Ruine eines konoskopischen Reichert-Mikroskops

Begonnen von Alfons Renz, August 13, 2020, 15:46:55 NACHMITTAGS

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Alfons Renz

Liebe Foristen,

Schon vor langer Zeit habe ich die Ruine eines Mikroskops erworben (s.u.), dessen Herkunft Rätsel aufwirft und an dessen Komplettierung ich bislang gescheitert bin.

Auf der Drehscheibe aus Glas, die mittels eines aufwendigen Transportmechanismus ähnlich einem achtschüssigen Revolver mit einem Hebel um jeweils eine Position gedreht werden kann, befinden sich 7 Objekte (Minerale), die offenbar für die konoskopische Betrachtung präpariert sind. Unten ist ein Pol-Kondensor.

Die Scheibe und die Präparate lassen sich nicht wechseln: Es muss also ein Demonstrationsmikroskop sein, vermutlich nur für den einzigen Zweck der Erläuterung konoskopischen Bilder in einem mineralogischen Praktikum.

Das Probem ist
: Der Tubus ist nicht orginal, sondern von Winkel-Zeiss. Ich habe ihn selbst zur Illustration befestigt - mit einem Zahnstocher, weil das Zahnrad des Grobtriebs nicht in die zu schmächtige Zahnspange greift. Zudem ist dieser Ersatztubus im Durchmesser etwas zu klein, so dass Kondensor und Tubus nicht fluchten. Und eine Bertam-Linse für das konoskopische Bild hat der falsche Tubus natürlich auch nicht.

Von den Dimensionen her sollte der Tubus einen Durchmesser von ca. 32 mm und die runde Zahnstange von ca. 11 mm haben.

Aufgrund des eigenartigen Stativs ('Stöckelschuh') vermute ich, dass es sich um ein Reichert-Mikroskop mit einer Nummer unter 10.000 handelt, gebaut circa um 1885.

Meine Frage und Bitte ist nun: Hätte Jemand einen historischen Reichert-Katalog (vor 1900), in welchem dieses spezielle Mikroskop beschrieben ist?

Dass 'Jemand' einen passenden Tubus hätte, wage ich gar nicht zu hoffen und zu fragen.

Mit herzlichen Grüßen,

Alfons




Florian D.

Hallo,

was sind denn da für spannende Präparate drauf?

Viele Grüsse
Florian

Alfons Renz

Hallo Florian,

Leider sind keine Beschriftungen dabei und die Konoskopie funktioniert im jetzigen Zustand (noch) nicht. Deshalb kann ich nur spekulieren, dass es sich um die 'üblichen Verdächtigen handelt. Quartz, Feldspat etc.

Smaragd und Diamant werden sicher bei einer 'Studentenversion' nicht dabei sein. - Es sei denn, das Gerät wurde für den Wiener Hof gefertigt...

Bei Intersse kann ich gerne noch Detail-Aufnahmen machen.

Herzliche Grüße,

Alfons

olaf.med

#3
Lieber Alfons,

das ist aber einmal etwas wirklich Besonderes und ich hoffe sehr, dass Du es irgendwie komplettieren kannst. Zunächst könntest Du aber die Glasplatte abmontieren und die Präparate an einem normalen Polarisationsmikroskop ansehen und bestimmen; zur Not geht es auch ganz ohne Optik mit zwei Polarisationsfolien, und das Sandwich so nahe ans Auge wie möglich gebracht.

Am Stativ scheint auch die Feintriebschraube für den Parallelogrammtrieb nach Roberval zu fehlen, wobei ich für ein solches Demonstrations-Polariskop den Sinn eines Feintriebs nicht erkennen kann.

Jedenfalls ist dies endlich einmal wieder ein hochinteressantes Rätsel.

Herzliche Grüße,

Olaf
Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34049.0

beamish

Hallo Alfons,
ich wäre mir nicht sicher, ob das so von Reichert kontruiert wurde. Das Stativ ist ja dieses:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=36036.0
Könnte es nicht sein, daß der Herr Professor die Werkstatt seines Instituts dieses "Karussell" hat basteln lassen?

Grüße
Martin
Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D

Alfons Renz

#5
Lieber Martin,

Im Lichte der letzten Strahlen der Abendsonne habe ich schnell ein paar Bilder gemacht. In der Hoffnung, dass diese die Erleuchtung bringen:

1) Der fragliche Tisch auf dem wohl ein Kristall - Nr 5 - fehlt (das muss der Diamant gewesen sein!);
2) Die eigenartig 'und auf's Feinste ausgeführte' - um in Stil der damaligen Werbung zu bleiben - Mechanik des Revolvers und des Kondensors: Meiner Ansicht nach aus der selben Werkstatt;
3) Bruder und Schwester nebeneinander: Im Vergleich zu einem bestätigten Reichert-Mikroskop;
4) Nr 8032 - im selben Stil, aus der Bennogasse in Wien.

