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nicht mehr zeitgemäß?

Begonnen von Herbert Dietrich, August 01, 2022, 08:47:29 VORMITTAG

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Herbert Dietrich

Liebe Foristen,

gestern nahm ich ainen Band von "Mikroskopie für Naturfreunde" von 1924 zur Hand.
Ein Artikel über Selbstherstellung von Kreuztischen und Findern weckte mein Interesse.
Ohne Kreuztisch wird heute sicher kein Mikroskop mehr verkauft, jedoch die Kernaussage des Artikels:
"Freihandführung, das ists, was jeder Mikroskopiker lernen muß!"

Was denkt Ihr darüber?

Herzliche Grüße

Herbert

hier der Artikel, ich hoffe er läßt sich lesen

dicentra

[size=0pt]Hallo Herbert,[/size]
[size=0pt]erst einmal freue mich zu lesen, dass es noch andere Freunde der ,,Mikroskopie für Naturfreunde" gibt. Durch eine glücklichen Zufall habe ich mehrere Jahrgänge davon zuhause. In vielen Punkten halte ich sie (unter der Berücksichtigung der Entstehungszeit) für die beste Zeitschrift für Liebhaber der Mikroskopie. Sie ist im Vergleich zu den zeitgleichen Jahrgängen des Mikrokosmos etwas ,,bodenständiger" und gibt viele praktische Hinweise. Also ein Tipp für alle, besonders Anfänger.[/size]
[size=0pt]Aber um auf deine Frage zurück zu kommen: ich halte das nicht für veraltet. Die ersten beiden Mikroskope waren zwar ohne Kreuztisch, für das zweite habe ich später einen hinzugekauft (für teure 50.- DM!). Es wurde dadurch gleich ganz professionell! [/size][size=0pt]J[/size][size=0pt] Seit ich ,,ernsthaft" Mikroskopie betreibe und es finanziell geht sind alle meine Mikroskope mit Kreuztisch ausgestattet. Aber trotz jahrelanger Übung fällt es mir tatsächlich leichter schnellen Einzellern ohne diesen zu folgen, als mit ihm. Das wird zwar mit zunehmender Übung schon besser, aber ganz händisch bin ich doch fixer unterwegs. Das mag auch an meinen Kreuztischen liegen, die nicht ganz auf der Höhe der Zeit sein mögen. Vielleicht liegt diese Beschränkung auch dem Artikel zugrunde: an sich lässt sich ja nur eine Achse verstellen, zum Verstellen der anderen Achse muss ja umgegriffen werden, zumindest bei meinen. Da ist es beim Verfolgen der Einzeller, die bei mir gefühlt immer diagonales Zickzack schwimmen immer etwas mühsam. Ich kann zwar durch Abspreizen des Ringfingers diesen zur Betätigung der zweiten Achse nutzen, aber so richtig flutscht das nicht bei mir....[/size]
[size=0pt]Aber ob es absolut notwendig ist? Ich glaube da ist die persönliche Mischung aus Technik und Fingergeschick ausschlaggebend. Es gibt sicher Menschen, die das an ihren Mikroskopen deutlich besser können, als ich mit meinen Händen an meinen Kreuztischen. [/size] :D
Fingerkreuzende Grüße, Oli

Peter V.

Hallo,

Pathologen verwenden oftmals keinen Objektführer, sondern schieben nur freihändig. Deren Mikroskope sind dann auch gar nicht mit einem Of. ausgestattet. Manche sind so einfach schneller, zumal diese Zunft ohnehin in der Routinemikroskopie keine hochvergrößernden Objektive verwendet.

Ideal finde ich eigentlich Gleittische, die sich aber aus mir nicht erfindlichen Gründen nie wirklich durchgesetzt haben. Ich weiß gar nicht, ob die Hersteller heutzutage auf Wunsch überhaupt noch solche Tische anbieten.

Ansonsten ist es schon ein Kreuz mit den Kreuztischen. Ob man eine bestimmte Friktion/Gängigkeit/Zähigkeit bei der Bedienung angenehm oder unangenehm findet, ist sehr subjektiv. Die Einstellung der Gängigkeit beider Achsen bis zur vollständigen Zufriedenheit des Nutzers ist oftmals sehr frickelig (wenn überhaupt konstruktiv veränderbar) und gelingt gelegentlich gar nicht. Oft ist der Widerstand bei der Bewgeung nicht gleichmäßig, manchmal gibt es ein plötzliches "Losreißen" aus der Ruhestellung etc. Sowohl ein zu locker eingestellter Kreuztisch als auch ein zu stramm laufender sind unbefriedigend.
Aber wie dem auch sei: Sie haben sich letztlich durchgesetzt.

