Rädertierchendame im Rotlicht

Begonnen von Marcus_S, März 11, 2021, 00:55:27 VORMITTAG

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Marcus_S

Moin!

Mit diesem zugegebenermaßen albernen Titel sammele ich bestimmt Klicks. Aber ich denke dabei nur an Seriöses und meine das total ernst.

Vorhin habe ich schnell mein aktuelles Mikroaquarium kontrolliert und die Rädertierchen waren noch gemütlich zugange. Und weil die Damen bisher immer etwas unruhig wurden, wenn ich sie zum Zwecke der Portraitaufnahmen grell beleuchtete, da kam mir die blöde Idee, daß die vielleicht nicht für alle Farben gleichmäßig sensibel sind.

Also in der Fotokiste gekramt und einen alten Rotfilter in den Beleuchtungsstrahlengang gelegt. Zusätzlich zum zweiten IR-Filter. Und so räkelte sich die Dame nun formatfüllend ganz gemütlich im Rotlicht, ohne (wie sonst meist) geblendet aus dem Scheinwerferkegel zu fliehen. Und das ist kein Witz. Gut, die Erkenntnis harrt des Reproduziertwerdens und nützt den Farbfotografen nichts, den Beobachtern aber vielleicht. Gibt jedenfalls wieder ein ganz nettes Bildchen (Bild 1), hier für das Forum auf halbe Größe verkleinert, die Schärfe leidet dadurch natürlich gewaltig. Aus dem restlichen Bilderhaufen gibt es vielleicht auch nochmal Nachschlag.

Und als Nebeneffekt kann man der Dame auch schön in den Bauch gucken. Trotz des beeindruckenden Kauapparats scheint das mit dem Zerkleinern der Nahrung nicht so recht zu klappen. Wozu dann der Kauapparat? Jedenfalls machen die Grünalge (?) in Bild 2 und die Kieselalge in Bild 3 noch einen ganz manierlichen und unzerkauten Eindruck. Und die Hautschichten der Tierchen habe ich auch noch nie so schön knipsen könnnen. Ganz schön faltig ist die Gute...

Der Grund für die Transparenz ist natürlich klar: längere Wellenlänge, weniger Lichtstreuung. Und dadurch geringere Auflösung, jaja. Fand ich aber interessant mit der Transparenz und der Sensibilität und wollte das nicht für mich behalten.

Alle Bilder im gleichen Maßstab, wieder ungeblitzt, schief beleuchtet mit Rotfilter Hoya 25A im Beleuchtungsstrahlengang zusätzlich zum zweiten IR-Filter. Alle mit einem 40x/0,75 und der ASI178MM, mäßiger Verstärkung (150) und mit 14bit und 132 µs Belichtungs(=Shutter)zeit aufgenommen.


Nochmal Grüße von

Marcus


Carsten Wieczorrek

Guten Morgen,

wer braucht schon DIK....
Unglaublich. Mach das doch mal mit dem Blaufilter.

Carsten
Für's grobe : GSZ 1
Zum Durchsehen : Amplival Hellfeld, Dunkelfeld, INKO, Phasenkontrast
Zum Draufsehen : Vertival Hellfeld, Dunkelfeld
Zum Polarisieren : Amplival Pol u Auf-/Durchlicht
Für psychedelische Farben : Fluoval 2 Auflichtfluoreszenz
Für farbige Streifen : Epival Interphako

Michael

Halo Marcus,

beeindruckende Aufnahmen, die so nur bei einer sehr kurzen Belichtungszeit möglich sind!
Die Lichtempfindlichkeit vieler Organismen ist bekannt und ist bei Aufnahmen oft störend, zumal bei großer Helligkeit. Es gibt da einige Möglichkeiten, diese Effekte zu vermeiden:

  • der von Dir gewählte Weg, eine Lichtfarbe zu verwenden, für die das Tier unempfindlich ist. Bei Rädertieren mit roten Augen ist das Rot (diese Farbe wird von den Augen reflektiert und daher nicht absorbiert). Bei vielen Organismen symbiontischen Algen sollte man eher Grün verwenden (z. B. Paramecium bursaria
  • Reduzierung der Helligkeit bis an die Grenze der Beobachtbarkeit. Dies ist oft nötig bei Organismen, die ihren Lebensraum im Dunklen haben (z.B. viele Schlammbewohner)

