Einmal quer durch den Tümpel

Begonnen von Martin Kreutz, März 02, 2022, 21:08:59 NACHMITTAGS

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Martin Kreutz

#15
Liebes Forum,

ich möchte diesen thread noch ergänzen, weil Ole den Aufbau der Schleimhülle des Rädertieres Notommata copeus angesprochen hat. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich leider keine Detailaufnahmen der Schleimhülle. Diese habe ich nun gestern nachgeholt, mit interessanten Ergebnissen.

Auf folgender Aufnahme erkennt man den radären Aufbau der Schleimhülle, in dem Bakterien eingelagert sind:



Man erkennt zudem, dass es zwei Arten von Bakterien sind, welche sich in der Schleimhülle befinden. Die erste Art (Bak 1) befindet sich praktisch ausschließlich auf der Außenseite der Schleimhülle, während eine zweite Art (Bak 2) offensicht im Inneren der Schleimhülle angesiedelt ist:



Die radiär aufgebaute Schleimhülle wird mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Kutikula von Notommata copeus ausgeschieden. Die Bakterien sehe ich als Nutznießer dieser Nahrungsquelle. Sie haben offensichtlich keine symbiotische oder andere Bezeihung zu Notommata. Dies schließe ich aus dem Aufbau der Schleimhülle eines zweiten Exemplares von Notommata copeus. Hier fehlten die dünnen Bakterien (Bak 2) im Inneren der Schleimhülle:



Wenn diese Bakterien essentiell für Notommata wären, würde die zweite Art bestimmt nicht fehlen. Ich gehe daher davon aus, dass die Schleimhüllen von Notommata unterschiedlich "befallen" sein können.

Die außen aufsitzenden Bakterien (Bak 1) sind ca. 3-4 µm lang und besitzen deutliche, granuläre Einlagerungen. Für Schwefel sind sie nicht hochbrechend genug. Daher vermute ich, dass es es sich um Polyhydroxybuttersäure (PHB) handelt, ein häufiger Vorratsstoff in Bakterien:



Diese Bakterien (Bak 1) sind zudem beweglich. Ich konnte mehrere Exemplare beobachten, die offensichtlich eine Geißel ausgebildet hatten und sich von der Schleimhülle entfernten und wieder andockten. Die Schleimhülle von Notommata copeus scheint also ein recht dynamisches Gebilde zu sein.

Martin




Michael Plewka

Hallo zusammen, @ Martin:
Deine (zuerst gezeigten) Beobachtungen zu N. copeus  sind für mich als Rädertier-Fan besonders  interessant.  Zwar sind die Aufnahmen in deinem letzten Beitrag hier nicht sichtbar,  aber  vielleicht sprechen die folgenden Überlegungen   auch  und vor allem diejenigen Tümpelnden an, die sich nicht nur für "schöne Bilder", sondern schwerpunktmäßig auch für die Biologie der Organismen interessieren.

Zum einen ist diese  Massenentwicklung bei einem Rädertier, das -im Gegensatz zu einigen Plankton-Rädertieren (wie z.B. Brachionus)- im benthischen Bereich vorkommt, ziemlich ungewöhnlich.   Ebenfalls ungewöhnlich ist eine solch auffällige Hülle (Glycocalyx), die   nur bei wenigen Rädertieren zu beobachten ist. Vermutlich handelt es sich aber dabei  nicht um eine Schleimschicht, sondern um eine Gallerte, die (im Gegensatz zum Schleim, der weitgehend strukturlos, deshalb fließfähig ist und somit nicht an einem Organismus/  am Ort der Produktion verbleibt) ein Gerüstmaterial enthält und deshalb permanent das Rädertier mit einer gewissen Struktur (welche die Orientierung der Bakterien erklären würde) umgibt  (müsste überprüft werden).  Diese unterschiedlichen Eigenschaften der Gallerte sind möglicherweise der Grund dafür, dass diese Schicht überhaupt sichtbar/ wahrnehmbar  ist.

Bei den monogononten Rädertieren konnte ich das bisher (neben N. copeus) nur noch  bei Proalinopsis caudatus
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Proalinopsis%20caudatus.html

beobachten. D.h. also, dass dieses Phänomen somit nicht als ein typisches Merkmal einer ganzen Rädertierfamilie gelten kann. Zwar ist der prinzipielle Aufbau des syncytialen Integuments bei allen Rädertieren gleich; siehe hier:
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/E-TL/ID_Bdelloid/morphology/src%20/M_04_Integument.html
d.h. die Glycocalyx ist kein Produkt einer  Kutikula (welche etwas ziemlich anderes ist) , aber dennoch gibt  es deutliche Unterschiede in der Ausprägung des Integuments innerhalb verschiedener verwandschaftlicher Gruppen; so z.B. die Ausbildung von   Formen  mit starrem Panzer (Keratella) oder  flexible Formen (Encentrum oder Bdelloidea).

