Carl Zeiss Jena: Großes Mikroskop Stativ CCE von 1924

Begonnen von Hugo Halfmann, Juli 06, 2023, 14:08:11 NACHMITTAGS

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Hugo Halfmann

Carl Zeiss Jena
Großes Mikroskop
Stativ CE
Nr. 103191
,,Mimicias"

Fast 100 Jahre alt wird das Stativ CE, welches mit dem Telegrammwort ,,Mimicias" in reichhaltiger Ausstattung bei Zeiss in Jena bestellt werden konnte.







Nicht nur aus aktuellem Anlass lohnt sich ein kurzer geschichtlicher Rückblick:
Den Ersten Weltkrieg hatte Deutschland 1918 verloren, der Kaiser hatte das Land verlassen und Phillip Scheidemann die ,,Weimarer Republik" ausgerufen.
Die Finanzierung des Krieges durch Schuldverschreibungen, die im Vertrag von Versailles festgelegten Reparationszahlungen und die wegen Nichterfüllung der Reparationszahlungen vorgenommene Besetzung des Ruhrgebietes durch französische und belgische Truppen mit dem nachfolgenden ,,Ruhrkampf" führten in den Jahren 1922-23 zu einer völligen Entwertung der ehemaligen Goldmark, bis am 15.11.1923 die Rentenmark mit dem Umrechnungskurs von 1 Rentenmark = 1 Billion (Papier-) Mark eingeführt wurde.
Aus genau dieser Zeit stammt das Stativ CCE, denn im Katalog aus dem Jahre 1924, welchen ich in der Universitätsbibliothek Düsseldorf ablichten konnte, ist als Preisangabe lediglich die Grundzahl 1014 zu finden.
Dies bedeutet, daß der Käufer den aktuellen Gegenwert von 1.014 Goldmark aus dem Jahre 1914 – vor Kriegsbeginn – für den Kauf des Mikroskopes aufwenden musste.
Auch unter Berücksichtigung verschiedener Umrechnungsverfahren war (und ist) das ein kleines Vermögen:

  - reiner Goldwert in Euro: 1014 / 20 Goldmark = 50,7 * 7,19g Feingewicht pro 20 Goldmark = 364,533g Feingold x 54,43 € Goldpreis pro Gramm = 19.830,59 €

  - Baupreisindex: 1.014.- x 1668,20 (Bpi) / 100= 16.915,54 €

  - Als zusätzlicher Vergleich die Beamtengehälter aus "Wirtschaft und Statistik", herausgegeben vom Statistischen Reichsamt, 4. Jahrgang, Nr. 13, vom             12.7.1924:
Ein Beamter der Besoldungsgruppe IV (z.B. Zugführer) hatte im Juni 1924 ein Durchschnittsgehalt von 188,50 RM; in der Besoldungsgruppe V (z.B. Lokomotivführer) gab es 212.- RM, so daß der Preis etwa ein halbes Jahresbruttogehalt betrug.



Angaben zu Arbeitergehältern finden sich dort, vermutlich wegen der inflationsbedingten Verwerfungen, nicht.


Das ,,Große Mikroskop mit weitem Tubus" mit Stativ C und der Bezeichnung CCE wurde mit großem Abbeschen Beleuchtungsapparat, großem Kreuztisch und der neu entwickelten Zahnradfeinbewegung nach Meyer ausgeliefert. Bei dieser greifen Zahräder wie bei einem Uhrwerk ineinander und werden durch den Gegendruck einer Feder zu einer einseitigen Flankenlage gebracht, womit ein toter Gang ausgeschaltet wird. Die Zahnräder bewegen einen gekrümmten Hebel, dessen anderes Ende auf einer Schneide gelagert ist; die Bewegung des Hebels wird durch einen in der Mitte befindlichen ,,Senkel" oder Dorn auf den Tubusträger übertragen.
Der Feintriebknopf ist nun gut erreichbar im oberen Teil des erstmals C-förmigen Stativhalses unter dem Grobtriebknopf angebracht.
Beim ,,Bierseidel" war die Anordnung deutlich umständlicher.




Der große, wechselbare Kreuztisch ist dreh- und zentrierbar.



Der Abbe – Kondensor ist mit der zur Seite ausschwenkbaren und mit Zahntrieb verschiebbaren Leuchtfeldblende an einer dreieckigen Säule mit Zahnstange höhenverstellbar angebracht.



Im Katalog wurden die Apochromatischen Objektive 10, 20, 40 und 90 HI angeboten, noch vorhanden sind die Apochromate 8mm und 16mm, das Objektiv ,,D" 42mm und eine Homogene Immersion ½"

Die Kompensations-Okulare 3x 5x 10x 15x 20x sind nicht mehr vorhanden, es wurde zuletzt ein Okular Nr. 1 von Ernst Leitz Wetzlar benutzt.