Diese Strategien machen natürlich bei den Fotos Probleme. Da die Organismen aber nicht so schnell sind, wie der Fotograf, beobachte ich meist bei geringer Helligkeit (oder mit Farbfilter), stelle Schärfe etc. möglichst optimal ein und schalte dann zur Aufnahme auf eine große Helligkeit um (bzw. entferne den Filter). Die Kamera ist in den allermeisten Fällen dann schneller als die Reaktion des Motivs und man kann dann nach der Aufnahme wieder zu den "Beobachtungsbedingungen" zurückkehren.

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

Michael Plewka

Hallo Markus,

Du stellst hier einen sehr vielversprechenden Ansatz vor! Als interessierter Rädertier-Fan  habe ich dazu noch einige Anmerkungen.

"Rädertier" ist nicht gleich "Rädertier", d.h. die Viecher haben unterschiedliche morphologische und physiologische  Ansprüche und Potenzen.
So gibt es innerhalb einer einzigen Probe/ Wassertropfen solche "Rädertiere", d.h. Arten, die praktisch immer "rädern", und solche, die ähnlich aussehen, aber  das praktisch nie machen. Das wurde auch schon einmal in dem Beitrag hier

https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=39014.0

deutlich. Zwar beschreibst Du ausführlich   die technischen Daten Deiner Aufnahmen, aber diejenigen morphologischen Merkmale, die zu einer Artbestimmung beitragen könnten, sind nicht sichtbar.

Weil wir also nicht wissen, welche Art  hier abgebildet ist, nicht klar,  ob bei dieser Gegenüberstellung: volles Spektrum vs. Rotlicht nicht "Äpfel  und Birnen" miteinander verglichen werden.


Für Deine Fragestellung wäre es außerdem nicht uninteressant zu wissen, ob dieses Viech Augenflecken hat.  Kann man auf Deinen Bildern nicht sehen.

Wie ich hier
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=39120.0

schon einmal angedeutet habe, ist nicht wirklich viel  über das "Sehvermögen" der Rädertiere bekannt. Insofern ist, wie gesagt, Dein Experiment wirklich sehr spannend. Wenn aber Dein hier abgebildetes Viech (wie ich vermute)  Augenflecken hat, sind diese orange und lassen somit blaues/ grünes Licht sowieso nur eingeschränkt durch.  Also  noch ein weiterer Aspekt, den man untersuchen könnte.

Noch was zum "Kauer": dieser Begriff ist historisch bedingt (früher hat man dieses Organ wegen seiner typischen Bewegung  auch schon mal als Herz interpretiert). Die Bdelloiden können damit keine Nahrung zerkleinern, sonden lediglich vom Schlund in die Speiseröhre transportieren.

Beste Grüße
Michael Plewka

Marcus_S

Hallo Carsten,

schön, wenn Dir die Dame gefällt. Blaues Licht hab ich leider nicht, zumindest kein ordentliches. Aber Michael regt ja weitere spannende Tierchenversuche an, mal sehen...



Hallo Michael,

vielen Dank für Deine anerkennenden und ausführlichen Rückmeldungen. Ich meine, (Augen?)flecken gesehen zu haben, habe bei der Schönen aber nicht auf die Augenfarbe geachtet, ich meine: orange. Vielleicht lebt sie noch, dann sehe ich nochmal nach.

Wenn das schon bekannt war (und nur mir noch nicht), dann werde ich jetzt vor Scham so rot wie das Licht... Immerhin habe ich durch den reißerischen Titel dieses Wissen wieder auch für andere nach oben gespült...

Aber so eine Zusammenfassung an Beobachtungstips, so als Ergänzung zu Michaels Bestimmungstips, die müßte man mal zusammentragen. Mein alter "Wassertropfen" schweigt sich zu sowas aus und als Gelegenheits-Feierabend-Anfängertümpler hat man nicht das gesamte Wissen griffbereit. Wie gut, daß es dieses Forum gibt und Geduldige, die unermüdlich weiterhelfen. Danke!



