Reisemikroskop von Maurice Stiassnie, Paris

Begonnen von Hugo Halfmann, Mai 04, 2021, 21:56:49 NACHMITTAGS

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Hugo Halfmann

Hallo zusammen,

heute möchte ich hier ein Reisemikroskop von Maurice Stiassnie, Boulevard Raspail 4, Paris vorstellen.
Es müsste aus der Zeit zwischen 1905 und 1922 stammen, denn im Katalog von 1905 findet sich noch das ,,Microscope de voyage" nach Dr. Malassez, wie es schon von Stiassnies Vorgänger Verick gebaut wurde und 1922 wurde die Firma in Frères Stiassnie umbenannt.
Für Hinweise auf den Katalog, in dem das Reisemikroskop abgebildet ist, bin ich dankbar!
Der Stativhals mit Grob- und Feintrieb sieht dem Modell Nr. XI aus dem Katalog von 1905 sehr ähnlich aber Fuß, Tisch und Kondensor sind anders konstruiert:
Der Hufeisenfuß lässt sich nicht nur platzsparend zusammenklappen, auch die zusätzliche hintere Stütze kann nach vorn geschwenkt werden.
Der Tisch kann ,,die Ohren anlegen", die Seiten lassen sich herunterklappen, so daß der Tisch nicht so breit ist. Den bei anderen Herstellern üblichen Schwenkmechanismus hat man hier elegant umgangen.
Der Kondensor mit Irisblende lässt sich über einen Hebel absenken und in unterster Stellung ausschwenken. Befindet sich der Kondensor in unterster Stellung, kann man das eingeschwenkte Objektiv in den Tisch hineinfahren ohne daß die Linsen aufeinander stoßen.
In den hochglanzvernickelten Objektivrevolver sind die mit ,,M. Stiassnie Paris" gekennzeichneten, teilvernickelten Objektive Nr. 2, Nr. 4 und Nr. 8 eingeschraubt.
Das Okular hat den ungewöhnlichen Durchmesser von 24,3 mm

Das Instrument stand lange Zeit bei mir in der Ecke und verstaubte langsam, denn im Laufe der Zeit war der Okulartubus verlorengegangen und der Vorbesitzer hatte das Okular mit einem Stück Fahrradschlauch ,,passend gemacht".
Mit großem Glück fand ich viel später einen Stiassnie Okulartubus, der jedoch nicht auf den restlichen Tubus meines Mikroskops passte.
Dank Olafs Hilfe passt jetzt beides perfekt zusammen, er hat in den zugekauften Tubus mit der Drehbank das passende Gewinde geschnitten.
Hierfür herzlichen Dank, lieber Olaf !

Angesichts des hervorragenden, interessanten Artikels von Brian Stevenson spare ich mir an dieser Stelle eigene Ausführungen zu Stiassnie und dessen Verhältnis zu Verick sowie Hartnack und Oberhäuser und füge den kopierten und mittels DeepL übersetzen Text hier an:

Zitat aus: Brian Stevenson, http://microscopist.net/Verick.html:
Constant Verick bezeichnete sich selbst als "élève spécial" ("besonderer Schüler") des Pariser Mikroskopherstellers Edmund Hartnack (1826-1891). Da Hartnack nur 3 Jahre älter war als Verick, ist es sehr unwahrscheinlich, dass Verick Hartnacks Lehrling gewesen sein könnte (obwohl er möglicherweise bei Hartnacks Geschäftsvorgänger Georg Oberhauser (1798-1868) in die Lehre ging).
Dennoch arbeitete Verick offensichtlich für Hartnack, bevor er 1866 sein eigenes Geschäft eröffnete. Dieser Schritt legt nahe, dass Verick ein leitender Angestellter von Hartnack war, der mit der Herstellung von Mikroskopen und dem Handel vertraut war.
Einige moderne Publikationen haben fälschlicherweise behauptet, dass Verick Hartnacks optisches Geschäft in Paris übernommen hat, nachdem Hartnack zu Beginn des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 gegangen war. Tatsächlich hatte Hartnack eine Partnerschaft mit Adam Prażmowski (1821-1885), der das Pariser Geschäft von 1870 bis 1873 als "Hartnack et Cie.", dann bis 1878 als "Hartnack und Prażmowski" führte. Prażmowski erwarb 1878 das alleinige Eigentum und gab es dann um 1883 an Bézu und Hausser weiter. Verick war an keinem dieser Unternehmen beteiligt.

