Einfluss der Objektbeleuchtung auf Auflösung und Kontrast – Teil 2

Begonnen von Lupus, Juni 25, 2021, 21:24:54 NACHMITTAGS

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Lupus

Hallo,

der Beitrag https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=40948.msg301643#msg301643 befasste sich theoretisch mit der Wirkung verschiedener Aperturblendenformen, speziell für schiefe Beleuchtung. Die beiden darin gezeigten praktischen Demonstrationsbeispiele (Bilder 10, 14) entstammten aus einer anderen Diskussion weil sie zufällig dazu passten, und waren dazu nur ,,quick and dirty" erstellt worden. Daher ergänze ich den Beitrag durch einige passender zu den bisherigen numerischen Berechnungen fotografierte Bilder.

Zusätzlich möchte ich durch ergänzende numerische Berechnungen mit ringförmiger Beleuchtung - die im ersten Teil nur kurz erwähnt wurde (Bilder 5, 6) - etwas ausführlicher den Unterschied zur schiefen Beleuchtung demonstrieren, gemeinsam mit einem praktischen Vergleich am Beispiel von Diatomeen.

Zunächst noch ein paar Bemerkungen zur optimalen Position der Blende am Kondensor.

Die Nummerierung der folgenden Bilder beginnt mit 15 und die Kapitel mit 8. wegen einzelner Bezugnahmen auf den früheren Beitrag, und als dessen Fortsetzung.

8. Aperturblende am Kondensor zur Beleuchtungssteuerung

Im ersten Beitrag wurde der auf das thematisch Notwendige reduzierte Teil des Beleuchtungsstrahlenganges in Bild 1 gezeigt und beschrieben. Bild 15 zeigt in der linken Grafik nochmal schematisch die ideale Strahlformung für die schiefe Beleuchtung (parallele Bündel mit definiertem Beleuchtungswinkel) durch die Aperturblende. Natürlich funktioniert schiefe Beleuchtung prinzipiell auch durch andere Methoden der unsymmetrischen Ausleuchtung des Objektes, erlaubt ist was den gewünschten Effekt ermöglicht und gleichzeitig praktisch umsetzbar ist. Allerdings gelten die hier gemachten Aussagen eben nur für eine genau geplante Steuerung des Beleuchtungsbündels.

Nicht jedem ist vielleicht bewusst, dass Mikroskop-Hersteller nicht immer die Aperturblende am optimalen Ort platziert haben. Für die normalen Anwendungen als Aperturblende zur Kontraststeigerung einerseits und Anpassung der Beleuchtungsapertur an die numerische Apertur des Objektives andererseits sind Abweichungen der Blendenposition vollkommen unproblematisch. Bei höheren Ansprüchen muss die Position der Aperturblende jedoch an der Stelle der vorderen Kondensor-Brennebene liegen, da sonst aus ganz einfachen geometrisch-optischen Gründen das Austritts-Strahlenbündel am Kondensor nicht parallel ist, und der Winkel ist dann zusätzlich variabel über die Bildposition.

Bei hoch korrigierten achromatisch-aplanatischen Kondensoren sollte sich dagegen die Blende immer in der Brennebene befinden – und ist daher oft nicht gut zugänglich weil sich diese dann im inneren des Kondensors befindet. Bei anderer Position würde die aufwändige optische Korrektur des Kondensors nicht viel Sinn machen. Auch bei Phasenkontrastkondensoren ist diese genaue Lage wichtig, da sonst die ringförmige Phasenblende in der hinteren Brennebene des Objektives nicht wie gewünscht funktionieren würde.

