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Düssel

Begonnen von Michael Plewka, April 07, 2021, 10:59:57 VORMITTAG

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Michael Plewka

In der Gegend des Oberlaufs der Düssel, die letztendlich in der Landeshauptstadt NRW in den Rhein mündet, gibt es ein paar nette Wanderwege mit spektakulären Perspektiven und Bereiche mit Fließgewässern, an denen früher einmal Wassermühlen vorhanden waren, zum anderen aber auch urwaldmäßige Bereiche mit sumpfmäßigen Landschaften. Es lohnt sich für Tümpler-Mikroskopiker durchaus, dort mal einen Spaziergang zu machen und ein paar Probengefäße dabei zu haben.


Der Pfeil auf dem Foto zeigt auf ein Algenbüschel  (Vaucheria sp.) in ein einem etwas strömungsexponierten Bereich, den ich auf Rädertiere untersucht habe. Damit verbunden war die Fragestellung, ob sich evtl. irgendwelche morphologischen Anpassungserscheinungen an die Fließgeschwindigkeit bei den dort vorhanden Viechern  erkennen lassen.




Auffällig häufig war dort ein "Schmarotzer-Rädertier" (so genannt im "Wassertropfen" (warum diese Gattung so bezeichnet wird, erschließt sich mir nicht)): Proales theodora vertreten, das aufgrund der Größe schon in der Stereolupe erkennbar ist.  Wie man auf dem Foto erkennen kann, ernährt sich diese Art von Diatomeen (??Diatoma sp.??), welche  in großer Zahl auf den Steinen umherkriechen, was  sich sich dann auch  in der Petrischale unter der Stereolupe im Dunkelfeld duch ihr Glitzern bemerkbar macht:




Es gibt ein paar Proales-Arten, die ähnlich aussehen; erst aufgrund der Kaueranalyse lässt sich die Art genau zuordnen.  Die Tiere der Familie Proalidae  besitzen einen sog. virgaten Kauer:



Weitere infos hier:
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Proales%20theodora.html



Auch bei einer weiteren Rädertierart, die deutlich kleiner ist, waren Diatomeen im Magen zu finden:



Auch diese Art: Encentrum spinosum ist nur aufgrund des Kauers zu identifizieren, der bei der gesamten Familie (Dicranophoridae) anders aufgebaut ist (forcipater Typ).
Weitere infos hier:
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Encentrum%20spinosum.html




Interessant finde ich nun, dass somit deutlich wird, dass zwei unterschiedliche Kauertypen die Aufnahme dieser doch recht sperrigen Diatomeenschalen ermöglichen.

Ich habe von Diatomeen keine Ahnung, aber mir ist schon des öfteren aufgefallen, dass auf Steinen in Bächen sehr viele Diatomeen vorkommen. Dem "Wassertropfen" kann man zumindest entnehmen, dass es bezüglich der Präferenzen der Diatomeen durchaus Unterschiede zwischen Formen, die in Fließgewääsern und solchen, die eher in stehenden Gewässern vorkommen, gibt. Weiß da jemand von den Diatomeen-Expert(inn)en mehr dazu?


Apropos Encentrum:

Eine weitere Encentrum-Art fand ich nun in einer Probe im Detritus aus diesem Bereich hier, in dem die Fließgeschwindigkeit deutlich geringer war :



Der Aufbau des Kauers lässt die Bestimmung E. oxyodon zu. Der Mageninhalt dieser Form ist lediglich eine körnige Masse; von Diatomeen keine Spur.



Weitere Infos hier:
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Encentrum%20oxyodon.html


In dieser Probe fand ich auch die Rädertierart  Embata laticeps, die ich vorher noch nie gesehen habe.  Diese Art ist lt. Literatur häufig mit der Wasserassel Asellus assoziiert, die ich aber in meiner Probe nicht gefunden habe.  Die Art ist charakterisiert durch eine sehr breite Krone, worauf der Artname. "laticeps" (die ,,breitköpfige") hinweist:



Weitere infos hier:
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Embata%20laticeps.html



Außerdem  befand sich dort ein seltsamer Ciliat, den ich aufgrund seiner Größe (ca 0.5 mm) und des spindel- bzw. länglich-tropfenförmigen Aussehens  zunächst für einen Turbellar gehalten hatte. Zufälligerweise kam eins der Viecher dann doch auf den Objektträger.  Dabei zeigten sich einige morphologische Merkmale, die ich in dieser Kombination noch nicht gesehen habe.