Verick und Hartnack hatten eine andere, ziemlich komplexe Beziehung. Hartnack heiratete Johanna Maria Louise Kleinod am 24. April 1855 in Anspach, Bayern (Deutschland). Johanna's Mutter war die Schwester von Georg Oberhäuser, so dass Hartnack der Schwiegerneffe von Oberhäuser wurde. Johanna hatte einen jüngeren Bruder, Jean-Christophe Kleinod (ursprünglich war sein Name wahrscheinlich Johann Kristof). Kleinod scheint eine Zeit lang für seinen Schwager Hartnack gearbeitet zu haben. Oberhäuser zog sich 1854 zurück, behielt aber einen Teil des Besitzes, bis Hartnack 1859 Alleininhaber wurde.
1863-64 verließ Kleinod Hartnack, um das Geschäft für optische und mathematische Instrumente von R. Daeppen in der Rue Parcheminerie 2 zu übernehmen. Kleinrod starb bald darauf, im Jahr 1866. Verick verließ daraufhin Hartnack, um Kleinods Geschäft zu übernehmen (Aufzeichnungen zeigen, dass er 1867 Eigentümer der 2 Rue Parcheminerie war). Am 24. Juni 1869 heiratete Verick die Witwe Kleinods, Anne-Marie Moser. Somit war Verick der zweite Ehemann der Witwe des Bruders der Frau von Edmund Hartnack.
Vericks früheste Produkte tragen Beschreibungen von ihm als Nachfolger von Kleinod. Diese datieren zwischen 1866 und, wahrscheinlich, Hartnacks Abreise aus Paris 1870. Es scheint unwahrscheinlich, dass Verick mit Hartnack konkurriert hätte, während er gleichzeitig dessen Namen - als "élève spécial d' E. Hartnack" - während Hartnack noch in Paris war. Da Hartnack nach seinem Weggang mit Prażmowski ein aktives Geschäft in Paris behielt, ist es möglich, dass Verick versuchte, sich in den Köpfen der Kunden mit dem alten und angesehenen Optikhersteller zu verbinden.
In Henri van Heurcks Ausgabe von Le Microscope aus dem Jahr 1869 heißt es: "M. Verick construit six espèces de microscopes composés" (Herr Verick stellt sechs Modelle von zusammengesetzten Mikroskopen her). Er schrieb auch "Les instruments de ce constructeur, qui est un élève et un ami intime de M. Hartnack, méritant les plus grands éloges" (Die Instrumente dieses Konstrukteurs, der ein Schüler und enger Freund von Herrn Hartnack ist, verdienen hohes Lob).
Ein Artikel von Ray Lankester aus dem Jahr 1870 in Nature über die Auswahl eines Mikroskops betrachtete die Instrumente von Verick und Hartnack als gleichwertig und lobte die Optiken beider Firmen.
In den 1880er Jahren bildete Verick eine enge Geschäftsbeziehung zu Maurice Stiassnie (1851-1930), einem Mitarbeiter, der später die Firma Verick übernehmen sollte. Es gab auch eine familiäre Beziehung zwischen Verick und Stiassnie: Vericks Frau, Anne-Marie Moser Kleinod Verick, hatte eine Nichte namens Rosine Jungreitmayer, die bei den Vericks lebte und 1886 Maurice Stiassnie heiratete. Damit wurde Stiassnie Vericks Schwiegerneffe (nicht Schwiegersohn, wie oft geschrieben wird). Im Jahr 1882 betrieb Stiassnie sein eigenes optisches Geschäft in der Rue des Écoles 43.
Verick übergab sein Geschäft in der Rue Parcheminerie in den frühen 1880er Jahren an Stiassnie. Ein Artikel in den Archives de Physiologie Normale et Pathologique von 1884 verwies auf "Stiassnie, successeur de M. Vérick". Bizzozero und Firkets ,,Manuel de Microscopie Clinique von 1885 verwies ebenfalls auf "M. Stiassnie, qui a succédé à M. Verick". Der Katalog der Firma von 1885 nannte jedoch Verick als Inhaber und erwähnte Stiassnie nicht. Wahrscheinlich gab die Firma den Besitzer aufgrund seines langjährigen Rufs als Verick an, während Mikroskop-Experten wussten, dass der relativ unbekannte Stiassnie der eigentliche Besitzer war. Jules Pelletan gab an, dass Verick die Leitung des Geschäfts zunächst abgab, um dann 1889 in Partnerschaft mit Stiassnie die Autorität wieder zu übernehmen - seine Worte auf der Weltausstellung 1889 in Paris: "J'arrive à l'exposition de M. Vérick. Ce constructeur avait, comme on le sait sans doute, cédé, il y aquelques années, sa maison à un successeur, mais il l'a reprise récemment, - à mon avis, il a bien fait, - et s'est adjoint un associé. C'est donc sous la raison sociale C. Vérick et Stiassnié qu'il expose cette année." (Ich komme nun zu der Ausstellung von Herrn Vérick. Dieser Hersteller hatte, wie wir wissen, sein Geschäft wahrscheinlich vor einigen Jahren an einen Nachfolger abgetreten, aber er hat es vor kurzem wieder übernommen - meiner Meinung nach hat er es gut gemacht - und einen Partner hinzugefügt. Es ist also unter dem Namen C. Vérick und Stiassnié, dass er dieses Jahr ausstellt.), im Journal de Micrographie.
Das Geschäft Verick-Stiassnie betrieb sowohl das Geschäft von Verick in der Rue Parcheminerie 2 als auch das von Stiassnie in der Rue des Ecoles 43. Die Pariser Wählerregistrierung von Constant Verick aus dem Jahr 1891 gab die Rue des Ecoles als seine Adresse an. Er starb dort im folgenden Jahr, am 30. Oktober.
Stiassnie produzierte bis zu seinem Tod Mikroskope und andere optische Instrumente, oft mit Erwähnung des Namens von Verick. Seine Söhne und andere führten den Stiassnie-Betrieb bis weit in das zwanzigste Jahrhundert hinein fort.