Hezrliche Grüße
Peter


Dieses Post wurde CO2-neutral erstellt und ist vegan. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

Alex H.

Hallo Herbert,

ich bin gerade erst vor ein paar Tagen dazu übergegangen die Präparate per Hand zu verschieben. Bei meinen hauptsächlich genutzen Objektiven (20x, 40x) geht das problemlos.

Grüße
Alex
Botanik, vorrangig heimische Wildpflanzen, die Morphologie der Sporen, Pollen, Blüten, Früchte und Samen, Blütenökologie, Kryptogamen im Allgemeinen;
Stereolupe: optimiertes LZOS MBS-10; Mikroskop: gut ausgestattetes LOMO Biolam;

Herbert Dietrich

Hallo,

vielen Dank für eure Rückmeldungen.
Ich möchte den Kreuztisch nicht missen, aber für Verfolgung von "Tümpeltierchen" verwende ich gerne ein Zeiss Junior mit nur e i n e r
Objektklemme. Da bin ich viel schneller als der Kreuztisch. In alle Richtungen, diagonal und kurvig.

Herzliche Grüße

Herbert

reblaus

Hallo -

bei der Aufrüstung meines einstigen Axioverts (Gott habe es selig) hatte ich bei T.I. einen Kreuztisch mit hängendem Koaxtrieb erworben, wobei letzterer leider nicht zum Tisch passte und zurückgeschickt wurde. Den Tisch selbst konnte ich durch Schmieren seines Kreuztriebs mit zähem Gleittisch-Öl und Anbringen eines kleinen Griffes mit Knopf in einen Gleittisch verwandeln, der  mit bequem vorne am Mikroskopkorpus aufgestützem linken Arm fein dosierte Bewegungen erlaubte. Sehr angenehm war auch, dass das Gebammel mit dem lang herunterhängenden Kreuztrieb weg war.
Geht aber nicht mit Billigmodellen von Kreuztischen.

Viele Grüße

Rolf

plaenerdd

Hallo Herbert,
meine Reisemikroskope sind kreuztischfrei und mit denen mikroskopiere ich viel, besonders die Tümpelwesen. Das geht frei Hand gut, allerdings fliegen bei mir als erstes die Klemmen raus. Die stören eigentlich nur.
Ein klassischer Kreuztisch ist gedacht für das systematische Durchsuchen von Präparaten und deshalb ist er normalerweise immer so eingestellt, dass er in der x-Richtung leichter gehen als in der y-Richtung, die man nur zum Verschieben in die nächste Reihe braucht. Das geht dann auch gut, wenn die beiden Triebe nicht auf einer Achse angebracht sind und man umgreifen muss.
Ein Kreuztisch, mit dem man munter in alle Richtungen im Präparat herumfahren kann, sollte dann schon koaxiale Tiebe haben, die sich nahe am Fokussiertrieb befinden also unter dem Tisch. Im Idealfall liegen sie so tief, dass man die Handgelenke auf dem Tisch oder speziellen Auflageflächen abstützen kann. Damit kann man mit genügend Übung flüssig den flinken Viechern folgen, ohne, dass die x-y-Hand oder die z-Hand ermüdet, was z.B. bei Filmaufnahmen unabdingbar ist. Dergleichen baut wohl kaum jemand selber.

LG Gerd
Fossilien, Gesteine und Tümpeln mit
Durchlicht: Olympus VANOX mit DIC, Ph, DF und BF; etliche Zeiss-Jena-Geräte,
Auflicht: CZJ "VERTIVAL", Stemi: MBS-10, CZJ SMXX;
Inverses: Willovert mit Ph

Bernd

Hallo Herbert,

der Altmeister Alfred Kahl schrieb 1930 im 1. Band seines Ciliatenwerkes, Abschnitt 4, Beobachtung und Bestimmung der Infusorien: "ein zentrierbarer Objekttisch ist sehr nützlich, während ein Kreuztisch die oft nicht zu umgehende Verschiebung des Objektträgers durch eine Hand unmöglich macht."

Ich selbst benutze einen koaxialen Kreuztisch (den es damals wohl noch nicht gab).

Ob Kreuztisch oder nicht hängt sicher auch stark vom verwendeten Mikroskop ab. Ich habe "nur" einen 5-fach Revolver, und mitteldicke Objektive, der Tisch zeigt nach vorne. Da ist es fast unmöglich, den Objektträger per Hand zu verschieben. Würde ich es versuchen, könnte von ergonomischer Haltung definitiv keine Rede sein. Bei modernen 6- oder 7-fach Revolvern und dicken M27-Objektiven geht das höchstwahrscheinlich gar nicht mehr.

