Wer kennt das -Fernrohrlupe mit Stativ von Carl Zeiss Jena ca. aus den 1920igern

Begonnen von GW, Oktober 09, 2023, 17:05:20 NACHMITTAGS

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GW

Ein herzliches Hallo und nochmals vielen Dank für die vielen Antworten & Expertenhilfe!

Letztes Mal hatte ich ja noch versprochen, ein weiteres Mikroskop aus dem Nachlass vorzustellen und leider hat es nun einige Wochen länger gedauert als ursprünglich geplant, diese abzuholen.

Es handelt sich um eine Fernrohr-Lupe (?) von Carl Zeiss Jena mit 3 Vorsatzlinsen sowie einem dazugehörigen Stativ und 3 Objektiven in einer Holzkiste.

Das einzige, das ich im Internet dazu gefunden habe, ist ein Artikel bei Monocular.info und nach der Seriennummer könnte es daher aus den späten 1920igern sein.
https://www.monocular.info/cz-fl6x.htm

Ich bin mir nicht sicher, aber ich denke, es fehlt ein Stück der Fokussiereinheit, da zum einen der Mindestabstand bei einem eingeschraubten Objektiv zum Tisch nicht gegeben ist und zum anderen man bei Verwendung des Stativs man auch nicht wirklich etwas verändern bzw. fokussieren kann.

Der Holzkasten wurde leider mal aufgebrochen, wahrscheinlich war der Schlüssel nicht mehr zur Hand. Ansonsten scheint es noch ganz gut in Schuss, wenn auch etwas sehr mit Ablagerungen versehen und verstaubt.

Darf ich fragen, ob sich jemand im Forum damit auskennt und eine viel bessere Einschätzung zu diesem für mich kuriosen Stück Zeitgeschichte vornehmen kann als ich?

Herzliche Grüße
Gerhard

Dünnschliffbohrer

Hallo Gerhard,
ich habe diese Fernrohrlupe auch, aber mit wesentlich weniger Zubehör. Bei meiner ist nur der gleiche Handgriff wie bei dir dabei, sowie drei von vier aufsteckbaren Vorsatzlinsen. Das ganze befindet sich in einem entsprechend kleineren Holzkästchen, in dem bis auf den Platz für eine leider fehlende vierte Vorsatzlinse keine Unterbringung von weiterem Zubehör vorgesehen war. Vertrieben wurde das Ganze wohl in sehr viel verschiedenen Ausstattungsvarianten. Es gab auch eine binokulare Version, die man als kleines Stemi verwenden konnte.Insgesamt seit das Teil wohl nur sehr selten aufzutauchen. Der moderne Nachfolger stellt wohl die ,,Mikroskopbasis Stereo" von Zeiss West aus den achtziger Jahren dar. Glückwunsch zu deinem Fang!
"Und Gott sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; und er schuf um ihn Laubmoose und Lebermoose und Flechten und ein Mikroskop!"
[aus: Kleeberg, Bernhard (2005): Theophysis, Ernst Haeckels Philosophie des Naturganzen,  S. 90]

plaenerdd

Hallo Gerhard,
lassen sich die Mikroskopobjektive auch an das Teil schrauben? Die sehen aus wie Standard-Objektive der Lg-Mikroskope, die erst Mitte der 30er Jahre auf den Markt kamen. Gehören die wirklich dazu?
LG Gerd
Fossilien, Gesteine und Tümpeln mit
Durchlicht: Olympus VANOX mit DIC, Ph, DF und BF; etliche Zeiss-Jena-Geräte,
Auflicht: CZJ "VERTIVAL", Stemi: MBS-10, CZJ SMXX;
Inverses: Willovert mit Ph

Dünnschliffbohrer

Ich erlaube mir mal ungefragt schnell eine Antwort: ja, die sollten dazugehören! Man konnte das Ding sogar als Durchlicht-Exkursionsmikrokop verwenden, wenn man das passende Stativ dazu hatte. Ein äusserst vielseitiges Baukastensystem, und das schon in der damaligen Zeit!
"Und Gott sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; und er schuf um ihn Laubmoose und Lebermoose und Flechten und ein Mikroskop!"
[aus: Kleeberg, Bernhard (2005): Theophysis, Ernst Haeckels Philosophie des Naturganzen,  S. 90]

GW

Guten Abend,

ganz herzlichen Dank für die vielen Hinweise und Einschätzungen, das hatte ich gar nicht so schnell erwartet - einfach toll!

Und natürlich für die Glückwünsche zu dem schönen Stück, ich habe nicht viel dazu beigetragen und werde versuchen es in Gedenken an den Vorbesitzer in Ehren zu halten. Natürlich auch meinen Glückwunsch zu Deiner fernrohrlupe und ich muss mal morgen nachschauen welche Vergrößerungen die 3 Vorsatzlinsen bei meinem aufweisen.
   
Durch das fehlende "Distanzstück" wird es zwar eher als schönes Exponat zum Einsatz kommen, aber wie Du schon geschrieben hattest, ein wirklich beachtliches System für Interessierte und Hobby-Forschende in den 1920igern. Das ganze System ist auch wirklich sehr kompakt. Die Fernrohrlupe, auf dem Stativ platziert, ist nur 16cm hoch, der Holzkasten misst mit allem Zubehör 20,5 x 13 x 10,5 cm.

