Die Angaben auf deutlich älteren Objektiven: Fragen dazu …

Begonnen von Jakob_Wittmann, Februar 07, 2024, 00:47:21 VORMITTAG

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Jakob_Wittmann

Guten Abend geschätzte Runde,


es ist sehr wahrscheinlich, dass es einem Gutteil der an historischer mikroskopischer Technik Interessierten aufgefallen sein dürfte, wie die Angaben auf älteren Objektiven gewissermaßen ,,auch" aussehen konnten:

Eine Ziffer (einstellig, wobei es auch mir nicht bekannte  zweistellige Angaben gegeben haben mag) und allenfalls ein nachgesetzter Buchstabe.

Ich beziehe mich diesbezüglich auf die Hersteller Leitz und Reichert. Was ZEISS angeht, fehlen mir leider Informationen, aber Recherchen haben zumindest teilweise auch bei ZEISS ähnliche Konventionen gezeigt.

Was mich nun bitte interessiert, ist der Umstand ob markenübergreifend mit den verwendeten Ziffern das gleiche gemeint war? Zumindest in etwa ...

Oder: Ob ein nachgesetzter Buchstabe, wie etwa ein ,,a" bei Leitz (zumindest beim Typ ,,7" war damit nach manchen Quellen ein Fluoritobjektiv deklariert) einen gleichen Bedeutungsinhalt bei unterschiedliche Marken hatte?

Dass teils durchaus merkbare Schwankungen trotz einer (später!) üblichen ,,konkreten" Vergrößerungsangabe bei der Fertigung von Optiken ganz normal sind, ist mir bitte vollkommen bewusst:

Was gäbe es denn bitte zu diesem Thema zu sagen, vermelden etc. ?

Liebe Grüße

Jakob
jakob.wittmann@hotmail.com


,,Ein Leben mit nur einem schwarzen Mikroskop ist möglich aber sinnlos."

Bernhard-Viktor ,,Vicco" Christoph-Carl von Bülow zugeschrieben

Lupus

Hallo Jakob,

die Bezeichnung von Objektiven war früher z.T. sehr unterschiedlich, in Abhängigkeit vom Hersteller.

In den Anfängen der Mikroskopie im 17. - 18. Jh. gab es zunehmend Mikroskope, die mit mehreren anschraubbaren Objektiven ausgestattet waren. Dann wurden auf den Objektiven Nummern von 1 (schwächstes Objektiv) bis typischerweise 3 ... 6 (stärkste Vergrößerung) eingeprägt. Die genaue Vergrößerung war damals nicht relevant.

In der Zeit der sprunghaften Qualitätsverbesserung der Objektive Mitte 19. Jh. ist man bei den britischen Objektiven dazu übergegangen, die Objektive nach der Brennweite in Zoll (Inch) anzugeben. Also 11/2", 1/4" oder 1/12".

In Kontinentaleuropa blieb man meist bei einer einfachen Durchnummerierung (mit zugehörigen Tabellen der Brennweite). Z.B. Nachet (Frankreich) 1850er Jahre: No. 3 (f =1/4"), No. 7 (f =1/14"). Amici wiederum bezeichnete seine Satzobjektive mit römischen Ziffern No. I (f =22.8 mm), No. VI (f =1.74 mm).

Leitz (und viele andere) verwendeten das ursprüngliche System der Durchnummerierung von 1 bis z.B. 12 (etwa 1880), später wurden dann die Öl-Immersionsobjektive davon abweichend nach dem britischen System in Zoll bezeichnet. Z.B. 1885 Nr. 9 stärkstes Trockensystem mit 2.2 mm Brennweite, Nr. 12 Wasserimmersion mit 1.05 mm Brennweite, und Nr. 1/20 Ölimmersion mit 1.2 mm Brennweite. Spätere Entwicklungen wie z.B. Fluorid-Objektive wurden von Leitz mit Zahlenergänzungen bezeichnet, also 1913 Nr. 6a ein etwa den NA- und Brennweiten-Daten des Achromaten Nr. 6 entsprechendes Objektiv. Zur gleichen Zeit die ersten Apochromaten direkt in mm Brennweite. Es ging also ziemlich durcheinander, war aber nicht unlogisch weil die Objektiventwicklung dynamisch war.