Ein weiterer Anwendungsfall, bei dem die optimale Lage der Aperturblende wichtig ist, ist die Selbstanfertigung einer Dunkelfeldblende für höhere numerische Aperturen des Objektives. Denn z.B. bei einem mittleren Objektiv 40/0.65 und einem Kondensor mit der numerischen Beleuchtungsapertur 0.9 bleiben nur etwa 14° äußere Breite des Lichtkegels, der zur Dunkelfeldbeleuchtung vom Kondensor zur Verfügung steht und nicht in das Objektiv eintreten darf. Einfache Kondensoren besitzen Abbildungsfehler besonders im Bereich höherer Beleuchtungswinkel – wenn dann noch Winkelabweichungen durch die falsche Aperturblendenlage dazu kommt ist keine praktikable Dunkelfeldbeleuchtung  erreichbar.

Bild 15 zeigt in der Mitte den Schnitt durch einen historischen Kondensor von Zeiss, dessen Aperturblende (Position erkennbar am links herausragenden Hebel) aus praktischen Gründen einen relativ großen Abstand zur Brennebene aufweist, die in geringem Abstand zur unteren Linse liegt. Ich habe nach der Schnittzeichnung eine näherungsweise maßstäbliche Berechnung durchgeführt (Grafik ganz rechts) und dort die theoretischen Brennebenen und etwa die reale Aperturblendenlage eingezeichnet. Man erkennt an den beiden (roten und grünen) Strahlenverläufen dass an der Kondensor-Austrittsfläche die Strahlenbündel, speziell die stark geneigten für die hohe numerische Beleuchtungsapertur, deutlich konvergent und nicht mehr parallel verlaufen. Solche Abweichungen haben regelmäßig bautechnische Motive, bei einem Kondensor der sich von unten in eine längere Befestigungshülse schieben lässt ist meist kein Platz für die ausladende Irisblende an der richtigen Position.

Bild 16 zeigt drei Kondensoren der bekannten Hersteller Zeiss, Leitz und Hertel & Reuss mit etwa NA = 0.9 aus der Zeit nach dem 2. WK. Zeiss hatte 1948/49 bei Einführung der Standard-Reihe diesen Kondensor mit einfach bedienbarer abklappbarer Frontlinse entwickelt (horizontale Drehachse), ähnlich Leitz (Bildmitte). Hertel & Reuss hat dagegen die Frontlinse horizontal wegklappbar gemacht (vertikale Drehachse). Durch die horizontale Drehachse bei Zeiss und Leitz musste die Frontlinse eine größeren Abstand zur Hinterlinse aufweisen um nicht mit der Hauptlinse zu kollidieren. Als Konsequenz verschob sich die Lage der hinteren Kondensor-Brennebene in das Innere des Kondensors. Zeiss hat das konsequent umgesetzt und die Apertur-Irisblende an die Position der Brennebene vor die Hauptlinse gesetzt, geschützt mit einer Glasscheibe (erkennbar und markiert durch den roten und blauen Pfeil). Von der Unterseite betrachtet sieht man ebenfalls die Lage der Blende hinter der Hauptlinse. Leitz hat sich dafür entschieden, die Blende besser zugänglich dicht unterhalb der Hauptlinse an nicht ganz optimaler Position anzubringen. Die Irisblende ist durch ein Rohr mit Hebel von unten dafür etwas bequemer bedienbar als bei Zeiss. Hertel & Reuss hat durch den nicht notwendigen Abstand der Frontlinse zur Hauptlinse einen kompakteren Kondensoraufbau, die Brennebene liegt nahezu an der unteren Linsenfläche der Hauptebene, die Aperturblende sitzt jedoch in größerem Abstand davon am unteren Rand, weil dieser Kondensor von unten in ein Rohr des Objekttisches einschiebbar ist.

Ähnliches gilt für viele, auch einfachere Kondensoren, z.B. fällt beim einfachen Leitz-Steckkondensor mit geringer NA um 0.6 die Brenn- und Aperturblendenebene zusammen, beim entsprechenden Hertel & Reuss Kondensor nicht. Es lohnt sich also für jeden ,,Blendenbastler", bei unbekannten Kondensoren die Lage der lichtquellenseitigen Brennebene jeweils durch ein einfaches Experiment zu bestimmen. Man muss nur mit Hilfe einer Mattscheibe (z.B. schmaler, gefalteter Streifen Transparentpapier) den Ort suchen, an dem ein etwas fernerer kontrastreicher Gegenstand (Fensterkreuz, Spotlampe) beim Blick von hinten durch den Kondensor scharf erscheint.