Wie Ole es schon angedeutet hat: es wäre sicherlich sinnvoll, einmal die Mikro-Organismen zusammenzutragen, bei denen eine solche Gallert- bzw. Schleimhülle vorhanden ist. Da gibt es sicher eine Menge (Plankton-)Arten, bei welchen die Einzelzellen durch eine Gallerte (mechanisch) zusammengehalten werden (u.a. Algen, Flagellaten), aber auch benthische Arten, z.B. bei den Zygnematales: 
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/Kennkarten%20Algen/01_e-algae/Conjugaphycea/e-source/Hyalotheca%20mucosa.html

  bei denen eine  Gallerthülle als Schutz bei Austrocknung interpretiert werden kann.  All das trifft auf N. copeus sicher nicht zu.

Möglicherweise handelt es sich aber dennoch um eine ökologische Funktion, wobei  dieses experimentell wohl nur schwer überprüfbar ist. Dabei gibt es 3 Bereiche:

1. abiotisch: ich habe N. copeus bisher lediglich 2x gefunden, und zwar in Simmelried-Proben. Der pH-Wert ist sowohl für N. copeus als auch für P. caudatus im schwach sauren Bereich angegeben. Ist die Schleimhülle eine Anpassung an den pH-Wert?


2.biotisch:
2.1.interspezifisch:  Vermeidung von  Fressfeinden (z.B. Ciliaten) , z.B. hier:
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenProtista/01e-protista/e-Ciliata/e-source/Holophrya%20teres-Euchlanis.html

oder auch Parasiten, die das Integument angreifen bzw. besetzen könnten, so. z.B. hier
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/E-TL/e-Ecology/src%20_ecology/E_02_Rotifers_and_Parasites_01.html
Dabei ist der Gegensatz zu beispielsweise Wasserflöhen anzumerken: diese besitzen eine Kutikula, die aber durch Häutung von Zeit zu Zeit abgestreift werden kann, so dass sich die Organismen durch Häutung von Epiparasiten befreien können. Diese Möglichkeit besteht  bei  Rädertieren grundsätzlich nicht,  also sind nur  andere Strategien erfolgreich:

Naheligend ist immer, den mechanischen Aspekt  als Funktion anzuführen:  dabei stellt diese Gallertschicht eine mechanische Barriere dar.
Weniger "sichtbar", dafür aber umso wahrscheinlicher ist die Möglichkeit einer chemischen Barriere.    Dabei soll an dieser Stelle noch mal darauf hingewiesen werden, dass viele Wechselwirkungen / Kommunikationen zwischen Mikroorganismen ausschließlich durch chemische Signale stattfinden können.

2.1.1.Zum einen bietet eine  Gallerthülle die Möglichkeit, solche Stoffe effektiver permanent zu speichern, die potentiellen Fressfeinden nicht "schmecken"
2.1.2.Zum anderen besteht die Möglichkeit einer chemischen "Tarnung", auch im Zusammenhang mit den Bakterien, welche die Hülle besiedeln.

Möglicherweise spielen die Bakterien auch bei einem anderen der o.a. Aspekte  eine Rolle, das wird aber schwer zu überprüfen sein.

2.2. intraspezifisch:
grundsätzlich können Männchen und Weibchen bei Mikroinvertebraten praktisch ausschließlich aufgrund chemischer Signale zueinanderfinden. Ein Weibchen, welches beim Kriechen (so  wie es N. copeus und P. caudatus machen) einen Lockstoff hinterlässt, hat einen größeren Fortpflanzungserfolg als ein Weibchen unter gleichen Bedingungen ohne dieses Pheromon.

Beste Grüße
Michael Plewka

Martin Kreutz

Hallo Michael,

die Bilder zu meinem Nachtrag bzgl. der Gallerthülle von Notommata copeus sollten jetzt wieder sichtbar sein. Ich habe bemerkt, dass die links zu den Bildern auf Postimage überschrieben wurden mit funktionslosen links. Ob dies an der Forums Software liegt, kann ich nicht sagen. Seltsam ist auch, das der korrekte link "stabil" bleibt, wenn man den funktionslosen link 2-3 Mal durch den korrekten link ersetzt hat.

Danke für Deine Diskussion der möglichen Funktionen der Gallerthülle. Tatsächlich wird es wahrscheinlich schwierig sein, die wahre Funktion der Gallerthülle in Erfahrung zu bringen. Aber es gibt vielleicht Indizien. So finde ich Notommata copeus praktisch ausschließlich im aufschwimmenden Kraut oder an der Wasseroberfläche, wie im Fall der Massenentwicklung. Notommata copeus ist ein schlechter und langsamer Schwimmer. Es wäre also möglich, dass die Gallerthülle den Auftrieb verbessert und den Körper in der Schwebe oder an der Oberfläche hält.

Martin