Fett/Öl Verharzung, Mischen, etc. - Frage an die Chemiker

Begonnen von ortholux, Dezember 13, 2022, 22:12:18 NACHMITTAGS

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ortholux

Liebe Kollegen,

wir Leitzis sind vom Fett geplagt. Insbesondere vom Fett der 60er Jahre. Boomerfett, quasi. Macht sich nicht nur am Eigenbauch bemerkbar, sondern auch in der Mechanik der Mikroskope ähnlichen Baujahres.

Dazu ein paar Fragen:

1. Was ist Verharzung eigentlich? Was passiert da, und warum kann man das manchmal mit Wärme lösen, manchmal nur temporär, manchmal gar nicht?

2. Was passiert, wenn ich das Fett nicht vollständig entferne und einfach dazufette?

3. Ich nehme eigentlich gerne Vaseline zum Fetten. Spricht da was dagegen?

4. Was passiert, wenn das Fett nicht vollständig entfernt wurde und es mit Vaseline im Gewinde gemischt wird?

Meine (Langzeit-)Erfahrungen (<10 Jahre) mit Vaseline sind übrigens gut.

Danke Euch klugen Köpfen
Wolfgang


deBult

Reading the German language is OK for me, writing is a different matter though: my apologies.

A few Olympus BH2 and CH2 stands with DIC and phase optics.
The correct number of scopes to own is N+1 (Where N is the number currently owned).

Florian D.

#2
Hallo Wolfgang,

wie ich das verstanden habe, sind Schmierfette eine Lösung verschiedener Seifen in Öl.
Die Seifen bilden dann ein dreidimensionales Netz, so dass das Öl ohne Belastung nicht mehr flüssig ist (Tixotropie). Im Gegensatz zu Vaseline, die bei höheren Temperaturen sehr dünnflüssig wird und wegfliesst, bleibt das Fett an Ort und Stelle.

Bei Belastung wird das Netzwerk aber leicht aufgebrochen und die Seife erhöht nur die Viskosität des Öls. Das ist wünschenswert, weil die Schmierwirkung umso höher ist, je viskoser das Fett ist. Das Fett wird dann einfach besser in die Engstellen hineingezogen.

Vor allem die Fettsäuren in Seifen aus natürlichen Ölen und tierischen Fetten enthalten Doppelbindungen, die von Sauerstoff oxidiert werden. Es bilden sich OH Gruppen, die mit anderen Fettsäuren Ester- oder Etherbrücken bilden. Das dreidimensionale Netz kann jetzt bei Belastung nicht mehr aufgebrochen werden und auf dem Weg dorthin wird das Fett immer viskoser.

Dabei enstehen auch niedermolekulare Fettsäuren und Aldehyde, die für den typisch ranzigen Geruch verantwortlich sind.

Bei guten synthetischen Fetten sollte eigentlich keine Verharzung auftreten.

Soweit zumindest mein Verständnis.

Viele Grüsse
Florian

JJ

Hallo Wolfgang,
ich habe gerade ein BHS Mikroskop vollständig zerlegt, gereinigt und gefettet und wieder zusammengebaut.
Vorher habe ich mir natürlich auch überlegt, welches Fett ich nehme und bin nach längerer Suche auf
Vaseline gekommen. Da nirgends eine konkrete Temperatur zu finden war, ab der Vaseline flüssig wird,
habe ich einen Test gemacht. Das Ergebnis war, dass sich die Vaseline auch bei längerer Erwärmung auf 60° C
nicht verändert hat. Alle Triebe des BHS laufen jetzt (und hoffentlich auch die nächsten Jahrzehnte) einwandfrei.

