Hallo Freunde,
Als die Methoden der Mikrochemie zur Bearbeitung immer kleinerer Stoffmengen zu grobschlächtig wurden, entwickelten Wissenschaftler wie Paul L. Kirk und sein Schüler
Burris B. Cunningham (beide urspr. UC Berkeley/später Manhattan Projekt)) Techniken und Geräte, die sie in die Lage versetzten, mit nur einem Tausendstel der in der Mikrochemie
üblichen Mengen umzugehen; das heißt, es mussten damit Mengen im Mikrogramm- und Nanoliterbereich handhabbar werden, und das nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ.
Zur Verdeutlichung:
Ein Würfel der Kantenlänge 1
mm enthält 1
µl Wasser, das wiegt dann 1
mg!
Das ist der Bereich der Mikrochemie.
Wenn der Würfel eine Kantenlänge von 100
µm hat, enthält er 1
nl (Nanoliter) und wiegt 1
µg.
Das wäre dann Ultramikrochemie.
Man muss sich also für die Ultramikrochemie Geräte ausdenken, die Quantitäten im Nanogramm- bzw. im Nanoliterbereich messen können.
Meine "Cahn"-Waagen z.B. messen zuverlässig mit einer Empfindlichkeit von 100 Nanogramm;
Waagen, die bereits im Rahmen des "Metallurgical project" (ab 1943) eingesetzt wurden, im ein- und zweistelligen Nanogrammbereich.
(
https://www.mikrochemie.net/die-mikrowaagen-des-metallurgical-project/)
Nanolitermengen Flüssigkeit sind theoretisch leicht über eine Hamilton-Spritze mit angeschlossener Mikrometerschraube abmessbar.
Eine 10 µl-Hamilton sollte bei 10 Teilstrichen der Mikrometerschraube etwa 16,7 Nanoliter über eine sehr fein ausgezogene Kapillarpipette abgeben.
Die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten wurden in der Diskussion zu meinem letzten Beitrag
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=39245.msg288924#msg288924von Olaf's Sohn Jan, der als Biochemiker selbst mit solchen Mengen konfrontiert ist, angesprochen.
Es ging darum, daß grundsätzliche Probleme bestehen, Mengen von unter 0,5 µl zu handlen, ohne daß Kapillar- und andere Kräfte dabei eine sehr störende Rolle spielen.
Das hat mich dazu ermuntert, zu zeigen, wie Mengen im einstelligen Nanoliterbereich relativ sicher abgemessen und abgegeben werden können.

Bild1
Ein "Schmelzpunktröhrchen" mit einem Außendurchmesser zwischen 1 mm und 1,6 mm wird zu einer möglichst feinen Kapillare (von ~1 m Länge) ausgezogen.
Auf einer staubfreien Glasplatte werden an der dünnsten Stelle mithilfe eines kleinen Keramikmessers (Hilgenberg) Abschnitte von 10mm bis 20mm abgeschnitten.
Damit man sie überhaupt sieht, liegt eine Lichtquelle tangential zur Glasplatte.

Bild2
Das abgeschnittene Stück wird zunächst leer, dann mit einer Flüssigkeit bekannter Dichte und niedrigen Dampfdruckes gefüllt und auf einer Cahnwaage gewogen.

Bild3
Auf andere Weise wird unter dem Mikroskop der genaue Durchmesser des Kapillarstückes bestimmt, indem es, nach Füllung mit einer farbigen Flüssigkeit und
Abdecken mit Immersionsöl, mithilfe eines Okularmikrometers vermessen wird. So kann der Inhalt relativ genau als Nanoliter-Menge berechnet werden.

Bild4
Nun schiebe ich vorsichtig ein gleichkalibriges Segment zur Hälfte in ein Röhrchen des Durchmessers 1 mm oder weniger und klebe es unter dem Stereomikro mit einem
winzigen Tropfen Klebstoff fest. Die Verbindung muss auch luftdicht sein. Die Länge des Kapillarstückes wurde ebenfalls möglichst genau bestimmt.

