Botanik: Nadeln die keine sind an einem Tannenbaum, der keiner ist *

Begonnen von Fahrenheit, Dezember 29, 2009, 15:51:59 NACHMITTAGS

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Fahrenheit

Liebe Freunde der Schirmtanne,

da ich Eckhards Methode, Pflanzenmaterial unfixiert 'frisch' zu schneiden und anschließend nach kurzer Fixierung gleich zu färben, auch einmal ausprobieren wollte, habe ich mir gestern noch einmal die Schirmtanne vor unserer Haustür vorgenommen. Die Ergebnisse in Wacker W3A Färbung möchte ich im Anschluss hier zeigen.

Zunächst aber ein kleiner Ausflug in die Pflanzenanatomie. Dass die Schirmtanne (Sciadopitys verticillata) zwar zu den Gymnospermen gehört, aber kein Nadelbaum ist, ist sicherlich bekannt.
Wie sieht es aber mit den seltsam zweigeteilten "Nadeln" aus? Handelt es sich dabei um Nadeln im klassischen Sinne, sind es umgeformte Blätter oder etwa Scheinblätter?
Im Strasburger (36. Auflage,2008, S. 840) bin ich über den folgenden Satz gestolpert:
ZitatDie Sciadopityaceae (1 Gattung/1 Art, Japan) mit nur einer Art (Sciadopitys verticillata) zeichnen sich durch den Besitz wirtelig angeordneter nadelförmiger Phyllokladien aus.
Phyllokladien sind Flachsprosse (Scheinblätter), die statt der eigentlichen Blätter zu Assimilationsorganen umgebaut worden sind. Sie entspringen in der Regel in den Blattachseln der noch rudimentär vorhandenen Blätter einer Pflanze.
Bei der Schirmtanne scheinen die Phyllokladien wegen der zwei Leitbündel und ihrer gekerbten Form aus zwei Sprossen verwachsen zu sein.

Bild 1: Phyllokladien und Blätter der Schirmtanne (Makro mit Canon PS S3IS)

Die kleinen, braunen, dreieckigen Blätter finden sich am Ansatzpunkt der wirtelförmig stehenden Phyllokladien.

Nun zu den Querschnitten der Phyllokladien. Die Schnittdicke beträgt 130 µm, geschnitten wurde auf dem Zylindermikrotom eingeschlossen in Holundermark.
Bei den dünneren Schnitten war das sehr 'fluffige' Mesophyll nicht ansatzweise zusammenhängend darzustellen. Die Schnitte zerfielen in einen Ring aus Epidermis und Palisadenparenchym (bzw. auf der Unterseite Schwammparenchym), zwei Leitbündelscheiden und etwas Mus und ein paar Astrosklereiden aus dem Mesophyll.
Leider zeigen die Bilder auch die Nachteile solch dicker Präparate, aber dünnere zusammenhängende Schnitte habe zumindest ich auf dem Zylindermikrotom nicht hinbekommen.  

Die Schnitte wurden für ca. 2 Stunden in AFE fixiert, gespült und anschließend Wacker W3A gefärbt. Eingedeckt wurde über Isopropanol in Euparal.

Die Technik: Leica DME, C-Plan bzw. 5x N-Plan Objektive, Hermannscher Kameraadapter und Canon Powershot A520.

Bild 2a/b: Phyllokladium im Überblick, Vergrößerung 50x, Bild 2b mit Beschriftung; Stapel aus 22 Bildern.



Bild 3: Eines der beiden Leitbündel, Vergrößerung 200x, Stapel aus 10 Bildern.


Bild 4: Harzkanal und zweischichtige Epidermis mit Cuticula, Vergrößerung 200x, Stapel aus 18 Bildern.


Bild 5: Astrosklereiden, Tiefe des Bildes in z-Richtung ca. 90 µm, Vergrößerung 200x, Stapel aus 70 Bildern.


Ich hoffe, der erneute Besuch bei einer alten Bekannten hat gefallen.

Herzliche Grüße
Jörg

Edit 18.01.2014: verschwundene Bilder wieder hoch geladen und Bild 2b mit Beschriftung ergänzt.
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Bernhard Lebeda

Hallo Jörg

tolle Doku!!

Witzigerweise habe ich gerade gestern den Bericht über die Schirmtanne von Klaus und Detlef im MK gelesen. Daher überlasse ich weitere Kommentare den beiden  ;)


Die anderen mal weghören:

Deine Etzold Variante Tannin-Weinsäure ist bei mir eingetroffen. Ich freu mich schon auf die interne Vitalfärbung  ;D ;D

Nochmals heißen Dank!!


Viele Grüsse

Bernhard
Ich bevorzuge das "DU"

Vorstellung

rekuwi

Lieber Jörg,

vielen Dank für Deine Schirmtannenbilder. Und die weiteren Erklärungen. Es freut mich daß auch Du Dich mit der Schnitten herumplagen mußtest. Ich habe diese Erfahrung ja auch gemacht, das Innere ist kaum zusammenhängend in einem dünnen Schnitt darzustellen.
Aber auch die "dicken" Schnitte sind prima geworden, herzlichen Glückwunsch, die Färbung ist super.

Liebe Grüße
Regi

Segu

Hallo Bernhard

Zitat
Die anderen mal weghören:

Deine Etzold Variante Tannin-Weinsäure ist bei mir eingetroffen. Ich freu mich schon auf die interne Vitalfärbung  Grinsend Grinsend

Nochmals heißen Dank!!

Da ich nichts von weg schauen oder nicht lesen gesehen habe ;)

Das Rezept würde mich sehr interessieren, zumal Tannin  und Weinsäure in Schrank stehen.

mit freundlichen Grüssen

Michel Siegrist

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desto mehr Meinungen wirst du hören.

