Der seltsame Bauchhärling Chaetonotus arquatus

Begonnen von Michael Müller, Juli 19, 2021, 13:45:55 NACHMITTAGS

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Michael Müller


Liebe Freunde der Bauchhärlinge,

als Max Voigt 1903 den Schlamm einiger Teiche im Schlosspark von Plön untersuchte, fand er eine sehr vielfältige Gastrotrichenfauna, die man damals im "Faulschlamm" (Sapropel) von Teichen nicht vermutet hätte. Einer dieser seltsamen, Schwefelwasserstoff-toleranten Bauchhärlinge aus diesem sauerstoffarmen Milieu war der neu entdeckte

Chaetonotus arquatus (VOIGT, 1903)


Da dieser selten gefundene und nicht sehr gut untersuchte Gastrotrich noch niemals fotografisch dokumentiert wurde, beschloss ich, diese Tiere hier vorzustellen, als ich das Glück hatte, eine stabile Population in einem nahe gelegenen Waldtümpel anzutreffen. Als ich begann, mich näher mit diesem seltsamen Tier zu beschäftigen, war mir noch nicht klar, wie einzigartig diese Art unter den Gastrotrichen ist...

Chaetonotus arquatus ist ein mittelgroßer (ca. 220µm) Bauchhärling, der sofort durch seine langen, gebogenen Stacheln auffällt.


Bild 1: Ch. arquatus; Querschnitt

Die markante, leicht S-förmig geschwungene Schwanzgabel macht das Tier unverwechselbar. Jeder Stachel entspringt einen napfförmigen Basischuppe, die einer Ausbuchtung des Körpers aufsitzt. Dadurch erinnert das gesamte Tier an ein "Michelin-Männchen".


Bild 2: Ch. arquatus; lateraler Schnitt

In der Seitenansicht offenbart sich diese eigenartige Körperform und die dazugehörigen Schuppen deutlicher. Die Schuppen selbst sind nicht durch die üblichen Methoden separierbar und stellen wohl eine Verdickung der Kutikula dar, aus der sich die hohlen (mit einem Septum an der Basis verschlossenen) Stacheln erheben. Die Form der Basischuppe ist deshalb schwer zu beurteilen und scheint mehr oder weniger rechteckig zu sein.


Bild 3: Ch. arquatus; dorsal

Die langen und dichten Stacheln verhindern ein gutes Portrait der Rückenseite, da hierfür die Tiefenschärfe nicht ausreicht (oder man das Tier unförmig platt drücken müsste). Dennoch erhält man einen ganz guten Eindruck davon, welche ambitionierte Beute dieses Tier für Räuber darstellen muss.


Bild 4: Ch. arquatus; ventral

Die Bauchseite aller von mir untersuchten, erwachsenen Exemplaren von Ch. arquatus ist durchgängig von einem Sekret unbekannter Funktion bedeckt, das besonders am Hinterende der Tiere auffällt. Dieses Sekret ist wasserlöslich, da es bei verstorbenen Tiere - wenn es nicht mehr nachgebildet wird - sich innerhalb weniger Stunden auflöst und die darunter verborgenen Schuppen freigibt. Bei Jungtieren ist diese Sekret noch nicht vorhanden. Hier kann die Schuppenform des ventralen Zwischenfeldes (des Feldes zwischen den beiden bauchseitigen Zilienbändern) beurteilt werden:


Bild 5: Ch. arquatus; Jungtier, Beschuppung des ventralen Zwischenfeldes

Hier findet man sieben Reihen sehr kleiner, länglicher Schuppen, die mit einem Mittelkiel und kleinen Endstacheln besetzt sind. Terminal erkennt man zwei etwas größere, ovale Kielschuppen.


Bild 6: Ch. arquatus; Bulbus des Pharynx mit Gefäßen

Wie bei viele Gastrotrichen endet der Saugmagen (Pharynx) der Tiere in einen kugelförmigen Bulbus (Bild 1,2). Sehr deutlich erkennt man an der Oberfläche des Bulbus einige Gefäße, die auch bei anderen Gastrotrichen beschrieben sind, deren Funktion aber noch nicht geklärt ist.

