Die verkehrte Welt der Kugel-Rädertiere

Begonnen von Michael Plewka, Oktober 21, 2022, 08:43:27 VORMITTAG

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Michael Plewka

Hallo zusammen,

ebenfalls häufig in dem Plankton von Teichen des Ruhrgebiets  zu finden ist ein Rädertier, das in Kolonien lebt: Conochilus hippocrepis, das im "Wassertropfen" als "Kugel-Rädertier" bezeichnet wird.

Dabei gibt es 2 Arten der "Kugel-Rädertiere",  die sich erst bei genauerer Betrachtung unterscheiden lassen, dabei  unterscheidet sich C. hippocrepis von C. unicornis  durch 2 Ventraltaster  (s. Pfeil) statt einem bei C. unicornis (unicornis = "ein-hörnig") :




Davon abgesehen gibt es bei beiden Formen wieder mal sehr interessante Verhaltensweisen zu beobachten, aus denen sich (für mich) einige Fragen ergeben:

1. z.B. stellt sich die Frage, wie die Viecher der Kolonie die Fortbewegung koordiniert kriegen:  würden beispielsweise alle Tiere der Kolonie sich individuell gleichartig verhalten, könnte sich die Gesamtheit der Tiere als Kolonie nicht fortbewegen, weil sich die Vortriebskräfte aufheben würden.  Das wäre auch aus energetischen Gründen sehr unvorteilhaft.

2. die eigenartige Fortbewegungsweise, die schon im "Wassertropfen" zu lesen ist, dass nämlich einige Arten dieser Gattung quasi "rückwärts" schwimmen, d.h. beim Schwimmen ist der Fuß vorn, das Räderorgan hinten .


3. bei den kolonialen Conochilus-Arten  bewirkt diese Fortbewegungsweise bzw. Kräfteverhältnisse wiederum, dass die Kolonien nicht auseinandergerissen werden, weil die Bewegungskräfte der einzelnen Tiere zum Zentrum hin wirken statt nach außen.

4.Weiterhin stellt sich wie so oft die Frage, welchen Selektionsvorteil diese Koloniebildung haben mag (wie gesagt, es gibt auch einzeln lebende Arten wie z.B. die "Walzenschwimmerin" Conochilus natans:
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Conochiloides%20natans.html
(der Name stammt wahrscheinlich noch aus einer Zeit, in der es bei Rädertieren keine Weibchen gab)    ;)

Und 5.
was ist die Ursache für dieses Rückwärts-Schwimmen?

Hierbei möchte ich nochmals auf einen Beitrag hinweisen, den ich vor ca. 2 Jahren mal gepostet habe:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=38158.0

Wie damals schon angedeutet, habe ich in der darauf folgenden Zeit  sehr wohl darauf geachtet, in welcher Richtung die scheinbare "Drehbewegung" der Cilien im Räderorgan von Rädertieren erfolgt.  Bei allen bisher beobachteten Rädertieren ist diese "Bio-Mechanik" identisch, d.h. bei  Frontalansicht auf das Tier/Räderorgan  ist  die metachrone Bewegung  entgegen dem Uhrzeigersinn.   


Und damit zurück zu  der  Gattung Conochilus.  Im Gegensatz zu allen anderen bisher beobachteten Rädertieren ist die scheinbare Drehbewegung bei diesen Viechern bei Frontalansicht auf die Korona im Uhrzeigersinn:



Mehr dazu hier:
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Conochilus%20hippocrepis.html

Die Vermutung, dass diese im Vergleich zu anderen Rädertieren entgegengesetzte scheinbare Drehbewegung im Zusammenhang mit dem "Rückwärtsschwimmen" der Viecher steht, scheint somit nahezuliegen.
Aus entsprechenden Videoaufnahmen kann man übrigens auch die "Umdrehungsgeschwindigkeit " dieser Wellenbewegung ermitteln, die bei ca. 40 U/min liegt.

Aber welcher ursächliche Zusammenhang da mit den hydrodynamischen Verhältnissen beim Schlagen der Cilien besteht, weiß (mal wieder) kein Mensch.


Man kann aber auch noch eine weitere Frage stellen, nämlich nach der Metachronie selbst.  Was ist die Ursache hierfür?

Da es dieses Phänomen ja auch bei Einzellern gibt, lässt  sich eine neuronale Koordination ausschließen.
(Ich habe bisher nie die Bewegungsrichtung der Cilien z.B. bei festsitzenden  Ciliaten, (so was wäre z.B. bei Peritrichen wie z.B. Glockentieren, bei denen ja definiert ein "Vorder-" bzw. "Hinterteil"  vorliegt, machbar) beobachtet, wäre vielleicht auch einmal interessant.)