Druse

Zitat von: Segu in Dezember 30, 2009, 01:17:23 VORMITTAG
Das Rezept würde mich sehr interessieren, zumal Tannin  und Weinsäure in Schrank stehen.

Freiwillige Probanden vor ;)

Lieber Jörg,

vielen Dank für diese wieder sehr gelungene Doku und die schönen Fotos. Färbung und Schnitte gefallen mir sehr gut.

Herzliche Grüße
Mila

Nutzer nicht mehr aktiv

Hallo Jörg

Wie ich sehe, konntest du deine Technik wesentlich verbessern.
Schön zu sehen, was du im laufe der Zeit so geschafft hast.

Ich hoffe wir sehen uns wieder bei Kornrade 2010

Fahrenheit

Liebe Freunde der Schirmtanne,

vielen Dank für Eure lobenden Worte, es freut mich, dass Euch die Bilder gefallen.

Den Mikrokosmosartikel von Klaus und Detlef habe ich vorliegen. Über die in der Einleitung kurz als Cladoden beschriebenen Nadeln habe ich seinerzeit wohl glatt hinweggesehen.  :-[
Ich habe mich nun ein wenig Schlau gelesen: Cladoden und Phyllokladien können synonym verwendet werden und bezeichnen einen umgebildeten Kurzspross, der die Funktion von Laubblättern übernimmt. Kládos, gr. der Zweig, steckt in beiden Begriffen. :)

Spannend finde ich, dass hier zwei Kurzsprosse zu einem Phyllokladium verwachsen sind, die aber aus der gleichen Blattachsel zu entspringen scheinen: wie man im Bild 1 sieht, steht am Fuße jedes Phyllokladiums nur ein einzelnes echtes Blatt.
Ob die Verwachsung wohl der Anpassung an trockene Umgebungsbedingungen geschuldet ist? Die Blattspalte liegen ja alle zwischen den Papillen in der gelblichen Furche an der Unterseite (Bild 5 am linken Rand und Bild 6 unten).

Bild 6: Blattspalte im Papillendschungel, Vergrößerung 400x, Stapel aus 8 Bildern


Ein wenig OT  ;)
Die Tannin-Weinsäure Vitalfärbung sollte übrigens ausschließlich bei unfixiertem Frischmaterial angewendet werden. Sie ist im Gegensatz zu vielen anderen Chemikalien, die der Mikroskopiker so braucht, einfach erhältlich, auch wenn die Abgabe an Personen unter 18 Jahren in Deutschland verboten ist.
Qualitativ hochwertige Wahre erhält man in aller Regel in 0,75 Liter Flaschen in Gebinden zu 6 oder 12 Stück. Hier empfehle ich ausnahmsweise nicht den Apotheker des Vertrauens, sondern den Winzer des Vertrauens.
;D ;D ;D

Die Kornrade 2010 ist in meinem Kalender ein fester Termin.  :)

Herzliche Grüße
Jörg
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Eckhard

Lieber Jörg,

tolle Bilder die Du gemacht hast. Die Färbung ist auch gut gelungen. Nadeln, ob echte oder nicht, sind mir mit Frischmaterial noch nicht geglückt!

Jetzt frage ich mich wo die nächste Schirmtanne steht. Heute muss wohl erstmal eine andere Tanne, derzeit noch kugelgeschmückt, ein Zweiglein opfern.

ZitatDie Tannin-Weinsäure Vitalfärbung sollte übrigens ausschließlich bei unfixiertem Frischmaterial angewendet werden.

Alles andere wäre natürlich Verschwendung. Übrigens, eine schnelle Verfärbung der Frischmaterials weisst auf unsachgemässe Anwendung hin ;D Man muss richtigerweise in Intervallen färben und das am besten über Jahre.

Herzliche Grüsse
Eckhard
Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
Nikon SE2000U (HF, DIK, Ph)
Olympus SZX 12 (HF, DF, Pol)
Zeiss Sigma (ETSE, InLens SE)

www.wunderkanone.de
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Fahrenheit

Lieber Eckhard,

auch Dir vielen Dank für Dein Lob!

Und noch einmal OT zur Weinsäure-Tannin-Färbung:
Da es die oben angesprochene Vitalfärbung in vielen verschiedenen Farbnuancen gibt, kann auch zu vorsichtigen Kombinationsfärbungen geraten werden.
Diese werden von den Herstellern besonders im Herbst häufig angeboten und auch von vielen Nichtmikroskopikern gerne angenommen. Teilweise werden sogar Sonderzüge eingesetzt, um die Interessenten bei der Anreise zu unterstützen. Die Nutzung dieser Angebote ist jedoch nicht zu empfehlen, es sei denn, man möchte bei der Abreise Reihenuntersuchungen zu den Auswirkungen gewisser Überfärbungen machen.
Eine Differenzierung mit Ethanol zwischen 4,25 und 45% wird in diesen Fällen oft vorgenommen, ist aber nicht zu empfehlen.  
Der Genießer gönnt sich die Kombinationsfärbung im privaten Rahmen aus dem eigenen Lager und im stilvolleren Ambiente.
Es sind sogar Varianten dieser Vitalfärbung im Handeln, die das hier empfohlene CO2 zur vorübergehenden Betäubung von Kleinlebewesen bereits enthalten. Bei größeren Lebewesen erhöht der CO2-Zusatz allerdings die Gefahr der Überfärbung, manchmal ebenfalls mit betäubender Wirkung.
;D ;D ;D

Herzliche Grüße
Jörg
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