einige Exemplare weisen nur einen einfachen Gürtel auf, bei anderen sind Teile des Gürtels verdoppelt. Es kommen auch Lücken in der Tentakelreihe vor. Alles in Allem recht verwirrend!
Während meiner Beobachtungen wurde ein weiterer Gastrotrich erbeutet. Alle durch die Tentakel flitzenden Ciliaten und Flagellaten wurden ignoriert - ein anscheinend fälschlicher Weise erbeuteter Ciliat sogar wieder angewidert ausgespuckt. Durch den starken Verkehr im Präparat wurden z.T. die Tentakel gehörig durcheinander gebracht, so dass das Tier genervt abzog und sich einen anderen "Ansitz" wählte. Bei mir wächst der Eindruck, dass Thysanomorpha bellerophon ein Futterspezialist ist und zumindest Gastrotrichen bevorzugt. Da sich die (meisten) Tentakel an eine Oberfläche anheften (im Mikroaquarium gerne Objektträger und Deckglas), erscheint es auch plausibel, dass das Tier sich auf Beute spezialisiert hat, die sich auf den Oberflächen bewegt. Im Lückenraum des Sapropels stellen dann die Gastrotrichen zumindest eine große Fraktion dar.


Viele Grüße

Michael

PS: Noch leben meine sechs Exemplare im Mikroaquarium
Gerne per Du

Michael

Hallo,

da die kleinen Freunde meist schön ruhig halten, haben ich mich mal mit dem Stacken versucht. Da trotzdem eine gewisse Bewegungsunschärfe da ist,, bin ich mit dem Resultat nicht ganz zufrieden, wollte es aber dennoch einfach mal zeigen.

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

Martin Kreutz

Hallo Michael,

sehr gut, dass Du die Größenmessungen noch mit eingefügt hast. Die von Dir gemessenen Längen decken sich mit den Angaben von Kahl mit 100 - 180 µm, welcher Thysanomorpha bellerophon als Legendrea bellerophon beschrieben hat (bzw. die Beschreibung von Penard übernommen hat). Die große Spanne der Längenangaben zeigt schon, dass diese Art offensichtlich recht variabel in der Größe ist, was Du ja auch beobachtest.

Was die Zahl und Anordnung der Tentakel angeht, so scheint hier auch eine Varianz bei der Zahl und Anordnung zu bestehen. Wie Du weisst, habe ich den ebenso merkwürdigen Ciliaten Legendrea loyezae gefunden (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=21775.0), der ebenso seltsame Tentakel aufweist, die jedoch nicht kontraktil sind. Bei dieser Art konnte ich ebenfalls eine Varianz der Tentakel feststellen, die eventuell von der Größe des jeweiligen Individuums abhängt.

Deine neueste Aufnahme von Thysanomorpha ist wirklich außerordentlich! Die Jagdtechnik ist wirklich außergewöhnlich. Das kenne ich so eigentlich nur von Actinobolina. 

Du hast am Anfang Deine "Teebeuteltechnik" beschrieben. Du schreibst, dass Du als "Teebeutel" ein "feines Netzgewebe" verwendet hast. Was war das denn genau. Ein Stück altes Planktonnetz? Welche Maschenweite?

Martin

Michael

Hallo Martin,

das von mir verwendete Gewebe ist ein Kunststoffnetz mit einer Maschenweite von ca. 100µm x 60µm, das ich mir mal gekauft habe, um mir ein Planktonnetz zu basteln. Da habe ich noch einiges übrig - wenn Du willst kann ich Dir da gerne was schicken. Letztendlich glaube ich, dass die Maschenweite nicht sonderlich kritisch ist: eng genug, dass möglichst viel Schlamm zurück gehalten wird, aber groß genug, dass sich die Organismen durchzwängen können. Kritischer ist sicherlich die Zeit - ich habe über Nacht gewartet, bis ich die Organismen entnommen habe. Wartet man zulange, werden sicherlich einige Arten in der ungewohnten Umgebung absterben; wartet man zu kurz, wandern nicht genügend Individuen ins freie Wasser.

Ich konnte beobachten, dass die Jäger manchmal beim Beutefang eine Tentakel verlieren. Dies erklärt die Lücken in der Tentakelreihe. Vielleicht werden verlorene Tentakel auch neben der Originalstelle neu gebildet. Dies würde die teilweisen Doppelreihen erklären.





