Der Bauchhärling Setopus bisetosus

Begonnen von Michael, Mai 25, 2023, 10:07:17 VORMITTAG

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Michael

Setopus bisetosus (Thomson, 1891) - eine früher häufige Art - ist durch das Fortschreiten der industriellen Landwirtschaft und der damit einhergehenden Trockenlegung sehr selten geworden. Deshalb freut es mich immer, ein Exemplar dieser Art zu finden.


freischwimmendes Exemplar

Leider konnte ich das Tier nicht vollständig still legen, so dass die Fotoqualität nicht optimal war. Die folgenden Bilder sind deshalb aus jeweils zwei Einzelbilder zusammengefügt.
Die semi-planktischen Setopus-Arten besitzen meist keine durchgehenden Wimpernbänder und bewegen sich mit einem (fast vollständig geschlossenen) Wimpernring am Kopf schwimmend. Zusätzlich sind ventral am Kopf einige typisch angeordnete Wimpernbüschel vorhanden. Am Körper selbst sind die Wimpernbänder - außer einigen vereinzelten Wimpern - auf ein Paar Wimpernbüschel am Hinterleib reduziert.

Ventral trägt das Tier drei Stacheln.


Ventrale Bewimperung: Cilienring (cr), Wimpernbüschel (ct); 1..3: ventrale Stacheln

Im medianen Schnitt erkennt man zwei Paare gekielter Terminalplatten am Hinterende des Tieres. Diese Terminalplatten sind in der Literatur nicht erwähnt.
Lateral sind fünf Stacheln zu erkennen.


Medianer Schnitt mit Terminalplatten (tp) und Kopfschild (kep); 1..5: laterale Stacheln; Cilien-Ring (cr)

Typisch ist das breite und starke und auffällige Kopfschild (Kephalion) der Tiere.

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

SNoK

Lieber Michael,

wieder sehr schöne Bilder von einem interessanten Bauchhärling! Was sich mir nicht ganz erschließt, ist der direkte Zusammenhang mit der Landwirtschaft. Was wurde Deiner Meinung nach trockengelegt? Die Felder waren auch vor industrieller Landwirtschaft schon trockengelegt. In Pfützen produziert kein Bauer gern. Trockengelegt wurden Moore mit den desaströsen Folgen für den Klimawandel. Aber vielleicht verstehe ich das nicht ganz. Wenn es so ist, warum verschwinden dann nicht alle Bauchhärlinge, sondern nur die eine Art? Gibt es dazu Infomationen?

Grüße
Stephan
Mikroskope: Leica DMRB, Leitz Dialux (beide mit DIK)
Stemis: Zeiss 508, Wild Heerbrugg M5
Kameras: Sony alpha 6500 und 6400
Webseite: https://kralls.de
Vorstellung: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=41749.msg308026#msg308026

Michael

Hallo Stephan,

ich möchte da gar kein Fass aufmachen und weiß, dass Du da vom Fach bist und Dich mit Landwirtschaft sicherlich besser auskennst als ich. Dennoch finde ich es interessant, dass Gastrotrichen auch als Indikatororganismen gelten.
Gerade die Dasydytiden (und damit auch Setopus) und Neogosseiden haben einen großen Indikatorwert. Diese Gattungen und ihre Arten wurden vor 100 Jahren noch regelmäßig gefunden - heute braucht es oft Jahre, bis man mal eine dieser Arten zu Gesicht bekommt und ihr Vorkommen ist meist auf intakte Naturschutzgebiete beschränkt.

So schreib Schwank z. B.:

Zitat
Informationen über den Rückgang der Gastrotrichen im Rahmen der heutigen flächendeckenden Ausräumung und Trockenlegung der europäischen Landschaft und dem Übergang zur  Kultursteppe können aus dem Vergleich mit den Arbeiten älterer Autoren gewonnen werden (u.a. Rodewald 1940, Voigt 1904, 1909, Greuter 1917).

In den letzten 100 Jahren sind viele Moore endgültig trocken gelegt, Fluss- und Bachläufe begradigt und Auenlandschaften der Nutzung zugeführt worden. Durch die Schaffung großflächiger Nutzungsräume durch die Flurbereinigung wurde das kleinräumige Strukturgefüge geschädigt, feuchte Senken und Feldraine in die Bearbeitung durch schwere Maschinen aufgenommen. Zu alle dem gab es einen breiten gesellschaftlichen Konsens und ich verstehe, dass eine andere Landwirtschaft heute nicht mehr rentabel möglich ist - aber deshalb muss man diese Veränderungen unserer Kulturlandschaft auf Kosten der Natur nicht gut finden.

