Ob Goethe oder Goosen - egal! Hauptsache: Rädertiere

Begonnen von Michael Plewka, März 07, 2023, 08:41:35 VORMITTAG

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Michael Plewka

Hallo zusammen,

Vermutlich auf J.W. von Goethe geht  der Spruch: " Warum (orig.: Willst Du...) in die Ferne schweifen....."  zurück, der wiederum von dem Ruhrgebiets-Lokal-Literat F. Goosen (>> "Tresen-Lesen")  ziemlich frei in  : "Woanders ist auch sch..."   "übersetzt" wurde.


Wie dem auch sei,  man / frau / divers kann also auch hier in der "Heimat"    durchaus interessante Mikroorganismen finden, wie ich schon das eine oder andere auch mal in diesem Forum kundgetan habe. Heute geht es um ein Rädertier, das erst 2009 entdeckt und als Art neu beschrieben worden ist, und zwar um ein "Schmarotzer-Rädertier" (lt. "Wassertropfen").  Der Name: Proales ardechensis  gibt schon einen Hinweis, wo diese Art zuerst gefunden  wurde: nämlich an/ in  der Ardeche in Frankreich, dem Fluss in einer sehr spannenden und somit auch berühmten Urlaubsgegend.
Lt. "google" ist der Fundort von hier mit dem Auto nach ca. 11 Std nonstop Fahrt erreichbar.  Mit dem Fahrrad sind es zum Felderbach, wo ich die o.a. Art glaube, gefunden zu haben, gerade mal 20 min.

Der Felderbach ist ein Fließgewässer, in dem ich schon zuvor verschiedene Rädertiere gefunden habe, die in stehenden Gewässern nicht zu finden sind, so z.B. Henoceros falcatus
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Henoceros%20falcatus.html

oder ein unbekantes Rädertier: 
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Bdelloid_15.html

Andere Proales-Arten habe ich bisher dort nicht gefunden.   An der jetzigen  Proben-Stelle waren einige Büschel des Wassermooses Fontinalis zu finden, an welchem sich trotz einiger Strömung auch Sediment ansammeln kann.



Im Gegensatz zu einer Encentrum-Art (vermutlich E. spinosum bzw. E. putorius), die in erheblicher Anzahl  ( ca. 5-10/ ml) zu finden waren, kamen nur wenige Exemplare dieser   Proales-Art  in diesem Sediment vor. 

Für Deutschland ist diese Art m.W. noch nicht dokumentiert.

Ich zeige hier ausschließlich   das Bild desjenigen Organs, das  für die Artbestimmung entscheidend ist: des Kauers.  Es gibt sowieso kein schönes Bild des Viechs "in natürlicher Umgebung". Um morphologische, d.h. bestimmungsrelevante Merkmale zu dokumentieren, müssen  Rädertiere  sauberst isoliert werden,  einige der Kauer-Bestandteile sind zwar noch einige zig Mikrometer groß, aber nur wenige Mikrometer dick und würden bei der Präparation sehr schnell weggespült.  Algenfäden o.ä. stören da erheblichst. 




Es gibt bei Rädertieren verschiedene Kauertypen. Hier liegt ein sog. malleater Kauer mit den typischen Grundelementen: Fulcrum (Fu), Rami (Ra), Manubrien (Ma) und  Unci (Un) vor.   Die winzigen hakenförmigen Gebilde (= Alulae), auf welche  die Pfeile hinweisen, sind die entscheidenden morphologische Kennzeichen, welche es in Kombination mit der äußeren Form bei keiner anderen Proales-Art gibt.

Weiter Infos/ Bilder  zu den Viechern hier:

https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Proales%20ardechensis.html


Beste Grüße
Michael Plewka


SNoK

Lieber Michael,

sehr interessant. Vor einigen Jahren habe ich an der Ardeche Urlaub gemacht, aber ich hatte kein Mikrsokop dabei. Dein Kauer-Bild lässt mich an die Archäologen denken, die aus einem Unterkiefer das ganze Tier oder einen Menschen rekonstruieren. Aber auf Deiner Webseite hast Du ja glücklicherweise Bilder von dem Tier.