Bei genauere Betrachtung fallen bei der ruhenden Form von Thysanomorpha bellerophon zwischen den Tentakel manchmal kleine Auswüchse aus, an deren Spitze ein Sekrettropfen zu sein scheint (Pfeile):



Auch fällt auf, dass bei den lauernden Tieren viel mehr "Verkehr" ist, als im übrigen Mikroaquarium. Es sammeln sich z.B. ganze Schwärme sehr kleiner Flagellaten (einige µm Größe), die so anderswo nicht zu finden sind. Auch andere Ciliaten und Flagellaten häufen sich bei den lauernden Jägern (auch wenn sie nicht gefangen werden). Möglicherweise wird hier ein Lockstoff in Wasser abgegeben. Das würde auch den relativ großen Jagderfolg von Thysanomorpha bellerophon erklären (ich habe inzwischen 4 Fänge von Gastrotrichen beobachten können). Aber das ist natürlich nur Spekulation.

Vorhin konnte ich eine Teilung im Zeitraffer filmen. Den Film werde ich die nächsten Tage mal hochladen.

Viele Grüße - auch von meinen interessanten (inzwischen 7) Gästen auch den Mikroaquarium -

Michael

Gerne per Du

Ole Riemann

Hallo Michael,

ich kam erst jetzt dazu, Deinen hochinteressanten Bericht zu lesen. Fachlich kann ich nichts ergänzen und möchte nur - wie bei vielen Deiner Beobachtungen - zum Ausdruck bringen, wie beeindruckend ich Deine Geduld und Deinen Ideenreichtum bei der Präparation (Mikroaquarien, "Teebeutel-Methode") finde. Da kommt Tolles bei raus!

Vielen Dank und schöne Grüße

Ole

M.Butkay

Hallo Michael,

ich finde es immer wieder beeindruckend wie Du die Jäger in Deinen Mikroaquarien zum Jagen bringst und dazu noch die Geduld und Zeit aufbringst, dass alles zu dokumentieren. In meiner jetzigen Probe aus MäcPom habe ich nach langer Zeit, Actinobolina wenrichii wiedergefunden. Diesmal konnte ich ihn sehr gut beobachten, wie er, wie ein Vagabund unter dem Deckglas umherzog, um nach Beute zu jagen, leider erfolglos. Vor dem Platzwechsel zog er jedes Mal die Tentakeln ein und fuhr sie wieder am neuen Ort aus, war spannend zu beobachten. Bin gespannt, ob ich ihn in den Proben, habe 12 Liter Fundortwasser mitgebracht, nochmal finden werde. Bis jetzt war es ein Einzelfund, nix mit kultivieren im Mikroaquarium. Werde auf jedenfall über die Beobachten berichten, braucht nur noch etwas Zeit!

Liebe Grüße,
Michael
Captain Kirk (Wächter des Plankton...)

Michael

Hallo Ole und Michael,

vielen Dank für Eure netten Worte. Was Ihr Geduld und Ausdauer nennt, würden andere als Sturheit und Korinthenkackerei bezeichnen ;)!

Michael, Actinobolina habe ich bisher nur einmal gesehen und würde mich freuen, etwas drüber lernen zu dürfen.

Mit meinen T. bellerophon gehts im Mikroaquarium wohl schön langsam zu Ende. Offensichtlich passt das Milieu nicht mehr. Die Kleinen haben Ihre Tentakel eingefahren und schwimmen - wohl auf der Suche nach besseren Verhältnissen - ratlos durch Präparat. Vielleicht kann ich ja noch eine Encystierung beobachten.

Schöne Feiertage

Michael
Gerne per Du

M.Butkay

Hallo Michael,

wenn ein Ende abzusehen ist, ist es oftmals hilfreich, den kleinen Cilis ein neues Habitat zu schaffen. Wechsel einfach den Inhalt Deines Mikroaquariums aus, dass kann schon oftmals Helfen!

@ Über Actinobolina werde ich berichten, habe ihn aber bis jetzt nicht wiedergefunden, also nur einmal. Damit rückt das Mikroaquarium immer weiter in die Ferne, um nur einmal den Beutefang zu beobachten, bin traurig darüber  :(

Viele Grüße,
Michael
Captain Kirk (Wächter des Plankton...)

Martin Kreutz

Hallo Michael,

Deine Beobachtungen an Thysanomorpha, die fast den gesamten Lebenszyclus umfassen, sind wirklich beeindruckend. Besonders interessant finde ich die Beobachtung, dass sich vermehrt Protozoen um Thysanomorpha sammeln, was Hinweis auf einen Lockstoff geben könnte. Das wäre für einen einzelligen Lauerjäger eine fast unglaubliche Anpassung, aber nicht unmöglich. Konntest Du erkennen, ob diese tropfenförmigen Ausstülpungen eventuelle stark vakualisiert waren? Das würde mit der Absonderung von Lockstoffen zusammenpassen. Aber wahrscheinlich ist die Schichtdicke zu groß, um so etwas zu erkennen. Da Du ja direkt an der Quelle für Thysanomorpha sitzt, kannst Du vielleicht beim nächsten Fund ein Exemplar "opfern" und die genauen Kernverhältnisse prüfen (insbesondere Mi) und ob es symbiontische Bakterien im Plasma gibt. Bei den anderen Legendrea-artigen, die ich bisher gefunden habe (Lacerus pespelicani und Legendrea loyezae) waren symbiontische Bakterien im Plasma zu finden. Ich bin jetzt gespannt, ob Du jetzt noch die Encystierung beobachten kannst!

