Moin zusammen!
Ob man das Präparat „freihändisch“ bewegt oder einen Kreuztisch bzw. Kreuzobjektführer benutzt, ist letztlich eine Geschmacksfrage. Richtig oder falsch gibt es hier meiner Meinung nach nicht. In der Pathologie gibt es beide Varianten, und oft ist die eine oder andere in den Instituten unter den KollegInnen endemisch; wird den AssistentInnen von Anfang an von den weiterbildenden KollegInnen vorgelebt, das Präparat mit den Fingern zu verschieben, nehmen auch sie dieses als vollkommen normal an und gewöhnen sich daran. Wird der Kreuztisch benutzt, wird dieser zur Gewohnheit. Ich habe z.B. festgestellt, dass Pathologen, die initial bei dem Lymphompapst Carl Lennert in Kiel gelernt haben, nahezu ausschließlich per Hand schieben und dies auch so in die inzwischen dritte oder vierte Generation weitergegeben haben.
Wenn man beruflich viele Stunden am Tag mikroskopiert, fällt es einem entsprechend schwer, sich umzugewöhnen. Ich arbeite immer mit Kreuztisch und empfinde die Variante des Freihandschiebens als vollkommen unphysiologisch. Manche KollegInnen sehen das aber genau umgekehrt. Objektiv spricht für den Kreuztisch, dass die Ergonomie der Stative für dessen Benutzung ausgelegt ist. Schiebt man freihand, liegt der Ellenbogen auf dem Schreibtisch und das Handgelenk an der Kante des Objekttisches. Es gibt sogar Polster, die wie große Erythrozyten aussehen, die man sich unter den Ellenbogen legen kann. Bei korrekter Benutzung des Kreuztisches mit tiefliegendem Koaxialtrieb sollte entsprechend kein Problem auftauchen. Ich weiß auch nicht, wie man freihand sicherstellen kann, jede Stelle des Präparates angesehen zu haben. Gerade wenn man wie ich relativ viele Zytologien, sprich Ausstriche, anguckt und diese mäanderförmig durchmustert, stellt man sich schon die Frage, wie man das ähnlich effektiv „zu Fuß“ erledigen kann. Tatsache ist aber, die Freihandfraktion schafft das anscheinend, aber schneller und ähnlich gründlich?
Dass PathologInnen nur mit kleinen Vergrößerungen arbeiten, stimmt natürlich nicht. Sie verwenden allerdings wirklich überwiegend niedertigere Vergrößerungen. Helicobacter pylori oder Mykobakterien können wir aber natürlich auch erst in höherer Vergrößerung sicher erkennen. Ggf. benutzen wir auch Immersionsobjektive, gerne 60x oder 63x mit entsprechend hoher N.A. Grundsätzlich setzen wir die Objektive ein, die für das Stellen der korrekten Diagnose erforderlich sind, und fliegen da nicht mit der Lupe über das Präparat, keine Sorge. In der Fluoreszenzmikroskopie benutzen dann übrigens auch die Freihandschieber gerne den Kreuztisch.
Die pseudo-objektiven Kriterien, die insbesondere von der Fraktion der Freihandschieber gelegentlich genannt werden, kann ich nicht nachvollziehen. Dass man wirklich substantiell Zeit einspart, glaube ich nicht wirklich. Zumindest kann ich definitiv nicht belegen, dass unter den KollegInnen, die ich als besonders effektiv in der Diagnostik erlebe, die Freihandfraktion führend wäre. Ich stopfe den Objektträger in den Schnell-Präparatehalter und ziehe ihn, wenn ich ihn angesehen habe, auch einfach wieder raus. Das dauert nicht wirklich länger als ihn auf den Tisch zu legen. Und das mache ich einige hundert Mal am Tag.
Die Krise bekomme ich allerdings immer dann, wenn erfahrene KollegInnen den Jüngeren breitspurig erklären, dass die Benutzung des Kreuztisches ein Fehler wäre und automatisch dazu führe, dass man nie den Standard der tollen alten Hechte erreichen könnte. Ich stelle des den Leuten immer frei. Würde mich jemand fragen, ob er oder sie die Karriere mit oder ohne Kreuztisch beginnen sollte (ist wirklich noch nie vorgekommen!), würde ich sagen „Probier`s aus, der Mikroskophersteller findet, dass es mit Kreuztisch auf die Dauer einfacher und orthopädisch weniger belastend ist.“
Man kann das vielleicht ein bisschen mit dem Autofahren vergleichen. Ob man Automatik fährt oder lieber schaltet, kann man endlos debattieren und Argumente pro und contra finden. Es wird sicherlich auch so sein, dass für manche die Automatik tatsächlich dazu führt, dass sie flüssiger am Straßenverkehr teilnehmen können. Wenn man fahren und schalten kann, wird man das Argument der Schnelligkeit aber wohl nur sehr im Hintergrund sehen, zumindest solange man keine Rennen fahren möchte. Ich fahre drei Autos im Wechsel, eins mit 8-Stufen-Wandlerautomatik, eins mit 6-Gang-DSG und eins mit Sechsgangschaltgetriebe, und wie schnell ich von der Ampel loskomme, hängt primär von der Motorleistung und dem Autogewicht ab, nicht vom Getriebe. Das mit Schaltgetriebe fahre ich „sportlicher“, das hat Mini dem Auto auch so in die DNA eingepflanzt. Allerdings: In Großbritannien miete ich grundsätzlich Automatik – mit dem Schaltknüppel links von mir, komme ich definitiv nicht zurecht. Beim Kreuztisch geht mir das tatsächlich genauso: mit Koaxtrieben links kann ich nicht arbeiten. Ich bediene den Diktierknüppel allerdings auch mit links.
Also: Wer mit Kreuztisch arbeitet, ist weder oldschool noch behindert. Wer ohne arbeitet aber auch nicht.
Herzliche Grüße,
Florian