Das Viech hat einen  seltsamen Zellkern (ich schreibe bewusst nicht: Makronukleus); in der Mundregion ist ein Körper, der mich an den Uhrglaskörper von Ophryoglena erinnert; auch die Ciliatur / Kinetiden ist irgendwie seltsam regelmäßig. Nach meiner Literatur habe ich das Viech noch nicht identifizieren können.

Weitere infos hier:
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenProtista/01e-protista/e-Ciliata/e-source/Ophryoglena%20flava.html




Beste Grüße
Michael Plewka







D.Mon

#1
Hallo Michael,

Danke für den interessanten Bericht mit den schönen Bildern.
Ich kenne die Düssel nur in der Stadt und wusste gar nicht, dass die auch anders aussehen kann.

Viele Grüße
Martin
Bitte per "Du" - Martin alias D.Mon
--
Glück kann man nicht kaufen.
Aber man kann ein Mikroskop kaufen und das ist eigentlich dasselbe!
--
Mikroskope: Motic Panthera U, Lomo MBS-10
Kamera: Sony ILCE-6400

Peter V.

#2
Hallo Martin,

oh - da kennst Du Düsseldorf aber schlecht! Traumhaft schön ist zum Beispiel im Süden Düsseldorfs das Naturschutzgebiet "Urdenbacher Kämpe" (dort sieht es auf einer langen Strecke so urwäldlich aus wie auf dem Bild mit den umgestürzten Bäumen von Michael Plewka) Aber auch der Norden hat entlang des Rheins bis/inklusive Kaiserswerth seinen Reiz - ich bin an beiden Orten immer gern mit dem Fahrrad  unterwegs.

Düsseldorf hat keineswegs nur die "längste Theke der Welt"! Den halben Quadratkilometer Altsatdt - am Wochenende wohl Deutchlands Haupstadt der JungesellInnenabschiede - kann und sollte man eher meiden.  ;)

Hezrliche Grüße
Peter


Dieses Post wurde CO2-neutral erstellt und ist vegan. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

Martin Kreutz

#3
Hallo Michael,

wirklich interessante Funde von einem Fundort, den ich jetzt nicht unbedingt beprobt hätte. Aus Fließgewässern konnte ich bisher nie viel rausholen. Aber ich glaube, ich muss hier umdenken (wie beim Moos!). Ich bin immer wieder erstaunt, wie gut Du die Rädertiere dokumentierst, insbesondere die Bdelloiden. Deine plingfactory ist daher ein ständiger Anlaufpunkt für mich (Du müsstest es an der Klickrate merken).

Aber als Ciliaten fixierter fand ich natürlich Deinen zuletzt gezeigten Fund besonders interessant. Ich habe mir auch die restlichen Bilder auf der plingfactory angeschaut. Das ist mit absoluter Sicherheit Ophryoglena! Allerdings sehe ich hier eine Kombination von Merkmalen, die eventuell auf eine neue Art schließen läßt:

- Länge 500 µm (dadurch fällt schon einiges weg)
- einen deutlichen Pigmentfleck am Uhrglaskörper (= Lieberkühn'sches Organell)
- das Lieberkühn'sche Organell ist oval, stark entwickelt und zeigt einen geriffelten Rand
- das Vieh hat einen dichten Extrusomensaum
- 2 KV's mit jeweils mehreren Exkretionspori
- die Ränder des Ma scheinen hochgebogen wie eine Hutkrempe
- Hinterende deutlich zugespitzt

Die Kombination dieser Merkmale wird zumindest von Kahl nicht beschrieben. Das könnte also etwas Neues sein. Ich glaube, da draußen schwimmen mehr unbeschriebene Ophryoglena Arten rum, als man glaubt. Ich selbst habe auch eine Ophryoglena im Sortiment, die wahrscheinlich neu ist. Sie hat ein sehr unscheinbares, dünnes Lieberkühn'sches Organell, ebenfalls Extrusomen und nur eine KV mit mehreren Exkretionspori (s. Fotos unten).

Sehr schöner Fund!

Schönen Abend!

Martin



LK = Lieberkühn'sches Organell = Uhrglaskörper
EX = Extrusome


Lumi

Und das Neandertal nicht vergessen, auch wenn das nicht gerade das Aushängeschild von Düsseldorf ist  :)

Ich finde die Aufnahmen vom Michael auch immer Klasse, und ich werde es vermutlich nie kapieren wie man Einzelaufnahmen von einem Beißwerkzeug machen kann.

Ich kenne mich mit den Kieselalgen auch nicht aus, aber ich möchte gern zeigen was mir gleich auffällt wenn ich Proben aus der Donau nehme (also nicht aus den Baggerseen). Zum Einen fallen mir gleich die großen Nitzschia auf, zum Anderen wie auf den Fotos zu sehen die Kieselalgen mit den "Haaren/Stacheln" und den Warzen, erklären kann ich es nicht.

