Interessante Pilz- und Flechtenfunde 140 – Schlanke Scharlachflechte

Begonnen von Bernd Miggel, April 17, 2024, 13:34:05 NACHMITTAGS

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Bernd Miggel

Schlanke Scharlachflechte (Cladonia macilenta)

Alle Fundberichte in der Übersicht: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=42360.msg312080#msg312080
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Danke an Mike Guwak für zahlreiche hilfreiche Tipps!

Text in Anlehnung an WIRTH & DÜLL 2000, WIRTH & KIRSCHBAUM 2024

Bild 1 - Cladonia digitata, BM, 800x.jpg
Bild 1Cladonia macilenta am Stammfuß einer Waldkiefer. Podetien mit scharlachroten Apothecien und großen, bis 5 mm breiten Grundschuppen. Foto: Bernd Miggel.


Einführung, Lebensweise und Verbreitung


Die Schlanke Scharlachflechte (Cladonia macilenta)  gehört gemäß der Roten Liste Flechten Deutschland (2011) zu den ungefährdeten Arten. Sie besiedelt nährstoffarme Mineralböden, Torf, altes Holz oder die Basis alter Bäume. Die Bestimmung dieser Art ist aber nicht immer einfach!
Den hier beschriebene Fund machten wir am 11.4.2024 direkt neben der Stammbasis einer alten Waldkiefer, und zwar im Nordschwarzwald in einem Schonwald auf 720 mN.N. mit saurem, torfhaltigem Boden:
leg.: B. Miggel & L. Hoffmann, det.: M. Guwak

Bild 2 - Cladonia digitata, BM, 800x.jpg
Bild 2Cladonia macilenta: grob-sorediöse Podetien mit kleinen, scharlachroten Apothecien. Foto: Bernd Miggel.

Bild 3 - Cladonia digitata, Liss Hoffmann, 800x.jpg
Bild 3 – Podetien mit kleinen Apothecien und zahlreichen, tief eingeschnittenen und sich überschneidenden Grundschuppen. Foto: Liss Hoffmann.


Morphologische Merkmale des Fundes

Die Schlanke Scharlachflechte besteht aus Apothecien tragenden Säulchen (Podetien) und grundständigen Blättchen (Grundschuppen). Die Podetien sind, bedingt durch die aufgelagerten, grobkörnigen Soredien, grünlichgrau, wobei letztere bis etwa 50-100 µm breit sind. Entfernt man die Soredien, kommt die weiße Eigenfärbung der Podetien zum Vorschein. Von der Form her sind die Podetien stiftförmig, wobei apikal mitunter eine Verzweigung in dünne Ästchen erfolgt (Bild 5). Basal sind die Podetien meist mit Blättchen versehen (Bilder 2 und 3). Becher, auch angedeutete, finden sich nicht. Oben an den Podetien sind vielfach scharlachrote, vorgewölbte Apothecien vorhanden (Bilder 1 und 4). Die Grundschuppen sind deutlich tief eingekerbt,  überlagern einander oftmals und besitzen eine Breite von bis zu 5 mm. Oberseits sind sie grünlichgrau und glatt, unterseits jedoch weiß (Bild 6).

Bild 4 - Cladonia digitata, BM, 800x.jpg
Bild 4 –  Scharlachrote Apothecien und von oben grünlichgraue, am Rand eingeschnittene Grundschuppen. Foto: Bernd Miggel.

Bild 5 - Cladonia digitata, Liss Hoffmann, 800x.jpg
Bild 5 – Podetium mit fingerartigen Fortsätzen und mit scharlachroten Apothecien. Foto: Liss Hoffmann.

Bild 6 - Grundschuppen-Unterseite_b, x800.jpg
Bild 6 –  Weiße Unterseite der Grundschuppen. Der orangefarbene Fleck am Podetium oben rechts stellt die P-Reaktion dar. Foto: Bernd Miggel.


