Metachronie- eine kleine Zusammenschau

Begonnen von Michael Plewka, August 01, 2020, 19:45:48 NACHMITTAGS

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

Michael Plewka

hallo zusammen,

manche der im Folgenden dargestellten Bilder habe ich hier im Forum möglicherweise schon mal gezeigt.
Es ergibt sich aber im Laufe der Zeit, dass bestimmte Informationen unter einem anderen Aspekt nochmals sinnvoll sind.

Im Bereich der Mikrolebewelt spielen Cilien eine große Rolle. Man kann sich eine Cilie als eine flexible Röhre vorstellen, die sich aktiv durch im Innern befindliche Aktin und Dynein-Moleküle unter Energie(ATP)-verbrauch verbiegen kann.

Diese Verbiegung kann   eine Wasserbewegung hervorrufen, so dass einerseits unbeweglichen Zellen auf diese Weise mit dem Wasser Nahrungspartikel zugeführt werden (z.B.  bei Flagellaten wie z.B. Codonosiga hier:



Andererseits kann  eine cilientragende  Zelle sich selbst bewegen, d.h. also kriechen (Euglenozoen) oder schwimmen wie bei der Mallomonas hier zu sehen:




Es gibt also einzellige Lebewesen, die sich nur mittels einer oder zwei modifizierten Cilien (= Flagellen) fortbewegen, es gibt aber auch große Gruppen von  Organismen (u.a. Ciliaten, Rippenquallen, Rädertiere, Turbellarien), bei denen viele Cilien entweder die ganze Oberfläche oder aber Teile davon bedecken. Man kann sich sicherlich vorstellen, dass, wenn diese Cilien alle durcheinander schlagen würden, die Effektivität nicht sehr hoch wäre.

Für die Funktion ist deshalb die Koordination des Cilienschlags von entscheidender Bedeutung.

Die Effektivität des Cilienschlags kann zum einen  durch die räumliche Organisation bewirkt werden; z.B. sind bei vielen Ciliaten die Cilien in Reihen, sog. Membranellen  organisiert, zum anderen durch die zeitliche Koordination, d.h. in einem bestimmten Wimperfeld schlagen die Cilien zeitlich ud räumlich nacheinander und verursachen dabei das Bild einer übergeordneten Schwingung  /Welle (metachron) .

Dabei lassen sich nun verschiedene Bewegungsmuster bei den Cilien unterscheiden. Da gibt es zunächst mal den Fall, dass die Cilien (wie bei einer Peitsche oder einem Reptil) sich hin-und herbewegen und dabei ihre Ausrichtung verändern (Abb. nach Hausmann et al., verändert):


bzw.



Bei der  prinzipiell anderen Form findet  findet keine Änderung der Ausrichtung statt; die Cilie verbiegt sich (m.o.w. im Winkel von 180 Grad), dabei läuft der Ort der Verbiegung zyklisch über die einzelne Cilie, wobei sich durch die räumliche Koordination das Bewegungsmuster in zwei entgegengesetzten Richtungen erfolgen kann:




Die dabei entstehenden Bewegungsmuster haben einen besondere ästhetischen Reiz. Man kann sie sehr schön mit kurzen Belichtungszeiten (Blitz) fotografieren.

Hier nun ein paar Beispiele dazu:

Monodinium balbiani, ein Ciliat im Plankton. Apikalansicht:
mehr dazu hier: http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenProtista/01e-protista/e-Ciliata/e-source/Monodinium%20balbiani.html




Cyclotrichium viride, ebenfalls im Plankton vorkommend- hat in etwa die Form eines Hamburgers, wobei  sich der Cilienkranz auf der Ebene des Hackfleisch befinden würde. Das Viech bewegt sich senkrecht dazu, käme also in dieser Aufnahme ziemlich schnell auf den Beobachter zu.
mehr dazu hier: http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenProtista/01e-protista/e-Ciliata/e-source/Cyclotrichium%20viride.html




