Interessante Pilzfunde 71 - Bitterer Zinnobertäubling

Begonnen von Bernd Miggel, Mai 29, 2023, 17:07:52 NACHMITTAGS

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Bernd Miggel

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Einführung, Lebensweise und Verbreitung

Hier möchte ich den besonders seltenen Bitteren Zinnobertäubling (Russula amarissima) vorstellen. Meines Wissens  handelt es sich um den einzigen Täubling mit stark bitterem Geschmack.Die Rote Liste Pilze Deutschlands (2016) führt ihn in der Gefährdungskategorie ,,R" (extrem selten). Als Standort gelten rotbuchenreiche Wälder des Hügel- und Berglandes. Dabei werden frische bis feuchte, basenreiche Böden über Kalk, Granit, Gneis und Basalt bevorzugt. Die Art ist ein Mykorrhiza-Pilz und streng an die Rotbuche gebunden.

Bernd Miggel

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#1
Für die hier gezeigten Bilder möchte ich mich bei Claus Heckwolf und Karl Wehr sehr bedanken. Ich selber hatte bisher nicht das Glück, dieser Art zu begegnen. Daher habe ich mich an der u.a. Fachliteratur und den Angaben der beiden vorgenannten Pilzfreunde orientiert.
Claus Heckwolf fand eine Population auf einer beschatteten Wiese am Waldrand (Bilder 1, 2, 4 bis 7), während Karl Wehr seine Funde im dichten, beschatteten Buchenwald machte (Bild 3).

Bernd Miggel

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#2
Makroskopische Merkmale

Wir haben es mit einem mittelgroßen bis sehr großen Pilz zu tun, der nach [7] Hutbreiten von 8-13 cm maximal 16 cm, erreicht. Der Hut ist zuerst halbkugelig, später flach ausgebreitet, die Hutoberfläche trocken, matt, samtig, ungerieft und bei Trockenheit gerne schuppig oder rissig aufbrechend. Die Huthaut ist nur am Rand abziehbar, das Fleisch darunter erscheint bräunlich oder rötlich. Die Farbe ist meist dunkel und gesättigt und reicht von zinnoberrot, über weinrot, purpurrot, purpurbraun bis braunrot, rotbraun, mahagonibraun. Die Hutmitte ist manchmal gelbfleckig und verfärbt sich bei älteren Exemplaren auch schon einmal komplett gelb.
Den Stiel kann man als stämmig, zylindrisch bis keulig, cremefarben und manchmal rötlich überlaufen bezeichnen. Die Lamellen stehen sehr dicht, sind spröde, kaum untermischt, doch oft in Stielnähe gegabelt, cremefarben, glattrandig, oft mit rötlicher Schneide, besonders zum Hutrand hin. Das Fleisch in Hut und Stiel ist hart. Lamellen, Stieloberfläche und Fleisch neigen zum Gilben oder Bräunen (Bilder 6 und 7). Der Geruch wird als unauffällig bis deutlich fruchtig, der Geschmack mit mäßig bis oder extrem bitter beschrieben. Auch die Huthaut ist bitter.

Bernd Miggel

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#3
Makrochemische Farbreaktionen
•   Mit FeSO4 färben sich Fleisch und Stielhaut rosa.
•   Sulfovanillin ergibt am Exsikkat einen rotbraunen (Fleisch) bzw. roten (Stielrinde) Farbton.
•   Phenol ergibt nur eine banale, braune Reaktion.

Frisch ausgefallener Sporenstaub ist weißlich bis hellcreme, also etwa Ib bis IIa nach der Farbtabelle in [5].


Mikroskopische Merkmale

Die Epikutis (oberste Lage der Huthaut) besteht aus folgenden zwei Elementtypen:
•   Aus schlanken, ab und zu verzweigten ,,Haaren", deren Glieder meist 3 µm breit und 30-40 µm lang sind und deren Terminalglied stumpf gerundet, aber mitunter keulig verdickt ist. In Kongorot (die schlanken, septierten, rötlichen Hyphen in den Bilder 8 und 9) lassen sie sich gut anfärben.
•   Aus  zylindrischen bis schlankkeuligen, unseptierten, 3-4 µm breiten Pileozystiden, deren gelbliche Eigenfarbe sowohl bei Färbung in Kongorot als auch in Sulfovanillin bestehen bleibt (die schlanken, gelblichen, unseptierten, hyphen- bis zystidenähnlichen Elemente der Bilder 8, 9 und 10). Die typische Schwarz- oder Grauverfärbung von Pileozystiden ist bei dieser Art nicht vorhanden!

Bernd Miggel

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#4
Die Sporen sind rundlich und messen L x B = 7,0-8,3 x 6,3-7,6 um, bei einem Schlankheitsgrad Q = 1,0-1,2. Die Ornamentation ist bis 1,0 um hoch und besteht aus Warzen oder kurzen Graten, die isoliert stehenen oder reihig bis teilnetzig miteinander verbundenen sind. Geschlossene Netzmaschen kommen nicht vor. Warzen und Grate sind vielfach durch feine Linien verbunden. Die beiden folgenden Bilder zeigen den Sachverhalt.

Bernd Miggel

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#5
Verwechslungsmöglichkeiten mit ähnlich gefärbten, großen, stabilen Arten
•    Der Harte Zinnobertäubling (Russula lepida) ist geruchlos und mild, nie deutlich bitter.
•    Der Ockerblättrige Zinnobertäubling (Russula pseudointegra) ist Eichenbegleiter. Reife Exemplare besitzen gelbliche Lamellen und riechen stark fruchtig. Sulfovanillin hinterlässt am Exsikkat einen auffallenden, eosinroten Fleck. Die Epikutis besitzt keine Pileozystiden, dagegen deutliche, säureresistente Primordialhyphen.
•    Der Rotstielige Ledertäubling (Russula olivacea) ist geruchlos und mild; er reagiert mit Phenol stark rotviolett; in der Epikutis besitzt er keine Pileozystiden.

Notizen
•    Die unterschiedlichen Geschmacksangaben des Bitteren Zinnobertäublings mögen z.T. auf die individuelle Geschmacksempfindlichkeit gegenüber Bitterstoffen begründet sein.
•    Es wäre sicher reizvoll nachzuprüfen, ob sich die Pileozystiden in Sulfobenzaldehyd deutlicher anfärben lassen als in Sulfovanillin.

Literatur
•  EINHELLINGER, A. (1985): Die Gattung Russula in Bayern. Hoppea, Denkschr. Regensb. Bot. Ges. 43: 23.
•  GALLI, R. (1996): Le Russule: 192-193.
•  KIBBY, G. (2014): The genus Russula in Britain: 31.
•  KRIEGLSTEINER, G.J. (2001): Die Großpilze Baden-Württembergs, Bd. 2. Ständerpilze: Blätterpilze I: 493.
•  MARXMÜLLER, H. (2014) - Russularum Icones: 282-283.
•  MONEDERO, C. (2012): El Género Russula en la Península Ibérica: 290-291.
•  ROMAGNESI, H. (1985): Les Russules d ́Europe et d ́Afrique du Nord: 419-421.
•  SARNARI, M. (1998): Monographia illustrata del genere Russula in Europa 1: 1136-1140.
•  https://de.wikipedia.org/wiki/Bitterer_Zinnober-T%C3%A4ubling 
(abgerufen am 19.6.2023).
•  https://fundkorb.de/pilze/russula-amarissima-bitterer-zinnobert%C3%A4ubling


Viele Freude beim Anschauen!
Bernd



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