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Biegung von Klingen

Begonnen von Wutsdorff Peter, Januar 06, 2021, 11:55:05 VORMITTAG

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Wutsdorff Peter

 Gerhard schrieb:
"Deine Messerposition ist absolut ungeeignet Schnitte von verholzten Strukturen zu machen da das Messer sich verformen kann. Wenn Du die von mir in einem original Leitz Klingenhalter Messerposition vergleichst wirst du das leicht erkennen können.
Um so kürzer die Klinge eingespannt wird um so weniger kann sie sich verformen - du kannst das einfach mit einer losen Klinge testen indem du versuchst sie zu biegen. Das geht und sie federt wieder zurück. Mein erster Prototyp eines Eigenbaus hatte auch das Problem, war aber bei weitem nicht so weit draußen wie deine Klinge. Ich habe aber von Holz keine 0,025mm dicken, gleichmäßigen Schnitte produzieren können."
und Bob schrieb:
"die Schnittkräfte wirken ja von oben auf die Klinge, unten reibt die Mikrofase beim SHK-Halter ganz leicht. Die Klinge wird also leicht nach unten gedrückt und biegt sich durch, um so mehr je dünner sie ist und je weiter die nächste Unterstützung weg ist. Sie sollte also nur so weit überstehen wie nötig bei solchen dünnen Klingen. Bei Schnitten von stark verholztem Material kann sich das schon deutlich auswirken. Du hast das bei den schmalen Klingen ja selbst in der Hand und könntest einen schmaleren Abstandshalter verwenden. Wie schmal hängt dann davon ab, wie stark das Unterteil vom Klingenhalter hinter der Schneide aufbaut. Miss das doch mal nach, vielleicht ergibt sich eine Möglichkeit zum Feintuning. Da wären bestimmt noch mehr Leute dran interessiert, z.B. die Käufer der Klingen vom Apochromat. Schreibe das Ergebnis aber lieber in einen neuen Thread, denn der Verkaufsthread wir bestimmt bald gelöscht."

Inzwischen noch ein Beitrag von Gerhard:
"Hallo Peter
Der Messerhalter ist ein Produkt von Leitz Microsystems, er kann bis zu 160 mm lange Einmalklingen aufnehme. Ich habe auch eine abgeschlossene Berufsausbildung in Mechanik und habe da gerade im Umfeld von Werkzeugschneiden meinen Einsatzschwerpunkt gehabt.
Was sich da so an Werkzeugschneiden verformt ...
Was ich gesagt habe ist, beim Einsatz bei z.B.: Holz habe ich die Erfahrung gemacht das sich die Einmalklingen verformen wenn sie so weit rausstehen. Ich habe selbst eine Serie von Messerhalter für ein Grundschlittenmikrotom entwickelt und gebaut. Durch Verringerung der Aussenstellung verbessert sich die Stabilität deutlich.
    In deinem Fall ist das leicht behebbar, der Distanzstreifen muss einfach schmaler werden. Bei durchschnittlichen Blumenstängel ist da keine Veränderung zu erwarten. Willst du z.B. Holz wie Buche, Eiche schneiden schon.
    Was aber auf jeden Fall als Vorteil der Verringerung entsteht, die Schnitte schwimmen auf der Schräge des Messerhalters auf und können von dort leichter aufgenommen werden als von dem Messerbereich vor der Schräge. Diesen Vorteil hast du auch bei Gänseblümchen ...
   Leitz hat im Zuge der Entwicklung übrigens bei den Messerhaltern das Vorstehen der Klinge auch reduziert und damit die Stabilität deutlich erhöht."