Hallo Michael,

Auch Dir vielen Dank für Deine ausführlichen Kommentare. Ich hab mit mir gewettet, ob Du Dich meldest... ;-)

Deine "Rüge" mit der Unsicherheit der Art nehme ich klaglos entgegen. Auf den Fotos hat die ja schon mal keinen gut erkennbaren Unterleib. Immerhin kann man sich der Frage nach den Nahrungspillen und den Zähnen am Kauer einigermaßen sicher sein?

Als ich den Beitrag schrieb, da überlegte ich, wieviele Fotos ich einstellen sollte. Und dann hab ich mich auf das "gefutterte Gemüse" und das Nicht-Fluchtverhalten beschränkt.

Aber: das Tierchen war derart cool, daß ich noch einen größeren Haufen von Fotos von eben diesem Individuum vorrätig habe, so auch eine ganz nette Tomographie in voller Größe, die Gute war wirklich fotogen. Den Fuß habe ich allerdings nicht besonders schön hingekriegt (und der ist wichtig, das weiß ich mittlerweile. Deine Mahnungen, immer alle möglichen Merkmale abzubilden, die dröhnen in meinem Kopf, das kannst Du mir glauben.).

Was ich natürlich nicht wußte war, daß die unterschiedlichen Rädertierchenarten so unterschiedlich (licht-)empfindlich sind. Vorerst muß mir reichen, daß dies Tierchen aus dem selben Gurkenglas stammt, wie alle anderen, die sich ungern fotografieren ließen und daß es "zumindest so ähnlich" (bitte jetzt keinen Anfall bekommen, ich weiß, das ist total unwissenschaftlich) aussah. Aber ich kann mich ja mal anhand der Fotos ganz vorsichtig an eine Artbestimmung wagen.
Nur aus der Erinnerung: orangefarbige (Augen?)-Flecken hatte die Dame, zwei Stück, weiter hinten am Kopf. Aber - aus der Erinnerung.

Zum Schluß noch ein Dank für die Aufklärung zum Kauer. Dann kaut sie also nicht, sondern dann stopft die Gute einfach alles in sich rein. Allerdings nicht wahllos, ein "Irgendwas" hat sie auch wieder rausgewürgt, da lief der Kauer rückwärts.

Ich sehe die Fotos nochmal durch, suche auch nach den Augen und probiere das mit dem Rotlicht nochmal. Wenn die wieder so cool ist, dann kann ich ja mal ein paar höher aufgelöste Bilder probieren...


Viele Grüße von

Marcus

Nochnmikroskop

Nabend Marcus
ich gebe zu dass Dein Titel mich angelockt hat, wenngleich ich schon die Finte gerochen habe.
Im Ernst, das Bild 1 ist wirklich klasse gelungen,  gefällt mir sehr gut.
Ist denn bei der gleichen Kamera, welche es ja auch in Farbe gibt, die Qualität viel schlechter, ist dort so eine kurze Belichtung nicht möglich? Hast Du da vorher Erfahrungen gesammelt, die Dich zur Mono Variante haben greifen lassen?
Ich finde gerade hier die Farbe von Vorteil.
BTW eine Spiegelreflex, oder Systemkamera schafft diese kurze Belichtung so nicht. Ich brauche wohl doch eine Okularkamera.

LG vom Frank   gaaaaanz am Anfang beim Tümplern.
Meistens Auflicht, alle Themenbereiche
Zeiss Axiolab, Keyence VHX, Olympus SZX16, Canon EOS 700D, Panasonic G9, Touptek u.a.

Marcus_S

Moin!

Ich hab mal eben schnell nach den Augenflecken geguckt. Und ich erinnere mich wohl richtig. Die Dame hat Augen: zwei ovale, flache Gebilde, direkt oberhalb des Kauers. Ich hab die Gute mal vorsichtig aufgeschnitten... Irgendwo muß doch auch das Hirn sein, ich find das nicht.
Bilder sind nur schnell und schmutzig ausgeschnitten und zusammengetackert...


Viele Grüße von

Marcus

P.S. Nach dem Fuß gucke ich auch noch.

Marcus_S

Moin Frank!

Klappt also doch mit dem Titel ;-)

Dankeschön, ich freue mich, wenn Dir das Bild gefällt. Und sei beruhigt, ich hab auch keine Ahnung von dem, was ich hier mache. Mit dem Sonnentierchen bin ich mir zumindest einigermaßen sicher...