Viele Grüße aus Österreich
Jörg

jochen53

#4
Hallo,
die Erklärungen von Florian sind schon sehr gut und ausführlich.
Das Wesentliche ist: Ein Fett ist ein Öl, das man am Wegfließen gehindert hat. Damit ist bereits klar, daß die Schmierwirkung in erster Linie vom Öl bewirkt wird. Es gibt unzählige verschiedene Öle, die sich hauptsächlich durch ihre Herkunft, ihre Viskosität und ihre chemische Struktur unterscheiden. Durch die Wahl der richtigen Viskosität lassen sich die Tragfähigkeit des Schmierfilms und der Widerstand beeinflussen, den dieser Schmierfilm bei der Bewegung bewirkt, z.B. die Leicht- oder Schwergängigkeit eines Zahntriebs (Fokustrieb) oder eines Gewindes (Okularverstellung). Das Öl hat auch einen wesentlichen Einfluß auf das Kälteverhalten und die Eignung für höhere Temperaturen. Im Radlager eines Fahrzeugs möchte man z.B. einen möglichst geringen Laufwiderstand, beim Zahnkranz eines Baggers oder an der Zahnstange eines Stauwehrs soll das zähe Fett lange auf der Verzahnung kleben bleiben.
Es gibt verschieden Möglichkeiten, ein Öl so zu verdicken, daß es zu einem richtigen Fett wird:
Metallseifen, meistens Lithium- und Calciumsalze (= Seifen) längerer Carbonsäuren, seltener Barium- oder Aluminiumseifen. Früher wurden sogar Bleiseifen verwendet. Als Carbonsäuren werden häufig 12-Hydroxystearinsäure (aus gehärtetem Rizinusöl gewonnen) oder Stearinsäure verwendet. Diese Metallseifen werden bei erhöhter Temperatur im Öl aufgeschmolzen und dann kontrolliert abgekühlt, dabei bildet sich eine geordnete, verdickende Struktur aus "kristallisierter" Seife. Früher hat man z.B. Rindertalg (ungesättigtes Triglyzerid) in Mineralöl mit gelöschtem Kalk (Ca(OH)2) zu einem einfachen, billigen Schmierfett für Wagenachsen umgesetzt.
Anorganische Verdicker wie z.B. pyrogene Kieselsäure Aerosil), PTFE-Pulver, Graphit- oder MoS2-Pulver oder Bentonit. Das sind eigentlich keine Fette im engeren Sinn, sondern eher Pasten ohne eine räumlich geordnete Struktur.
Spezielle organische Harnstoffderivate für Hochtemperaturfette.
Durch den Anteil an Verdicker kann man die Konsistenz eines Fettes beeinflussen, von fließfähig wie Ketchup über sehr weich wie Mayonnaise bis schwer streichfähig wie Butter aus dem Kühlschrank.
Als Öle werden verwendet:
Mineralöle verschiedenster Viskosität
Synthetische Kohlenwasserstoffe (z.B. Polyalphaolefine)
Synthetische Esteröle
Polyalkylenglykole(Sonderfälle)
Silikonöle (Sonderfälle)
Fluorhaltige Öle (Sonderfälle)
Polymerzusätze zur besseren Haftung und zur Erhöhung der Zähigkeit.
Auch Mischungen aus verschiedenen Ölen können verwendet werden.
Neben Öl und Verdicker werden noch Additive gegen Oxidation, Korrosion, Fressen und Verschleiß zugesetzt.

Vaseline ist kein Fett, sondern ein Gemisch aus flüssigen und wachsähnlichen Kohlenwasserstoffen, sie wird bereits ab etwa 45 - 50° C schlagartig flüssig, ihre Schmierfähigkeit ist gering.

Die Auswahl des richtigen Fetts hängt von verschiedenen Parametern ab, Belastung, Geschwindigkeit, Temperatur (hohe und niedrige!), Materialpaarungen, Medieneinfluß usw. Neben Erfahrung sind hier häufig Praxisversuche nötig. Für erste Versuche ist ein lithiumverseiftes Fett auf Mineralölbasis in der NLGI-Klasse 2 (ein Maß für die Konsistenz) zu empfehlen. Das gibts in Patronen oder Tuben im Baumarkt oder man läßt sich ein wenig davon in der Autowerkstatt geben. Finger weg von Bio-Fetten und -Ölen! Die sind nicht für lange Gebrauchszeiten gemacht.

Das "Verharzen" von Fetten kann mehrere Ursachen haben:
Ölverlust und damit verbunden ein Anstieg der Konsistenz.
Oxidation über sehr lange Zeiträume (Jahrzehte) hinweg. Diese Art der Alterung wird stark durch Metalle katalysiert, insbesondere Kupfer. Jeder kennt vermutlich hart und grün (Cu2+-Ionen) gewordenes Fett. Dabei kommt es zu einer räumlichen oxidativen Verknüpfung und das Fett wird hart. Beonders beschleunigend wirken Ozonspuren, die u.a. durch UV-Strahlung oder elektrische Funken bilden (Hd-Hochdrucklampen!). Heute gibt es Additive, die diesen Effekt zwar bremsen, aber nicht ganz verhindern können. Das o.g. Fett aus Rindertalg wäre dafür durch seine Doppelbindungen besonders anfällig, aber man hat ja auch sehr oft nachgeschmiert und Kupfer war da nicht beteiligt.