Bis zu diesem Punkt entspricht die morphologische Beschreibung (abgesehen des Sekretfilmes auf der Bauchseite) von Ch. arquatus der eines zwar ungewöhnlichen Gastrotrichen, liegt aber durchaus innerhalb der normalen Variationsbreite für Gastrotrichen.

Vielleicht ist dem einen oder anderen Betrachter in den obigen Bilder ein eigenartiges Organ am Hinterende der Tiere aufgefallen:


Bild 7: Ch. arquatus; caudales Organ

Bei allen untersuchten, erwachsenen Exemplaren fand sich unterhalb des Darms ein eigenartiges, ovoides Organ, das mit fädrigen, unbeweglichen Strukturen gefüllt ist und einen penisartigen Ausführungsgang auf die Ventralseite besitzt.


Bild 8: Ch. arquatus; caudales Organ, lateral

Dieses caudale Organ scheint von der Vordereite durch einen Zuführungsgang gespeist werden. An dem rückseitigem Ausführungsgang ist ein Ringmuskel zu erkennen, der diesen Gang nach Außen abschnürt:


Bild 9: Ch. arquatus; caudales Organ mit Ringmuskel

Diese caudale Organ ist bei Jungtieren noch nicht (oder bestenfalls sehr undeutlich) zu sehen und bildet und füllt sich erst nach einigen Tagen:


Bild 10: Ch. arquatus; Entwicklung des caudalen Organs im Abstand von jeweils 2 Tagen

Erst nach einigen Tagen ist die Entwicklung des caudalen Organs abgeschlossen:


Bild 11: Ch. arquatus; caudales Organ beim erwachsenen Tier

Ein ähnliches Organ habe ich bisher nur bei Ichthydium bifasciale gefunden ( https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=35723.0 ).
Bei einem Hohlorgan, dass mit fädrigen, unbeweglichen Strukturen gefüllt ist, liegt der Verdacht nahe, dass es sich um ein Speicherorgan für Sperma handelt. Ein solches Organ ist bei Süsswasser-Gastrotrichen nicht bekannt. Um diesen Verdacht zu überprüfen, habe ich versucht, den Organ-Inhalt mit Karmin-Essigsäure zu färben, die recht selektiv DNA färbt:


Bild 12: Ch. arquatus; caudales Organ mit Karmin-Essigsäure gefärbt

Auch wenn das Ergebnis der Färbung nicht 100% überzeugend ausfiel, wurde der Inhalt des caudalen Organs stark angefärbt. Das caudale Organ ist wohl mit DNA-haltigem, fädrigen Material angefüllt. Wenn das wirklich Sperma ist, wären die Tiere bereits als Jungtiere Zwitter. Dies unterscheidet sie von allen anderen bekannten Süsswasser-Gastrotrichen, die beim Schlupf rein parthenogenetische Weibchen sind und sich erst nach einigen Wochen langsam zu Zwittern entwickeln. Man geht davon aus, dass die parthenogenetische Fortpflanzung automiktisch, also durch diploide Eier erfolgt, die durch einfach mitotische Zellteilung entstanden sind. Die Nachkommen wären dann ein direkter Klon der Mutter. In der späteren Zwitterphase der Süsswasser-Gastrotrichen werden die Eier durch Meiose gebildet und sind haploid. Erst durch eine Verschmelzung mit einem anderen haloiden Gameten kommt es zur Bildung einer Zygote - der ersten somatischen Zelle des neuen Tieres.
Wenn Ch. arquatus bereits von Anfang an ein Zwitter ist, liegt es nahe, dass die reifen Eier durch Meiose gebildet wurden, so dass eine weitere Entwicklung nur nach der Verschmelzung mit einem zweiten haploiden Kern (z. B. durch eine Sperma-Zelle) erfolgen kann. Innerhalb meiner Mikroaquarien habe ich aber die Fortpflanzung isolierter Einzeltiere beobachtet. Diese Fortpflanzung erfolgte also entweder durch Selbstbefruchtung oder rein parthenogenetisch durch Automixis - der Verschmelzung zweier Zellen aus dem selben Meiose-Pfad. Es lag also nahe zu versuchen, den Beginn der Embryonalentwicklung nach der Eiablage genauer zu beobachten.
Ich verfolgte und filmte also ein Tier mit einem reifen Ei mehrere Stunden lang. Leider schaffte das Tier die Eibablage nicht und verstarb bei dem Versuch, das amitioniert große Ei abzulegen. Dies ist eine der häufigsten Todesursachen bei Gastrotrichen. In der Hoffnung, eine Wanderung von Spermatozoen zu beobachten, begann ich eine Zeitraffer-Aufnahme der toten Mutter.
Ich hatte Glück - das Ei begann seine Embryonalentwicklung trotz des Todes der Mutter - die Natur ist oft schrecklich effizient!
Im Folgenden möchte einige Standbilder des Films kommentieren. Dabei nehme ich an, dass das Ei durch eine Meiose entstanden ist und haploid ist (nur einen einfachen Chromosomensatz enthält). Die Kernkonfiguration vor der ersten Kernteilung und nach der DNA-Synthese ist also 1n2c (1n =  einfacher Chromosomensatz; 2c = zwei Chromatiden, also gleiche Chromosomenäste, pro Chromosom).

