Leitz Mikroskop No. 86 978 - Was habe ich da?

Begonnen von Zeitz-Fan, August 22, 2022, 21:25:31 NACHMITTAGS

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Zeitz-Fan

Hallo, liebe Mikroskopfreunde,

ich habe dieses schöne Mikroskop aus dem Nachlaß eines Freundes und weiß darüber eigentlich gar nichts.

Wie ich in meiner Vorstellung schon geschrieben habe, ist für mich das Mahagoni-Schränkchen von  so edler Oberfläche und Verarbeitung, daß ich mich kaum wieder einfangen kann, wenn ich damit herum hantiere.

Die Karte ist aus stabilem Karton und hat zeitgenössische Aufdrucke, wird aber nicht original sein, dann wären die Datumseintragungen mit der damals üblichen Tinte heute noch mühelos lesbar. Die auf der Karte dargestellte Ausrüstung paßt genau zu diesem Mikroskop. Das Okular No.1 kann ersetzt worden sein, denn im Tubus steckt ein Periplan Okular Ernst Leitz Wetzlar 8x.

Im Objektivrevolver sind Leitz Objektive 2, 4, und 7 eingeschraubt. No. 7 macht einen zeitgenössischen Eindruck, hat aber keine Messingbüchse.
In den Messingbüchsen sind die No. 6 und 1/12 Oel enthalten.

Insgesamt macht das Schränkchen auf mich eine ziemlich vollständigen Eindruck und möglicherweise war das auch damals schon eine ziemlich exklusive Ausstattung.

Selbst der Schlüssel könnte noch von damals sein. Es ist nur einer vorhanden. Deshalb ist er jetzt an einem mit dem Schrankgriff verknoteten Band verbunden.

Für mich erscheint der Erhaltungszustand fast neuwertig nach so langer Zeit, denn über 100 Jahre hat es wohl schon auf dem Buckel oder Stativ.
Alle bisher entdeckten Verstellmöglichkeiten sind leichtgängig und ohne Spiel. Die Objektive haben keine für mich sichtbaren Beschädigungen.

Die Lackabschürfungen am Stativ vom Herausnehmen aus dem Kasten deuten auf langjährigen Gebrauch durch Rechtshänder mit Ring am Ringfinger hin. Ich selbst bin Linkshänder, habe aber den Ehering an meiner rechten Hand genau dort am Stativ zu liegen, wo die Farbe völlig fehlt. (Echte Linkshänder erkennt man daran, daß sie alte Leitz-Mikroskope mit der linken Hand am Stativ tragen und die rechte zur Unterstützung unter den Fuß halten).

Hier erschöpft sich nun mein Wissen über dieses für mich sehr, sehr schöne Mikroskop.

Ich möchte hier meine große Bitte aussprechen an alle, die zu diesem Mikroskop Wissen beitragen können, mir das zu schreiben.
Ich freue mich darauf und bin sehr dankbar dafür..

Mit den besten Grüßen
Manfred

Lupus

Hallo Manfred,

es dürfte sich um ein sog. "Stativ C" etwa aus dem Jahr 1906-1907 handeln.

Hubert

Zeitz-Fan

Hallo Hubert,

vielen Dank für Deine Hinweise.
Dann kann ich ja mit Sicherheit davon ausgehen, daß das Mikroskop weit über 100 Jahre alt ist.    - Sagenhaft. -

Nachdem ich nun die Richtmarken von Dir hatte, ist mir beim Stöbern im Netz aufgefallen, daß die Feineinstellung bei meinem Mikroskop damals ganz neu gewesen sein müßte, denn noch viel spätere Gerätenummern haben die ältere Art.

Ich finde es sehr beachtlich an dem Mikroskop, daß die Objektive so abgeglichen sind, daß die jeweils nächst höhere Vergrößerung mit der Feieinstellung einen ganz geringen Betrag in Richtung des Objekts verschoben werden muß. Man kann eigentlich nicht aus Versehen mit dem stärker vergrößernden Objektiv gegen das Deckglas eindrehen. Für mich ist eine solche mechanische Präzision einem Kunstwerk ähnlich. Aus diesem Grunde empfinde ich das alte Stück auch als ausgesprochen schön.