Aber selbst wenn  ein solches  Koordinations-System der Cilienbewegung bei Cilaten und Rädertieren bekannt wäre: was ist die Ursache für die entgegengesetzte Drehrichtung bei Conochilus?


Fragende Grüße
Michael Plewka

Bernd

Hallo Michael,

viele wirklich interessante Fragen, bei denen du wahrscheinlich schon damit rechnest, keine befriedigenden Antworten zu erhalten.

Ich habe dafür ein paar Gegenfragen:

Zitat1. z.B. stellt sich die Frage, wie die Viecher der Kolonie die Fortbewegung koordiniert kriegen:  würden beispielsweise alle Tiere der Kolonie sich individuell gleichartig verhalten, könnte sich die Gesamtheit der Tiere als Kolonie nicht fortbewegen, weil sich die Vortriebskräfte aufheben würden.  Das wäre auch aus energetischen Gründen sehr unvorteilhaft.

Die Vortriebskräfte würden sich nur aufheben, wenn die Kolonie symmetrisch ist. Aber wie und warum schimmen die Viecher denn überhaupt? Ist das nur ein Nebeneffekt der beim Strudeln auftritt? Geht es nur darum, in der Wassersäule zu schweben? Oder folgen sie irgendwelchen Gradienten? Dann könnten sie alle ihre Köpfe etwas in die Gegenrichtung strecken und kämen wahrscheinlich leidlich gut voran. Oder schwimmt die Kolonie zielgerichtet und effizient von A nach B?

ZitatIm Gegensatz zu allen anderen bisher beobachteten Rädertieren ist die scheinbare Drehbewegung bei diesen Viechern bei Frontalansicht auf die Korona im Uhrzeigersinn......Die Vermutung, dass diese im Vergleich zu anderen Rädertieren entgegengesetzte scheinbare Drehbewegung im Zusammenhang mit dem "Rückwärtsschwimmen" der Viecher steht, scheint somit nahezuliegen

Wenn ich das richtig sehe, hat das doch weitreichende Konsequenzen, die sich in der Morphologie der Mundregion manifestieren sollten. Wenn die Viecher die Drehrichtung ihrer Korona spontan ändern könnten, würde das auch die Richtung des Wasserstroms ändern, der Nahrung herbeistrudeln soll. Die Nahrung würde weggestrudelt - blöd. Wenn die Conochilus aber andersrum rädern, müßten sie doch eine anders konstruierte Mundregion haben, um aus dem Wassertrom weiterhin Nahrung herausfiltern zu können. Gibt es solche Unterschiede?

Zitatwas ist die Ursache für dieses Rückwärts-Schwimmen?

Die Antwort auf diese Frage hast du ja schon selbst gegeben. Wenn die Wimpern andersherum schlagen, schwimmen die Viecher auch in die andere Richtung. Ist die Schwimmrichtung denn relevant oder erscheint uns das nur auf Grund unserer eigenen Anatomie von Bedeutung zu sein? Es gibt doch z. B. viele Viecher, die eine Zuggeißel haben und (hoffentlich) viele Viecher, die eine Schubgeißel haben und alle schwimmen glücklich und zufrieden.

Viele Grüße
Bernd


Carsten Wieczorrek

Hallo,
ähm, ich denke eher Nein, aber bei den verlinkten Bildern haben sich bei mir Verbindungen zu meiner Anfrage im Bereich Bestimmung gebildet: mein pseudo Glockentier zeigt zumindest Ähnlichkeiten.
Gute Nacht
Carsten
Für's grobe : GSZ 1
Zum Durchsehen : Amplival Hellfeld, Dunkelfeld, INKO, Phasenkontrast
Zum Draufsehen : Vertival Hellfeld, Dunkelfeld
Zum Polarisieren : Amplival Pol u Auf-/Durchlicht
Für psychedelische Farben : Fluoval 2 Auflichtfluoreszenz
Für farbige Streifen : Epival Interphako

Michael Plewka

Hallo zusammen,
vielen Dank für die Rückmeldungen!

@ Bernd:

da hast Du wahrscheinlich eine Menge Zeit in Deinen ausführlichen Kommentar investiert, welcher dann wiederum zum Nachdenken anregt.


Thema 1: die Koordination.
Zitat....Die Vortriebskräfte würden sich nur aufheben, wenn die Kolonie symmetrisch ist.....