Bild5
Hier ein kleiner Vorrat an Pipetten, die ich als Nanoliterpipetten bezeichne. Das Volumen dieser hier beträgt
zwischen 20 und 40 nl.
Mittlerweile gelingt es mir, solche mit Volumina im einstelligen nl-Bereich herzustellen.

Bild6
Hier die von mir angewandte Anordnung. Die Nanoliterpipette ist in einem Mikromanipulator befestigt und über einen passenden Schlauch mit
einer "Agla"-Spritze verbunden. Der wesentliche Vorteil der Anordnung: Durch leichten Druck wird genau die Gesamtfüllung des Kapillarabschnittes
abgegeben und auch nur diese. Ein weiteres Heraussaugen von Flüssigkeit durch Kapillarkräfte ist nicht möglich. Noch unter leichtem Druck wird
die "Nadel" zurückgezogen.

Bild7
Ein weiteres Problem beim Umgang mit Nanolitermengen ist die Verdunstung. Dafür wurden schon vor etwa 100 Jahren "Feuchtkammern" entwickelt.
Hier ein Selbstbau, abgedeckt. Im "Ernstfall" werden nasse Filterpapierstückchen an Boden und Seitenwänden angebracht und das "Dach" mit einem
großen Deckplättchen versehen.

Bild8
Vor der Entnahme; diese Nanoliterpipette hat einen inneren Radius von 0,06mm, kann also ein Volumen von
11,3 nl/mm aufnehmen.

Bild9
Die Kapillare füllt sich sebsttätig. Der Vorgang kann durch Zurückziehen gestoppt werden. Hier zur Demonstration eine mit Kongorot gefärbte, verdünnte
Glyzerinlösung.

Bild10
Die zum Teil befüllte Pipette steckt nun im Aufnahmegefäß. Dieses ist mit einem "repellent" behandelt! Man beachte den hinteren Rand der Flüssigkeit
in der Pipette.

Bild11
Abgabe eines kleinen Teils der Flüssigkeit in das Gefäß. Der hintere Rand der Flüssigkeit hat sich verschoben.
Zu meiner Überraschung hat das Kongorot wohl mit dem Repellent reagiert (zu Lumumbablau?)
Nun kann man die dislozierte Flüssigkeitsmenge sowohl durch die Verschiebung in der Pipette als auch im Konus (V=0,33 x pi x r² x h) berechnen.
Sie beträgt hier
18 - 20 nl !

Bild12
Hier eine weitere Standard-Anordnung zum "handlen" von Nanolitermengen. Die Dosiereinrichtung, vor Jahren von Olaf gebaut, enthält eine
Hamilton-Mikroliterspritze in einem POM-Bett und eine genau axiale Mikrometerschraube. Ich habe nachträglich noch Neodym-Magnete am Ende des
Stempels und eine kleine Zwinge angebracht, um auch kleinste Bewegungen der Spritze abzustellen.

Bild13
Ganz wichtig: das gesamte System bis zur Öffnung der Kapillarpipette muss vollkommen gasfrei sein! Dann lässt sich auch durch minimale Drehung
der Mikrometerschraube ein Tröpfchen wie das abgebildete stabil darstellen; hier mit
4-5 nl !

Bild 14
Eine abgesetzte Flüssigkeitsmenge von etwa 15 nl in einem "silanierten" ("rainX") Gefäß. Kein Hochkriechen, kein Herausziehen weiterer Flüssigkeit usw..
In diesem Bild ist ein Vorratsgefäß mit Wasser gefüllt. Der Meniskus ist deshalb verschwunden, ebenso wie das sehr störende "Hochkriechen" an der Kapillare!
Es können problemlos kleinste Flüssigkeitsmengen hineingebracht oder herausgezogen werden.
Viele Grüße
Reinhard