Zeiss hatte interessanterweise anfangs keine numerische Bezeichnung sondern verwendete Buchstaben. Z.B. 1885 die kürzesten Brennweiten mit Kleinbuchstaben a1 bis a3, dann weiter mit A, AA bis L (Wasserimmersionen). Doppelbuchstaben wie AA, BB, CC und DD bezeichneten Objektive gleicher Brennweite des einfachen Buchstabens, aber höherer NA. Öl-Immersionssysteme wurden wie bei Leitz nach britischem Vorbild als Zoll-Maß der Brennweite bezeichnet, also z.B. 1/12". Die Zeiss-Apochromaten wurden von Anfang an mit der Brennweite in mm angegeben, Zeiss war ja da Vorreiter und bot 1895 immerhin 10 verschiedene Apochromaten mit Brennweiten von 16 mm bis 1.5 mm und einer NA von bis zu 1.4 an.

Erst etwa nach dem 1.WK wurde die heutige Bezeichnung von Abbildungsmaßstab und NA üblich. Vorher war der Abbildungsmaßstab mangels Normung der Tubuslänge und wegen der üblichen ausziehbaren, skalierten Tuben eigentlich auch nicht sinnvoll.

Hubert

Alfons Renz

Hallo Hubert,

Eine ganz hervorragend ausgearbeitete Zusammenstellung, ganz herzlichen Dank!

Du schreibst: "Amici wiederum bezeichnete seine Satzobjektive mit römischen Ziffern No. I (f =22.8 mm), No. VI (f =1.74 mm)"

Nach meiner Erinnerung hatte Amici auch ein System mit Punkten (*, **, ***), was es schwer macht, original-Amici-Objektive zu identifizieren.

Der gegebene Anlass ist meine Suche nach dem Amici-Mikroskop und den zugehörigen Linsen aus dem Besitz des Tübinger Mikroskopikers Hugo von Mohl. Da wäre ich sehr Dank für jede Information, wie man diese Objektive erkennen könnte.

Mit herzlichen Grüßen aus Tübingen,

Alfons

Lupus

Hallo Alfons,

das ist ein kompliziertes Thema, denn in dem Zeitraum in dem Amici Objektive entwickelte gab es große Änderungen beim Objektivaufbau, und daher haben sich wohl auch die Bezeichnungen nach dem jeweiligen Bedarf geändert. Ich hatte zu Amici nur ein Beispiel für die Bezeichnung der Objektivserie, nicht der Einzelteile genannt.

Amici baute vermutlich bis in die 1850er Jahre auch Objektive durch Zusammenschrauben einzelner Achromaten. Die einzelnen Teile eines solchen Objektivsatzes wurden dann, wie Du schon beschrieben hast, u.a. mit bis zu 4 Punkten beschriftet (./../.../...).

Aber es gab wohl auch zahlreiche andere Varianten der Bezeichnung.
Z.B. Objektive die mit 1° bis 8° bezeichnet wurden, und deren Einzelteile mit Nummern 1 bis 12 beschriftet waren, wovon jeweils von einem bis zu drei der Teile nach einem vorgegebenen Schema zu einem Objektiv zusammengesetzt wurden.
Oder ganz exotisch: Die Einzelteilbezeichnungen von A bis U einer Objektivserie mit 6 Objektiven, montiert aus 2-4 Achromaten, in der aber auch die Teile eines zugehörigen Objektives mit den Zahlen 8/2/1 beschriftet wurde, bei einem anderen vierteiligen mit Punkten ./../... .
Andere, nicht zusammengesetzte Objektive wurden auch mit Buchstaben-Zahlen-Kombinationen bezeichnet wie z.B. L2, L8, L10 oder U7, U8.

Das System mit Punkten scheinen auch andere Hersteller wie Chevalier vereinzelt benutzt zu haben.

Hubert

Jakob_Wittmann

#4
Hallo zusammen,

und ein Dankeschön für die hervorragend gute, perfekt verfasste Antwort von Hubert.