Viele Grüße

Michael

Gerne per Du

Ole Riemann

Lieber Michael,

danke für diese sehr schöne Dokumentation - abgesehen vom Seltenheitswert des Fundes finde ich auch Deine angepasste und nochmal verbesserte Aufbereitung der Bilder sehr sehenswert.

Deinen Ausführungen zur Entwicklung der ländlichen Kulturlandschaft stimme ich zu, obwohl ich bezweifle, dass es jemals einen breiten gesellschaftlichen Konsens hierfür gab - heute noch weniger als in vielleicht fortschrittsgläubigeren Jahrzehnten.

Als urban geprägter, eher bürgerlicher Grüner - eine heutzutage sehr verdächtige Kategorie, immer gefährlich nahe am besserwisserischen Linksliberalismus - bin ich auch nicht so sicher, ob das mit der Rentabilität der herkömmlichen Intensivlandwirtschaft mit all ihren Begleiterscheinungen alles so stimmt.

Beste Grüße

Ole





SNoK

Lieber Michael,

Du hast ja im Prinzip recht. Schuld am Artenrückgang, und das gilt für viele Pflanzen und Tiere...und auch meine geliebten Insekten, ist die Landnutzungsänderung. Diese wird natürlich vor allem durch die Landwirtschaft verursacht, aber ebenso auch durch die generelle Versiegelung der Landschaft und die Urbanisierung.

Es klang bei Dir so, aber das habe ich dann falsch interpretiert, als ob in letzter Zeit die industrialisierte Landwirtschaft irgendwas trockengelegt hat. Das haben aber bereits die kleinen Betriebe mit den Mooren vor 100 Jahren gemacht, und auch diese konventionelle eher kleinbäuerlich geprägte Landwirtschaft von 50-200 Hektar hat ihren nicht geringen Anteil am Rückgang der Arten.

Dies allein der großflächigen Landwirtschaft, wie es sie vor allem in Ostdeutschland gibt, in die Schuhe zu schieben, ist wohl nicht ganz korrekt. Aber ich werde mich da noch mal sachkundig machen. Vor 1 1/2 Jahren habe ich von einer Freundin (Geografin) zum Geburtstag ein 600 Seiten starkes Buch geschenkt bekommen mit dem Titel "Die Eroberung der Natur - Eine Geschichte der deutschand Landschaft". Das lag bisher schnöde in der Ecke. Jetzt werde ich mal reinschauen.

Was die Rentabilität der verschiedenen Landwirtschaftformen, der Internalisierung der externen Kosten etc. angeht, habe ich mich daran viele Jahre beruflich abgerarbeitet, und hatte mir vorgenommen, das mit Eintritt in die Rente nicht mehr weiter zu betreiben. Aber wir können ja am Pillersee bei ein, zwei Bier noch mal "unverbindlich" drüber sprechen, auch mit dem "bügerlichen Grünen", der " gefährlich nahe am besserwisserischen Linksliberalismus" ist -;)

Aber jetzt kommen wir ganz von Deinen wunderbaren Bauchhärlingen ab, um die es sich ja hauptsächlich dreht.

Grüße
Stephan
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limno


Hallo,
nur ein  kurzer Einwurf: Einerseits ist die Artenvielfalt in Mitteleuropa Folge landwirtschaftlicher Tätigkeit in den letzten Jahrtausenden und ohne diese nicht denkbar.Auf der anderen Seite trägt die Intensivierung der Landwirtschaft im letzten Jahrhundert aus wirtschaftlichen Erwägungen zu einem drastischen Rückgang eben dieser Vielfalt bei.
Heinrich


So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

SNoK

Lieber Heinrich,

was genau meinst Du mit Artenvielfalt der letzten Jahrtausende, die landwirtschaftlichen Sorten?

Grüße
Stephan
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Michael

Hallo Ole, Stephan und Heinrich,

schön, dass Euch meine Fotos gefallen - an der Qualität arbeite ich weiter aber schön langsam bin ich recht zufrieden damit...