Ausgangspunkt ist das einzellige Ei mit dem Zellkern, der einige auffällige Nucleoli enthällt.


Bild 13: Ch. arquatus; Ei nach dem Tod der Mutter

Das Ei beginnt die weitere Entwicklung mit einer ersten Kernteilung:


Bild 14: Ch. arquatus; Beginn der ersten Kernteilung: die Kernmembran löst sich auf

Es bildet sich eine Eizelle mit zwei Kernen; die Zelle teilt sich nicht. Die beiden 1n1C - Kerne beginnen in der Interphase mit der DNA-Synthese, die sie als 1n2c-Kerne abschließen:


Bild 15: Ch. arquatus; eine Zelle mit zwei Interphasen-Kerne

Diese Kerne näher sich immer weiter an und verschmelzen zu einem 2n4c-Kern:


Bild 16: Ch. arquatus; kurz vor der Verschmelzung der haploiden Einzelkerne

Der neue Kern ist nun diploide und muss keine neue DNA vor der nächsten Teilung bilden. Deshalb tritt er nicht in eine Interphase ein und teilt sich sofort in die beiden ersten somatischen 2n2c-Kerne der neuen Tieres. Bei dieser Teilung lag der Fokus zufällig gerade richtig, um erstmals bei Gastrotrichen die Chromosomen bei der Kernteilung zu verfolgen.
Die Chromosomen ordnen sich während der Methaphase in der Äquatorialebene an:


Bild 17: Ch. arquatus; Methaphase der Zellteilung; viele kleine Chromosomen sind direkt zu verfolgen

Nach einer leichten Drehung des Spindelkörpers werden sie Chromosomen während der Anaphase auseinander gezogen:


Bild 18: Ch. arquatus; Anaphase - die Chromosomen werden auseinander gezogen

In der Telophase dekondensieren die Chromosomen wieder und werden dadurch unsichtbar:


Bild 19: Ch. arquatus; Telophase; die Chromosomen dekondensieren

Die beiden Kerne beginnen ihre Kernmembran neu zu bilden. Leider verstarb das Ei ebenfalls zu diesem Zeitpunkt.


Bild 20: Ch. arquatus; Bildung der neuen Kernmembranen - Tod des Eies

Der gesamte Zeitraffer-Film kann hier angesehen werden:


Bild 21: Ch. arquatus; Zum Starten bitte anklicken!

Der beobachtete Beginn der Embryonalentwicklung stützt also die Hypothese, dass Ch. arquatus haploide Eier bildet, die sich parthenogenetisch durch Automixis fortpflanzen. Dabei verschmelzen zwei haploide Kerne, die aus einer ersten Kernteilung des haploiden Eies hervorgehen. Eine Selbstbefruchtung konnte nicht beobachtet werden.