     Mein Kommentar:
   Die Klinge verursacht in der Tat eine Kraft auf den Schnitt nach oben, was ein Ausbrechen des Schnittes verursacht *). Als Reaktionskraft wirkt dann eine Kraft wie beschrieben von obenauf die Klinge.
Jetzt ist die Frage nach der Verformung zu stellen. Da der Schnitt eine wesentlich geringere Biegesteifigkeit als die Klinge hat, kommt es zum Bruch des Schnittes!
      Jetzt etwas aus der Technischen Mechanik. Die Durchbiegung eines eingespannten Balkens ist proportional zu dritten Potenz der Länge des Balkens, also hier der Überstand der Klinge aus dem Halter .
Die Formel für die Kraft am eingespannten Balken ,hier die Kraft an der Schneide, lautet:

F=(3E(1-nü hoch2)I f)/(L hoch 3)

nü ist die  Querkontraktionszahl für St= 0,3, da es sich um einen "brettförmigen" Balken handelt.
I ist sog. Flächenträgheitsmoment I= (b (h hoch 3))/12 . h=0,3 mm, b=80 mm= Klingenbreite
f= Durchbiegung der Schneide, L= Überstand der Klinge hier 3 mm.
Ich werde versuchen eine Grafik mit mathcad zu erstellen.

*) der Schnitt bricht auch heraus, wenn die Schneide nicht genau parallel zu Gleitfläche des  Halters ist.

Das sind also die  mechanischen Spielereien eines Grufti-Inschenörs
Gruß Peter




Peter G.

Hallo Peter,

ich bin nun kein Experte in TM. Aber ich habe dennoch Bedenken, dass man das Verhalten einer Mikrotomklinge beim Schneiden mit so groben und idealisierten Modellen wie dem brettförmigen Balken beschreiben kann.
Meine Einschätzung:
Die Schneide einer Mikrotomklinge ist so fein ausgezogen, dass sie sich an der Schneidekante schon bei der ersten Berührung und weiter beim Durchschneiden des i.d. R. inhomogenen Materials in mikroskopischem Maßstab verbiegen wird. Dadurch entsteht an der Schneide eine Verformung, die im weiteren Schnitt die stabileren Bereiche der Klinge hinter der Schneide regelrecht "mitreißt". Es handelt sich dabei um plastische (Klingenkante/ Schneide) als auch um elastische (Klingenblatt) Verformungen, die die Klinge zu einem herzlich wenig idealen Verhalten zwingen.
Ich denke hier wirklich mikroskopisch. Ich beobachte bei meinen eigenen Schnittversuchen mit weit ausgestellter Klinge, dass der Schnitt trotz stabiler Einspannung in einem stabilen Halter und dem Einsatz in einem schweren Tischmikrotom wellig wird. Ich kann mir das nur noch mit einer Art Schwingung der nichtgeklemmten Klingenschneide erklären.
Natürlich ist das alles auch TM, nur eben betrachtet an der feinst ausgeschliffenen Schneide. Und natürlich nicht berechnet (mit nü hoch 2 und so...).

Viele Grüße
Peter G.


Bob

Hallo Peter,
ich habe mal gesucht, ob ich Informationen zu den auf die Scheide wirkenden Kräften finden kann. Das ist ja eigentlich eine (in der Zerspanung) alltägliche Frage. Gefunden habe ich z.B. das hier: https://www.cobanengineering.com/Metal-Cutting-Technology/Cutting-Forces-and-Chip-Formations-1.asp
Dabei zeigt sich aber ein interessanter Unterschied zu unserer Situation an der Mikrotomklinge: Der Metall-Drehmeißel hat einen Spanwinkel von wenigen Grad: https://wiki.uni-due.de/tud/index.php/Werkzeugschneide.
Das führt dazu, dass man den Drehmeißel andrücken muss, und eine Kraftkomponente entsteht, die die Schneide wegdrückt vom Werkstück. Das Mikrotommesser hat aber einen großen Spanwinkel, es hakt unter wie der Schneeschieber bei dickerer Schneeschicht. Würde man mit einem so geschliffenen Drehmeißel drehen, würde es den Querschlitten um das Spindelspiel nach vorne ins Werkstück ziehen und man würde einen überraschend großen Span abnehmen.

Der Schnitt ist oft so nachgiebig, dass er nicht reißen muss, wenn die Schneide schwingt, aber man bekommt eine wechselnde Schnittdicke, wellblechartig also.

Die Durchbiegung treffsicher auszurechnen schätze ich als ziemlich schwierig ein, selbst wenn man einen Experten wie Dich an Bord hat, weil man man Material schneidet, zu dem es kaum Tabellenbuchwerte gibt. Wie staucht sich der Schnitt zusammen, in welchem Abstand zur Schneide wirken welche Kräfte...

