Beobachtungen unter einer belebten Fläche

Begonnen von Wolfgang Bettighofer, Februar 21, 2010, 22:23:26 NACHMITTAGS

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Wolfgang Bettighofer

Liebe MikrofreundInnen,

vor einiger Zeit sammelte ich eine Aufwuchsprobe aus einem kleinen Fließgewässer, kam aber nicht gleich dazu, das Material zu bearbeiten. So lag es ein paar Tage in der Petrischale. Beim Durchmustern im Stereomikroskop fiel mir dann auf, dass sich auf dem schwach mit Bakterien besetzten Oberflächenhäutchen, dem Neuston, ganz ordentlich was entwickelt hatte.



Mit der Petrischale ging es dann auf den Mikroskoptisch, spannende Beleuchtungstechniken und Kontrastverfahren waren dabei leider nicht möglich. Aber ein wenig ist doch sichtbar...
In der Probe befanden sich eine Menge Fadenalgen der Gattungen Cladophora, Oedogonium und Spirogyra. Das Erste, was auffiel, waren Cladophorakeimlinge, die ihr Glück im Anheften am Neuston suchten. Dann gab es viele kleine bräunliche ,,Donuts" zu sehen. Hier ein Ausschnitt aus dem obigen Bild:



Was mir mit Petrischale und 10er Objektiv nicht möglich war, hat uns Gerd vor Jahren mal gezeigt: http://www.mikroskopie.de/mikforum/read.php?2,50152,50152#msg-50152.
In diesen kleinen braunen Ringwülsten leben Eisenbakterien der Gattung Siderocapsa. Sie gewinnen ihrer Energie daraus, gelöstes Eisen zu Eisen-III-Oxid zu oxydieren. Dieses lagert sich in ebenfalls von den Bakterien ausgeschiedenen Schleimen an und schützt sie vor dem zu einfachen Gefressenwerden.

Aber auch größere Lebewesen benutzten das Oberflächenhäutchen des Wassers als Aufwuchsgrundlage. Zwei gehäusebildende Ciliatenarten ließen sich blicken: Ein Platycola-Paar und eine Folliculina. Dies zeigt, dass das Neuston über eine gewisse Festigkeit verfügt, denn üblicherweise suchen sich diese sessilen Ciliaten Algen, Pflanzen oder Steien als Lebensgrundlage.





Was mich dann noch mehr erstaunte war, dass selbst ein Glockentier erfolgreich am Oberflächenhäutchen ankerte, obwohl die Petrischale so viel Solideres zum Fixieren bot.



Nach Beendigung der Reise in Neustonien habe ich dann noch ,,echte" Frischpräparate hergestellt, um auch wieder etwas Details zu beobachten. Ein Oedogoniumfaden war das Ziel. Eine Zelle war so nett, den Kern zu zeigen.

   


Schönen Abend,
Wolfgang Bettighofer
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Fahrenheit

Lieber Wolfgang,

vielen Dank für Deine schönen Bilder und die interessanten Erläuterungen.
Ich bekomme glatt Lust, mal wieder nach unseren 'Wassernäpfen' im Garten zu sehen, die nun auch so langsam auftauen.

Herzliche Grüße
Jörg
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Bernhard Kaiser

ZitatIn diesen kleinen braunen Ringwülsten leben Eisenbakterien der Gattung Siderocapsa.

Danke Herr Bettighofer. Endlich weiß ich was die ,,Donuts" sind. Ich finde sie öfter, meist am Deckglas sitzend.

Schönen Tag
Bernhard Kaiser

Sebastian Hess

Lieber Wolfgang!

Wunderschöne Fotos. Ich habe hier eine ganz ähnliche Probe eines "stehenden Petrischalenfließgewässers" mit Cladophora u.a. So ein Glück mit Folliculina habe ich aber nicht....dafür ganz spannende Suktorien....vllt. mache ich da mal Fotos...habe in drei Studen aber erstmal Diplomprüfung, danach gehts wieder ans Mikroskop. ;-)

Eine Frage noch: Woran kann man Keimlinge von Cladophora und Oedogonium unterscheiden. Die sehen sehr ähnlich aus, oder gibt es da ein, zwei, drei Merkmal(e).