Der eigenartige Bauchhärling Chaetonotus arquatus scheint also nur als Zwitter zu existieren. Eine  - wie bei den anderen Süsswassser-Gastrotrichen übliche - rein parthenogenetische Phase scheint nicht vor zukommen. Das stellt Ch. arquatus sehr isoliert innerhalb der Gastrotrichen, so dass eine genauere Abklärung der Gegebenheiten, als sie für mich als Amateur möglich ist, notwendig erscheint.
Bei meinen obigen Ausführungen handelt es sich sicherlich um Einzelbeobachtungen, die eine genauerer Überprüfung bedürfen. Dennoch kann ich mir die Beobachtungen nur durch die gegebenen Interpretationen erklären. Ich würde mich freuen, wenn Ihr andere Erklärungsversuche beisteuern könnt. Als fachfremder Amateur bin ich mir meiner Ausführungen oft nicht so sicher und für Korrekturen dankbar. Vielleicht kann das Schwarmwissen des Forums meine eigenartigen Beobachtungen besser einordnen.

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

limno

Hallo Michael,
bei Dir hat sich schon eine ganze Menge  an einzigartigen Dokumenten über Gastrotrichen angesammelt, die sehr viele spannende Fragen aufwerfen. Schade, dass sowohl das Muttertier wie auch das Ei verendet sind. Ich hoffe inständig, dass es Dir noch gelingt, beide am Leben zu erhalten und so herauszufinden, ob das Muttertier das unbewehrte Ei beschützt, wie wie wir das bei Deinem vielbestaunten Video über Lepidochaetus zelinkai vermuteten. Mich interessiert zudem, welche Begleitfauna des Sapropels Gastrotricheneiern gefährlich werden könnte. Dass Du es peinlich vermeidest, jene ungebetenen "Gäste" in Dein Mikoaquarium einzuschleppen- verständlich. Aber ein paar Übersichtsfotos der Mitbewohner (vor der Auslese der Gastrotrichen) wären da vielleicht aufschlussreich. Ich denke mir, dass die Art des Eischutzes mit dem Lebensraum zusammenhängen könnte. Denn in diese großen Eier wird ja einiges an Ressourcen gesteckt.
Für die aufschlußreiche Doku dankt Dir
Heinrich
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

Martin Kreutz

Hallo Michael,

vielen Dank für diesen tollen Beitrag von Dir, wie üblich sehr sorgfältig recherchiert und dokumentiert! Obwohl ich sebst kein Foto dieser Art in meinem Archiv finden konnte, bin ich mir sicher, sie schon oft in meinen Simmelried Proben gesehen zu haben. Bei der nächsten Begegnung versuche ich auch mal dieses Spermareservoir zu finden. Ich habe übrigens auch schon zahlreiche Eier von Gastrotrichen in meinen Proben auf irgendwelche Zeichen von einer Zellteilung hin untersucht, konnte aber nie eine mitotische oder meiotische Teilung darin beobachten. Offensichtlich muss man das richtige Zeitfenster treffen. Oder sieht man das nur bei Chaetonotus arquatus so deutlich?

Schönen Abend

Martin

Ole Riemann

#3
Hallo Michael,

wieder mal eine sehr interessante Darstellung, die Deine genaue Beobachtungsgabe belegt. Ich finde es immer toll, wie Du Dir hierfür die Zeit und Ruhe nimmst. Die Mikroaquarien kommen dieser Arbeitsweise sicher entgegen bzw. sind Voraussetzung für sie.

Ich muss gestehen, dass ich noch nicht alle Deine Überlegungen im Detail nachvollziehen kann und auch bei der Interpretation mancher Strukturen meine Schwierigkeiten habe (sind die dargestellten Pünktchen im Kern der Eizelle wirklich die Chromosomen?). Aber ganz ungeachtet dessen bist Du da an etwas Spannendem dran - die Frage, ob chaetonotide Gastrotrichen lediglich funktionslose Spermien ausbilden oder diese eben doch bei manchen Arten bei der Reproduktion eine biologische Rolle spielen, ist ja meines Wissens immer noch offen.

Beste Grüße

Ole

Michael Müller

Hallo Heinrich, Martin und Ole,

es freut mich, dass meine Beiträge für Euch von Interesse sind.

