Gastronauta membranaceus und Hemicyclium lucidum

Begonnen von Martin Kreutz, August 07, 2020, 20:19:11 NACHMITTAGS

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Martin Kreutz

Liebes Forum,

ich möchte hier zwei flache Flundern von Ciliaten vorstellen, welche interssante Merkmale aufweisen.

Der erste ist Gastronauta membranaceus, der zu den cyrthophoriden Ciliaten gehört. Zu der Gruppe gehört auch zum Beispiel Chilodonella oder Trithigmostoma. Die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe ergibt sich aus der Art der Bewimperung. Auf der dorsalen Seite sind sie (fast) nackt, während die ventrale Seite streifenartig angeordnete Wimpernreihen vor und hinter der Mundöffnung aufweist. Während Chilodonella und Trithigmostoma jedoch eine Reuse entwickelt haben, ist die Mundöffnung von Gastronauta wie eine Staubsaugerdüse geformt. Eine interessante Anpassung um einen möglichst breiten Streifen vom Bakterienrasen abzugrasen. Ich habe in den ganzen Jahren Gastronauta membranaceus nur ein einziges Mal gefunden und dann auch nur wenige Exemplare. Ich fand sie auf einem schwimmenden Deckglas, deren Unterseite sie abgrasten. Bei kleinen Vergrößerungen sind sie sehr leicht mit Chilodonella zu verwechseln. Vielleicht liegt es daran, dass nur wenige Funde gemeldet wurden. Ich kenne nur einen Beitrag von Richard ("Nostoc") im Tümplerforum, in dem Gastronauta beschrieben wird (s. https://www.mikro-tuemplerforum.at/viewtopic.php?f=23&t=310).

Am schwimmenden Deckglas ist immer die ventrale Seite zum Beobachter gerichtet. Hier habe ich auf die Basalkörper der Wimpernreihen fokussiert. Man erkennt den seltsamen, schlitzförmigen Mund (MO):


PÄ = Präorales Wimpernfeld
RWF = rechtes Wimpernfeld
LWF = linkes Wimpernfeld
MO = Mundöffnung
WFF = wimpernfreies Feld

Auf der rechten Aufnahme habe ich das wimpernfreie Feld (WFF) markiert. Dieses unterscheidet Gastronauta membranaceus von der ähnlich Art Gastronauta clatratus, wo dieses Feld bewimpert ist.

Legt man den Fokus minimal höher, kann man die circumorale Bewimperung (COW) der Mundöffnung deutlicher erkennen:


COW = circumorale Wimpernreihe

Fokussiert man in die Zelle, erkennt man den Makro- und Mikronukleus (Ma, Mi), eine der beiden kontraktilen Vakuolen und durch einen glücklichen Zufall sind die beiden, einreihigen Dorsalbürsten optisch geschnitten. Sie sehen aus wie zwei senkrecht aufeinander stehende Cilienreihen die sich auf der sonst unbewimperten Rückseite befinden. Außerdem ist ein lichtbrechender Körper (LK) in Form einer Sanduhr oder gestreckten 8 nahe dem Makronukleus sichtbar. Das ist keine aufgenommene Nahrung sondern ein Organell unbekannter Funktion:


DB = Dorsalbürsten
LK = lichtbrechender Körper
KV = kontraktile Vakuole
Ma = Makronukleus
Mi = Mikronukleus

Um beide kontraktilen Vakuolen zu Gesicht zu bekommen, muss man die Zelle ziemlich quetschen. Dann treten sie klar hervor:


KV 1, KV 2 = kontraktile Vakuolen
Ma = Makronukleus
Mi = Mikronukleus

Der zweite Ciliat ist in den obersten Schichten des Faulschlammes zu Hause. Wie Gastronauta ist er mit 50 – 60 µm recht klein und wird vermutlich oft übersehen. Findet man ihn, so sieht es aus wie ein transparentes Plättchen, welches sich beim schwimmen uns sich selbst dreht. Es handelt sich um Hemicyclium lucidum, welcher der Gattung Microthorax nahe steht. Wie Microthorax hat Hemicyclium einen starren Panzer (Cuticula) und die Mundregion ist kompliziert geformt. Am auffallendsten sind jedoch die in halbrunden Reihen angeordnete Poren auf der Ventralseite, aus denen die Cilien entspringen. Die dorsale Seite ist nackt:


PO = Poren
POA = Porenanlagen

Neben den deutlich umrandeten Poren (PO) konnte ich auch schemenhafte Porenanlagen (POA) erkennen, die in der Literatur nicht beschrieben sind. Sie sind nicht, wie die ,,richtigen" Poren, in Reihen angeordnet, sondern eher gestreut und verschieden groß.

Nimmt die Schichtdicke ab, treten die Poren deutlicher hervor und man erkennt auch die halbrunde Umrahmung der Mundöffnung:


MO = Mundöffnung

Quetscht man die Zelle weiter (obwohl sie ja schon von Natur aus ziemlich flach ist), treten weitere Details zu Tage. Der exakte Verlauf der Porenreihen wird deutlich. Man erkennt auch einigen Poren, die offensichtlich in der Mundöffnung liegen. Außerdem ist erst dann der Ma und Mi eindeutig zu identifizieren. Die beiden Dornen, welche die Mundöffnung vorne und hinten einrahmen, werden ebenfalls sichtbar. Vom Erstbeschreiber (EBERHARD 1862) werden zwei KV's beschrieben. Ich konnte jedoch nur eine identifizieren, die im gequetschten Zustand von Hilfsvakuolen umgeben ist und nahe der Mundöffnung liegt:


DO 1, DO 2 = Dornen um Mundöffnung
Ma = Makronukleus
Mi = Mikronukleus
KV = kontraktile Vakuole

Ich hoffe, ich konnte interessierten Lesern diese beiden "Flundern" näher bringen!

Viele Spass beim anschauen!

Martin

M.Butkay

Hallo Martin,

dafür das es Flundern sind, hast Du sie gut in Szene gesetzt. ;D. Vorallem haben Flundern den Vorteil, dass sie viele Details zeigen, die für die Bestimmung wichtig sind. Das ist Dir gut gelungen, vielen Dank fürs zeigen,

Michael
Captain Kirk (Wächter des Plankton...)

Michael

Hallo Martin,

vielen Dank für Deine tollen Fotos und die interessanten Erklärungen! Zumindest Hemicyclium glaube ich schon mal gesehen zu haben - leider fehlt mir (noch) der Blick bei Ciliaten, was eine genauere Betrachtung wert wäre.

Bei Hemicyclium zeigst Du die Poren des Panzers und bezeichnest die Ringe unter der Cutikula als "Porenanlagen". Das habe ich nicht ganz verstanden: Poren sind für mich die Löcher im Panzer. Wie kann da ein Vorrat von "Löchern" in der Zelle vorhanden sein?

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

Michael Plewka

hallo Martin,

ultrapräzise Aufnahmen, m.E. die besten, die ich bisher von den Viechern geshen habe. Vielen Dank fürs Zeigen!

Beste Grüße
Michael Plewka

Martin Kreutz

Hallo Michaels (alle drei),

vielen Dank für eure anerkennenden Worte!

@ Michael (zwei): Ich gebe zu, dass mir kein besserer Begriff als "Porenanlagen" eingefallen ist! Auf dem Foto, auf dem ich die Porenanlagen markiert habe, erkennt man, dass neben den "echten" Poren (also Öffnungen im Panzer) schemenhaft weitere Strukturen zu sehen sind, welche die gleiche Form und Größe haben, wie die "echten" Poren. Ich habe diese Strukturen so interpretiert, dass bei der Ausbildung des Panzers zahlreiche Anlagen für Poren gebildet werden, jedoch nur die in den Reihen stehenden letztendlich nach außen durchbrochen werden. Dies geschieht immer dort, wo die Basalkörper für die Cilien sitzen. Die restlichen Porenanlagen beiben geschlossen und entwickeln sich nicht aus. So meine Interpretation. Kann aber natürlich alles ganz anders sein. Das ist wahrscheinlich nicht so ohne weiteres herauszufinden. 