Viele Grüße
Manfred

jochen53

Hallo Manfred,
gratuliere, ein sehr schöenes Stück in einem hervorragenden Erhaltungszustand. Man sieht ihm an der Patina an, daß damit wirklich gearbeitet wurde, aber auch, daß es sehr pfleglich behandelt wurde. Vermutlich wurde es auch noch lange verwendet, weil ich meine, ganz hinten rechts im Holzschrank eine Leitz-Plastikdose mit einem "modernen" silbernen Objektiv gesehen zu haben. Das Auslieferungsjahr dürfte sehr wahrscheinlich tatsächlich zwischen 1900 und 1909 sein, weil auf dem Zettel im Schrank unten beim Datum "190..." eingedruckt ist, man hat aber vegessen, da die Endziffer 0 bis 9 von Hand einzutragen.
Hast Du mal durchgeschaut und ein Präparat betrachtet?
Viele Grüße, Jochen

Jürgen H.

Lieber Manfred,

Glückwunsch zu dem schönen, offenbar gut erhaltenen Leitz Messingmikroskop. Ich besitze das ähnliche nahezu unveränderte Modell aus 1921, Seriennummer 187481. Zum Zeichnen benutze ich es noch gerne.

Das C- Stativ gab es laut einer Leitzschrift von Rolf Beck seit 1905. Beck schreibt, dass es hauptsächlich für Routineuntersuchungen in klinischen Laboratorien genutzt wurde.

Du weißt sicher, dass man die schöne Schellack Politur leicht verderben kann, wenn man sie mit Alkohol behandelt.

Hast Du die Schrift Das Mikroskop und seine Anwendung von Leitz?

Viele Grüße

Jürgen

Lupus

Hallo,

ZitatDas Auslieferungsjahr dürfte sehr wahrscheinlich tatsächlich zwischen 1900 und 1909 sein, weil auf dem Zettel im Schrank unten beim Datum "190..." eingedruckt ist,
durch die Seriennummer lässt es sich etwas näher wie etwa von mir angegeben eingrenzen, siehe die Liste von Wolfgang (ortholux) https://www.leitz-ortholux.de/forum/seriennummern.pdf
Das geht manchmal nicht auf ein Jahr genau weil vermutlich vorab Nummerngruppen für einzelne Fertigungslose vergeben wurden.

ZitatNachdem ich nun die Richtmarken von Dir hatte, ist mir beim Stöbern im Netz aufgefallen, daß die Feineinstellung bei meinem Mikroskop damals ganz neu gewesen sein müßte, denn noch viel spätere Gerätenummern haben die ältere Art.
Die älteren, ursprünglichen Modelle mit Messingoptik (abgesehen vom meist schwarzen Fuß) und zentraler Feineinstellung oben am Stativ gab es noch lange Zeit parallel zu den neuen schwarzen Stativen mit Messingtubus. Erstere wurden mit römischen Ziffern Stativ Ia bis V bezeichnet, die neue Modellreihe mit Großbuchstaben von Stativ A (AA) bis J. Die neue Form wurde durch die damalige Jugendstilzeit beeinflusst.

Hubert

Zeitz-Fan

#6
Lieber Jochen,

vielen Dank für Deine Nachricht.
Das Objektiv hast Du ja mit kriminalistischem Spürsinn erkannt.
In der Tat ist da noch ein Objektiv im Schrank. Es ist ein Leitz Wetzlar Oel 100/1,30 170/017 gefedert; allerdings in einer Hülle von Carl Zeiss Jena. (Gesamtdeutscher geht nicht).
Das Objektiv ist wesentlich stärker mechanisch abgenutzt als das hunderjährige. Da ich noch kein Immersionsöl habe, kann ich nur trocken durchsehen auf die Augentierchen (mein einziges Fertigpräparat von Kunze Leipzig).
Ich kann zwischen beiden keinen signifikanten Unterschied ausmachen. Es ist auch ohne Öl keine Verbesserung gegenüber dem Objektiv No. 7 (wie ich jetzt weiß: 63/085) zu erkennen. Fotos kann ich noch nicht. Das Smartphone mit der Hand über dem Okular richtig zu halten und dann auch noch auszulösen, gelingt mir nur zufällig und immer suboptimal.
Ich habe mir schon einen Adapter in China bestellt.

Mit den besten Grüßen
Manfred

Zeitz-Fan

#7
Lieber Jürgen,

Vielen Dank für Deine Nachricht.
Wenn Du auch so ein Mikroskop hast, wirst Du meine Schwärmerei dafür ja gut verstehen können.

Den Schrank habe ich nur mit Pinsel und Staubtuch bearbeitet. Patina muß bleiben, ich habe ja selbst auch ganz viele Hautfalten und Runzeln. An das Mikroskop gehe ich nur mit einem Brillenputztuch.

Nein die Schrift von Leitz habe ich nicht.