Hallo Gerd, ja die Objektive lassen sich unten in die am Stativ befestigte Aufnahme für von oben aufzusteckende Lupe einschrauben, wobei die Aufnahme selbst nochmals eine kleine Linse beinhaltet. Alle drei Objektive sind in schwarzen Metalldosen untergebracht und haben drei Holzkammern in die sie zum Verstauen eingeschoben werden. Ich kann gerne morgen die Seriennummern nachsehen, vielleicht ergibt sich daraus nochmal sein Hinweis.

Alles ist bei aller Feinheit sehr durchdacht und ich verstehe leider nur noch nicht den Mechanismus, der zu einer Fokussierung führt.

Herzliche Grüße und eine gute Nacht
Gerhard         

GW

Hallo Gerd,
ich hatte ja noch die Serienummern der Objektive versprochen und habe nun versucht sie auf drei Bilder festzuhalten.
Beste Grüße
Gerhard

spectator

Hallo,

es gab von Zeiss Jena noch eine andere Fernrohrlupe, die seit 1921 und sogar bis heute noch produziert wird: das
TURMON
Es handelt sich um ein klappbares Monokular 8x21 mit einem flachen Lederbehälter, das man bequem in der Jackentasche tragen kann.
Zum Gebrauch klappt man das Oularteil um 90° zum Objekivteil und hat so ein Porro-Fernglas. Zur Benutzung setzt man das Prismengehäuse auf die Nasenwurzel und hat so einen verwacklungs-freien Halt, ganz ohne Handgriff wie beim vorher beschriebenen Modell. Zum Turmon gibt es einen Satz von 9 Vorsatzlinsen von 1 bis 16 Dioptrien, damit stehen Lupenvergrößerungen von 8x bis 32x zur Verfügung - aber: da es eben keine Lupe, sondern eine Fernrohrlupe ist, sind die Beobachtungsabstände deutlich größer als bei Benutzung einer Lupe ( was sich besonders bei lebenden Objekten angenehm bemerkbar macht.).
Bis zur 10x Vergrößerung = Vorsatzlinse 5dpt läßt sich das Turmon als Fernrohrlupe noch "frei Hand bzw. frei Stirn" verwenden, für die stärkeren Vorsatzlinsen gibt es ein einfaches Stativ ( ähnlich einem Laborstativ ), sogar mit einem Leuchttisch dazu. Dann ist es freilich kein Taschengerät mehr.
Das Turmon wird gelegentlich bei ebay als "Agenten-"oder "Stasi-Fernglas" bezeichnet. Nun, es wird seit 1921 hergestellt, und da gab es das MfS noch nicht, und ich möchte bezweifeln, ob es von denen jemals dienstlich genutzt wurde. Immerhin hat es die Wende und die Auflösung des Kombinat VEB Carl Zeiss Jena überstanden und wurde von Docter Optic bzw. Analytic Jena AG, jetzt von Noblex Gmbh Eisfeld, nun unter dem Namen Noblex 8x21 Mono weiterhin hergestellt.
Auch zu DDR-Zeiten war es (gemessen an den damaligen Enikommen) nicht gerade billig, heute ist es freilich ein Luxus, den sich nur wenige (neu) leisten. Wer es aber hat, mag es nicht missen.

Viele Grüße

Helmut
Trinkt, o Augen, was die Wimper hält, von dem goldnen Überfluß der Welt!

GW

Hallo Helmut,

vielen Dank für Deine umfassende Antwort und da sieht man mal wieder was alles an Expertise auf diesem Forum vorhanden ist, wirklich beeindruckend. Es scheint damit von Zeiss in den 1920igern ein ganzes Sortiment an Optiken entwickelt worden zu sein, die zueinander kompatibel oder zumindest aufbauend waren.
Die Fernrohrlupe konnte man, wie ich gelesen habe, als Ring auf einen Finger stecken und dann wohl ähnlich wie von Dir beschrieben ohne große Verwackelung oder lange Hebel eines Handgriffs beobachten - irgendwie simpel und doch extravagant ;-)

Bei meiner Optik handelt es sich - Dank der wie immer sehr schnellen, super freundlichen und kompetenten Unterstützung des Zeiss Archivs  - um ein Fernrohr-Mikroskop nach A. Roth. Die sogenannte Carl Zeiss Jena Fernrohrlupe 6x15 Nr. 1507114 wurde um 1929 hergestellt.

Sollte ich irgendwann nochmals den Fokussier-Mechanismus am Stativ bei eingeschraubten Objektiven in Erfahrung bringen können, melde ich mich natürlich umgehend. Bis jetzt bleibt dies auf jeden Fall ein Rätsel, da die Objektive weit über den Tisch nach unten durchreichen würden und zumindest dieser damit nicht zu nutzen wäre. Vielleicht war dies aber auch so gedacht und man beobachtet auf dem Tisch nur mit der Lupe und den 3x Vorsatzlinsen???

Euch einen schönen Sonntag
Gerhard