Das gleiche, nämlich die schnelle Bewegung senkrecht zum Ciliengürtel, findet sich bei Halteria grandinella. Es handelt sich in dieser Aufnahme allerdings um die oralen Cilien und nicht um äquatorialen Cirren, wobei letztere den Ciliaten auch zu einem "Sprung" befähigen.  Welche der beiden Gebilde aber für die schnelle Schwimm-Bewegung verantwortlich sind, ist mir nicht klar.
mehr dazu hier:http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenProtista/01e-protista/e-Ciliata/e-source/Halteria%20sp..html




Ebenfalls räselhaft ist für mich, wie diese Form des metachronen Cilienschlags bei Rimostrombidium lacustris zu der quadratischen Anordnung führt. mehr dazu hier:http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenProtista/01e-protista/e-Ciliata/e-source/Rimostrombidium%20lacustris.html




In Moosproben  findet man sehr häufig Phacodinum metchnikoffi, einen Ciliat mit einer interessanten Form, wobei sich die Oberfläche  u.a. durch Rippen auszeichnet:




Hier ein Bild der Cilien der adoralen Membranellenzone:



mehr dazu hier:http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenProtista/01e-protista/e-Ciliata/e-source/Phacodinium.html


In einem Beitrag von mir dürfen natürlich die Rädertiere nicht fehlen. Auch bei diesem Rädertier (Pleuretra lineata) kann man sehr gut den metachronen Cilienschlag der Räderscheiben erkennen:



weitere Infos dazu hier: http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Pleuretra_lineata.html


Viel Spaß beim Anschauen & beste Grüße
Michael Plewka


deBult

Michael

Thank you for this introduction into protozoa movement.

Best, Maarten
Reading the German language is OK for me, writing is a different matter though: my apologies.

A few Olympus BH2 and CH2 stands with DIC and phase optics.
The correct number of scopes to own is N+1 (Where N is the number currently owned).

Michael Plewka

Hi Maarten,

thanks for your feedback!

Best
Michael Plewka

piu58

Die Bewegung durch Zilien ist bei weitem nicht so einfach, wie es uns scheint. Für diese kleinen Organismen ist das Wasser sehr zähe, bestimmt mehr als für uns Honig. Turbulente Strömungen (wie z.B. beim Rudern entsteen) sind völlig ausgeschlossen.
Die Bewegungsmuster müssen darauf adaptiert sein und sind mgl.w ganz anders als bei uns im Makroskopischen.

Die Bildqualität und die Auflösung sind phänomenal. Danke.
Bleibt dran, am Okular.
--
Uwe

limno

Hallo Michael,
vermutlich hast Du meinen kleinen Beitrag https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=38134.0 übersehen, der zufällig zu diesem Thema passt.
ZitatDabei lassen sich nun verschiedene Bewegungsmuster bei den Cilien unterscheiden. Da gibt es zunächst mal den Fall, dass die Cilien (wie bei einer Peitsche oder einem Reptil) sich hin-und herbewegen und dabei ihre Ausrichtung verändern (Abb. nach Hausmann et al., verändert):
Genau diese Jahhunderte alte Deutung ist jetzt widerlegt worden. Und meine Frage war - weil ja alle  Geißeln, Cilien, etc bei Eukaryoten nach dem selben Schema gebaut sind - ob man da nicht insgesamt nochmal viele Aussagen überprüfen müsste.Freilich ist die metachrone Geißelbewegung aus der Perspektive eines Spermiums kein Thema - es hat ja im Regelfall nur eine ;D und  nur eine Devise: Vorwärts immer - rückwärts nimmer!
Nochmals mit schraubigen Grüßen
Heinrich
P.S. Eine kleine Frage: Wie kann man Zitate von Mitgliedern mit Namen und Datum versehen?
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

Ole Riemann

Hallo Michael,

vielen Dank für diesen informativen Beitrag, der ein für Mikroskopiker eigentlich wohlbekanntes Phänomen neu beleuchtet und mit beeindruckendem Bildmaterial unterlegt. Auch den Beitrag zur "Asymmetrie", der den metachronen Cilienschlag ebenfalls berührt, habe ich sehr gerne gelesen.