Aus den genannten Gründen ist der abgebildete Zeiss-Standardkondensor oder der entsprechende Leitz-Kondensor (wie prinzipbedingt auch alle Phasenkontrastkondensoren) aufgrund der Zugänglichkeit der Brennebene relativ gut zum Einbau von Blenden für schiefe Beleuchtung (oder auch Dunkelfeld) geeignet. Bild 17 zeigt als Beispiel für eine einfache technische Realisierung den von mir u.a. verwendeten Zeiss-Kondensor mit einsetzbaren Blenden. Der Rand der durch 3D-Druck hergestellten Blende rastet beim Auflegen auf 1/10 mm genau in einer Stufe der Kondensor-Oberfläche ein.

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Lupus

9. Reale Beispiele der Phasenkontrastwirkung bei schiefer Beleuchtung (Teil 2)

Der eigentliche Verwendungszweck für schiefe Beleuchtung ist, wie schon mehrfach erwähnt wurde, die Erzeugung bzw. Erhöhung des Phasenkontrastes. In den früheren Kapiteln 6 und 7 bzw. in den Bildern 12 – 14 wurden bereits theoretische numerische Berechnungen für zwei räumlich ausgedehntere, ideale Phasenobjekte (Kugelquerschnitt und Rechteckquerschnitt) vorgestellt und mit Fotos eines realen Phasenobjektes, die mit diversen Blendenformen aufgenommenen wurden verglichen. Bild 18 zeigt nochmals an einem modifizierten, flachen Objekt mit abgerundeten Kanten (,,Linse") die gerechneten Beugungsbilder (rote Kurven) für zwei charakteristische Blendenformen: Maximal schiefe Beleuchtung durch ein schmales schiefes Lichtbündel, und diffuse halbseitige schiefe Beleuchtung durch die komplette Blendenhälfte.

Die folgenden Vergleichsaufnahmen wurden alle mit einem einfachen, markenlosen Achromaten 40/0.65 gemacht. Alle Fotos wurden in SW umgewandelt, sonst aber außer einer Helligkeitsoptimierung (Spreizung des Bildes auf den möglichen Helligkeitsumfang) nicht weiter bearbeitet. Zur objektiven Vergleichbarkeit verschiedener Blendenformen wurde aber nicht jede Aufnahme individuell angepasst, sondern nur das kontrastreichste Bild einer Serie des gleichen Objektes optimiert und die anderen Bilder mit der gleichen relativen Spreizung versehen.

9.1 Beispiel Phasenobjekt Stärkekorn

Der Grund für die ergänzende Berechnung in Bild 18 war die möglichst große Ähnlichkeit und Vergleichbarkeit mit dem zusätzlich unter dem Mikroskop untersuchten, gezielt strukturlosen Phasenobjekt ,,Stärkekorn", siehe Bild 19. Ich habe aus einer Probe das kleinstmögliche und gleichmäßig runde Stärkekorn herausgesucht und mit den in Bild 19 dargestellten Blendenformen fotografiert. Mit offener Blende ist visuell praktisch nichts zu sehen, und die übliche etwa um 1/3 geschlossene Blende des 2. Fotos zeigt den Rand in verstärktem Kontrast. Die beiden rechten Fotos sollen speziell dem Vergleich der Rechnung dienen, das 3. Foto mit genau halbseitiger Blende entspricht der rechten Grafik des Bildes 18, das 4. Foto mit halbringförmiger Blende der linken Grafik. Der Unterschied besteht nur darin, dass die Rechnung eindimensional war, also einen Schnitt in Hauptbeleuchtungsrichtung darstellt, während natürlich die reale Blende zweidimensional ist. Zur Verdeutlichung ist in Bild 19 neben den schwarzen realen Blendenformen rechts davon jeweils der vergleichbare, berechnete ,,Querschnitt" markiert.