Kamera... Schwierig... Ich hab die ans Mikroskop gebaut, weil ich die schon hatte, von der Mondknipserei. Und habe die wegen der unglaublichen, enormen Vielseitigkeit am Mik sehr schnell schätzen gelernt: die kann von ganz fürchterlich fix bis länger und unglaublich lichtempfindlich im 2*2-Binning eigentlich alles und noch dazu von UV bis IR. Wir werden von Peter H. sicher noch mehr dazu lesen. Aber die Kamera ist eben nur SW, finde ich bei Tümpeltierchen bisher nicht so wahnsinnig schlimm. In Fluoreszenz ist eh fast alles einfarbig. Notfalls macht man RGB, wenn man mal stillhaltende Schnitte hat.
Mit einer bunten Kamera habe ich geliebäugelt. Aber dann wird die Sache (wohl) erheblich weniger lichtempfindlich (ich schätze (!) Faktor 2) und dann wird das bei höheren Vergrößerungen beim Tümpeln mit der Bewegungsunschärfe hakelig.
Netter wäre ein größerer Chip, aber dann wird die Leitung zum Rechner zu langsam. Ein wenig hab ich den Aufbau sowieso getunt: ich hab ein altes Spiegelreflex-Objektiv als Brennweitenverkürzung der Tubuslinse vor die Kamera gesetzt, das gibt "konzentrierteres Licht" auf den Chip, ein größeres Bildfeld und eine noch ausreichende Abtastung. Ich habe beschlossen, zufrieden zu sein und auf eine Kamera mit USB4 oder so zu warten. Und mir statt einer neuen Kamera lieber ein neues Objektiv zu kaufen ;-)

Aber laß uns hier mal mehr über Rädertierchen und weniger über Kameras reden, bitte. Mach doch gegebenenfalls bitte eine neue Frage auf, dann können wir da sehr gerne weitermachen. Danke.


Viele Grüße von

Marcus

Nochnmikroskop

Moin Marcus
Die Details, superb.
Ins Thema Kamera muss ich mich dann mal einarbeiten, stand eh auf der Liste.
Danke nochmal für Deine Antwort.
Gruß Frank
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Michael Plewka

Hallo Markus,

vielen Dank für Deine Rückmeldung!
das Thema, das Du angerissen hast, ist ja insofern ein klassisches, als sich die berühmte Frage stellt, ob und inwieweit durch die "Messung/ Beobachtung des Systems" das System selbst beeinflusst wird.

Weil ich Dein Thema wirklich spannend finde, sollte natürlich ausgeschlossen sein, dass  Du zwei unterschiedliche Arten untersucht hast. Dafür ist  wie gesagt bei den Bdelloiden die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß. Hinzu kommt, dass sich bdelloider Rädertiere unterschiedlich verhalten, wobei die Ursache  eben unklar ist, d.h. die  Frage der Lichtempfindlichkeit ist nur eine von mehreren. Einige bdelloide Rädertiere habe ich noch nie mit ausgestreckter Corona gesehen  (lassen demzufolge nicht bis zur Art bestimmen) , während andere das sehr häufig tun und demzufolge auch der Artname klar ist. Aber die Ursache des Räderns muss nichts mit der Anwesenheit/Abwesenheit bestimmter Lichtwellenlängen zu tun haben. Man dreht sich da also ein bisschen im Kreis....

Dein Viech ist vom Habitus her ziemlich sicher  ein Philodina-Rädertier, aber bei systematischer Analyse müsste man selbst für die Gattung bestimmte Merkmale besser sehen. In dieser Gattung  Philodina gibt es einige Arten, insbesondere aquatische Formen, aber auch einige aus Moosen, die sehr häufig ihre Corona zeigen.

Es wäre schön, wenn Dein Versuch in dieser Weise laufen könnte: 1. Rotlicht an: Viech rädert; 2. zusätzliches sichtbare Spektrum an: Viech rädert nicht ; 3. zusätzliches Spektrum aus: Viech rädert wieder. Das würde ich für eine eindeutige Ursache-Wirkungs-Zuordnung halten. Ich fürchte aber, dass die  Viecher leider so nicht funktionieren.....