Viele Grüße aus dem Bergischen Land

Hugo Halfmann

Hugo Halfmann

#1
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Viele Grüße aus dem Bergischen Land

Hugo Halfmann

Michael L.

#2
Guten Tag Hugo,

danke für den sehr schönen Beitrag in dem wohl eine Menge Arbeit steckt. Der Klappmechanismus vom Fuß sieht ja elegant aus. Spannend wie die ganzen Zusammenhänge bei den damaligen Herstellern waren.

Viele Grüße,

Michael

Thomas Böder

Hauptmikroskope: Leitz Panphot, Ortholux, Technival 2
Kleinmikroskope: Leitz, Reichert, ROW, Lomo

olaf.med

Lieber Hugo,

Glückwunsch zu diesem sehr interessanten Mikroskop, das ich ja schon berühren durfte. Auch Deine historische Betrachtung hat mich begeistert.

Herzlichen Dank,

Olaf
Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34049.0

beamish

Lieber Hugo Halfmann,
vielen Dank für diesen schönen Beitrag!
Das motiviert mich, demnächst auch mal ein Stativ "mit einer Geschichte" vorzustellen, das ich vor einer Weile erworben habe. Ich muß nur noch ein paar halbwegs anständige Fotos davon machen. Die "Geschichte" hab ich schon beisammen.
Herzlich
Martin
Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D

Hugo Halfmann

Lieber Olaf,

freut mich, wenn´s dir gefällt!
Aber staple bitte nicht so tief, Du hast einen wesentlichen Anteil daran gehabt, das es wieder in alter Pracht da steht.

Lieber Martin,

wäre wirklich schön, wenn wieder etwas mehr über die alten Instrumente zu lesen ist. Hat das Mikroskop dann noch eine eigene Geschichte, wird´s richtig interessant.
Viele Grüße aus dem Bergischen Land

Hugo Halfmann