Eine Warnung: Silikonöle und -fette haben nichts in der Feinwerktechnik zu suchen, außer die Konstruktion ist dafür vorgesehen. Sie haben absolut schlechte Schmiereigenschaften und sie sind immer da, wo man sie überhaupt nicht haben will (z.B. auf Linsen und Spiegeln), weil sie eine so niedrige Oberflächenspannung und ein hohes Spreitvermögen haben. Wenn irgendwo Gummi auf Metall oder Kunststoff gleitet oder sogar quietscht, sind sie erste Wahl.

Verhärtete Fette sollte man immer vollständig entfernen, was nicht immer leicht ist. Die katalytisch wirkenden Metallionen sind ja schon drin. Da die Vernetzung unter teilweisem Einfluß von Sauerstoff und Ozon erfolgt, reduziert sich die Löslichkeit des Drecks. Man muß hier probieren, aber dabei immer auf die Kunststoff- und Lackverträglichkeit achten. Ethanol, 2-Propanol, Aceton, Benzin, Petroleum, Kaltreiniger, Lampenöl, Grillanzünder, Bremsenreiniger, Nitroverdünnung und natürlich der Lieblingssaft des Mikroskopikers (ein Wort mit "X") stehen hier zur Auswahl. Das Erwärmen wirkt meistens nur kurzzeitig, ebenso wie das Einwirken eines winzigen Tropfens Frischöl oder Grillanzünder-Fluid.

Ich hoffe, ich konnte Euch ein paar Denkanstöße geben, Jochen



Peter Reil

Hallo Jochen,

danke für deinen Beitrag zur Aufklärung!

Vaseline nutze ich für das Mikroskop gar nicht. Zu groß ist mir die Gefahr, dass das Zeugs bei Erwärmung wie Wasser wegläuft und vielleicht dort hin, wo es nicht soll. Und Temperaturen von 40-60 Grad werden im Stativ an einigen Stellen locker erreicht (Halogenlampe, Trafo, Transistoren...)
Grundsätzlich werden bei mir alle Triebe komplett vom alten Fett gesäubert und dann neues aufgetragen (OSIM, verschiedene Viskositäten).

Ich kenne ein OLYMPUS BHS, das ca. 10 Jahre still stand und einen verharzten, komplett festgesessenen Grob- und Feintrieb aufwies. Der neue Nutzer brachte durch kräftiges, vorsichtiges Hin- und Herbewegen (war anfangs ganz schön schwer) diesen wieder zum Laufen. Seitdem (über 20 Jahre) wird das Teil regelmäßig genutzt und es funktioniert immer noch einwandfrei. Das Fett taugt also noch.  :) ?

Was ich festgestellt habe ist, dass von einigen Leuten bei Verharzungen einfach Benzin, Sprühöl oder WD40 von außen beigebracht wird. Es löst die Verharzungen und es scheint wieder alles zu funktionieren - abgesehen von der Sauerei auf den optischen Flächen.

Scheinbar (oder anscheinend?) wird das Fett durch die Öl- oder Lösungsmittelzugabe verdünnt. Wie gut da die Langzeitwirkung ist, würde mich interessieren.

Freundliche Grüße
Peter
Meine Arbeitsgeräte: Olympus BHS, Olympus CHK, Olympus SZ 30

jochen53

#6
Hallo Peter,
wir haben das "berühmte" WD 40 mehrfach analysiert. Es ist vereinfacht gesagt eine Art Petroleum mit ein wenig Korrosionsschutz, der aber miserabel ist. Es kriecht gut und löst "altes" Fett an. Am besten taugt es dazu, das Lösen festgerosteter Schrauben zu erleichtern. In der Nähe von Optiken sollte man damit sehr sehr vorsichtig sein (z.B. an gefederten Objektiven mit Frontlinsenschutz), außerdem verdunstet es mit der Zeit. All diese Verfahren sind m.E. nur kurzzeitig wirkende "Verkaufsreparaturen".
Es gibt tatsächlich bestimmte Fette, die bei langer Ruhezeit hart werden, z.B. bestimmte Calciumseifenfette. Durch intensive Scherbeanspruchung (Hin- und Herbewegen) und leichtes Erwärmen mit dem Föhn kann man sie manchmal wieder weich kriegen, evtl. kann man ein ganz winziges Tröpfchen Öl zugeben. Wenn man kein spezielles Feinwerköl hat, kann man auch ein medizin. Paraffinöl (paraffinum subliquidum, perliquidum) aus der Apotheke nehmen. Das paraffinum subliquidum ist dickflüssiger und das perliquidum dünnflüssiger, ich würde eher das dickflüssigere nehmen.
Bitte nie Getriebeöl nehmen, besonders kein Autogetriebeöl (SAE 80 oder SAE 90), die stinken wie die Pest, eher noch ein Hydrauliköl oder ein ATF.

Viele Grüße, Jochen