Was man probieren könnte, wäre das Schneiden eines homogenen Ersatzmaterials, ein weißes Radiergummi (gerne ohne Sand) z.B.. Mit dem Mikroskop könnte man wohl ausmessen, wie weit Berg und Tal der Wellen außeinander liegen.

Ich bin aber gespannt, ob Du einen Weg findest, einer Berechnung näher zu kommen.

Viele Grüße,

Bob

Wutsdorff Peter

#3
Grüß´ Euch, Peter und Bob,
die Gedanken, die Peter äußert, leuchten mir ein.
Da muß die einfache lineare TM kapitulieren.
Selbst, wenn man die nichtlineare  Balkentheorie bemüht, kommt man nicht weiter.
Auch die  FEM (Finit Elem.-Methode) würde nichts Gescheites bringen. Man müßte  die Elemente in der Größenordnung der Eisenkristalle wählen. Damit verläßt man aber die Kontinuumsmechanik.
FEM setzt aber diese voraus.
Ich habe aber trotzdem etwas gespielt: gesucht die Kraftfunktion in Abhängigkeit der Einspannlänge  (1 - 3 mm )
mit vorgegebener Durchbiegung  f1,  f2,  f3 (5, 10, 30 µ): Nichts Überraschendes>> Hyperbeln.
Bei 3 mm 20 N, bei 1,5 mm 250 N, also  das 10 fache. Also eine kurze Einspannung lohnt sich!
Ich werde also die Einspannlänge verkürzen, was bei den  14-er Klingen nicht geht.
Grüß vom Inschenör Peter

Wutsdorff Peter

Hier mein Versuch das Diagr. zu laden

Bob

Hallo Peter,
das Klingen.pdf lässt sich leider nicht öffnen.


Viele Grüße,

Bob

smashIt

als effektive klingenbreite würde ich auch nicht mehr als schnittbreit + 5...10mm einsetzen.
das meiste der klinge befindet sich ja nicht im eingriff.
MfG,
Chris

Bildung ist das was uns vom Tier unterscheidet.

Funtech.org

Wutsdorff Peter

#7
Jetzt habe ich es ganz einfach gemacht.  Habe das Diagr. am Bildschirm fotografiert.
Ich hoffe, daß es jetzt geht.
Der Parameter ist eine jeweils vorgegebene Durchbiegung: 5,  10,  30  µ
Die Dimension für die Kraft ist N
Gruß Peter

Bob

Hallo Peter,

jetzt kann man das Diagramm sehen!
Neben der freine, uneingespannten Länge beeinflusst natürlich auch die Klingendicke massiv die Neigung zum Durchbiegen und Schwingen.

Ein Stück Handwerksgeschichte dazu: In den USA gab es ja noch richtige Urwälder und Holz in Qualität und Dimensionen, die in Europa schon lange nicht mehr verfügbar waren. Dementsprechend wurde viel Holz verwendet bei der Besiedelung durch die Europäer. Damals wurde noch richtig viel von Hand gehobelt, stunde- und tagelang. Die Amis waren ja auf manchen Gebieten recht innovativ und so erfand ein Herr Bailey einen gusseisernen Handhobel mit Schnellverstellung. Zum leichten Schärfen wurde ein dünnes Eisen verwendet, etwa halb so dick wie bei den konventionellen Holzhobeln. Das ging trotzdem passabel, weil es in dem eher schweren Hobel gut gespannt war. Aber so richtig aufleben tut so ein Hobel mit einem richtig dicken Eisen!

