Heiztisch und Heiztischmikroskop

Begonnen von MiR, März 06, 2022, 22:54:51 NACHMITTAGS

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MiR

Hallo Forumsnutzer,

Aufgrund der Diskussion im Beitrag https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=43232.45 möchte ich ein wenig zum Thema Heiztisch beitragen bzw. hoffe selber auf Hilfe...

Mikro-Heiztisch BOETIUS PHMK 05

Den Hinweis auf den Zentralen Artikelkatalog (mit Funktions- und Lieferbeschreibung) gibt es ja schon, ich möchte deshalb gleich mit dem Gerät beginnen.
Leider kann ich nicht alle Elemente vorstellen, da nicht mehr alle Teile des Gerätes vorhanden sind, aber zumindest die Hauptkomponenten.

Bild 1
Noch im schönen Holzkasten..., vorne: Anschluß Photoapparat, Beobachtungsschirm, Okular ROW-Ortho-Okular 16x mit Polarisator (in der Okularhülse)

Bild 2a
Das Thermometer und die Optik zum Einspiegeln des Thermometers in das Objektbild, das Rohr (siehe auch Bild 1) enthält eine verschiebbare Optik um dem Quecksilberfaden des Thermometers folgen zu können. Unten: die Bank mit den Testsubstanzen (ohne Berücksichtigung der gültigen Nomenklatur für die Bezeichnung von Substanzen): Benzanilid, Phenacetin, Acetanilid, Benzil, Azobenzol, Dicyandiamid
Bild 2b
Das Zentralorgan – Heiztisch mit Abdeckung und (verdeckt) Thermometer im Schutzrohr sowie Objektiv (ROW Rathenow 6,3/0,15 V  170/0,17) Das rote V ist kein Schreibfehler, sondern so auf dem Objektiv vorzufinden.

Bild 3a und 3b   
Okularbild mit Okular, durch Okular: aufgeteilt in Probenbereich und eingespiegelter Thermometerskala

Bild 4
Der Kühler (mit Anschlüssen für H2O-Schlauch), der blaue (,,Zusatz"-) Kühler wurde über Amazon geordert

Bild 5a, 5b    das Innenleben des Mikroskopes
,,Smartphone-Selfie" durch ,,Bildschirm"-Spiegel, 
Hauptbild, von links nach rechts: ,,Phototubus", Spiegel zum Umschalten zwischen F-Tubus und Bildschirm, Abbildungsoptik (Hülse), Spiegel zum Schirm (senkrecht), Umlenkprisma, Tischhalterung mit Z-Trieb, Linsensystem mit Lichtwurflampe (unter dem Tisch)
Chassis (ohne Abbildung): einschwenkbarer Lichtschutzfilter und Polarisator

Der Regelwiderstand ist schon lange ausgesondert worden, da er nicht mehr zuverlässig funktionierte. Als Ersatz diente ein PID-Regler mit Selbstoptimierungsfunktion.

Für eine geschlossenere Arbeitsweise haben es mir die Heiztische vom Mettler Toledo angetan, welche ich beruflich nutze. Für private Zwecke gelang es mir einen

Mettler-Toledo FP82HT Heiztisch

zu ergattern, welcher auch mit dem ,,Dienst"-Kontroller einwandfrei funktioniert. Wie ich bemerken musste, ist der Betrieb dieser in Reihe geschalteten Heizplatten nicht mit Gleichstrom zu bewerkstelligen.  Hat jemand Kenntnisse zu diesem Gerät? Oder vielleicht sogar ein Steuergerät?

Kabel-Belegung (ohne Abbildung):
2 dickere Kabel für die Heizung
2 Kabel für den Lüfter (Motor befindet sich unter der braunen Haube)
4 Kabel für die 2 Stück Pt100-Fühler (obwohl es 4 Kabel gibt sind die Pt-Elemente miteinander verbunden)

Interessanterweise wurden die Heiztische von Firmen hergestellt, welche eher als Waagen¬bauer bekannt sind (bzw. waren) die – Mettler Toledo GmbH – bzw. der VEB Wägetechnik RAPIDO (Betrieb des VEB Kombinat NAGEMA). Hmm, wahrscheinlich purer Zufall, aber trotzdem interessant ...

Viele Grüße aus Berlin
Michael (MiR)