Viele liebe Grüße aus Köln,

Sebastian

Hier noch ein Bachbewohner der etwas anderen Art...Schlauchbildende Cymbellae

(man klicke rechts --> Grafik anzeigen)

Wolfgang Bettighofer

#4
ZitatEine Frage noch: Woran kann man Keimlinge von Cladophora und Oedogonium unterscheiden. Die sehen sehr ähnlich aus, oder gibt es da ein, zwei, drei Merkmal(e).

Lieber Sebastian,

erst mal vielen Dank für diesen wunderbar dargestellten Cymbellenschlauch. Und eine Zelle ist sogar so nett und zeigt schön ihren Zellkern! Ohne eine klare Sicht auf den Zellkern bin ich immer leicht unzufrieden mit dem Präparat...
Angenehm ist auch, dass man durch Rechtsklick ordentlich reinzoomen kann.

Und dann: Viel Glück bei der Prüfung. Nu ja, ist sicher schon gewesen. Wann darf man wieder an Dich denken?

Nun zur Keimling-Auseinanderhaltungsfrage. Meine Erfahrungen mit Kleinst-"Ödogonien" waren immer die, dass die eine solide Haftscheibe ausbildeten, während Cladophora mehr auf wurzelförmigen Haftorganen steht. Da nun der angehende Diplombiologe fragt, habe ich mal schnell die Algenliteratur durchgescannt, die in meinem Zimmer steht: Fott, van den Hoek, Lund/Canter-Lund, John/Whitton/Brook.
Es ist gesichert. Die Hafties sind die Ödogonien, die mit den Würzelchen die Cladophora.

Hier mein kürzester Oedogonium-Faden:


Dann entweicht das Blattgrün aus dem Fuß. Hier das nächste Stadium:


So hübsch mit Rechtsklick bekomme ich das aber nicht hin ;)

Dann weiterhin toi toi  toi,
Wolfgang


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Oliver S.

#5
Zitat von: Wolfgang Bettighofer in Februar 22, 2010, 20:47:14 NACHMITTAGS
ZitatEine Frage noch: Woran kann man Keimlinge von Cladophora und Oedogonium unterscheiden. Die sehen sehr ähnlich aus, oder gibt es da ein, zwei, drei Merkmal(e).

Es ist gesichert. Die Hafties sind die Ödogonien, die mit den Würzelchen die Cladophora....




Lieber Sebastian, lieber Herr Bettighofer,
zunächst mal hoffe ich, die Prüfung von Sebastian ist so gut gelaufen wie erseht!
Ich muss zugeben, das mit den Oedogoniumkeimlingen und ihrem Haftorgan habe ich mich auch schon gefragt. In meinem Aquarium finde ich z.B. relativ viele Oedogoniumfadenalgen aber keine (verzweigte) Cladophora. Dennoch haben sehr viele der anzutreffenden Keimlinge kleine Würzelchen, wenn sie keine Haftfläche gefunden haben, sondern frei ins Wasser ausgekeimt sind:
Abb. 1

(leere Ödogoniumzellen an denen man die typischen Kappenringe gut erkennen kann mit Glockentierchen als "Beifang")

Abb. 2

(Ödogonium?-Keimling)

Abb. 3

(mehrere Ödogonium?-Keimlinge)

Ich habe daher auch noch mal nachgeschaut und auch im Netz solche Keimlinge gefunden:
http://www.geheugenvannederland.nl/?/nl/items/SAE01:2619
http://www.microscopy-uk.org.uk/mag/indexmag.html?http://www.microscopy-uk.org.uk/mag/artsep00/hucell1.html
http://www.jochemnet.de/fiu/bot4404/BOT4404_28.html
Ich frage mich daher, ob das Bestimmungsmerkmal Haftscheibe vielleicht nur für das bereits angewachsene, nicht aber für das noch feie Exemplar gelten könnte.
Gruß, Oliver



(gern per "Du" )

bini

Hallo Wolfgang,

Bild 1 - 3 sind dann demnach Oedogonien. Ist das was auf Bild 4 zu sehen ist eine Cladophora mit ihren Haftwurzeln?