Noch  einige Bemerkungen:

Vielleicht nützt Dir diese Seite bei der Bestimmung von Bdelloiden (work in progress):
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/E-TL/ID_Bdelloid/ID/src/ID_03_Key1.html



Zitat....Augen: zwei ovale, flache Gebilde....

Wie hast Du das "flach" herausgefunden? Manchmal kann dieser Eindruck täuschen. Nur mal das hier als Beispiel (Aufsicht: Bild 5 vs. Seitenansicht: Bild 7):
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Abrochtha%20intermedia.html

Zitat....Irgendwo muß doch auch das Hirn sein....

Die "hintere" Grenze des Gehirns ist auf einigen Deiner kleinen Fotos durchaus zu sehen. Vielleicht helfen die Bilder hier bei der Identifizierung ("Br"= Gehirn):

https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Philodina%20citrina.html

oder hier:
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Philodina%20acuticornis%20odiosa.html

Zitat....da lief der Kauer rückwärts....

Auch das ist eine interessante Aussage: habe ich bisher noch nie beobachten können; ich kann nicht so schnell gucken. Du wärst wahrscheinlich der erste, der das mit seiner Highspeed-Ausrüstung dokumentiert!


Beste Grüße
Michael Plewka

Marcus_S

Moin Michael,

ich freue mich wirklich, daß Du meine Spielchen genau beguckst, mich deutlich auf Ungenauigkeiten, Fehler und Fallstricke hinweist und mit ausführlichen Erklärungen begleitest. Vielen, vielen Dank!

Ich bin nur grad noch mit einer anderen Sache beschäftigt, denn ich mußte auch mal wieder ins Mikroskop GUCKEN und da war (wohl) wieder dieser Sumpfwurm https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=37929.msg295299#msg295299, deshalb eine kurze Antwort vorab:

- Deine Rädertierchen-Seiten sind die einzige für mich sinnige Literatur, ich finde die großartig und nutze die für meine "Arbeit". Ich hab zwar irgendwo auch den kleinen "Donner", aber zum "Bestimmen" hilft mir der nicht.
- Die übrigen rund 500 Fotos (auf denen irgendwas immer scharf ist) hab ich mal durchgesehen, muß die aber noch zurechtschneiden, dann zeig ich das hier. Versprochen. Mit der "Bilderbuchmethode" (Blättern in Deinem Rädertierchenatlas, Finden einer Art, die ganz gut paßt, dann Vergleich der markierten Merkmale) bin ich bei dem Tierchen (mit aller Vorsicht und Skepsis) auf Philodina citrina gekommen.
- Das mit dem "Rädern bei Rotlicht" will ich gerne mal probieren. Das Problem war eher, daß diese "Sorte von Tierchen" (und ich schreibe hier ganz bewußt Sorte, wegen laienhaft beguckt) nicht unbedingt das Rädern einstellte, sondern einfach "maulig" aus dem beleuchteten Feld kroch (Ich hab für Heike heute tief in der Nacht noch die andere Kanera ausprobiert und da hab ich das Mikroaquarium beguckt und genau wieder das Gleiche: Licht dunkel, coole Viecher. Licht hell, Viecher hauen ab.).
Diese Grenze liegt an meinem Mikroskop so bei "2 von 5" Helligkeits-Anzeigestufen. Natürlich kann man auch sowas wie einen Helligkeitssensor (mit) antackern und dann berechnen, ab welcher Intensität die Flucht beginnt. Streß! Mikroskop-Fotometer bauen...
- Flache Augen: die sehe ich auf der Bildertafel beim Durchfokussieren. Erst kommt "Haut", dann zeichnen sich die Augenflecken als Flecken ab, dann als Fladen (der oben links wirft einen kurzen Schatten, der unten rechts wird angestrahlt), etwas tiefer sind die Flecken dann ist der wieder weg.
In einem der anderen 500 Fotos meine ich zu erkennen, daß die untere Augenschicht ein paar Streifen aufweist.
- Gehirn... Natürlich hat die Frau Hirn. Nur muß ich mich in die Anatomie der Tierchen noch eindenken, ich bin ganz, ganz am Anfang. Ich hab nach was (weil irgendwo beschrieben) "birnenförmigem" gesucht. Und ich war überrascht, daß das Hirn so flach ist.
- Kauer... Hab ich an diesem Tierchen im Okular gesehen, sie mümmelt fröhlich, irgendwas schmeckt nicht, die Bewegung des Kauers geht von "hinten nach vorn" und schiebt das Ungenießbare wieder raus. Was das ist, konnte ich nicht erkennen. Hab ich irgendwo aus der alten Serie auch auf Video.