spectator

Hallo,

einige Infos zu dem NAGEMA- Heiztischmikroskop:
Der ursprüngliche Hersteller der Heiztische war die private Firma Küstner KG, daher auch die noch immer gebräuchliche Bezeichnung "Heiztisch nach Küstner". Die erste Generation der Mikroskope dazu wurden gefertigt von der privaten Firma ALDO (Altmann und Dosky) in Dresden. Als Herr Altmann sich nach der BRD absetzte, wurde sein Betrieb zwangsverstaatlicht und an die Rathenower Optischen Werke ROW angegliedert (die damals noch nicht zum Kombinat Carl Zeiss Jena gehörten), die Mikroskope wurden fortan auch mit "Küstner KG" gelabelt.
1970 kam in der DDR die große Verstaatlichungs-Welle für private Kleinbetriebe wie auch Küstner , und diese wurden "irgendwelchen" Volkseigenen Betrieben VEB zugeschlagen. Daß dies ein Waagenhersteller war, ist wohl eher ein Zufall - es hätte genauso gut ein Dresdener Meßgerätehersteller oder das Kombinat Pentacon als Kamerahersteller sein können. Daß die Herstellung dieses "Nischenproduktes" nicht ganz eingestellt wurde, war wohl dem Umstand zu verdanken, daß jede DDR-Apotheke ein solches Gerät per Gesetz vorhalten mußte für die Reinheitsprüfung der Arzneistoffe.(Daher sind diese Mikroskope eigentlich recht verbreitet, tauchen aber nur noch selten bei ebay auf)
Etwa zu dieser Zeit wurde das bisherige Heiztischmikroskop (mit nur 1 Okularstutzen und der Thermometerablesung durchs Okular) abgelöst durch das Mikroskop, wie Du es vorstellst - mit zusätzlichem Fotoausgang, mit Beobachtungsmattscheibe und Halogenlampe.
Der eigentliche Heiztisch dagegen blieb praktisch unverändert.
Das von ROW geleferte Mikroskopobjektiv mit dem roten V war ein Spezialobjektiv, das V bedeutete hier nicht "vergütet", sondern war die Kennzeichnung  für ein wärmefestes Objektiv.
Übrigens hat Leitz (in den 60ern ?) ein Heiztischmikroskop gebaut, welches dem 1. Modell von Küstner sehr ähnlich war, auch mit der Thermometerablesung durchs Okular.
Zu dem Küstner- und auch zu dem NAGEMA-Heiztisch-Mikroskop gab es noch einen hölzernen Zubehörkoffer. In diesem war der Vorwiderstand für den Heiztisch untergebracht. Im neuen Zustand ließ sich damit die Temperatur recht genau regeln, er hatte 2 Temperaturskalen für Gleichgewichtstemperatur sowie für Temperatur mit einer konstanten Heizrate von 4°/min. Außerdem waren in diesem Koffer die Thermometer (geeicht zum Gebrauch mit dem Mikroheiztisch), die bereits aufgeführten Testsubstanzen sowie ein Holzblock mit kleinen Glasröhrchen untergebracht. Diese enthielten  jeweils kleine Glassplitter aus verschiedenen Glassorten mit unterschiedlichem Brechungsindex. Mittels dieser "Glaspulverskala" konnte der Brechungsindex einer geschmolzenen Probesubstanz einfach, aber doch recht genau bestimmt werden: verschwand der eingebrachte Glaskrümel optisch in der Schmelze, so waren die Brechungsindices gleich.
Außerdem waren noch eine Anzahl Glas- u.a. Geräte in diesem Koffer: die Abdeckscheibe und der Objektführer, der Kühlblock, Mikrosublimations-Zubehör, Vakuum- bzw.Schutzglasglocke und Mikroschmelzpunktröhrchen zum Einschmelzen der Proben. Alles in allen also ein sehr durchdachter und brauchbares System, mit dem ich seinerzeit durchaus gern, wenn auch nur gelegentlich gearbeitet habe. Soweit die Erinnerungen an dieses Gerät, meine Anleitung mit genaueren Angaben dazu befindet sich bei Peter Voigt, der sie mir zur Kornrade wieder mitbringen wollte (die ja leider ausgefallen ist).

Viele Grüße

Helmut
Trinkt, o Augen, was die Wimper hält, von dem goldnen Überfluß der Welt!

MiR

Hallo Helmut,

ersteinmal vielen Dank für den, mir bisher unbekannten, geschichtlichen Überblick! So etwas finde ich immer interessant und macht die Sache lebendiger.  Bei der Erwähnung der Firma Küstner KG klingelt bei mir auch was, kann mich aber lediglich ganz allgemein an Laborgeräte erinnern (vielleicht war es auch "nur" ein älterer Boetius ). Danke auch für die Lüftung des Geheimnisses um das rote "V".
Wir haben gelegentlich während des Studiums mal an einem Boetius den Schmelzpunkt bestimmt. Später, in der Arbeitsgruppe an der Uni, hatten wir mehrere dieser Geräte, da diese in den 90'igern an der HU (Chemie) offiziell großflächig ausgesondert wurden. Für uns war aber nur die Heizplatte interessant, so daß, bis auf ein Exemplar, nur die Platten übrig sind. Auch das von mir gehütete Exemplar mußte einige Federn lassen, so sind z.B. die Glaspulverproben sämtlich abhanden gekommen, allerdings hat das Handbuch überlebt.

Viele Grüße aus Berlin
Michael

MiR

#3
Hallo,

um das Thema ein wenig zu bündeln und auch Helmuts Leitz-Hinweis zu folgen, habe ich nochmal ein wenig recherchiert. Im Forum gibt hier -> https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34974.0 einen längeren Beitrag zum Thema. Und hier -> https://www.ricardo.ch/de/a/mikroskop-1105974620/ könnte jenes Mikroskop dargestellt sein welches Helmut erwähnte.
Es geht aber auch modern und etwas teurer, wie man sich leicht bei Amazon überzeugen kann. Der Titel lautet : "Huanyu X-4 Digitalanzeige Schmelzpunkt Gerät Instrument mit Mikroskop Professionelle für lab & med (110 V)"

Grüße aus Berlin
Michael

PS (14.Juli 23): In diesem Beitrag ist die (fast?) komplette Ausrüstung des vorgestellten Gerätes zu sehen: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=30851.msg229210#msg229210