Eine technische Frage zur Bildentstehung habe ich noch - ohne Dich zu sehr zu drängen, aus dem Nähkästchen zu plaudern: Ich habe den Eindruck, dass Du Deine DIC-Aufnahmen bewusst nicht mit maximal möglicher Apertur der Objektive aufnimmst. Anders kann ich mir die Tiefenschärfe und den Kontrastreichtum Deiner Fotos nicht erklären. Orientierst Du Dich auch beim DIC +/- an der 2/3-Regel, bezogen auf die Ausleuchtung der hinteren Objektivbrennebene?

Schönen Dank und beste Grüße

Ole


jcs

Hallo Michael,

eindrucksvolle Aufnahmen, noch eindrucksvoller sind aber die sorgfältig recherchierten und schön dargelegten Erläuterungen.

LG

Jürgen

Michael Plewka

#7
Hallo Uwe, Heinrich, Ole und Jürgen,


vielen Dank für die (positiven) Rückmeldungen!

Zitat: 
@ Uwe:
Zitat...und sind mgl.w ganz anders als bei uns im Makroskopischen
da sprichst Du eines meiner Lieblingsthemenkreise  an: wir Menschen tun uns schwer damit, uns in die Lebenswelt dieser kleinen Organismen hinein zu versetzen...
Übrigens gab es hier im Forum schon mal (teilweise sehr lebhafte) Beiträge zum Thema "Reynolds-Zahl, wobei ich jetzt nur diesen auf die Schnelle gefunden habe:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=19493.0

@ Heinrich:
zuerst hatte  ich einen Beitrag  mit dem Thema "Metachronie" und  der asymmetrischen Bewegung  in der  Corona der Rädertiere zusammen konzipiert; das wurde jedoch zu umfangreich. Aber selbst nach der Aufspaltung musste ich den Inhalt reduzieren. Ich habe deshalb hier zwar einführend einige Lebewesen mit einem einzigen Flagellum angesprochen, aber selbst von diesen Viechern  ist dem Tümpler, der viel am Mikroskop sitzt,  sicherlich klar, dass es bei den Cilien der Mikroorganismen  zwar auch Gemeinsamkeiten im Grundbauplan  aus dem Axonem gibt, aber auch Unterschiede , wie z.B. die Viecher mit Mastigonemen. Dass dieses sich auf die hydrodynamischen Eigenschaften unterschiedlich auswirkt, dürfte  jedem klar sein.  Zwar gibt es schon seit 2018 einen ähnlichen Artikel von einer Arbeitsgruppe aus Essen zur Spermienbewegung wie den von Dir jetzt zitierten, davon bleibt aber die (für diesen Beitrag hier vereinfachte) Unterteilung  der Organismen mit vielen Cilien in zwei Gruppen, nämlich solchen mit Cilien, die hin-und herschwingen, und solchen, bei denen sich die Cilien "auf und ab"bewegen, unberührt. Mit Bezug zu der Corona der Rädertiere  (also nicht dem Virus!) in dem anderen Beitrag hier
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=38158.0

liegt der Schwerpunkt beider Beiträge somit auf dem Studium von Organismen mit vielen Cilien und der Beobachtung / Fotografie der  Koordination  der Bewegung dieser vielen Cilien.



