Rot und nicht rot - (1): die Amsel-Badewanne

Begonnen von Michael Plewka, Oktober 25, 2020, 12:03:25 NACHMITTAGS

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Michael Plewka

Halo zusammen,

in unserem Garten befindet sich eine alte emaillierte Blechschüssel, die den Vögeln als Tränke und Badewanne dient.
Im Laufe des heißen Sommers in diesem Jahr hat sich dort ein braunroter Belag gebildet, den es selbstverständlich unter mikroskopischen Aspekten zu untersuchen gilt.

Gewiss werden erfahrene Mikroskopiker aus ähnlichen Situationen wissen, handelt es sich bei dem roten Zeugs um die roten Cysten  der  Grünalge Haematococcus pluvialis; aber auch die Flagellatenform mit den zwei Geißeln enthält noch rote Farbstoffe.

Für mich als Rädertier-Fan sind diese Algen natürlich Nebensache, stattdessen interessieren mich die  dort zuhauf vorkommenden Rädertiere, die aber ausschließlich  zur Gruppe der Bdelloiden gehören. Monogononte habe ich dort nicht gefunden; in anderen solcher Vogeltränken ebenfalls nicht.

Nun treibt sich erfahrungsgemäß in diesen Proben, also solchen, wo Haematococcus zu finden ist, sehr häufig zumindest ein ,,rotes" bdelloides Rädertier rum, das häufig als ,,Philodina roseola" bezeichnet wird und auch im www. sehr häufig gelistet ist. Bei diesem Rädertier ist vor allem der Magen rot gefärbt. Mehr dazu später.

Deshalb war es sehr überraschend, dass in dieser Probe ausschließlich Rädertiere vorkamen, die unter der  Stereolupe fast farblos erschienen; unterm Mikroskop ist das  Integument leicht gelblich; der Magen gelb-bräunlich.




Vermutlich handelt es sich um Philodina acuticornis. Sie hat den Artnamen ,,acuticornis" (lat. ,,Spitzhorn"), was sich auf die langen, spitz zulaufenden  Sporen dieser Art bezieht. Solche  Sporen sind aber auch bei anderen Rädertieren dieser Gattung, so u.a. auch  bei P. roseola zu finden, was die Unterscheidung der Arten nicht leicht macht. Es stellt sich also die Frage: wie kann man die Arten auseinanderhalten?
Martin Kreutz hat in diesem Forum schon oft Beiträge gebracht, in welchen er den mühsamen Weg  der Artbestimmung bei Protisten beschrieben hat. Die Schwierigkeiten ergeben sich   u. a. aus der unklaren  bzw widersprüchlichen Literatur, die aus dem letzten und z.T. dem vorletzten Jahrhundert stammt, als die Autoren noch nicht die Möglichkeit hatten, ihre Beobachtungen adäquat auszutauschen und abzustimmen. Bei den bdelloiden Rädertieren findet man dieses Phänomen sehr häufig. Um solcherlei  Widersprücheder Beschreibung bdelloider Rädertiere zu illustrieren, möchte ich deshalb an dieser Stelle mal einige  Zeichnungen verschiedener Autoren vorstellen.



Erläuterung:
Bei den bdelloiden Rädertieren gibt es einige Merkmale am Kopf, die für die Artbestimmung von entscheidender Bedeutung sind. Hierzu zählt neben den Proportionen  (Breite der Korona, Breite des Kopfs; Kopflänge) auch die Form der Oberlippe.  Hier lassen sich bei den Zeichnungen der verschiedenen Autoren deutliche ,,systemrelevante" Unterschiede erkennen, so dass die Schlussfolgerung nahe liegt, dass die Autoren unterschiedliche Arten gesehen haben, diese aber alle für P. acuticornis gehalten haben. Von Murray, dem Entdecker und Erstbeschreiber dieser Art, ist die Zeichnung oben links, welche  die Wülste zwische Oberlippe  und Rädersäulen so zeigt, dass sie nicht bis zum Sulcus (dem Zwischenraum zwischen den Rädersäulen) reichen  (angedeutet durch Pfeile). Dieses ist somit m.E. DAS Kriterium, das die Unterscheidung dieser Art von anderen Arten, die ansonsten ziemlich ähnlich aussehen, ermöglicht. Dieses  Merkmal findet sich auch in der Zeichnung  von Bielanska-Gajner et al. (2013). 



Außerdem  mit  aufgenommen in diese Zusammenschau  ist das Bild des Rüssels (Rostrums) mit den langen Cilien, ebenfalls vom Erstbeschreiber.


Eine solche Form mit dieser Anordnung der Wülste hatte ich  in diesem Jahr schon mal in einem anderen  Zusammenhang vorgestellt (,,Hart im Nehmen").   Auch bei der jetzt in der Haematococcus-Probe gefundenen  Form  sind auf der Oberlippe zwei  m.o.w. konvexlinsen-artige Erhebungen zu finden (Wülste), die nicht bis zum Sulcus reichen. Weiterhin entspringen dem  Rostrum  sehr lange Cilien ( die mir vorher noch nie bei einer Philodina-Art  aufgefallen sind);  Somit stimmen diese Befunde mit der Charakterisierung dieser Art (im Sinne des Erstbeschreibers) überein.