Viele Grüße
Bernd


Peter Reil

Hallo,


tja, so verschieden können die Bedürfnisse sein.

Ich mikroskopiere am meisten mit dem 100er Ölobjektiv. Ohne zähen Kreuztischantrieb wäre ich verloren.

Gruß
Peter
Meine Arbeitsgeräte: Olympus BHS, Olympus CHK, Olympus SZ 30

Herbert Dietrich

Vielen Dank für eure Rückmeldungen.

Sicher hat der Kreuztisch seine Berechtigung,
manchmal ist er aber auch etwas hinderlich.

Das Auto möchte ich nicht missen,
aber oft ist man zu Fuß flexibler.

Herzliche Grüße

Herbert

Stephan Hiller

#10
Aber sicher doch!!!

Gleittische sind nicht nur bei Durchlicht Mikroskopen zum Verfolgen schnell beweglicher Tümpelobjekte von Vorteil sondern vor allem auch für Stereolupen. Wer jemals hunderte von kleinen Objekten unter dem Bino durchmustern musste und die Einzelobjekte mühsam mit Federstahlpinzette oder Präpariernadel in die Mitte des Gesichtsfelds schieben musste weiß was er an einem Gleittisch hat.
Ich habe mich schon oft gefragt, warum man solche Vorrichtungen bei den modernen Binos nicht mehr findet.
Die Durchlicht Gleittische der alten schwarzen Binos von Zeiss waren eine phantastische Ergänzung (vorausgesetzt sie sind gut gewartet und mit dem richtigen Haftöl geschmiert) :





Mit Gleittischverliebten Grüßen

Stephan Hiller

Alex H.

Hallo Stephan,

Zitat von: Stephan Hiller in August 04, 2022, 19:18:02 NACHMITTAGS
Ich habe mich schon oft gefragt, warum man solche Vorrichtungen bei den modernen Binos nicht mehr findet.

das frag' ich mich auch. Ich arbeite mit meiner Stereolupe mittlerweile sogar komplett freihand (also ohne Tisch usw.) und habe sie auf einem sehr flexiblen Monitorhalter montiert. Hängt aber natürlich auch vom Arbeitsgebiet ab in dem die Stereolpe eingesetzt wird.

Grüße
Alex
Botanik, vorrangig heimische Wildpflanzen, die Morphologie der Sporen, Pollen, Blüten, Früchte und Samen, Blütenökologie, Kryptogamen im Allgemeinen;
Stereolupe: optimiertes LZOS MBS-10; Mikroskop: gut ausgestattetes LOMO Biolam;

Florian Stellmacher

Moin zusammen!

Ob man das Präparat ,,freihändisch" bewegt oder einen Kreuztisch bzw. Kreuzobjektführer benutzt, ist letztlich eine Geschmacksfrage. Richtig oder falsch gibt es hier meiner Meinung nach nicht. In der Pathologie gibt es beide Varianten, und oft ist die eine oder andere in den Instituten unter den KollegInnen endemisch; wird den AssistentInnen von Anfang an von den weiterbildenden KollegInnen vorgelebt, das Präparat mit den Fingern zu verschieben, nehmen auch sie dieses als vollkommen normal an und gewöhnen sich daran. Wird der Kreuztisch benutzt, wird dieser zur Gewohnheit. Ich habe z.B. festgestellt, dass Pathologen, die initial bei dem Lymphompapst Carl Lennert in Kiel gelernt haben, nahezu ausschließlich per Hand schieben und dies auch so in die inzwischen dritte oder vierte Generation weitergegeben haben.

Wenn man beruflich viele Stunden am Tag mikroskopiert, fällt es einem entsprechend schwer, sich umzugewöhnen. Ich arbeite immer mit Kreuztisch und empfinde die Variante des Freihandschiebens als vollkommen unphysiologisch. Manche KollegInnen sehen das aber genau umgekehrt. Objektiv spricht für den Kreuztisch, dass die Ergonomie der Stative für dessen Benutzung ausgelegt ist. Schiebt man freihand, liegt der Ellenbogen auf dem Schreibtisch und das Handgelenk an der Kante des Objekttisches. Es gibt sogar Polster, die wie große Erythrozyten aussehen, die man sich unter den Ellenbogen legen kann. Bei korrekter Benutzung des Kreuztisches mit tiefliegendem Koaxialtrieb sollte entsprechend kein Problem auftauchen. Ich weiß auch nicht, wie man freihand sicherstellen kann, jede Stelle des Präparates angesehen zu haben. Gerade wenn man wie ich relativ viele Zytologien, sprich Ausstriche, anguckt und diese mäanderförmig durchmustert, stellt man sich schon die Frage, wie man das ähnlich effektiv ,,zu Fuß" erledigen kann. Tatsache ist aber, die Freihandfraktion schafft das anscheinend, aber schneller und ähnlich gründlich?