Grüße
Stephan
Mikroskope: Leica DMRB, Leitz Dialux (beide mit DIK)
Stemis: Zeiss 508, Wild Heerbrugg M5
Kameras: Sony alpha 6500 und 6400
Webseite: https://kralls.de
Vorstellung: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=41749.msg308026#msg308026

Bernd

Hallo Michael,

ich gratuliere dir zu diesem Fund, der ja sicherlich der Erstfund dieser Art in Deutschland ist. Es ist immer wieder erstaunlich, was man quasi vor der eigenen Haustür finden kann. Der Knackpunkt ist natürlich, daß man so etwas auch erkennen können, also Spezialist sein, muß.
Ich habe gerade die Originalarbeit mal quergelesen. Zur Ernährung steht da nichts. Sind denn wirklich alle Proales-Arten Parasiten?

Viele Grüße und wieterhin viel Jagdglück
Bernd

Michael Plewka

Hallo  Stephan und Bernd: vielen Dank für die Kommentare!

@ Bernd:
zur Ökologie der meisten Rädertierarten ist m.E. recht wenig bekannt. Bei den planktischen Formen  mit "klassischen Arten" wie z.B. den Arten  der Gattung Brachionus weiß man da sicher mehr, da diese in großen Mengen  auftreten und somit auch teilweise kommerziell  (B. plicatilis zum Beispiel als indirektes Fischfutter ) Bedeutung haben.  Aber auch weil einige Rädertier-Parasiten wie z.B. Proales gigantea bei relativ großen Wirten wie z.B. Schnecken auftreten, kriegt man zuerst über diese großen Wirte mit, dass da Parasiten vorhanden sind.  Möglicherweise können da die Aquarianer in diesem Forum noch etwas beitragen.
Im  Detritusbereich von stehenden Gewässern  gibt es z.B. die ziemlich häufige Proales fallaciosa,
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Proales%20fallaciosa.html
die sich vor allem von Aas ernährt, also nicht als Parasit gelten kann.

Der Carapax der Wasserflöhe (Daphnia) ist machmal mit  "Proales daphnicola"
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Proales%20daphnicola.html
besiedelt. P. daphnicola (ist mittlerweile    einer anderen Gattung (Epiphanes) zugeordnet), ernährt sich dort von Ciliaten, die ebenfalls auf dem Carapax sitzen. Die ökoloische Funktion erinnert an die Madenhacker-Vögel auf Großsäugern.

Bei Funden aus Fließgewässern sind die ökologischen Faktoren jedoch, wie schon mal dargestellt, in vielen Parametern deutlich anders als in stehenden Gewässern.
Die Art Proales theodora
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Proales%20theodora.html
habe ich  schon in verschieden Bächen angetroffen; für diese Art ist kein Wirt beobachtet worden. Wegen der zur Artbestimmung immer notwendigen Kauerpräparation besteht beim Komprimieren der Tiere somit auch immer die  Möglichkeit der genaueren Untersuchung des Mageninhalts. Im Magen dieser Art kann man immer jede Menge Diatomeen finden, offensichtlich ist diese Art kein Parasit.

Die mechanische Kraft des strömenden Wassers bedeutet für einen Ektoparasiten/ Epibionten  aber auch  die Gefahr, abgerisssen und verdriftet zu werden. 
Offensichtlich ist das gar nicht so selten der Fall. Hier ein Beispiel: in einem anderen kleinen Bach bei uns in der Nähe habe ich im Sediment dort ein einzelnes Rädertier gefunden, das -ebenfalls von DeSmet/Verolet (2016)- als eine neue Art: Dicranophorus cambari
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Dicranophorus%20cambari.html
(benannt nach dem Wirt, einem Wels (Cambarus affinis), wo D. cambari in den Kiemenhöhlen lebt)   bezeichnet wird, die in Frankreich auf dem Flohkrebs Gammarus pulex gefunden wurde.  Hier bei uns stattdessen frei lebend.
Wenn also  -vor allem in Bächen- vereinzelte Rädertiere gefunden werden, kann man somit auf keinen Fall ausschließen, dass dieser Fund nicht doch ein Ektoparasit ist  oder als  Epibiont (eigentlich) einen Wirt bevorzugt.

Bei dem jetzigen Fundort von P. ardechensis konnte ich  zwischen den Moosbüscheln sehr wohl Gammariden beobachten, aber Rädertiere habe ich als Epibionten nicht beobachten können. Der Mageninhalt von P. ardechensis war bei allen gefundenen Exemplaren  homogen feinkörnig, insofern lassen sich aus diesem Befund lediglich Diatomeen als Nahrung ausschließen. Das lässt aber keine Aussage über Parasitismus zu.
Insofen bleibt (zunächst) offen, ob P. ardechensis evtl. ein Epibiont ist.

Beste Grüße
Michael Plewka