@Heinrich:
Ich habe schon eine Menge EIer bzw. Eiablagen beobachtet - eine Brutpflege wie bei Lepidochaetus zelinkai ist extrem selten und würde mich bei Ch. arquatus sehr wundern (aber wer weiß...).
Bei meinen Mikroaquarien hat es sich nicht bewährt, Gastrotrichen zu selektieren und im Mikroaquarium zu sammeln (Mache ich nur, um mir einen Überblick über das Habitat zu verschaffen). Die so angereicherten Gastrotrichen sterben meist innerhalb von zwei bis drei Tage ab. Lediglich die in dieser Zeit gelegten Eier entwickeln sich zu Tieren, die an die "Zwangshaltung" angepasst sind und überleben dann einige Wochen. Anders ist es, wenn man einfach eine Portion Detritus in ein MA einschließt und so eine an das Habitat angepasste, zufällige Mikrofauna zusammenstellt. Diese Tiere überleben problemlos. Ich nehme an, dass bereits während der Embryonalentwicklung eine Anpassung an die (chemischen) Verhältnisse im Habitat passiert und deshalb ein Zusammenfangen von Einzeltieren meist nicht klappt.
Jedenfalls habe ich oft auch Fressfeinde der Gastrotrichen im MA und kann dazu so ein paar Infos beisteuern. Erwachsene Gastrotrichen sind (bis auf ganz wenige Arten) immer in Bewegung und machen es daher den Feinde schwer. Sobald sie auf eine Gefahr stoßen, kleben sie sich am Substrat fest und igeln sich in Sekundenbruchteilen ein. Das sieht bei den oft stark bestachelten Arten recht beeindruckend aus und ist wohl eine gute Verteidigung. Jedenfalls habe ich noch nie gesehen, dass ein Gastrotrich durch einen "aktiven" Jäger erbeutet wurde. Anders sieht es bei den Lauerjägern aus. Hier konnte ich Fänge durch Tysanomorpha bellerophon (Ciliata), einigen großen Sonnentieren und dem Pilz Zoophagus insidians beobachten, die die MAs jeweils recht schnell leer räumen (zur Zeit kämpfe ich wieder mal gegen Tysanomorpha bellerophon).
Bei Eiern haben die Lauerer dagegen keine Chance (da sich die Eier nicht bewegen) und es schlägt die große Stunde der Amöben, die die Eier entweder insgesamt inkorporieren oder ein Loch in die Eischale fermentieren(?) um an den Inhalt zu kommen. Auch die putzigen Tardigraden sind große Eierräuber. Mit ihren Stiletten stechen sie die Eischale an und schlürfen dann den Inhalt genüsslich aus.

@Martin:
Ich kann mir gut vorstellen, dass Ch. arquatus auch im Schlamm im Simmelried vorkommt. Bei den Proben, die ich von Dir erhalten habe, zeigt sich ein ganz ähnliches Artenspektrum wie bei mir hier.  Ch. arquatus ist recht empfindlich gegen Sauerstoff und kommt meist nur in frischen Proben vor, hält sich aber gut in geschlossenen Filmdosen (auch einige Wochen). Außerdem ist der kleine Freund sehr vorsichtig. Wie alle Gastrotrichen igelt er sich bei Störungen ein. Ch. arquatus bleibt dann aber oft mehrere Minuten in dieser Stellung. Wenn Du ihm nach dem Umpipettieren etwas Zeit lässt, bewegt er sich wieder und ist dann leichter zu finden. Es wäre toll, wenn Du da einige Fotos beisteuern könntest. Solltest Du die Tiere mal auf dem Objetträger haben, schau Dir auch das Gefäßsystem dorsal auf dem Pharynx an. Die Gefäße sollten - wenn ich mich nicht täusche - in ein gemeinsames Sammelgefäß münden, das sich in die Mundröhre entleert.
Eine Zellteilung kommt bei Gastrotrichen nur in den Eiern vor und ist kurz nach der Eiablage gut zu beobachten (später werden dann die Zellen unbequem klein). Wenn Du also Eier findest, in denen keine Kerne zu sehen sind, sollte der Spindelapparat für Dich beobachtbar sein. Mit meinem NA=0,9 Kondensor habe ich da keine Chance. Chromosomen habe ich (und wohl auch sonst fast niemand) vorher aber noch nie beobachtet. Vielleicht sind die bei  Ch. arquatus besonders deutlich.

