Frühjahrestümpeln: Rädertiere und schöner Beifang

Begonnen von Ole Riemann, April 22, 2025, 21:57:06 NACHMITTAGS

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Ole Riemann

Liebe Mikroskopiefreunde,

Wie jedes Jahr beginnt für mich die Tümpelsaison mit der Untersuchung des Frühjahresauftriebs; lockeren, schaumigen Aggregaten aus Cyanobakterien, fädigen Algen, Diatomeen und Detritus, die durch die steigende Photosyntheserate und die damit zusammenhängende Bildung von Luftbläschen vom Gewässergrund an die Oberfläche treiben und dort einfach abgesammelt werden können.

Dieses Material ist eine reichhaltige Quelle für zahlreiche Protisten, aber auch mikroskopische kleine Vielzeller wie Rädertiere, Gastrotrichen und Tardigraden. Hältert man das gesammelte Material in Probenwasser ohne direkten Sonneneinfall, bietet es noch nach vielen Tagen schöne Objekte für ausgedehnte Sessions am Mikroskop.

Hier eine Auswahl der Objekte, mit denen ich mich in den vergangenen Wochen näher beschäftigt habe. Sie alle stammen aus zwei kleinen Tümpeln mit wenigen Metern Durchmesser und einer Wassertiefe von kaum einem Meter.

Der farbenfrohe Ciliat Nassula ornata mit Mundreuse und - je nach Verdauungszustand der aufgenommenen Blaualgennahrung - unterschiedlich gefärbten Nahrungsvakuolen: 

Nassula_ornata_1.jpg

Das Becherbäumchen Dinobryon sertularia:

Dinobryon_sertularia_1.jpg

Dicranophorus forcipatus, ein räuberisches Rädertier, das einen Tardigraden erbeutet hat - im Magen des Räubers sind noch Reste des Saugpharynx des Tardigraden zu erkennen (gestrichelt umkreist):

Dicranophorus_forcipatus_1.jpg

Die aus der Mundöffnung ausstoßbaren Kauerhartteile (Trophi des Mastax) von Dicranophorus forcipatus im Detail (Ma=Manbrium, Un=Uncus, Fu=Fulcrum, Ra=Ramus, Al=Alula, Rz=Ramuszähne):

Dicranophorus_forcipatus_2.jpg

Das Rädertier Encentrum mustela und einige anatomische Details (Ma=Mastax, Md=Magendrüse, Kd=Keimdotterstock, Pb=Protonephridialblase, Mg=Magen, Pv=Proventrikulus, Pfeil verweist auf den langen Stiel der Magendrüse):

Encentrum_mustela_1.jpg

Die frei präparierten Kauerhartteile von Encentrum mustela:

Encentrum_mustela_2.jpg

Der räuberische Ciliat Loxophyllum meleagris mit den markanten Extrusomenwarzen (rechter Rand der Zelle, auf der Dorsalseite):

Loxophyllum_meleagris_1.jpg

Der Einzeller Loxophyllum meleagris hat ein vielzelliges Rädertier erbeutet, wie die Reste des Kauers im Plasma des Ciliaten beweisen (Pfeil), außerdem gut sichtbar der aus einzelnen Segmenten zusammengesetzte Makronukleus:

Loxophyllum_meleagris_2.jpg

Eine Detailuntersuchung mit der Ölimmersion identifiziert die Rädertierbeute als eine Lepadella-Art (ausgeprägt dreieckig-abgeflachtes Ende des Fulcrums):

Loxophyllum_meleagris_3.jpg

Eine polypodiale Amöbe - vermutlich Polychaos dubium (einkernig, Nukleolarsubstanz erfüllt im optischen Schnitt das gesamte Kernplasma; Nu=Nukleus, kV=kontraktile Vakuole):

Polychaos_dubium_1.jpg

Beste Grüße

Ole




KayZed

Lieber Ole,

ich freue mich sehr, von dir wieder mal eine erlesene Ausbeute zu genießen.
Schön, dass du dem Forum nicht ganz den Rücken gekehrt hast.
Und - du bist offenkundig wieder zu den Wurzeln der Mikroskopie zurückgekehrt,
deine Hellfellaufnahmen sind von Feinsten.

Danke fürs Zeigen

LG Klaus
Zeiss Stemi 508
Zeiss Jenaval Kontrast
Nikon Z7

Spectrum

Guten Morgen Ole,
Dem schließe ich mich gerne an. Erstklassige Aufnahmen und sehr interessante Informationen.
Vielen Dank Holger
Holger
Duzen und meine Bilder (auch ungefragt)  bearbeiten, mit eigenen Aufnahmen ergänzen und weitergeben erwünscht!

Michael K.

Hallo,

Es ist schon interessant was sich da im Wasser tummelt. Die Aufnahmen sind wirklich erstklassig, dazu die Präparation.
Wenn ich schon lese "Die frei präparierten Kauerhartteile von Encentrum mustela" versetzt mich das in
Erstaunen. Soll dies heissen, die "Teile" wurden heraus "operiert"?  Wenn dann müssen es ja wirklich
kleine Instrumente sein.  Oder es wurde chemisch gemacht.


LG
Michael

anne

Lieber Ole,
vielen Dank für die schönen Einblicke und die fachlichen Ergänzungen, wie immer perfekt von Dir!
Den Ciliaten  Nassula ornata hatte ich vor kurzem auch zum ersten Mal ( hab´ mich unglaublich gefreut), habe aber festgestellt, dass dieser gar nicht so leicht zu fotografieren ist, da er recht groß und "undurchsichtig" ist.
Ich freue mich auf mehr!
lG
anne

Gerald

Guten Morgen Ole,

vielen Dank für die perfekten Aufnahmen und vorallem für die Detailerklärungen. Das ist sehr lehrreich!

Würdest Du bei Loxophyllum meleagris von einem perlschnurförmigen Zellkern sprechen oder fehlt hierfür die tropfenförmige Symetrie (wie zum Beispiel bei Stentor coeruleus)?

Viele Grüße aus dem Chiemgau.

Gerald

Ole Riemann

Vielen Dank Euch allen für die Rückmeldungen und Fragen, die mich sehr gefreut haben!

Michael, für das Freilegen der Kauerhartteile nimmt man in der Rädertierkunde traditionell Natriumhypochlorit, das die umliegenden Gewebe (und mit der Zeit leider auch die Kauer) zersetzt. Alternativ - und so mache ich das und meines Wissens Michael Plewka auch - verwendet man eine gepufferte Lösung von SDS (Natriumdodecylsulfat), die unter dem Deckglas hindurchgezogen wird und die Gewebe stark aufhellt und zumindest teilweise auflöst.

Gerald, einigen wir uns vielleicht auf den Begriff "moniliformer Makronukleus". Ich meine, dies ist der Fachbegriff für diese Art Makronukleus, aber ich bin kein Ciliatenkundler; "perlschnurförmig" finde ich auch vollkommen richtig für die Verhältnisse bei L. meleagris.

Schöne Grüße

Ole

Apochromat

Lieber Ole,

das sind ganz tolle Hellfeldbilder. Besonders gut finde ich die Dinobryon- Aufnahme.

LG
Michael

rhamvossen

Hallo Ole,

Solche klare Bilder von Tümpelproben sieht man hier nicht oft. Die Amöbe ist Phantastisch und auch die Dinobryon. Beste Grüsse,

Rolf