Mit den besten Grüßen
Manfred

p.s.
der Hubert hat mir eine Liste mit den Seriennummern geschickt. Auf der Seite von Orthoplan (was für ein Mikroskop) war eine pdf-Datei von 1988 von der Broschüre.
Hast Du evtl. eine aus vergangenen Zeiten? Die würde mich natürlich sehr interessieren.

Das Bild sollte eigentlich in den vorigen Beitrag (ich kann es hier nicht löschen)

Zeitz-Fan

#8
Lieber Hubert,

Vielen Dank für Deine Nachricht.

Die Liste mit den Seriennummern ist ja genial. Ich danke Dir für den Hinweis. Die Seite von Orthoplan (was für ein Mikroskop) ist ja ein wahres El Dorado  für einen Leitz-Fan.

Vielen Dank auch für die Erklärungen zu den verschiedenen Baureihen. Ich vermutete da schon das totale Chaos.

Da bin ich in einem Tag wesentlich schlauer geworden, als in den vergangenen zwei Jahren zuvor.

Mit den besten Grüßen
Manfred

Jürgen H.

#9
Lieber Manfred,

da Du im Nachbarthread Dein Interesse an der Funktion des Feintriebs bei Deim C Stativ bekundet hast, schicke ich Dir im Anhang Schnittzeichnungen aus einem Leitzkatalog von 1903. Die Zeichnung bezieht sich zwar auf das damalige Stativ A, dürfte aber auch für das spätere Stativ C gelten. Man kann schön erkennen, warum der Tubus erst hinaufgeschoben und dnn wieder herabgesenkt wird, ohne dass der Anwender die Drehrichtung am Triebknopf verändert.

Viele Grüße

Jürgen


Zeitz-Fan

Lieber Jürgen,

das ist ja ganz toll von Dir, daß Du mir die Beschreibung aus Deinem Prospekt geschickt hast.  - Dankeschön -

Izwischen habe ich eine pdf-Datei eines Prospektes von 1913, in dem die Stative A bis C recht genau beschrieben werden.
Da mein vermeintliches C-Stativ aber eine 100er Skalenteilung bei der Feineinstellung hat, ist es nach Auskunft des Prospekts ein B-Stativ. Nur die Stative A und B hatten die 100er Teilung. Das C-Stativ hatte nur eine 50er Teilung.
Mein Stativ ist  nach der Nummern-Liste von Orthoplan von 1906.

Ich bin ganz glücklich in so kurzer Zeit so viele neue Informationen erhalten zu haben.

Mit den besten Grüßen
Manfred

Lupus

Hallo Manfred,

ich bin mir sicher dass es sich um ein Stativ C handelt, da weisen mehrere Merkmale hin:
Stativ C ist kleiner, das Durchmesserverhältnis von Tisch/Spiegel wäre beim Stativ B größer.
Die Rundung des Statives am rückseitigen Übergang zum Tisch (tangential beim Stativ C).
Der Übergang vom Fuß zum Drehgelenk (Stativ C ragt hier über die Gelenkachse nach hinten hinaus).
Die Drehtischunterlage ist nicht ganz rund sondern hat seitlich gerade Abfräsungen.
Der Fuß hat runde Kanten (der offensichtlichste Unterschied).
u.s.w.
Bei Einführung des neuen Feintriebes (etwa 1903) hatte die Einteilung 100 Skt., das kann sich 1913 modellabhängig geändert haben.

Hubert

Zeitz-Fan

Lieber Hubert,

Deine Argumente klingen einleuchtend und sehr viel überzeugender als mein Prospektfund, der 7 Jahre jünger ist und nur einen Teilaspekt berücksichtigt und schon zur späteren Modellpolitik gehört.
Ich danke Dir, daß Du mich wieder auf den richtigen Weg zurückgeholt hast.
Mit Deinen Hinweisen kann ich alle Daten auch in dem Prospekt von 1913 erkennen. Nur der relativ schmale und gerade Fuß meines Mikroskops taucht bisher nirgends auf. Er behindert den Spiegel etwas, wenn der Kondensor etwas über die Hälfte nach unten gedreht wird.

Ich glaube, Du weißt noch sehr viel mehr über die alten Mikroskope von Leitz. Ich werde alles begierig lesen und in meinen grauen Zellen abspeichern.

Mit den besten Grüßen
Manfred

Lupus

Hallo Manfred,

der Kondensor ist im Betrieb oben, insofern sollte es keine Behinderung des Spiegels geben.
Der schmale gerade (aber an den Kanten gerundete Fuß) dürfte sich direkt aus den ursprünglichen eckigen Füßen entwickelt haben. Kurz danach war wohl der Jugendstileinfluss ausgeprägter und es entstand die offenere geschwungene Form des Prospektes 1913.

Hubert