Dennnoch, die Mikroskope sind ähnlich aber nicht baugleich. Der Tubus von 8032 hat eine im Durchmesser viel dünnere Zahnstange und viele andere Details.

Die Frage ist: Welches der Beiden Mikroskope ist älter?

Mit herzlichen Grüßen, auch an Alle, die sich am Rätselraten beteiligen,

Alfons

p.s.: Der Feintriebrändel ist zwar originell, aber nicht original. Ein lieber Mikroskopikerfreund hat ihn gedreht. Das Original sah sicher eher so aus wie an Nr. 8033. Aber das hatte ich damals noch nicht als Vorlage.
Und am Staub der Jahre sieht man auch, dass das Rätsel schon lange im Schrank schlummert.

beamish

Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D

Alfons Renz

Vielen Dank, lieber Martin,

für den interessanten Hinweis zum Polarisationsmikroskop. 

Es liegen genau 63.198 Mikroskope Entwicklungsgeschichte dazwischen. Da hat es sicher viele Veränderungen gegeben.

Was mich besonders fasziniert / irritiert, ist die alleinige Fixierung 'meines' Mikroskops auf die Konoskopie, die für alle Nicht-Mineralogen ein Buch mit Sieben Siegeln ist und - Olaf wird vehement protestieren - auch wenig Liebhaber anzieht.

=> Welches Institut konnte es sich leisten, ein so bescheidenes Demonstrationsmikroskop für nur den einen Zweck zu kaufen? Die üblichen Polarisationsmikroskope der Zeit waren im Gegensatz dazu beeindruckende 'Ungetüme', die keinen Wunsch unerfüllt liessen, aber sündhaft teuer waren.

In Anbetracht des fragilen Glastischs, der zudem weit übersteht, ist es ein kleines Wunder, dass das Gerät die fast 150 Jahre unbeschadet überstanden hat. Und unverständlich, weshalb ein Vorbesitzer den wahrscheilich aufs Einfachste reduzierten Pol-Tubus und die Feintriebschraube entfernt und damit das gesamte Gerät wertlos gemacht hat.

Mit rätselhaften Grüßen!

Alfons



beamish

Lieber Alfons,
ich halte das immer noch für ein (inzwischen verhunztes), Unikat aus einer Institutswerkstatt. So schmucklos hätte Reichert das wohl nicht rausgelassen.
Olaf hat ja sowas "in edel": https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=26148.0

Herzlich
Martin
Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D

olaf.med

Lieber Alfons,

ZitatWas mich besonders fasziniert / irritiert, ist die alleinige Fixierung 'meines' Mikroskops auf die Konoskopie, die für alle Nicht-Mineralogen ein Buch mit Sieben Siegeln ist und - Olaf wird vehement protestieren - auch wenig Liebhaber anzieht.

Zunächst einmal ist die Konoskopie auch für die Studenten ein Buch mit sieben Siegeln (für viele davon bleibt es leider auch zeitlebens so :( :( :(), daher hat ein schlauer Didakt sich ja ein solches Polariskop für die Lehre ausgedacht (ich vermeide bewußt das Wort Mikroskop, denn die Vergrößerung ist bei diesem Gerät völlig nebensächlich, genauso wie eine direkte gegenständliche Abbildung). Vehement protestieren möchte ich auch nicht, eher resigniert zustimmen, dabei sind die Effekte mit das Schönste, was die Optik zu bieten hat. Vorraussetzung sind aber auch gute Präparate woran es häufig mangelt.

Was dieses Gerät anbetrifft würde ich Martin zustimmen. Ein Serienprodukt ist es eher nicht, sonst wären die Präparate professioneller getrimmt und gefasst. Ich denke auch dass es ein individueller Umbau durch eine gute Werkstatt ist.

Wer noch mehr über die klassische Konoskopie erfahren möchte, kann das hier, leider aber nur zeitgenössisch in Schwarz-Weiß. Ein farbiges Potpurri findet man unten.

Herzliche Grüße,

Olaf
Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34049.0

Alfons Renz

#10
Lieber OLaf,
Lieber Martin,

Bei genauerer Betrachtung der Konstruktion tauchen neue Details und Rätsel auf: Es war gewiss eine 'Sonderkonstruktion', womöglich ein Versuchsmodell. Vieles deutet darauf hin, dass es von Beginn als Spezialkonstruktion angelegt wurde. Der 'Revolver' wurde VOR Vernickelung fein befeilt, der Tisch wurde NACH Umbau vernickelt und dann neu lackiert, anscheinend sogar zweimal).

Die Vernickelung des Messings, die Revolver-Konstruktion und die gebläuten Schrauben und Rändel zeigen keinen Widerspruch zum Grundkörper und Kondensor von Reichert.