Soredien
Dass es sich bei der Podetien-Bekleidung um echte Soredien handelt, erkennt man erst mit einer starken Lupe. Es sind etwa kugelförmige, unberindete Flöckchen mit einem Durchmesser von etwa 40-100 µm. Die folgenden beiden Bilder zeigen in Bild 7 den Schaft eines Podetiums und in Bild acht die Soredien in starker Vergrößerung:

Bild 7 - 2024-07-08 21.36.54scharf, Bildbreite = 2,2 mm, Stefan Miggel, 800x.jpg
Bild 7 – Podetienschaft mit Soredien, Bildbreite entspricht 2,2 mm, Foto: Stefan Miggel

Bild 8 - 2024-07-08 21.36.54scharf, Ausschnitt, Stefan Miggel, 800x.jpg
Bild 8 – Soredien in starker Vergrößerung. Foto: Stefan Miggel


Ermittelte Farbreaktion (vorgenommen an der Unterseite der Grundschuppen, Betrachtung bei Tageslicht)
K+ gelb, C-, KC-, P+ gelb bis gelborange, UV-
(mit K: Kalilauge 10-20%, C: Natrium-Hypochlorit, KC: erst K auftupfen, dann C auf dieselbe Stelle geben, P: para-Phenylendiamin, UV 365 nm).

Notizen (z.T. Anregungen von M. Guwak)
• Makroskopische Untersuchungen, insesondere die Beurteilung der Farben, sind stets an Trockenmaterial durchzuführen.
• Die Farben der Flechten, auch die der Farbreaktionen, beurteilt man am besten bei Tagelsicht.
• Bei Cladonien sollte man die Farbtests (Tüpfeltests) stets auf der Unterseite der  Grundschuppen vornehmen,
• Um die Belege insektenfrei zu halten, kann man sie nach dem Austrocknen für 4-6 Wochen in der Kühltruhe bei -18 Grad Cel. oder kälter aufbewahren.
• Bei schwer bestimmbaren Cladonia-Arten lässt sich durch zusätzliche Anwendung der Dünnschichtchromatographie (TLC, DC) die Bestimmung wesentlich präzisieren. Allerdings ist die Durchführung diese Methode speziell ausgerüsteten Laboren vorbehalten.

Ähnliche, rotfrüchtige Becherflechten
• Flörkes Scharlchflechte (Cladonia floerkeana) ist äußerst ähnlich, besitzt aber keine sorediösen, sondern körnig-schuppige Podetien. Außerdem ist die Tüpfelreaktion gemäß M. Guwak mit para-Phenylendiamin (P) stets negativ.
• Die Finger-Scharlachflechte (Cladonia digitata) besitzt Becher und größere, bis 10 mm breite, ungekerbte, randlich sorediöse Grundschuppen. Die Becher können evtl. nur angedeutet und missgestaltet sein, sind aber vorhanden. Sie besitzen häufig fingerartige Fortsätze.
• Die Vielfinger-Scharlachflechte (Cladomia polydactyla) besitzt stets am Rand gezähnte bis fingerig sprossenden Becher. Die Grundschuppen sind sehr zahlreich, dichtstehend und nur bis 3 mm breit.

Literatur
• [1] DÜRHAMMER, O. (2003): Die Flechtenflora von Regensburg. – Sonderdruck aus: HOPPEA, Denkschriften der Regensburgischen Bot. Ges. Bd. 6: 147-149.
• [2] WIRTH, V. (1995): Die Flechten Baden-Württembergs, 2. Aufl., 1006 S.; Ulmer, Stuttgart: 330-331.
• [3] WIRTH, V. & DÜLL, R. (2000): Farbatlas Flechten und Moose: 61.
• [4] Wirth, V. et al. (2011): Rote Liste der Flechten und flechtenbewohnende Pilze Deutschlands.
• [5] WIRTH, V. et al. (2013): Die Flechten Deutschlands: 400-401.
• [6] WIRTH, V. & KIRSCHBAUM, U. (2024): Die Flechten Mitteleuropas. Bestimmung und Beschreibung der wichtigsten Arten: 184-185, 358-359.
• [7] https://fschumm.lichenologie.de/C/Cladonia%20macilenta%2018968.pdf
• [8] https://fschumm.lichenologie.de/C/Cladonia%20macilenta%2017480.pdf
• [9] http://www.norbert-kuehnberger.de/pilzbildergalerie/D_Flechten-Lichenes_-_226_Arten/pilzbilder(11).htm
• [10] https://www.thm.de/lse/ulrich-kirschbaum/d
• [11] https://italic.units.it/index.php?procedure=taxonpage&num=801

Viel Freude beim Anschauen!
Bernd


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Bernd Miggel

Hallo zusammen,

mir war bei Nr. 140 leider eine Fehlbestimmung unterlaufen. Deshalb habe ich den gesamten Artikel umgeschrieben.

Viele Grüße
Bernd