Martin

M.Butkay

Hallo Martin,

bei einer Obertrumia aurea, die hatte auch zahlreiche kleine Poren zwischen den Cilienreihen. Ich habe ein Bild einer Protozoologin geschickt und die meinte das es sich hier evtl. um Mucocysten handeln könnte. Was meinst Du zu dieser Theorie?

Bis bald,
Michael

PS. Sitze hier am Handy, ich schicke Dir mal das Bild per Mail.
Captain Kirk (Wächter des Plankton...)

Michael

Hallo Martin,

verstehe ich das dann so richtig: der Panzer hat eine Art Wabenstruktur, bei der einige "Waben" für die Cilien durchbrochen sind?

Viele Grüße,

Michael
Gerne per Du

Martin Kreutz

Hallo Michael (B.),

die "Poren" auf Deinem Foto von Obertrumia (welches die Mitleser leider nicht sehen können), stellen meiner Ansicht nach die Wabenstruktur der Pellikula dar. Obertrumia hat ja keine starre Cuticula wie Hemicyclium, sondern eine weiche Pellikula. Die Cilien sitzen in dieser Pellikula in separaten Vertiefungen. Im optischen Schnitt können diese Vertiefungen dann wie Poren aussehen, aber es sind keine. Die Mucocysten hingegen sehen ganz anders aus. Dabei handelt es sich um farblose, hochbrechende Kugeln mit 1-3 µm Durchmesser (je nach Art). Diese Mucocysten liegen entweder an der Oberfläche der Pellikula, oder in tieferen Schichten. Hier ein Foto der Mucocysten von Nassulopsis elegans. Man erkennt auch die deutliche Wabenstruktur der Pellikula:


MU = Mucocysten

@Michael: Nicht so eine Wabenstruktur wie eine Bienenwabe, wo jede Wabe an der nächsten grenzt. Eher so, das die ansonsten homogene Cuticula verstreute Anlagen für Durchbrüche aufweist, diese aber nicht alle ausdifferenziert werden. Nur dort wo eine Cilie sitzt und wo ein Durchbruch benötigt wird, gibt es auch einen Durchbruch der Cuticula zu der darunter liegenden Pellikula. Soweit meine Interpretation. Die ist aber recht verwegen, weil ich noch nicht einmal andere Exemplare von Hemicyclium untersucht habe, ob sich dort die gleichen Strukturen zeigen.   

Schönen Abend!

Martin

reblaus

Hallo Martin -

ich finde es wirklich faszinierend wie viele Details Du immer aus diesen Schleimbeuteln herauskitzeln kannst!

Als treuer Dauerstudiosus

Rolf

M.Butkay

#9
Hallo Martin,

damit die Forumsmitglieder unser Gespräch nachvollziehen können, habe ich mir Erlaubt in Deinem Beitrag ein Bild mit den Poren von Obertrumia aurea zu zeigen, um die es in dieser Diskussion geht. Die Poren so zu fotografieren, ist auch mit etwas Glück verbunden. Es muss der richtige Moment im richtigen Augenblick sein, wenn das Deckglas anfängt auf den Cortex zu drücken.



@ Martin: Zu guter Letzt habe ich noch eine Anmerkung: Ich bin immer wieder begeistert über Dein fundiertes Fachwissen über diese kleinen Viecherl. Auch ich - als alter Hase - kann immer wieder noch dazulernen, obwohl ich weiß, dass man alles nachlesen kann, aber die ,,Faulheit" ist manchmal stärker, oder mir fehlt oftmals die Zeit!

Danke nochmals für das ausführliche Telefonat,


Michael
Captain Kirk (Wächter des Plankton...)