Auf der Deckplatte des Stativhalses findet sich die Gravur


U.M.
Hyg. Inst.
51
[/b]




Meine Anfrage beim Zeiss Archiv in Jena wurde wie folgt beantwortet:
,,Das Carl Zeiss Jena Mikroskop Nr. 103191 ist ein Stativ CE und wurde 1925 an Franz Hugershoff (Apparate u. Geräte für alle Zweige der Naturwissenschaften und Mechanische Werkstätten ) nach Leipzig gesandt.
Vermerkt ist in einer anderen Handschrift noch ,,Prof. Jütten [?] Univ. Münster".
Ausgestattet war es mit den Objektiven Apochromat 10, 20, 40 und 90 und den Okularen K 3x, 5x, 10x, 15x und 20x und dem Meßokular 6.
Es war 1928 und 1933 in Jena zur Reparatur durch das Hyg. Institut Münster."
Es ist außerdem vermerkt: ,,grav. U.M. Hygien. Inst."
Sie finden eine kurze Beschreibung und ein Bild in unserer Online-Datenbank unter:
www.archive.zeiss.de/zeig_start.fau?prj=zeiss&dm=museum&listex=Ident-Nummern&zeig=2361
Ich hoffe, ich konnte Ihnen damit helfen.

Mit freundlichen Grüßen
Frau Marte Schwabe
"

Es müsste sich somit um das Mikroskop von Prof. Karl Wilhelm Jötten, dem Gründer des Hygiene Instituts der Universität Münster, handeln.
Seine (seriösen) Hauptarbeitsgebiete waren die Tuberkulose- und Staublungenforschung, in der Zeit von 1933-1945 war er auch in den Gebieten Rassenhygiene und Eugenik tätig.


Quelle: Stadt Münster , aktuell diskutierte Straßennamen / bzw. Bundesarchiv: NSDAP Mitgliederkartei

Zu Prof. Jötten finden sich hier weiterführende Informationen:

https://www.uni-muenster.de/unizeitung/2007/4-30.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Wilhelm_J%C3%B6tten

Das Mikroskop wurde in 2020 mit einer Gebrauchtküche an eine Dame bei Aurich verkauft, diese konnte jedoch mit diesem sehr speziellen Küchengerät nichts anfangen und so konnte ich das Instrument von ihr für meine Sammlung erwerben.

Der Kasten wurde von mir originalgetreu restauriert, das Mikroskop musste nur geputzt werden.

Über Kommentare, weiterführende Hinweise und Ergänzungen freue ich mich!

H.H. im Sommer 2023


Viele Grüße aus dem Bergischen Land

Hugo Halfmann

Jakob_Wittmann

Schönen Abend,

danke, Hugo, für diese äußerst gehaltvolle Präsentation eines wirklich schönen Leitz Mikroskops.

wirklich bemerkenswert interessant sind dabei unter anderem Deine Ausführungen zu dem seinerzeit für so ein edles Stück zu berappendem Kaufpreis.

Ein ganz klein wenig schnuppere ich auch nach alten schönen Mikroskopen. Beispielsweise habe ich ein neulich ein äußerst mäßig erhaltenes Reichert Baujahr 1912 um einen banal niedrigen Kaufpreis ergattert und habe erfahren, dass dieses in einem Wiener Kinderspital im Gebrauch war. Sobald man etwas zur Geschichte der Verwendung eines Mikroskops erfährt, hat das meiner Meinung nach so etwas wie eine ganz eigene Wertigkeit.

Ein Instrument wird in so einem Fall zu einem mit Geschichte. Das kann faszinieren.

Verzeihung, ich schweife ab, Hugo.

Ich bin gerade mal vor drei oder vier Wochen darauf gekommen, mit welcher unschlagbar perfekten Qualität Leitz seit den Dreißigern die legendären Ortholux Modelle und deren ,,Verwandtschaft" gefertigt hat (habe schon jetzt zwei der schwarz lackierten Leitz-Schönheiten beschaffen können. Und: ,,Nachwuchs" ist gerade auf dem Weg zu mir ...  ;D) .

Sehe ich mir Deine (übrigens ausgezeichnet fotografierten) Bilder eines noch älteren Leitz Instruments an, registriere ich alleine schon durch diese Abbildungen sehr wohl, dass Leitz in der Feinmechanik kompromisslose Qualität fertigte.

Was mir auch gefällt, ist der von Dir wirklich schön restaurierte Kasten. Respekt!

Übrigens: Was ist denn bitte Deine Meinung zu der Qualität der Objektive?

So, ich entschuldige mich bitte für die ,,Romanlänge"  ;) meines Beitrags und schicke Dir liebe Grüße aus Graz

Jakob
,,Ein Leben mit nur einem schwarzen Mikroskop ist möglich aber sinnlos."


Bernhard-Viktor ,,Vicco" Christoph-Carl von Bülow

Thomas Böder

Zitat von: Jakob_Wittmann in Juli 06, 2023, 22:49:13 NACHMITTAGS
Schönen Abend,

danke, Hugo, für diese äußerst gehaltvolle Präsentation eines wirklich schönen Leitz Mikroskops.