Das Problem an der Sache: 'ne Viertelstunde knipsen und filmen, dann qualmt die Festplatte und dann ist man tagelang am Rechner und muß Bilder sichten. Und ich will doch auch mikroskopieren.
Und damit kommen wir zu einem zweiten Problem. Ich find das alles wahnsinnig spannend und die technische Seite, also die Herausforderung, sowas sichtbar zu machen, die reizt mich enorm, vielleicht scheint das durch ;-) Nur weiß ich eben nicht, was interessant ist und worauf zu achten wäre, weil ich von der Biologie keinen blassen Schimmer habe. Wenn man das in geordnetere Bahnen lenken würde...
Da diese Tierchen aus diesem Gurkenglas aber so cool sind und Rotlicht mögen, da habe ich unglaubliche Lust, meine "Glockentierchen-Übungen" einmal am Rädertierchen auszuprobieren. Sowas wie Rädertierchen-Tomographie mit rund 1 µm Auflösung in z-Richtung...? In 14 bit grau, bei Rotlicht? Oder im nahen IR? Mit leckerer Optik dran? Wenn das alles eingerichtet ist, dann ist man ja mit so einem Stapel als Video nach rund einer Minute durch, einfach den Tischtrieb durchkurbeln. Nur: wie gebe ich der Dame dann die DVD mit den Daten mit? ;-)
Aber man könnte die eigentlich auch mal fluorochromieren und filmen und dann sehen, wie das aussieht... Oder ein Rädertierchen-Fluoreszenz-Tomogramm andenken...

Ich melde mich nochmal mit ein paar Fotos zu ein paar Merkmalen.


Viele Grüße von

Marcus

Marcus_S

Moin!

Der Bestimmungsversuch der Dame steht ja noch aus. Also gab's eine Nachtschicht... Ordentliche Literatur hab ich nicht, könnte die wahrscheinlich auch nicht bedienen. Also ging ich mal mit der Arbeitshypothese "Philodina citrina" zu https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Philodina%20citrina.html
und arbeitete mich da durch, suchte in meinen Bildern nach Entsprechungen (sind nur schnell im Kontrast verstärkte Schnipsel der Rohbilder, nur zum Bestimmen, nicht aufwendig bearbeitet und für "schön") und schnippelte die Fundstücke zusammen zu...

Tafel_1: Fuß
- 4 Zehen (toes) => ich finde, das paßt (Bild ist matschig, ist durch den Fuß hindurch geknipst. Die Dame klebte die ganze Zeit mit ihrem Fuß am OT, leider nie am DG)
- 2 Sporen (spurs), Oberfläche nicht ganz glatt => ich finde, das paßt

Tafel_2: verschiedenste Ansichten des Kauers, verschiedenste Beleuchtungssituationen
- Zahnformel 2+2 => ich finde, das paßt
- in Bild 4 und 8 könnte man sich vielleicht auch hinreißen lassen, die ersten Ansätze der "Anhängsel" der Trophi zu vermuten => ich finde, das paßt

Tafel_3:
- Räderapparat und Rostrum in Aufsicht => ich finde, das paßt auch
- Kerben an den Räderscheiben => sind wohl auch da, meine ich, könnte also auch passen.

Tafel_4:
- obere Reihe: Dorsaltaster in verschiedenen Beleuchtungssituationen. Sieht jedesmal anders aus und ist wahnsinnig von der Fokuslage abhängig. Aber zumindest obere Reihe, drittes Bild => ich finde, das paßt
- unteres Bild: Augenflecken (sicherheitshalber markiert): passen in Anzahl, Form, Lage, Orientierung. Warzige Haut mit "Längsfalten" => ich finde, das paßt.