Eine sehr genaue, kompetente, technisch-historische Beschreibung voller Gehalt (eines nicht gerade leicht überblickbaren Gebiets) und dabei einwandfrei verständlich bleibend. Und dies auch noch in einer kompakten Länge des Texts: Großartig!

Ein dickes Kompliment an Dich, lieber Hubert!

Zu diesem Thema passend/verwandt habe ich einen neuen Beitrag geschrieben, bei dem es um meine Eindrücke bezüglich eines ebenso älteren Objektivs der Firma Reichert (der Typ ,,5") geht, das eben auch mit einer Nummer deklariert wurde. Und: zusätzlich noch mit einer eingravierten Vergrößerungsangabe ,,34×":

Eindrücke zum Reichert ,,5" 34-fach

Beim Stöbern in der Bucht ist mir übrigens aufgefallen, dass  vor allem aus den USA stammende einschlägige Angebote ,,antiker" Mikroskopobjektive teils überraschend hochpreisig sind.

Merkwürdig ...

Sonst: Das eigentliche Sammeln deutlich alter ,,aus Messing Mikroskope" und auch ,,nur" alter Objektive, Okulare etc. ist leider mit teils erheblichen Kosten verknüpft. Mikroskope als Herdentiere hin oder her ... :D  ;D  ;)

Allerdings gibt es immer wieder Schnäppchen.  8)  ;D

Liebe Grüße

Jakob



jakob.wittmann@hotmail.com


,,Ein Leben mit nur einem schwarzen Mikroskop ist möglich aber sinnlos."

Bernhard-Viktor ,,Vicco" Christoph-Carl von Bülow zugeschrieben

Aljoscha

Zitat von: Jakob_Wittmann in Februar 11, 2024, 14:14:24 NACHMITTAGSBeim Stöbern in der Bucht ist mir übrigens aufgefallen, dass  vor allem aus den USA stammende Angebote einschlägige Angebote ,,antiker" Mikroskopobjektive teils überraschend hochpreisig sind.

Merkwürdig ...

Hallo Jakob,

Das sind Verkäufer, die von der Hypothese "je älter, desto wertvoller" ausgehen. Den Typ gibt es in den USA noch häufiger als in Kontinentaleuropa.

Als Extrembeispiel kann dieses Angebot dienen:
https://www.ebay.de/itm/303271135592

Die Kamera ist unter Sammlern vielleicht 2000 Euro wert.

Viele Grüße

Alexander

Jakob_Wittmann

Servus Alexander,

ja, Deine Erklärung ist für mich absolut nachvollziehbar, danke Dir.

Möglicherweise ist bei uns (jetzt bei älteren Mikroskopen inkl. Teile derselben) schlicht und einfach mehr an Kenntnissen vorhanden, was die Häufigkeit von spezifischen Typen am Gebrauchtmarkt angeht. Zumindest könnte diese Vermutung alleine schon aus Gründen wie ,,mehr Wissen über bei uns beheimatete Hersteller" stimmig sein. :)  ;)


Gewisse Modelle der etablierten Hersteller wurden in deutlich hohen Stückzahlen gefertigt. Und wie die mit der Mikroskopie vertrauten Nutzer eh wissen: dies teilweise über lange Zeiträume ...

Man registriert ja ebenso durchaus preislich akzeptable Angebote für ältere Instrumente.

Was es aber bei uns auch gibt, sind abenteuerlich hoch angesetzte Preise bei ,,Edelmarken" wie etwa Zeiss, Leitz usw. ...

Kennen wir alle ohnehin. Wenn für eine stark verrostete 60 Jahre alte externe Mikroskopierleuchte von Zeiss EUR 290,- verlangt wird, ist das in gewisser Hinsicht etwas zum Lachen ...

(falls man sich auskennt ... :)  ;) )

Liebe Grüße

Jakob
jakob.wittmann@hotmail.com


,,Ein Leben mit nur einem schwarzen Mikroskop ist möglich aber sinnlos."

Bernhard-Viktor ,,Vicco" Christoph-Carl von Bülow zugeschrieben