An diesen beiden Fotos lässt sich gut der theoretische Verlauf identifizieren:
1. Der im Fall der schmalen, halbringförmigen Blende mehrfach höhere Kontrastumfang (siehe Vergleich der Maxima der roten Kurven ,,Objektbild nach Filterung" des Bildes 18).
2. Die deutliche Unsymmetrie zwischen Minimum und Maximum und
3. Die Verbreiterung (Unschärfe) des Objektbildverlaufes gegenüber dem Objekt (blaue Kurve). Das alles lässt sich auch visuell in den beiden rechten Fotos des Bildes 19 erkennen wenn man - analog der Grafik - sich gedanklich jeweils einen vertikalen Schnitt durch die Fotos des Stärkekornes vorstellt.

Die Ursache für die starken Abweichungen bei halbringförmiger Blende vom idealen Bild des ,,Differentialkontrastes" liegt an den unvermeidlichen Interferenzen durch die hohe Kohärenz dieser Beleuchtung. Vertretbar wäre die Art der Beleuchtung aus wissenschaftlicher Sicht m.E.nur in den Fällen, wo es nicht auf Auflösung und Detailtreue ankommt, sondern ein Objekt mit sehr geringer Phasenverschiebung vorliegt, also geringste Dichte- oder Brechungsindexunterschiede identifiziert werden sollen.

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Lupus

Bild 20 soll den Effekt von unterschiedlichen Verläufen der Randbegrenzung halbseitiger Blenden zeigen. Auch hier gibt es in der Literatur diverse vorgestellte Formen (dabei nicht immer bei optimaler Blendenlage und daher sind deren Effekte nicht unbedingt vergleichbar). Der maximale Außendurchmesser entspricht in allen Fällen der maximalen numerischen Apertur des Objektives. Die neben den Blendenbildern rechts abgebildeten grauen Grafiken zeigen die unterschiedliche Abblendung in verschiedenen Richtungen (blaue Pfeile). Am deutlichsten ist bei der rechten Form ,,exzentrischer Kreis" erkennbar, wie das Objekt mit zunehmend seitlicher Beleuchtung (bezogen auf die Hauptbeleuchtungsrichtung) sozusagen mit zugezogener Blende beleuchtet wird, also ein entsprechender Auflösungsverlust und verstärkte Interferenz-Artefakte entstehen. Unverändert gilt, dass die Blendenform mit bester Objekttreue die halbkreisförmige Blende (oder einem Kreissektor mit etwas unter 180° liegendem Zentriwinkel) darstellt.

9.2 Beispiel Phasenobjekt Geschmacksknospen

Die Strukturen eines komplexeren Phasen-Präparates (Säugetier-Geschmacksknospen wie bereits früher in Bild 14) mit den Blendenformen ,,reduzierte zentrale Blende", ,,halbkreisförmige Blende" und ,,halbringförmige Blende" zeigt Bild 21. In diesem Vergleich wurden jeweils zwei Fokusstellungen je Blendenform nebeneinander gestellt. In der Mitte des Bildes die ,,optimale" Blendenform, bei der das Präparat wie im DIK erscheint, und das  sich auch ähnlich in Schichten durchfokussieren lässt. Links wieder der bekannte Anblick bei normaler Hellfeldbeleuchtung und reduziertem Blendendurchmesser. Hier ist die Detailunschärfe trotz scheinbarem hohen Kontrast klar erkennbar. Rechts die halbringförmige Blende, die wie beim Stärkekorn einen sehr hohen Kontrast erzeugt, und auch die gleiche ,,wolkige" Verbreiterung von Bilddetails ist sehr ausgeprägt erkennbar. Aus rein ästhetischer Sicht ein interessantes Bild, allderdings mit geringem praktischen Gebrauchswert.