Tafel_5:
- Räderscheiben mit Rostrum (während der Apparat gerade ausgefahren wird) in Frontalansicht => gibt's kein Vergleichsbild
- nochmal ein schlechtes Bild des Räderapparates, zeigt aber die elegant geschwungene Form der Räderscheiben und die "Halskrause"

Allgemein:
- Gesamtansicht, "Körperbau" => ich finde, das paßt.
- keine erkennbaren Nahrungspillen => paßt auch
- fladenförmiges Hirn unter den Augen (oben in der Schnittserie) => paßt auch, finde ich.

Was paßt nicht? Oder ist ungeklärt?
- die Farbe. Die Dame war (aus der Erinnerung) eher zart rosa, an "gelblich" erinnere ich mich jedenfalls überhaupt nicht.
- die inneren Organe sind unbearbeitet. Das ist mir im Moment zu verworren, da muß ich mit viel mehr Ruhe dran.

Habitat:
Im Bodensatz eines Marmeladenglases, nicht Gurkenglases, wie behauptet. Fensterbank Nordfenster. Die "Kultur" ist hervorgegangen aus einer einstmals wohl ziemlich sauren Probe des "Fußbades" eines Blumenkastens auf der Mülltonnenbox. Wurde immer mit abgekochten (zur Reduzierung des Kalkgehaltes) Leitungswasser aufgefüllt. Wahrscheinlich ein wenig torfig, ab und zu erwische ich Bruchstücke von irgendwas, was ich für vermodertes Torfmoos halte. Mitbewohner sind u. a. Actinophrys sol und viele nervige kleine, schwer zu knipsende Wesen mit Geißel, nach DLiW (Bilderbuchmethode) vielleicht sowas in Richtung Chilomonas.

Nun bin ich mir zwar etwas sicherer, weiß es aber noch immer nicht genau. Vielleicht korrigiert Michael mich ja noch. Hab bestimmt was Entscheidendes übersehen.


Als Ergänzung zu der mutigen Aussage zu den gestreiften Augen, im Anhang noch Bild 5.
Darin guckt man auf das Tierchen, das liegt eine Winzigkeit schief, so daß das Auge links im Bild als ganzer Fladen abgebildet ist, das Auge rechts im Bild zwei Streifen zeigt. Deswegen nehme ich an, daß ich zwei verschiedene Schnittebenen durch das Auge erwischt habe. Diese zwei "Längsstreifen" kann man in dem Bild https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/Bdelloid/Philodina/img/Philodina%20citrina3067.jpg auch erahnen, recht deutlich am "oberen" Auge.
Bei Gelegenheit also der Kleinen mal gründlicher in die Augen schauen.


Bei all diesen Bildern in diesem Faden muß man immer im Hinterkopf behalten: die sind alle mit (offensichtlich ziemlich harter) schiefer Beleuchtung gemacht worden, Beleuchtung von "Nordwest" mit der "zunehmenden-Mond-Blende" anstelle einer Phasenblende im Kondensor, ungeblitzt und sehr kurz belichtet (132 µs). Und mit rotem Licht, rund 600 - 700 nm Wellenlänge, deswegen mag der Anblick teilweise ungewohnt sein. Und alle mit einem Trockenobjektiv: U-PlanFlN40x/0,75. Also sehr hübsch, sehr ordentlich abbildend, aber kein Apo, kein Brillantbesatz. Deswegen auch der einheitliche Bildmaßstab von (rechnerisch) 130 nm/px in den Bildern 2 bis 5 und Tafeln 1 bis 6. Alle Bilder vom ungequetschten Tierchen im Mikroaquarium, alle von einem Individuum, das ich ein Weilchen problemlos verfolgen konnte.


Viele Grüße von

Marcus


Marcus_S

... und hier nochmal die Augen...

Lumi

Hallo zusammen,
meine Rädertiere waren gestern Abend recht unempfindlich gegen Licht

VIDEO https://vimeo.com/523530998

nicht erschrecken mitten im Video, ich mache gerade Versuche mit Licht, das Video wird bald wieder gelöscht

Grüße
Franz

Michael Plewka

Hallo Markus,

vielen Dank für Deinen Einsatz an Zeit und Energie!