Dass PathologInnen nur mit kleinen Vergrößerungen arbeiten, stimmt natürlich nicht. Sie verwenden allerdings wirklich überwiegend niedertigere Vergrößerungen. Helicobacter pylori oder Mykobakterien können wir aber natürlich auch erst in höherer Vergrößerung sicher erkennen. Ggf. benutzen wir auch Immersionsobjektive, gerne 60x oder 63x mit entsprechend hoher N.A. Grundsätzlich setzen wir die Objektive ein, die für das Stellen der korrekten Diagnose erforderlich sind, und fliegen da nicht mit der Lupe über das Präparat, keine Sorge. In der Fluoreszenzmikroskopie benutzen dann übrigens auch die Freihandschieber gerne den Kreuztisch.

Die pseudo-objektiven Kriterien, die insbesondere von der Fraktion der Freihandschieber gelegentlich genannt werden, kann ich nicht nachvollziehen. Dass man wirklich substantiell Zeit einspart, glaube ich nicht wirklich. Zumindest kann ich definitiv nicht belegen, dass unter den KollegInnen, die ich als besonders effektiv in der Diagnostik erlebe, die Freihandfraktion führend wäre. Ich stopfe den Objektträger in den Schnell-Präparatehalter und ziehe ihn, wenn ich ihn angesehen habe, auch einfach wieder raus. Das dauert nicht wirklich länger als ihn auf den Tisch zu legen. Und das mache ich einige hundert Mal am Tag.

Die Krise bekomme ich allerdings immer dann, wenn erfahrene KollegInnen den Jüngeren breitspurig erklären, dass die Benutzung des Kreuztisches ein Fehler wäre und automatisch dazu führe, dass man nie den Standard der tollen alten Hechte erreichen könnte. Ich stelle des den Leuten immer frei. Würde mich jemand fragen, ob er oder sie die Karriere mit oder ohne Kreuztisch beginnen sollte (ist wirklich noch nie vorgekommen!), würde ich sagen ,,Probier`s aus, der Mikroskophersteller findet, dass es mit Kreuztisch auf die Dauer einfacher und orthopädisch weniger belastend ist."

Man kann das vielleicht ein bisschen mit dem Autofahren vergleichen. Ob man Automatik fährt oder lieber schaltet, kann man endlos debattieren und Argumente pro und contra finden. Es wird sicherlich auch so sein, dass für manche die Automatik tatsächlich dazu führt, dass sie flüssiger am Straßenverkehr teilnehmen können. Wenn man fahren und schalten kann, wird man das Argument der Schnelligkeit aber wohl nur sehr im Hintergrund sehen, zumindest solange man keine Rennen fahren möchte. Ich fahre drei Autos im Wechsel, eins mit 8-Stufen-Wandlerautomatik, eins mit 6-Gang-DSG und eins mit Sechsgangschaltgetriebe, und wie schnell ich von der Ampel loskomme, hängt primär von der Motorleistung und dem Autogewicht ab, nicht vom Getriebe. Das mit Schaltgetriebe fahre ich ,,sportlicher", das hat Mini dem Auto auch so in die DNA eingepflanzt. Allerdings: In Großbritannien miete ich grundsätzlich Automatik – mit dem Schaltknüppel links von mir, komme ich definitiv nicht zurecht. Beim Kreuztisch geht mir das tatsächlich genauso: mit Koaxtrieben links kann ich nicht arbeiten. Ich bediene den Diktierknüppel allerdings auch mit links.

Also: Wer mit Kreuztisch arbeitet, ist weder oldschool noch behindert. Wer ohne arbeitet aber auch nicht.

Herzliche Grüße,
Florian
Vorwiegende Arbeitsmikroskope:
Zeiss Axioskop 2
Olympus BHS (DL, Pol, Multidiskussionseinrichtung)
Zeiss Axiophot (DIK und AL-Fluoreszenz)
Zeiss Axiovert (Fluoreszenz)
Wild M400 Fotomakroskop (DL, DF, AL, Pol)