Viele Grüße,

Bob

Wutsdorff Peter

Hallo Bob,
die dicke der Klinge geht in das sog. Flächenträgheitsmoment I=(b*(h hoch 3)/12 ein.
Gruß Peter

Wutsdorff Peter

Hallo Ihr Klingenexperten und Schnippler,
man soll zwar ein Thema nicht breittreten, aber trotzdem  noch eine Frage:
Die Auflagefläche für die Klingen des SHK-Halters beträgt  11mm. Der Kl.-Halter ist gedacht für 14 mm-breite Klingen. Dadurch steht die Klinge 3 mm heraus, was z.B. Gerhard und Peter G für verholzte Schnitte für zu viel hält.
Hier nochmal meine Erfahrung : der Schnitt bricht auch heraus, wenn die Schneide nicht genau parallel zu Gleitfläche des  Halters ist.
Wie ist Eure Erfahrung?
Gruß und bleibt negativ i.S.v  corona
Peter


Bob

Hallo Peter,
die Schneide muss schon im Rahmen der Anforderungen der Aufgabe parallel zur Sohle, und diese eben und steif sein. Übliche Verwendung von diesen Klingenhaltern ist ja das Herstellen von Schnitten von Frischmaterial auf z.B. 50µ. Das erfolgt mit Hilfe zweier ziehender Schneidevorgänge, also dem Schnitt davor und dem Schnitt, der abschneidet. Da sich das Objekt in (für 50µ) deutlichem Maße verformen kann, sollte man die beiden Schneidevorgänge möglichst gleich durchführen, als wäre man eine Maschine . Wäre die Schneide nicht parallel zur Sohle und man würde etwas von seiner Schnittbahn abweichen, würde der Schnitt nicht von gleichbleibender Dicke sein. Meine 3D-gedruckten Klingenhalter sind duch das Herstellungsprinzip bedingt schon sehr eben und planparallel, aber ich überprüfe jeden einzeln noch mit Prüfplatte und Mikroskop mit Messokular.
Würde man die Klinge in einem genauen Halter nicht gleichmäßig an den hinteren Anschlag schieben, würden die Parallelität aufgehoben sein, und man bekäme Schwierigkeiten beim Schneiden, denn so perfekt genau hält man seine Schneidbahnen ja nicht ein.

Der Überstand von 3mm ist zum Teil sicherlich notwendig, denn die Vorderkante vom SHK-Halter wird ja nicht auf Messerschärfe gefräst sein, sondern noch eine geringe Höhe haben. Diese Kante darf ja nicht gegen das Objekt stoßen. In der Praxis werden die 3mm Überstand kein nicht zu bewältigendes Problem beim Schneiden darstellen. Man darf ja nicht vergessen, das die Kraft, die die Klinge verformt, auch an Objekt, Karotte und Innenzylinder des Zylindermikrotoms zieht!

Wie kommst Du denn so mit dem Schneiden in der Praxis zurecht?

Wenn es bei mir gut läuft, dann kommen Schnitte wie diese vom Apfel-Zweig dabei heraus, einer wie der andere, 90% gute Schnitte. Manchmal habe ich aber 50% Ausschuss auszusortieren. Objekt, feste Einspannung, Klinge noch scharf genug, Tagesform, Erdstrahlen...
 
Viele Grüße,

Bob   

Wutsdorff Peter

Grüß´ Dich Bob,
Zu Deiner Frage:
"Wie kommst Du denn so mit dem Schneiden in der Praxis zurecht?"
Sehr gut !!! S. Foto Bergahorn, Zweig.
Gruß Peter

Bob

Hallo Peter,
wunderschön! Welcher Teil der Pflanze war das? ein Blattstiel?
Ich habe gerade dünne junge Ginster-Triebe geschnitten. Das ging erstaunlich gut und so als Schnitte sind sie sehr hübsch, dann die Triebe habe außen mehrere Längsstege. Mal sehen, wie sie sich gefärbt machen. Für Calendula und Senf war es wohl schon deutlich zu spät im Jahr, da kam erst deutlich über 100µ etwas heraus, was näherungsweise als Schnitt durchginge.

Viele Grüße,

Bob

Gert Flemming

Hallo,

in diesem Faden geht es nach meinem Eindruck um ziemlich dicke Schnitte (um die 50my).

Wie geht das Schneiden mit Klingenhalter und Wechselklingen bei dünnen Schnitten, also 20my und dünner (bis ca 3my)?
Wäre das ein Ersatz für meine klassischen Mikrotommesser,  die ich selber schärfe?

MfG
Gert Flemming