@Ole:
Du hast Recht, dass einige Behauptungen von mir in dem Beitrag sehr isoliert stehen. Das ist der Grund, warum ich bei der Veröffentlichung auf eine Diskussion gehofft habe.
Der Beitrag war einfach schon zu lang, um auch noch die Literatur zu diskutieren. Aber Du gibst mir eine gute Gelegenheit, das hier nachzuholen:

Die Beobachtung von Chromosomen ist bei Gastrotrichen sehr schwer und in der Literatur nur einmal erwähnt:

Zitat

The only information on chromosome number is from unpublished observations by Sacks (cited in Hummon 1974b): somatic chromosomes are said to be difficult to visualize with Feulgen's, small, and numerous (20 to 30?).
M. R. Hummon, "Reproduction and sexual development in a freshwater gastrotrich - 1. Oogenesis of parthenogenic eggs (Gastrotricha)," Zoomorphology, vol. 104, no. 1, pp. 33–41, 1984, doi: 10.1007/BF00312169.

Da bei geschlüpften Gastrotrichen keine (außer beim Übergang in die post-pathenogenetische Phase) Zellteilungen vorkommen, hat man nur in den Eiern (und auch da nur bei den ersten Teilungen) ein Chance, die Chromosomen zu sehen. Ein sicherer Nachweis ist nur durch eine Färbung zu erreichen - mir ist eine Färbung in die Eier hinein aber niemals gelungen (Sacks wohl auch nicht sonderlich). Die "Körnchen" im Film verhalten sich aber so, wie es sich für Chromosomen gehört und sie entsprechen morphologisch wohl den Angaben von Sacks. Deshalb halte ich die Interpretation der "Körnchen" als Chromosomen für plausibel.
Die gezeigte Verschmelzung der beiden ersten Zellkerne im Ei kann ich mir nur als ein Phasenwechsel in der Ploidität (also z. B. von haploid zu diploid) erklären.

Viel weniger sicher bin ich mir bei dem gezeigten "caudalem Organ". In der Literatur "geistern" einige wenige Berichte von einteiligen X-Organen herum. So findet man z. B. im Schwank (P. Schwank and I. Bartsch, Gastrotricha und Nemertini. Stuttgart, New York: Gustav Fischer Verlag.) auf Seite 12 ein Bild von den Genitalorganen der Chaetonotoidea, das von Remane übernommen wurde und ein sehr ähnliches, einteiliges X-Organ zeigt. Weiter gibt es folgende Fundstelle:

Zitat

Kisielewska and Kisielewski (personal communication) recently reported two types of X-bodies in freshwater Chaetonotidae, in examining living animals from nature with brightfield microscopy. One type is bilobed with a connecting ventral canal, each lobe consisting of an internal granular portion and an external homogeneous layer. An external pore is lacking. The second type is located centrally and is unilobed, with a short rigid canal leading to a ventral pore. Both types of X-body are characteristic of particular species but not of particular genera. Very small sperm characteristic of the species were  occasially observed within the X-body, being confined to the external homogeneous layer of the bilobed type and scattered throughout the unilobed type. The unilobed X-body resembles the "Organ X (Bursa)" in Chaetonotus hermaphroditus (Remane 1936, Fig. 145).

M. R. Hummon, "Reproduction and sexual development in a freshwater gastrotrich - 3. Postparthenogenic development of primary oocytes and the X-body," Cell Tissue Res., vol. 236, no. 3, pp. 629–636, 1984, doi: 10.1007/BF00217232.

Weiter Fundstellen sind mir nicht bekannt. Offensichtlich wurden also einteilige "X-Organe" auch von anderen bereits gesichtet. Auch Sperma wurde bereits in ihnen gefunden. Eine Homologie zu dem caudalen Organ bei den verwandten Salzwasser-Gastrotrichen (Macrodasyoidea) wurde vermutet.
Was bei meinem Bericht neu ist, ist die Beobachtung, dass dieses caudale Organ in allen Exemplaren von Ch. arquatus zu finden ist und bereits bei Jungtieren vorhanden ist. Es scheint hier also keine rein parthenogenetische Phase zu existieren - die Tiere sind immer Zwitter. Dennoch konnte eine parthenogenetische Fortpflanzung beobachtet werden. Das würde einen anderen - bei Chaetonotoidea bisher unbekannten - Fortpflanzungszyklus bedeuten.

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du