Sicher?!  :)
Hauptmikroskope: Leitz Panphot, Ortholux, Zeiss Nf u. Technival 2
Kleinmikroskope: Leitz, Reichert, ROW, Lomo

Jakob_Wittmann

Zitat von: Thomas Böder in Juli 06, 2023, 23:02:24 NACHMITTAGS
Zitat von: Jakob_Wittmann in Juli 06, 2023, 22:49:13 NACHMITTAGS
Schönen Abend,

danke, Hugo, für diese äußerst gehaltvolle Präsentation eines wirklich schönen Leitz Mikroskops.


Sicher?!  :)

Servus Thomas!

Es ist mir peinlich, aber ich stehe was Deinen Kommentar betrifft, so extrem weit daneben, dass ich mich eigentlich schon fast als unsichtbar empfinden sollte ...  8) :o ;D

Liebe Grüße an einen Leitz Nutzer

der Jakob
,,Ein Leben mit nur einem schwarzen Mikroskop ist möglich aber sinnlos."


Bernhard-Viktor ,,Vicco" Christoph-Carl von Bülow

purkinje

Hallo Hugo,
sehr interessante Abhandlung zu einem sammlungswürdigen Objekt, das nicht nur in Messing sein Gewicht mit sich herumträgt.

Ich bin etwas über
ZitatSeine (seriösen) Hauptarbeitsgebiete waren die Tuberkulose- und Staublungenforschung,...
gestolpert: Nichts von oft an sich auch "seriösen" Forschungen ab etwa Mitte der 20er Jahre, konnte nicht auch gegen einzelne Gruppen verwendet werden. War man Anfang des 20Jh in der Medizin noch von Reformen hin zum einzelnen Patienten beseelt, so änderte sich das ab den 20er Jahren und es wurde nicht mehr vom einzelnen Patienten her gedacht sondern der "gesunde Volkskörper" sollte kuriert werden, mit all seinen brachialen Konsequenzen die dies später zeigte (Entgrenzung der Forschung und Medizin).
Bei Jötten speziell hieß dies nicht etwa die Lebensumstände derer zu verbessern bei denen TBC erwiesenermaßen häufiger auftrat, sondern sich auf deren "Reproduktionsverhalten" zu kaprizieren und hier später die harte Gangart, ganz im Sinne der Zeit zu fordern. Sein Assistent aus den 30er Jahren Reploh wurde später (nach 45) sein Nachfolger auf dem Münsteraner Lehrstuhl und der "Reploh-Otte" war lange das Standardwerk der Mikrobiologie in D, soviel zum Thema Kontinuitäten.
Grüße Stefan

olaf.med

Lieber Hugo,

ganz herzlichen Dank für diese schöne und interessante Darstellung. Endlich wieder einmal etwas über die wunderschönen historischen Instrumente!

Beste Grüße,

Olaf
Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34049.0

Hugo Halfmann

#6
Hallo Stefan,

danke, daß Du die aus heutiger Sicht unseriösen, evtl. auch schlicht opportunistischen Forschungen Prof. Jöttens in den richtigen geschichtlichen Kontext gerückt hast. Ich wollte seine Forschungen zu Eugenik und Rassenhygiene hier nicht weiter thematisieren weil ich diese schlicht für völlig unseriös und damit nicht unbedingt erwähnenswert halte. Das dies in seiner Zeit ganz anders gesehen wurde, hast Du gut erklärt!

Die Diskussion geschichtlich belasteter Straßennamen, so wie sie auf der Münsteraner Webseite geführt wird, finde ich richtig, wenn sie jedoch im Ergebnis zur Umbenennung der Straße führt, finde ich es falsch. Eine Erklärung des Namens und der damit zusammenhängenden Taten ist m.E. der richtige Weg. In Wuppertal wird diese Diskussion über Lettow-Vorbeck und andere kaiserliche Militär-Befehlshaber in den Kolonien geführt - Ende z.Zt. noch offen.
Viele Grüße aus dem Bergischen Land

Hugo Halfmann

beamish

Die "Damnatio memoriae", die Verdammung des Andenkens, ist offensichtlich ein menschliches Bedürfnis seit der ältesten Antike. Schon die alten Ägypter tilgten die Namen ungeliebter Herrscher aus den öffentlichen Inschriften. Auch die Römer hielten es so. Und Adolf wird es im Ranking der beliebtesten Vornamen in Deutschland nicht mehr ganz weit nach vorne schaffen.
"Aus den Augen, aus dem Sinn", man muß sich einfach nicht mehr damit auseinandersetzen...

Grüße
Martin
Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D

Hugo Halfmann

ZitatEndlich wieder einmal etwas über die wunderschönen historischen Instrumente!

Lieber Olaf,
ich fand auch, daß es an der Zeit war, wieder einmal ein historisches Instrument vorzustellen. Freut mich sehr, wenn es Dir gefällt!
Viele Grüße aus dem Bergischen Land

Hugo Halfmann