Zitat von: SNoK in Mai 25, 2023, 19:32:16 NACHMITTAGS

... wir können ja am Pillersee bei ein, zwei Bier noch mal "unverbindlich" drüber sprechen, auch mit dem "bügerlichen Grünen", der " gefährlich nahe am besserwisserischen Linksliberalismus" ist -;)


Genau so machen wirs -  ich freue mich schon darauf!

Viele Grüße

Michael

Gerne per Du

limno


Guten Morgen, Stephan,
die natürliche Klimaxgesellschaft Mitteleuropas wären dichte Buchenwälder. Vor allem nach der Völkerwanderung wurde diese Landschaft durch Besiedlung und Landwirtschaft umgeformt. An die Stelle dichter Wälder mit verhältnismäßig geringer Vielfalt traten sogenannte Ersatzgesellschaften. Die Vegetation war nun einem dynamischeren Rhythmus unterworfen, was der Artenvielfalt förderlich war.
Was landläufig z.B.unter einer "Wiese" verstanden wird,  ist ja keine natürliche Pflanzengesellschaft, sondern folgt den Rhythmen von Mahd und Beweidung. Die natürlichen "Urwiesen" gibt es oberhalb der Baumgrenze. Erst durch Mineraldüngung  und Pestizide wurde der Ertrag gesteigert und die Artenvielfalt ging zurück.
Beste Grüße
Heinrich
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

SNoK

Lieber Heinrich,

das stimmt, das hatte ich auch mal gelesen. Wenn allerdings Wälder abgeholzt wurden, wegen des Holzes, und dadurch Wiesen etc. entstanden, war das nicht, wie im Amazonas, gleichbedeutend mit landwirtschaftlichen Aktivitäten. Natürlich war das für die Artenvielfalt förderlich, weil neue, andere Biotope entstanden.

Aber was würde das heute bedeuten? Deutschland ist zu zirka einem Drittel mit Wäldern bedeckt. Davon ist jetzt einiges durch Trockenheit, Stürme und Borkenkäfer kaputt gegangen. Allgemein wird gefordert, den Wald mit anderen Baumarten wieder aufzuforsten, um neue CO2-Speicher entstehen zu lassen. Aber im Sinne Deiner Arguemntation müsste man eigentlich fordern, dass nicht wieder aufgeforstet wird, sondern eine offene Landschaft entsteht, wie sie auch zur Zeit der Dinosaurier vorhanden war, um dadurch die Biodiversität zu erhöhen. Das habe ich aber noch nicht gelesen.

Ich habe mal einen interessanten Vortrag gehört. Bei Anlage einer Kriesgrube gab es, das ist Standard in Deutschland, die Auflage, nach Beendigung der Ausbeutung den ursprünglichen Wald wiederherzustellen. Eine Forderung auch der Naturschtzverbände. Als aber die Ausbeutung beendet war, stellten alle fest, dass sich in der aufgelassenen Kiesgrube eine Biodiversität eingestellt hatte, die viel interessanter war, also die, die bei Wiederaufforstung entstehen würde. Also forderten nun die Naturschutzverbände, die Wiederaufforstung zu unterlassen. Ich erinnere mich nicht mehr, wie das ausging.

Viele Grüße
Stephan
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limno


Lieber Stephan,
der letzte Absatz geht auch in meine Richtung. Menschliche Eingriffe sind aus naturwissenschaftlicher Sicht weder gut noch böse. Moralische Wertungen  wie z.B. "gesund" bzw. "krank" haben bei der Formulierung naturwissenschaftlicher Hypothesen nichts zu suchen.Ökologie ist als Naturwissenschaft eine Teildisziplin der Biologie und mir ist jedes mal unwohl, wenn das Präfix "öko" für Heilsversprechen aller Art herhalten muss. Hingegen beinhaltet der Begriff "Umweltschutz" eine Bewertung durch den Menschen. Die Ökologie kann Entscheidungshilfen liefern, welche Folgen das Tun bzw. Unterlassen bestimmter Eingriffe haben kann Eine kranke Fichte ist aus der Sicht eines Borkenkäfers eine feine Sache ;D
Eutrophierung von Gewässern ist ein ganz natürlicher Vorgang, der durch Einträge von Düngemitteln beschleunigt wird. Heute beklagen Bodenseefischer wegen der Reoligotrophierungsmaßnahmen geringere Erträge. Wat dem einen  sin Uhl...
Beste Grüße

Heinrich
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.