Weitere Bilder/ Infos hier:

http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Philodina%20acuticornis%20odiosa.html


Beste Grüße
Michael Plewka

D.Mon

Hallo Michael,

sehr schöner Beitrag mit vielen ausführlichen Informationen und schönen Bildern.
Vielen Dank.

Schöne Grüße
Martin
Bitte per "Du" - Martin alias D.Mon
--
Glück kann man nicht kaufen.
Aber man kann ein Mikroskop kaufen und das ist eigentlich dasselbe!
--
Mikroskope: Motic Panthera U, Lomo MBS-10, Orthoplan mit DIC
Kamera: Sony ILCE-6400

Bob

Hallo Michael,
danke für den sehr interessanten Beitrag! Besonders die Gegenüberstellung der beschreibenden Zeichnungen finde ich sehr interessant, weil sie schön zeigt, wo die Schwierigkeiten bei der Bestimmung liegen. Und die Fotos sind auch klasse, cremige Farbverläufe und scharf ohne Artefakte.

@alle:
Ich persönlich finde es oft schwierig, die optimale Rubrik zu finden. Hier sind tolle Fotos kombiniert mit fundierten Informationen - aber wo sonst hätte man das einstellen sollen? Über informationen zu Präparation, Gerätschaften und Methodik freue ich mich auch oft, aber ich würde das nicht als zwingend ansehen. Das Erstellen eines Beitrags ist mit mehr oder weniger viel Arbeit verbunden, und ich finde, der Autor soll selbst entscheiden, was er zeigt. Spricht mich das Gezeigte nicht an, befasse ich mich damit nicht lange und gut.

Viele Grüße,

Bob

Martin Kreutz

Hallo Michael,

vielen Dank für diesen Beitrag, der das Thema Bestimmungsproblematik nochmal hochbringt. Tatsächlich scheitert eine Bestimmung oft an mehreren Faktoren:

- die frühen Autoren haben ausschließlich gezeichnet. Du zeigst ja, was da alles raus kommen kann. Die Zeichnungen zeigen auch oft nur eine Ansicht.
- viele Arten wurden schon mehrfach umbenannt. Wenn man nicht auf die gesamte Literatur zugreifen kann (als Amateuer oft sehr schwierig und kostenintensiv) kann man der Historie kaum folgen.
- Die Beschreibungen sind oft subjektiv. Selbst Kahl, den ich für einen außergewöhnlich scharfen Beobachter halte, verwendet Begriffe wie "Cilien auffällig lang", "recht große Mundöffnung" oder "Streifung etwas schräge".

Das alles macht die Sache nicht einfacher. Ich finde auch, dass hier der Mikrofotografie eine besondere Bedeutung zukommt. Zwar hat auch sie Nachteile (geringe Schärfentiefe, schwierig zu dokumentierende Details), aber sie ist objektiv. Tatsächlich kann ich manche meiner Funde erst beim betrachten von Fotos anderer Autoren im Internet zuordnen und nicht an Hand der Beschreibungen in der mir vorliegenden Literatur.

Schönen Abend!

Martin

Michael Plewka

Hallo zusammen,

vielen Dank für die Kommentare!

@ ADi


Zitat1.Da wir uns hier in dem Mikrofoto-Bereich befinden

Über das, was in diesem Mikrofoto-(Unterforum) Forum  gezeigt oder berichtet werden kann/soll, sind wir ganz offensichtlich sehr  unterschiedlicher Meinung. Ich habe dieses an anderer  Stelle etwas ausführlicher erläutert.
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=38882.0


Zitatwie und womit Du die Fotos gemacht hast bleibt ein Geheimnis.

keineswegs; z.B. habe ich -auf konkrete Nachfrage von Ole Riemann- ziemlich ausführlich über meine "Ausrüstung" (ich würde eher von einem Werkzeug sprechen) berichtet:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=38135.0
Aber wenn konkrete Fragen sind, beantworte ich diese gerne.



@ Martin

Danke für Deinen Kommentar; unsere Erfahrungen sind somit ähnlich, allerdings hat Deine Vorgehensweise ;
Zitat...manche meiner Funde erst beim betrachten von Fotos anderer Autoren im Internet zuordnen...
einen Haken:


als Protistologe hast Du wahrscheinlich das Glück, auf solche Fotos (bei Foissner ist ja jede z.B. Menge hochqualitatives Material zu finden....) zurückgreifen zu können. Wahrscheinlich ist dann auch die entsprechen Art felsenfest  dokumentiert.

Im Gegensatz dazu gibt es das bei den bdelloiden Rädertieren kaum. Weder sind die Arten gut dokumentiert, noch gibt es (detaillierte) Fotos. Ich werde dazu noch einige Fälle vorstellen (falls es in diesem Mikrofoto-Forum noch opportun ist).


Beste Grüße
Michael Plewka

deBult

ZitatIch werde dazu noch einige Fälle vorstellen (falls es in diesem Mikrofoto-Forum noch opportun ist).

Yes please.

Maarten
Reading the German language is OK for me, writing is a different matter though: my apologies.

A few Olympus BH2 and CH2 stands with DIC and phase optics.
The correct number of scopes to own is N+1 (Where N is the number currently owned).