Bemerkenswert ist das Problem, dass bei allen Blendenformen mit engen Öffnungen und damit hoher Beleuchtungskohärenz der ,,richtige" Fokuspunkt" sehr schwer zu finden ist, da durch Interferenz auch außerhalb der optimalen Fokussierung hoher Kontrast entstehen kann.

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Lupus

10. Schiefe Beleuchtung im Vergleich zur ringförmigen Beleuchtung an der Auflösungsgrenze

Die ringförmige Beleuchtung wird wie die schiefe Beleuchtung immer wieder als auflösungssteigernd beschrieben. Die Begründung ist die gleiche: in beiden Fällen fällt das Beleuchtungsbündel möglichst schräg auf das Objekt, gerade noch innerhalb der numerischen Apertur des Objektives, wodurch höhere Beugungsordnungen vom Objektiv noch eingefangen werden können. Der Unterschied besteht in der Unsymmetrie der schiefen Beleuchtung gegenüber der Rotationssymmetrie der ringförmigen Beleuchtung, somit sind zumindest bei ringförmiger Beleuchtung keine einseitig verfälschende Beugungsartefakte zu erwarten.

Bild 22 zeigt (wie schon früher Bild 6) das numerisch gerechnete Beugungsbild für zwei eng benachbarte Linien. In der mittleren Grafik mit offener Blende, nach links und rechts wurden in zwei Abstufungen jeweils die Beugungsbilder bei Abblendung der Aperturblende dargestellt. Und zwar links die Abblendung von innen zu ringförmig, rechts die Abblendung von außen zum kleineren Durchmesser. Nach rechts sinkt erwartungsgemäß die Auflösung, der Kontrast kann wegen der zunehmenden Beugungseffekte (,,Schwingung" am Rand des Beugungsbildes) - neben anderer Interferenzeffekte bei dickeren Objekten - verstärkt sein. Nach links steigt die Auflösung, erkennbar an der größeren Intensitätsmodulation, Beugungsartefakte verstärken sich im gleichen Maß. Insoweit eigentlich nichts neues. Wichtig ist aber der o.g. Unterschied zur schiefen Beleuchtung durch die Symmetrie. Zumindest bei periodischen Objekten an der Auflösungsgrenze, also in der Nähe des Abstandes der Interferenzen, können sich diese zumindest teilweise kompensieren bzw. mitteln.

Zur praktischen Demonstration der Wirkung ringförmiger Beleuchtung im Vergleich zur schiefen Beleuchtung und zur abgeblendeten zentralen Beleuchtung zeigen die folgenden Bilder Aufnahmen von drei verschiedenen Diatomeen. Wieder wurden alle Aufnahmen mit dem selben Objektiv (40/0.65) gemacht und auf gleiche Art und Weise nachbearbeitet (Helligkeitsanpassung aller Fotos identisch mit den Parametern der kontrastreichsten Aufnahme). Die Aufnahmen wurden nicht gestackt, damit lassen sich die Effekte nicht seriös demonstrieren, der Fokus wurde nach Gefühl gewählt. Zu beachten ist, dass die drei Diatomeen unterschiedliche Wölbung aufweisen, daher ist der erkennbare Schärfebereich unterschiedlich groß. Die Testdiatomeen sind Navicula lyra, Gyrosigma balticum und Pleurosigma formosum. Navicula wird in der Literatur mit unter 10 Reihen/10 μm bei einer NA von 0.65 als sehr leicht auflösbar angegeben, Gyrosigma und Pleurosigma seien mit dem Objektiv mit ihren etwa 20 Reihen/10 μm gut auflösbar.

Bekanntlich weisen Diatomeen alle nur erdenklichen Formen auf, mit und ohne Rippen quer zur Längsachse, Öffnungen dazwischen, eventuell zusätzlich feinere Siebstrukturen in den Öffnungen, nur Öffnungen in glatten Schalenflächen ohne Rippen usw. Wenn die Strukur nicht durch REM-Aufnahmen bekannt ist, führen optische Aufnahmen an der Auflösungsgrenze oft zu Fehlinterpretationen der Struktur. Daher sind allen Bildern jeweils vereinfachte, stilisierte Skizzen hoch aufgelöster REM-Aufnahmen beigefügt.