@ Ole

nach den vielen Forums-Beiträgen zum Thema "hochauflösende Kontrastmethoden" und deren Bezug zur Apertur des optischen Systems  lese ich also aus der Frage des Meisters im Positive-Kommentare-Schreiben  zwischen den Zeilen heraus, dass Du der Meinung bist, die Auflösung sei zu gering, weil offensichtlich nicht mit maximaler Apertur fotografiert ;-))

Wie ich schon zuvor geschrieben habe, sind  die Bilder  in verschiedenen Jahren entstanden, wobei das älteste von 2012 stammt. Damals habe ich ein Reichert Mikroskop (mit DIK und unendlich-Optik) benutzt, dabei habe ich auch beim 40er Öl benutzt. Das funktioniert mit Ciliaten und geringer Schichtdicke auch ganz gut (siehe Martin Kreutz oder auch Deine Aufnahmen). Die Beobachtung und vor allem Fotografie von Viechern, die sich aber zwischen Moosblättchen oder Sandkörnchen befinden, ist aber problematisch.  Deshalb wollte ich gerne mal mit Wasserimmersion arbeiten. Da ergab es sich, dass mal von Zeiss ein 40x LD-C-Apochromat angeboten wurde. Dazu musste dann das Reichert aber umgebaut werden (Danke Jürgen S.!!!). Seit 2016 arbeite ich also weitgehend mit einem Reichert-Stativ und Reichert DIK; die restliche Optik ist von Zeiss. Mit dem o.a. 40er Zeiss  bin ich hochzufrieden. Interessanterweise funktioniert das Zeiss Neofluar 40x (trocken) in meinem System überhaupt nicht (kein Kontrast; ist aber nicht defekt).
Bei hohen Vergrößerungen arbeite ich aber weitgehend mit Öl. Der Kondensor (NA 1.4) wird bei  mir weitestgehend mit Wasser betrieben.

Da der Kontrast bei diesen Vergrößerungen sehr stark von Schichtdicke  (sphärischen Aberration)  abhängt, hat man natürlich bei den dicken Rädertieren ein Problem. Bezüglich des Kontrasts bzw. der "Anmutung" des Bildes  habe ich  also von seiten des Mikroskops her die zwei Variablen: DIK-Effekt über den Schieber und Blende des Kondensors. Wie ich diese Parameter verwende, hängt also vom Motiv ab. Vom Grundsatz her versuche ich, die Blende möglichst weit zu öffnen, das sieht man m.E. deutlich an dem Bild von Rimostrombidium bzw. von Phacodinium, wo es mir bewusst um die Unschärfe im Hintergrund ("Bokeh") ging (ich hatte dazu mal auch einen provokanten Beitrag hier im Forum gepostet:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=15023.0

Die richtige Fokusebene zu treffen gelingt natürlich bei beweglichen Objekten nicht auf Anhieb. Von der  Pleuretra habe ich beispielsweise 42 Bilder gemacht (ich hab nochmal nachgeschaut), von denen 1 dann gepasst hat.

Andererseits hast Du natürlich recht, dass beispielsweise bei der Rotaria macrura in dem Asymmetrie-Beitrag  die Blende weiter zugezogen war.


Genauso wichtig  erscheint mir mittlerweile die Software, d.h. die Bildbearbeitung. Aber da erzähle ich Dir bestimmt nichts neues... Ich verfahre da so, wie im Vortrag bei  der letzten Kornrade dargestellt; d.h. ausgehend von der raw-Datei setze ich gezielt Hochpass- und Tiefpassfilterung ein, um dem Bild eine entsprechende Anmutung zu verleihen.


Beste Grüße
Michael Plewka

Ole Riemann

Hallo Michael,

vielen Dank für die Erläuterung - stimmt, mir war ganz entfallen, dass Du ja ein Wasserimmersionsobjektiv einsetzt.

Meine Anmerkung war völlig ohne Doppelbödigkeit gemeint; es ist völlig klar, dass man bdelloide, dazu noch rädernde Rädertiere anders fotografieren muss als in der X-Achse fast ausdehnungslose flache Ciliaten. Gerade deswegen hat mich ja interessiert, wie Du den Bereich der Schärfe gezielt steuerst.

Beste Grüße

Ole