Grüße
Franz

RainerTeubner

Hallo Franz,

die Kieselalge auf Deinem zweiten Bild hat "Läuse", d.h. auf ihr sitzen noch andere Kieselalgen. Das findet man öfters, Kieslelalgen besiedeln jedes Substrat, auch Artgenossen.

Viele Grüße

Rainer
Mikroskop: Carl Zeiss Standard Universal
Bildbearbeitung: Gimp, Helicon focus und picolay
Kamera: Canon EOS 5D II

Michael Plewka

Hallo zusammen,

vielen Dank für die Rückmeldungen!
@ Martin:
vielen Dank zu Deiner Ophryoglena-Einschätzung! Bei "meinem"  Viech ist somit in zweifacher Hinsicht eine Abweichung vom typischen Habitus des "Osterei-Ciliaten" ("s. "Wassertropfen") festzustellen: 1. keine Osterei-Form; 2. nicht bunt, so wie es sonst häufig bei Ophryoglena zu sehen ist (was auch auf "Dein" Viech zutrifft). Bei Deinen Viech ist auch sehr schön die typische "6" des Zellmundes zu sehen. Abgesehen davon, dass es natürlich spannend ist, dass es möglicherweise zwei noch nicht beschriebene Arten in einem thread vorhanden sind, finde ich mal wieder faszinierend, was sich die Natur  bei diesen Ophryoglenen  für den Mund ausgedacht hat: wahrscheinlich ist die Funktion dieses Lieberkühn-Organells (noch) nicht bekannt, aber es  erinnert mich ein wenig an das Zungen-Piercing....


Noch etwas zu den Diatomeen:

1. Diatomeen scheiden Stoffe mit dem Cytoplasma aus, ein Prozess, der im Zusammenhang mit der  kriechenden Fortbewegung der Zellen steht. Für mich ist vorstellbar, dass dieser "Schleim" als Substrat für Epibonten fungieren kann, in diesem Fall einerseits für Bakterien/ Blaualgen ("Haare/ Stacheln"),  andererseits aber auch für andere Diatomeen  (Cocconeis, s.u.)

ZitatDas findet man öfters, Kieslelalgen besiedeln jedes Substrat, auch Artgenossen.

Ich hinterfrage das mal: besiedeln alle Kieselalgen alle Substrate?  Klar ist, dass die "Laus" (ich vermute Cocconeis) andere größere Kieselalgen (hier: Nitzschia) besiedeln kann; aber in Franz´ Bildern ist diese Nitzschia die einzige Art von verschiedenen Diatomeen, die befallen ist.  Ich kann mich nicht erinnern, jemals Cocconeis  auf einer Blaualge (siehe Bild rechts oben) gesehen zu haben. Wäre mal interessant, herauszufinden,  ob es diesbezüglich eine Selektivität gibt.

Wie ich schon zuvor andeutete, kann man selbst dem "Wassertropfen" entnehmen, dass Kieselalgen aufgrund unterschiedlicher Präferenzen zur Gewässergütebestimmung eingesetzt werden können ( das "Warum" bleibt  dabei offen).  Mit Bezug zu der Fragestellung, inwieweit sehr kleine Organismen an ein Fließgewässer angepasst sind (was Martin ja auch noch mal mit dem Thema: "Ergiebigkeit" angesprochen hat), geht es neben der Fließgeschwindigkeit des Wassers und den damit verbundenen Anpassungen an physikalischen Gegebenheiten ja auch um sowas wie das Nahrungsangebot. Noch ein Beispiel dazu aus der Ciliatenwelt: auch in den verschiedenen "deutschsprachigen" Mikroforen werden die cyrtophoriden Gattungen Chilodonella und Trithigmostoma  schon mal verwechselt. Typischerweise  findet man  aber nur bei Trithigmostoma Diatomeen als Nahrung, kann also allein daran die Gattungen unterscheiden. 
Bei den von mir untersuchten Rädertieren habe ich bisher keinen Hinweis auf eine irgendwie geartete direkte Anpassung an die mechanischen Eigenschaften des schnell fließenden Wassers finden können. Möglicherweise ist es also eher eine Anpassung an des vorhandene Nahrungsangebot.
Um das Ökosystem eines Bachs zu verstehen, wäre es also sinnvoll, die wechselseitigen Abhängigkeiten der Mikrorganismen zu beobachten und Informationen darüber auszutauschen.

Beste Grüße
Michael Plewka