Die drei Diatomeen besitzen alle zweidimensionale Lochstrukturen in ähnlichem Abstand. Trotzdem ergeben sich sehr unterschiedliche Bilder, die man gut durch Interferenzeffekte erklären kann. Entweder sind die Abstände je nach Richtung bezogen auf die Hauptachse (Längsachse) etwas unterschiedlich, was an der Auflösungsgrenze immer ungleiche Intensitätseffekte zeigt, oder sie haben eine andere Symmetrie in der Anordnung, was ebenfalls durch Interferenz andere Scheinstrukturen erzeugt.

Bild 23 zeigt eine Aufnahmeserie von Navicula lyra, von links drei Aufnahmen mit schiefer Beleuchtung aus drei verschiedenen Richtungen (bezogen auf die Diatomeen-Längsachse), dann ringförmige Beleuchtung und leicht abgeblendete zentrale Beleuchtung. Ganz rechts (wie bei allen Diatomeen-Bildern) die REM-Skizze, in die die typische Lochstruktur der Diatomee eingezeichnet ist (blaues Recht- bzw. Sechseck) und die Orientierung der Lochreihen (orange Pfeile). Navicula lyra hat Lochreihen in gleichmäßigem Abstand quer zur Längsachse, aber parallel zur Achse sind sie etwas unregelmäßig (angedeutet durch die Wellen der orangen Pfeile). Der mittlere Lochabstand ist in beiden Richtungen etwas unterschiedlich (siehe Angabe des gemessenen Abstandes in μm). Durch die Homogenität des Lochabstandes in Längsrichtung entsteht in Verbindung mit der Bildverschmelzung in Querrichtung der ausgeprägte Effekt, dass bei vertikaler schiefer Beleuchtung nur Rippen erscheinen. Bei horizontaler schiefer Beleuchtung erscheint dagegen die Lochstruktur ohne Verschmelzung, diagonal beleuchtet eine Mischung. Im Vergleich dazu liefert die ringförmige Beleuchtung eine etwas schärfere, deutlich kontrastreichere Darstellung der einzelnen Öffnungen, etwas kontrastreicher als bei der abgeblendeten zentralen Beleuchtung rechts.

Ganz rechts ist eine Detailvergrößerung der ringförmigen Beleuchtung dargestellt, zum Vergleich daneben auch noch mit einem Objektiv höherer NA. Bei dieser höheren Auflösung verschwinden die scheinbaren ,,Querrippen" bereits fast vollständig, die ,,Querrippen" entstehen bei dieser symmetrischen Beleuchtung lediglich durch den unterschiedlichen Lochabstand in den beiden Symmetrieachsen.

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Lupus

Bild 24 zeigt Gyrosigma balticum nach dem gleichen Schema. Die Wölbung der Diatomee ist größer und damit der Schärfebereich auffällig kleiner. Hier erkennt man nun bei horizontaler (seitlicher) schiefer Beleuchtung die gleichartigen Rippen wie bei vertikaler Beleuchtung. Der Grund ist, dass – siehe auch rechte REM-Skizze – der Lochabstand in beiden Richtungen fast identisch ist, das Lochsystem sehr regelmäßig, praktisch quadratisch. Daher tritt der Effekt der optischen ,,Lochverschmelzung" auch in Querrichtung auf, zumal der Lochabstand etwas geringer als bei Navicula ist. Die ringförmige Beleuchtung zeigt wieder die Lochstruktur gut und realtiätsnah (siehe auch Ausschnitt ganz rechts), abgesehen von dem Problem dass auch hier das entstehende Bild sehr stark (wegen der Wölbung der Schale noch stärker) von der Fokussierung abhängt. Man kann das gut daran erkennen, dass ähnlich der diagonalen Beleuchtung in Teilbereichen bei Defokussierung ebenfalls Linienstrukturen durch Interferenzartefakte entstehen können