In der "offiziellen" Literatur, die ich kenne, wird die Art: "Philodina citrina" von anderen praktisch ausschließlich durch ihre Farbgebung abgetrennt: Unpigmentierter Kopf und Hals, gelbes Rumpf- und Fußintegument; dunkelgelber Mageninhalt. Was andere Merkmale angeht, gibt es wieder das übliche Durcheinander verschiedere Autoren. Demnach sind Deine Viecher  jedenfalls  nicht P. citrina. (Hatte ich auch nicht erwartet).

Was an den Bildern Deiner Viecher auffällt ist ein Merkmal, auf das Du (trotz Deiner intensiven Beschäftigung mit den Viechern) nicht eingegangen bist. Dieses Merkmal ist ein Wulst zwischen den Rädersäulen und der Oberlippe.  Man findet den bei verschiedenen Philodina Formen. Hier ist er  beispielsweise im. 2. Bild durch Pfeile markiert, so dass Du sehen kannst, was gemeint ist.
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Philodina%20acuticornis%20odiosa.html


Eine solchen Wulst findet man aber auch bei anderen Formen, wie z.B. hier (5.Bild)
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Philodina%20roseola.html

oder hier (1.Bild)
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Philodina%20acuticornis%20complex.html

Die von Dir angenommene P. citrina hat dagegen nach meinen Beobachtungen an den Seiten der Oberlippe  je eine Einbuchtung, die die Struktur als Dreiecke erscheinen lässt. Diese kann ich bei Deinen Aufnahmen nicht erkennen.

ich vermute eher, dass Dein(e) Viech(er) im Bereich P. acuticornis zu Hause ist.

Ich bin  aber sicher, das Du bei Deiner sorgfältigen und gründlichen Beobachtung erkennen wirst, ob Du es mit immer derselben Form oder unterschiedlichen zu tun hast. Und das ist erst mal wichtig.

Auf die "Augen" sind in diesem Thread  alle Augen gerichtet....In vielen Beiträgen hier  im Forum fällt auf, dass  bereits die Beobachtungen an Organismen nicht wertneutral dargestellt werden, sondern aus der menschlichen Perspektive  voreingenommen interpretiert werden.  Manche Tiere verhalten sich "munter" oderr "fröhlich", andere sind "gemütlich" drauf etc. Und wir Menschen wollen natürlich auch immer wissen: "Wozu ist das gut?"


Aus biologischer Sicht ist es in diesem Sinne ebenfalls naheliegend, nach dem selektiven Vorteil der Lichtwahrnehmung bei diesen Viechern zu fragen.  Macht es da Sinn, nach dem Motto: "der frühe Vogel fängt den Wurm" einen selektiven Vorteil darin zu vermuten, dass die Viecher durch Lichtwahrnehmung Tag und Nacht unterscheiden können und dadurch bei Licht "aufwachen" oder aber lieber "auf Nachtschicht gehen", wie man hier im Ruhrgebiet zu sagen pflegt??

Bei vielen Säugetieren wird die Tag- bzw. Nachtaktivität mit dem Verstecken vor Fressfeinden in Zusammenhang gebracht. Ist das bei den Rädertieren genauso? Welche Funktion sollte die Flucht  vor Licht  eines bestimmten Wellenlängenbereichs haben?

Ich möchte damit auf keinen Fall in Abrede stellen, dass eine Ursache-Wirkung-Beziehung zwischen Licht und Verhalten besteht. Es ist aber wichtig, dass wir uns dabei von den Maßstäben der menschlichen Biologie freimachen.

Interessant ist die rechts eingekreiste Struktur im letzten Bild. Da kommt möglicherweise eine stärkere Differenzierung zum Vorschein, weil  das rote Licht nicht durch das orangerote Pigment absorbiert wird, d.h. m.o.w. störungsfrei durchläuft. Es lässt sich aber schwer abschätzen (und auch nicht berechnen), in welcher z-Ebene das Bild aufgenommen wurde.  Es gibt  eine Menge Strukturen innerhalb des Gehirns im Bereich der Augenflecke , deren Analyse im LM nicht ohne weiteres möglich ist.  Da muss man höchstwahrscheinlich an fixierten Organismen tomografisch vorgehen.


@ Franz:
ja, dein Video zeigt eine in Tümpeln sehr verbreitete  Rädertierart, die sehr häufig rädert.


Beste Grüße
Michael Plewka