Martin

Michael

Hallo Martin,

tut mir leid, dass ich erst jetzt antworten kann, aber ich war die letzte Woche unterwegs und komme erst jetzt dazu.
Dass sich vermehrt Protozoen um T. bellerophon sammeln, ist definitiv so und kann auch durch Zeitrafferaufnahmen belegt werden. Was den kleinen Freund so attraktiv macht, kann sicherlich nur spekuliert werden. Aber für einen Lauerjäger ist sowas natürlich essenziell. Sich irgendwo platzieren und auf den Zufall hoffen erschient mir - gerade bei einem so spezialisierten Speiseplan - nicht sehr erfolgversprechend. Schließlich ist die Gastrotrichendichte - und schon gar nicht die von ungepanzerten Bauchhärlingen - nicht sonderlich hoch.
Eine Vakuolisierung der konischen Fortsätze konnte ich nicht beobachten (obwohl ich glaube, dass die Abbildungsqualität ausreichen würde). Aber ich habe diese Fortsätze mit ihrem Sekrettropfen im Zeitraffer über einige Stunden gefilmt. Leider sind die Aufnahmen nicht sonderlich vorzeigbar, da die Tropfen beim Passieren anderer Protozoen und beim Entleeren der kontraktilen Vakuole immer wieder aus dem Fokus wandern. Vergleicht man aber auseinanderliegende Aufnahmen, wird deutlich, dass der Tropfen manchmal verschwindet. Er kann also in die Umgebung abgegeben werden:


Verschwinden des Sekrettropfens; roter Pfeil: konischer Fortsatz mit und ohne Tropfen; grüner Pfeil: möglicherweise "Vesikel" mit Nachschub

Außerdem fallen "Vesikel" im Kortex der Zelle auf, die sich auch in den konischen Fortsätzen bewegen. Möglicherweise wird hier der Sekretnachschub zu den Fortsätzen transportiert. Ich konnte allerdings nicht das Verschwinden dieser "Vesikel" beobachten. Sie wandern nur in den Fortsätzen auf und ab. Ob man hier wirklich die Verteilung eines Lockstoffes beobachten kann, bleibt Spekulation. Die konischen Fortsätze mit den Tropfen können übrigens eingezogen werden. Bei Tieren in der schwimmenden Phase sind sie deshalb auch nicht zu sehen. Sie erscheinen erst, wenn die Lauerstellung bezogen wurde.

Inzwischen sind vor einer Woche alle Exemplare in meinen Mikroaquarien verstorben. Eine Encystierung konnte ich nicht beobachten. Die Freunde verlassen lediglich ihre Lauerplätze und versuchten in günstigere Bereiche auszuweichen, die es im Mikroaquarium aber leider nicht gab. Vielleicht ist es aber in der Natur meistens möglich, tiefer in den Schlamm abzutauchen und günstige Lebensbedingungen vorzufinden. Dann würde sich eine Encystierung nicht lohnen.

Inzwischen habe ich wieder einige Mikroaquarien mit den kleinen Freunden bestückt, so dass die Beobachtung weiter gehen kann. Mit der "Teebeutel-Methode" war ein Nachschub kein Problem. Ich habe auch zwei Exemplare vereinzelt und genauer beobachtet. Legt man die Ciliaten mit dem Deckglas fest, kugeln sie sich relativ schnell ab und ziehen alle "Tentakelwarzen" nahezu vollständig ein. Dadurch ist eine starke Verkleinerung der Schichtdicke kaum möglich, wenn man die Tentakel genauer untersuchen will. Beim Platzen der Tiere treten - wie Du schon vermutet hast und auch von Penard angegeben wurde - Bakterien aus:


Symbiontische Bakterien; ca. 7,5µm x 1,2 µm

Die Kernverhältnisse sind bei den gut genährten Freunden schwer zu beobachten:


roter Pfeil: "wurstförmiger" Makronucleus

Da ich keinen Mikronucleus bei all den Tröpfchen beobachten konnte, habe ich bei einem Exemplar den Kern mit Methylgrün angefärbt:


mit Methylgrün gefärbte Kerne; rote Pfeile zeigen drei Mikronuclei

So erkennt man insgesamt drei Mikronuclei. Penard gibt an, dass der Mikronukleus an dem Ma anliegt. Mein Befund ist da anders.

Soweit meine bisherigen Befunde. Ich beobachte weiter, mal schauen ob ich noch was interessantes finde.

Viele Grüße

Michael

Gerne per Du