Lieber Morgengruß
Sabine

Wolfgang Bettighofer

Hallo Sabine,

das ist wahrer Mikro-Enthusiasmus. 5 Minuten, bevor mein Wecker klingelt, hast Du schon Dein Forum-Morgenposting erledigt! Deine Bilder sehen ja so aus, als hättest Du Objektträger gebadet, weil Du so schöne Anwachs-Szenen einfangen konntest. Iterum iterumque will ich gerne wieder das Erstaunen über diese Bildqualität bei der von Dir genutzten Technik ausdrücken. Nun letztmalig... ;)

Wie wir von Oliver erfahren haben, ist das mit der Fußgeschichte ggf. nicht so ganz einfach. Man sollte das beobachten. Wenn ich wieder mal Gelegenheit dazu habe, werde ich es tun.
Sollten Deine OTs mit den Frischlingen noch in Petrischalen baden, wäre hilfreich, wenn Du mal so lange beobachtest, bis die Babyfäden in ein Alter kommen, wo zweifelsfrei die Gattung erkennbar ist.

Was erst mal klar ist, ist die Übereinstimmung zwischen Deinen und meinen Bildern. Ich will in den nächsten Tage auch mal einen etwas älteren OT aus meinem Aquarium ziehen. Mal sehen, ob sich da was zum Thema hier ableiten lässt.

Einen schönen Tag und liebe Grüße,
Wolfgang

PS: Eine mikrofototechnische Frage hätte ich doch noch: Wie bekommst Du die ordentliche Grünwiedergabe zusammen mit dem einheitlichen Blau von Hintergrund und den durchsichtigen Objektteilen hin? Ich hatte bisher angenommen,dass das Blau in einer Photoshop-Bearbeitung entsteht.
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Eckhard

Lieber Wolfgang,

ZitatWie bekommst Du die ordentliche Grünwiedergabe zusammen mit dem einheitlichen Blau von Hintergrund und den durchsichtigen Objektteilen hin?

Ich antworte hier mal, da ich hier nicht ganz unschuldig bin: Bini betrügt die Kamera :D

Sie benutzt einen Blaufilter, der die Farbtemperatur Richtung 5000 K bringen soll. Der Weissabgleich der Kamera steht auf 3000 K und nun wird das Bild von der Kamera "falsch" interpretiert. Das Histogramm bringt den Betrug ans Tageslicht - wir haben einen geringen Rotanteil, ein ausbalanciertes Grün und ein zu starkes Blau.

Ich nutze diesen Effekt selbst, um beim DIK ohne Lambda Hilfsobjekt einen farbigen (blauen) Hintergrund zu erzeugen. Nachfolgend ein Beispiel:


Bild wie es im Okular erscheint


Bild wie es die Kamera ohne Nachbearbeitung interpretiert (5000 K Weissabgleich)

Wenn ich den Weissabgleich auf 9500 K einstelle lande ich wieder bei Bild 1.

Herzliche Grüsse
Eckhard
Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
Nikon SE2000U (HF, DIK, Ph)
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Zeiss Sigma (ETSE, InLens SE)

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Wolfgang Bettighofer

Lieber Ecki,

ah ja, Mikro-Tandem, was?!
Da ich nun von der linearen Verschiebung weiß, fragte ich mich erst mal kurz, ob die Kamera ohne Verschiebung nichts brächte, verwarf das aber schnell und testete am einem Bini-Bild. Beste Qualität bei 3000-3200 K.
Also, wenn die "Blaue Phase" vorbei ist, scheint eine verlustarme Konvertierung auf ca. 3000 K möglich.

Herzliche Grüße,
Wolfgang

PS: Der Test hat mir netterweise auch was gebracht. Mein neues Corel X4 hat nun endlich (gut versteckt, aber ich habe ihn gefunden) einen echten Farbtemperaturregler. Pfööhön!
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