Einerseits ist Deine Aussage selbstverständlich richtig, es sind aber weitaus energieeffezientere Kolonieformen denkbar, z.B. wenn die Individuen so in einer Richtung angeordnet wären wie die Triebwerke von Flugzeugen.  Beobachtungen zeigen weiterhin, dass von der Kolonie abgelöste einzelne Tiere eine deutlich höhere Schwimmgeschwindigkeit haben   als eine Kolonie.

Ich hätte vielleicht stärker betonen sollen, dass die Frage in Richtung von evolutiven Anpassungen der Koloniebildungen zielte; wobei man da als Biologie keine Ziele ("....zielgerichet") definieren kann.   In dieser Rädertier- Gattung gibt es sowohl solitäre  als auch  koloniale Arten. Worin besteht der (evolutive) Vorteil von Kolonien bei diesen Planktern (auch, wenn man dann geißelbewegliche Algen-Gattungen wie z.B. Volvox, Uroglena, Synura mit in die überlegungen einbezieht)?

Angesichts  der herumtorkelnden Bewegung der gesamten Kolonie erscheint mir die Vermutung: "Schutz vor Fressfeinden"  (zumindest bei den Rädertieren) nicht zu passen, ebenso wenig wie  die in Fernsehdokumentationen  so inflationär verwendete Floskel: "die Art xxx ist perfekt an die Umgebung angepasst"


Thema 2: Metachronie.

wenn man sich die Abbildungen 3 & 4 hier anschaut:
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/E-TL/ID_Bdelloid/morphology/src%20/E_02_frontal_aspects.html, so wird deutlich,

dass es um 2 unterschiedliche Phänomene geht.

Da ist 1. die reale Schlagbewegung der Cilien, die im Beispiel des Rädertiers  Rotaria in Bild 3 in  Richtung parallel zur Körperlängsachse, quasi "von vorn nach hinten" schlagen.

2. Diese  Schlagbewegung der Cilien ist aber nicht synchron, d.h. die Cilien schlagen nicht alle gleichzeitig in dieselbe Richtung, sondern zeitversetzt (metachron), was sich demzufolge in einer Momentaufnahmen  in Bild 4 (von Zelinka) oder auch
in Bild 8 hier:
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Conochilus%20hippocrepis.html

in einem sinusartigen Bewegungsmuster  der Cilien äußert.


Dieses Bewegungsmuster pflanzt sich sich auf der Korona mit einer bestimmten Geschwindigkeit fort und führt zu einer scheinbaren Drehbewegung, deren Richtung  anders (konkret: im rechten Winkel)  ist als die Schlagrichtung der Cilien.

Bei Deinen Überlegungen sind diese beiden Phänome m.E.  nicht konsequent getrennt:

Zitat... Wenn die Viecher die Drehrichtung ihrer Korona spontan ändern könnten, würde das auch die Richtung des Wasserstroms ändern, der Nahrung herbeistrudeln soll. ...

Diese Vermutung finde ich sehr interessant.  Wie kommst Du darauf?

Grundlage für diese konstante Richtung des  Zeitversatzes  des Cilienschlags muss ja eine räumliche Koordinierung der Steuerung ("Triggerung")  der Cilien sein. Vermutlich hat diese Koordination eine morphologische bzw. physiologische Grundlage (es ist z.B. überhaupt kein Problem, eine elektronische Schaltung auf der Basis simpler Logikbausteine aufzubauen,  die einen solchen Zeitversatz simuliert.). Diese morphologische bzw. physiologische Grundlage muss,  da diese Art der Metachronie (vemutlich, hat ja noch keiner überprüft) ausschließlich typisch für diese Gattung ist, genetisch fixiert sein.
Demzufolge gehe ich davon aus, dass bei einer Umkehr dieses räumlichen Zeitversatzes die Cilien weiterhin in dieselbe Richtung schlagen würden (bisherige Videoaufnahmen deuten auch darauf hin). 

(Es ist im übrigen höchst bemerkenswert, dass Rädertiere  diese metachrone Drehbewegung gerade nicht spontan ändern können (was im Gegensatz zu beispielsweise Ciliaten wie Paramecium steht, die spontan von Vorwärts- auf Rückwärtsschwimmen umschalten können).

Insofern bleibt für mich die Ursache für das Rückwärtsschwimmen bzw. die Verknüfpung mit der andersartigen metachronen Bewegung weiterhin unklar.

Ob dieses Rückwärtschwimmen für Conochilus  nun mehr Glücksgefühle oder mehr Zufriedenheit bewirkt, sei einmal dahingestellt....

Beste Grüße
Michael Plewka