Als letztes zeigt Bild 25 Pleurosigma formosum mit einem deutlich abweichenden Erscheinungsbild. Hier sind speziell bei allen drei schiefen Beleuchtungsrichtungen immer diagonale Rippenstrukturen zu sehen. Der Grund ist wieder in der REM-Skizze zu finden, bei dieser Diatomee haben die Löcher statt rechteckiger eine hexagonale Symmetrie, die aufeinander folgenden Lochreihen sind jeweils um den halben Lochabstand versetzt. Die Diagonale ist erkennbar dominant im Vergleich zur horizontalen und vertikalen Struktur (siehe orange Pfeile). Der Reihenabstand ist in der Diagonale deutlich größer als der Abstand zweier horizontaler bzw. vertikaler Reihen. Dadurch erfolgt eine Verschmelzung der Löcher tendenziell in der diagonalen Richtung, unabhängig von der Beleuchtungsrichtung. Die ringförmige Beleuchtung liefert wieder ein relativ richtungsunabhängiges Erscheinungsbild, aber auch hier ist wieder der Effekt der Unterschiedlichen Abstände an der Auflösungsgrenze wie bei Navicula durch Streifenbildung erkennbar.

Als Zusammenfassung zur Frage der Auflösungssteigerung kann man sagen, dass schiefe Beleuchtung oder ähnliche richtungsabhängige Beleuchtungen im Grenzbereich vollkommen ungeeignete Verfahren darstellen, um Strukturen zu analysieren. Und selbst bei richtungsunabhängigen Beleuchtungen wie der ringförmigen Beleuchtung ist bei der Interpretation Vorsicht geboten. Hier möchte ich wieder an das Zitat von Abbe aus dem vorangegangenen Beitrag erinnern, insbesondere die Kernaussage wiederholen: ,,...alle Anzeigen von Structurdetail, liefern im Allgemeinen keine der wirklichen Beschaffenheit der Objecte conforme, d.h. geometrisch ähnliche, Abbildung. Wie ... scheinbar körperlich derartige Anzeigen (Streifensysteme, Felderzeichnungen und dergl.) im Mikroskop auch auftreten mögen, so dürfen sie doch nicht ...als Bilder körperlicher Formen, sondern nur physikalisch ... gedeutet werden ... als ... Vorhandensein solcher Structurbedingungen ... zur Erzeugung des die Abbildung vermittelnden Beugungsphänomens ..."

Hubert

jcs

Hallo Hubert,

da hast Du wieder eine sehr umfangreiche und detaillierte Darstellung zusammengestellt! Das findet man in dieser umfassenden Form wohl kaum woanders. Schade wäre nur, wenn dieser Text aufgrund der eingeschränkten Suchfunktion der Forensoftware in den Tiefen des Forums verborgen bleibt.

Inhaltlich habe ich eine Frage zu den "stlisierten REM-Aufnahmen": Die Bilder kann ich nicht ganz zuordnen. Müssten in den REM-Aufnahmen nicht deutlich die Poren in der Silikathülle sichtbar sein, über welche die Diatomeen mit dem umgebenden Wasser in Verbindung stehen?

LG

Jürgen

Kurt

Hallo Hubert,

danke für diesen Beitrag und meine große Anerkennung für diese wirklich großartige Fleißarbeit!!!