Allerdings wurde später eine Aussparung in den Rand des Tischs gefeilt, weil der Tansport nicht (mehr) griff (Drehwinkel zu klein - oder lasche Spannfeder). Dadurch wurde jedoch auch die Position des Objektkristalls leicht verdreht.

Durch den Abstand der Drehscheibe vom Tisch muss sich der Kondensor sehr weit nach oben über die Tischfläche herausschieben lasssen. Damit die Frontlinse nicht an die Glasplatte drückt, aber trotzdem - wegen der hohen Apertur - ganz nahe kommt, lässt sich die obere Stellung über eine Stellschraube unter dem Tisch fein regulieren. Diese Schraube ist in gleicher Weise gebläut wie der Original-Schrauben des Kondensors.

=> Nachtrag: Bei genauem Hinschauen erwies sie sich samt Kontramutter als identisch mit den justierbaren Schrauben des Robertsvalschen Feintriebs. Auch dies spricht dafür, dass das Gerät in einer Reichert-Werkstätte ge- oder umgebaut wurde.

Wegen der hohen Apertur musste auch die Glasscheibe relativ dünn bleiben, was das Risiko einer Beschädigung sehr erhöht.

Klarheit könnte ein Katalog von Reichert schaffen, circa von 1880 bis 1890, in dem alle Geräte für die Mineralogie/Polarisationsmikroskopie abgebildet sin.

Kurz: Ich vermute stark, dass die Konstruktion aus der Werstatt von Reichert stammt - aber ob sie zum Sereinmodell wurde, könnte nur eine Abbildung in einem Katalog der Zeit bestätigen.

Zum Abschluss (0> im nächsten Beitrag - mehr Bilder gingen nicht) noch ein Vergleich des Geräts mit einem ausgewachsenen Leitz-Polarisationsmikroskop der Zeit. Bei Letzterem fehlt allerdings noch der Kondensor unter dem Tiisch: Sollte Jemand einen 'zu viel'  haben, wäre ich für ein Angebot sehr dankbar!

Vielen Dank an Alle, die sich an diesem Rätsel beteiligt haben!

Alfons

Alfons Renz

#11
.... Fortsetzung:

Weitere Bilder (s.u.). Der Revolver-Vorschub-Hebel in zwei Positionen. Der Transport geht etwas zu weit, so dass das Mineral nicht mehr mittig über dem Kondensor liegt.

Die Aussparung im Tisch (=> da liegt das blanke Messing blos!) war offenbar keine so gute Idee. Hier war wahrscheinlich ein späterer Mechaniker am Werk!

Und schlussendlich noch der Vergleich des Geräts mit einem ausgewachsenen Leitz-Polarisationsmikroskop der Zeit. Bei Letzterem fehlt allerdings noch der Kondensor unter dem Tiisch: Sollte Jemand einen 'zu viel'  haben, wäre ich für ein Angebot sehr dankbar!

Herzliche Grüße,

Alfons

beamish

Lieber Alfons,

zur Zeit verkauft jemand in der Bucht ein PDF eines reduzierten Reichert Katalogs von 1898:
https://www.ebay.de/itm/Historischer-C-Reichert-Mikroskop-Katalog-1898-PDF-microscope-catalogue/362993305042?hash=item54841645d2:g:DaYAAOSwjsdeu77j
Auf dem Einbanddeckel wird auf den "Hauptkatalog Nr. 19" verwiesen. Den müßte man auftreiben....

Grüße
Martin

PS: von Fuess gabs auch so ein Ding:
https://www.zobodat.at/pdf/Centralblatt-Mineral-Geol-Palaeont_1913_0558-0560.pdf
Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D

Alfons Renz

#13
Vieler Dank, lieber Martin:

Der Katalog und sein freudlicher Verkäufer brachten etwas mehr Licht in die Geschichte dieses Mikroskops:

Im Katalog von 1898 ist ein Normalstativ (VII) mit identischen Grundbau abgebildet (Bild1), zu welchem es laut Text eine für den mineralogischen Gebrauch adaptierte Variante (mit rundem Drehtisch!) und diversen Zusätzen gab (Bild 2, ohne Abbildung). Im Katalog von 1909 ist ein solches Mikroskop abgebildet (Bild 3), allerdings mit einem schon modernerem Grundstativ, und der zugehörigen Ausrüstung (Bild 4).

Nun grenzt sich die Suche ein: Das Mikroskop Nr 8032 hatte die dünne Zahnstange, während mein Stative eine viel Dickere besitzt: War dies vor Nr 8032 (1885) oder später, was ich fast vermute?

Mit rätselnden Grüßen,

Alfons



olaf.med

Lieber Alfons,

bei den im Katalog beschriebenen Stativen handelt es sich doch um normale Standard-Polarisationsmikroskope, nicht um Deine Version mit dem Revolvertisch für Konoskopie.

Herzliche Grüße, Olaf
Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34049.0