Beste Grüße aus Freiberg
Kurt

Lupus

Hallo Jürgen,

ZitatInhaltlich habe ich eine Frage zu den "stlisierten REM-Aufnahmen": Die Bilder kann ich nicht ganz zuordnen. Müssten in den REM-Aufnahmen nicht deutlich die Poren in der Silikathülle sichtbar sein, über welche die Diatomeen mit dem umgebenden Wasser in Verbindung stehen?
die Auswahl der "stilisierten" REM-Aufnahmen ist vielleicht nicht für jeden Betrachter ganz optimal. Es sind keine direkten REM-Aufnahmen, sondern grafisch umgesetzte Bilder die wie DIK die differentielle Helligkeitsänderung zeigen. Die runden Strukturen sind "Poren", also Löcher, die im Original schwarz sind. Durch die grafische Umsetzung erscheinen die ungestörten ebenen Flächen und das konstant dunkle Innere der Öffnungen im mittleren Grau. Da die verfügbaren REM-Aufnahmen unterschiedlichste Qualität hatten, zum Teil sehr dunkel, perspektivisch verzerrt usw., und ich außerdem bewusst nur die Regelmäßigkeit der Struktur und die Durchmesser-Abstandsverhältnisse darstellen bzw. extrahieren wollte, und ich außerdem noch gut erkennbare Grafik darüber eintragen wollte, habe ich mich für diese Darstellungsart entschieden.

Hubert

jcs

Hallo Hubert,

danke für die Erläuterungen. Deine Aufnahmen zeigen jedenfalls eindrucksvoll, dass man mit der Interpretation lichtmikroskopischer Aufnahmen am Beugungslimit sehr vorsichtig sein muss (was ja nicht sonderlich überraschend ist).

Inhaltlich kann ich nicht viel beitragen, ich kann Dir aber anbieten, REM-Aufnahmen zu machen, wenn Du mir entsprechende Proben (z.B. auf Objektträger) zuschickst. Über eine Zoom-Session am REM könnte ich dann Aufnahmen so machen, wie Du sie brauchst.

LG

Jürgen

Lupus

Hallo Jürgen,

vielen Dank für das Angebot, REM-Aufnahmen zu machen. Ich bin leider für die Präparation von Proben nicht eingerichtet. Sicherlich könnte man zu dem Thema einiges ergänzen und dann gut mit REM-Aufnahmen verifizieren, ich hatte ursprünglich auch beabsichtigt noch etwas zum Brechungsindexunterschied/Objektphasenverschiebung und Bildkontrast mit Diatomeen zu dokumentieren. Aber ich denke dass solche Dinge dann doch zu speziell werden und der Interessentenkreis hier zu gering ist.

Hubert

jcs

Zitat von: Lupus in Juni 28, 2021, 14:11:14 NACHMITTAGS
Aber ich denke dass solche Dinge dann doch zu speziell werden und der Interessentenkreis hier zu gering ist.
Ich finde eher, dass Deine Überlegungen und Darstellungen ziemlich zentrale Fragen der mikroskopischen Bildgebung ansprechen, über die sich so manche einführende und auch fortgeschrittene Literatur elegant hinwegschummelt.

Danke jedenfalls für die Arbeit und das Zeigen Deiner Ergebnisse.

Jürgen

Lupus

#11
Hallo,

für die Interessierten hier der Link zum Herunterladen einer zusammenfassenden PDF des Beitrages Teil 2 (Herunterladen ganz rechts unter "mehr")
https://bit.ly/3dtDDj3

Hubert

jcs

Hallo Hubert,

ich kann das File nicht herunterladen, auch mit Anmelden in Dropbox kommt eine Fehlermeldung "Ordner /Aufsatz... existiert nicht"

LG

Jürgen

Lupus

#13
Hallo Jürgen,

bei mir funktioniert es.

Jetzt wieder nicht. Muss ich nochmal nach dem Fehler suchen.

Neuer Versuch
https://bit.ly/3dtDDj3

Hubert

rhamvossen

Hallo Hubert,

Hut ab für diese aufwendige Arbeit. Ich hatte noch 2 Fragen:

1) Du schreibst das die Schiefe Beleuchtung ungeeignet ist um Strukturen zu analysieren. Wie sieht es aus beim DIC?
2) Offenbar wird die Auflösung mit jeder Form der Schiefer Beleuchtung nicht gesteigert. Mann hat also mit normales Hellfeld bei voller Objektiv Apertur (Blende ganz geöffnet) die geleiche Auflösung (oder manchmal sogar besser?) als mit schiefer Beleuchtung?

Beste Grüsse,

Rolf