Interessante Pilz- und Flechtenfunde 160 – Finger-Scharlachflechte

Begonnen von Bernd Miggel, Juli 11, 2024, 08:44:45 VORMITTAG

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Bernd Miggel

Finger-Scharlachflechte (Cladonia digitata)

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Danke an Mike Guwak für viele, hilfreiche Tipps!

Text in Anlehnung an WIRTH & DÜLL 2000, WIRTH & KIRSCHBAUM 2024

Bild 1 - 20240217_095609_b, 800x.jpg
Bild 1Cladonia digitata auf dem Substrat: Kiefernrinde, Stammfußbereich. Foto: Liss Hoffmann.


Einführung, Lebensweise und Verbreitung

Die Finger-Scharlachflechte (Cladonia digitata) gehört zu den gut bestimmbaren Becherflechten: rotfrüchtig mit soridiösen Podecien und sehr großen, grundständigen Blättchen (Grundschuppen). Sie ist häufig und weit verbreitet und wächst gerne an der Stammbasis von Bäumen mit saurer Rinde (Nadelbäume, Birken), auf morschem Holz oder auch direkt auf saurem, nährstoffarmem Boden, z.B. in der Nadelstreu. Den hier beschriebene Fund (Bilder 1 bis 6) konnten wir im Stammfußbereich einer alten Waldkiefer machen.
Der Fund: F02 vom 17.2.2024 im Kiefern-Schonwald ,,Heselmiss" in Baden-Württemberg, Gemeinde Oberreichenbach-Würzbach auf 720 mN.N. mit saurem, torfhaltigem Boden.
leg.: B. Miggel & L. Hoffmann, det.: B. Miggel

Bild 2 - Finger-Scharlachflechte (Cladonia digitata), 20240217_095522_b, 800x.jpg
Bild 2 – Bemerkenswert sind die ungleichmäßig gestalteten Podetien. Vorn im Bild eine sehr große Grundschuppe. Foto: Liss Hoffmann.

Bild 3 - Finger-Scharlachflechte (Cladonia digitata), 20240217_095545_b, x800.jpg
Bild 3 – Hier unter Anderem kleine, rote Apothecien, kreisförmig angeordnet am Rand eines Bechers. Foto: Liss Hoffmann.


Merkmale des Fundes


Die Finger-Scharlachflechte besteht aus grundständigen Blättchen (Grundschuppen) und Podetien. Im trockenen Zustand macht sie einen grünlichgrauen Farbeindruck. Die Grundschuppen stehen dicht, sind am Rand abgerundet, kaum gekerbt,  überlagern sich oftmals und sind sehr groß, beim Fund bis zu 7 mm lang und breit. Oberseits grünlichgrau und glatt, sind die Grundschuppen unterseits weißlich und fein sorediös, wobei die Soredien bis zum Rand reichen. Da der äußerste Rand hochgebogen ist, hat man von oben her gesehen den Eindruck weißer Bortensorale. Die Stämmchen (Podetien) sind sehr unterschiedlich geformt, berindete Stellen (also soredienfreie Stellen) grünlichgrau, Soredien ebenfalls grünlichgrau. Einige der Podetien sind apikal pfriemförmig, andere keulig und wieder andere becherförmig ausgebildet und tragen tragen kleine bis sehr kleine, rote Apothecien. Es kommen auch Becher mit fingerartigen Fortsätzen vor (in den Bildern nicht zu sehen).

Ermittelte Farbreaktion (vorgenommen an der Unterseite der Grundschuppen, Betrachtung bei Tageslicht)
K+ gelb, C-, KC-, P+ gelb bis gelborange, UV+ grün
(mit K: Kalilauge 10-20%, C: Natrium-Hypochlorit, KC: erst K auftupfen, dann C auf dieselbe Stelle geben, P: para-Phenylendiamin, UV 365 nm).

Bild 4 - 20240217_095516_b, 800x.jpg
Bild 4 – Hinten links: Podetium mit graugrüner Rinde und graugrünen Soredien, vorne zwei sehr große Grundschuppen Foto: Liss Hoffmann.

Bild 5 - 20240217_095522_b, 800x.jpg
Bild 5 – Auch hier (mittig im Vordergrund) sehr große Grundschuppen mit Soredien am hochgebogenen äußersten Rand. Foto: Liss Hoffmann.

Bild 6 - 20240217_095555_b, 800x.jpg
Bild 6 – Im Vorderbereich viele, sich überlappende, große Grundschuppen, die am äußersten Rand nach oben gebogen sind. Foto: Liss Hoffmann.


Notizen
• Man findet immer wieder einmal Populationen von Cladonia digitata ohne Podetien. Eine Artbestimmung macht aber auch in solchen Fällen auf Grund der sehr groß werdenden, am Rand fast ungekerbten Grundschuppen mit weißen ,,Bortensoralen", im Zusammenhang mit den Farbreaktionen, keine Probleme.

Ähnliche, rotfrüchtige Becherflechten
• Die Vielfinger-Scharlachflechte (Cladomia polydactyla) besitzt stets am Rand gezähnte bis fingerig geschlitzte Becher. Die Grundschuppen sind sehr zahlreich, dichtstehend, nur bis 3 mm breit, und am äußersten Rand nicht nach oben gebogen.
• Die Schlanke Scharlachflechte (C. macilenta) besitzt kleine, geschlitzte Grundschuppen, die am äußersten Rand nicht nach oben gebogen sind. Auch sind die Podetien stets becherlos.
• Flörkes Scharlachflechte (C. floerkeana) besitzt kleine, geschlitzte Grundschuppen, die am äußersten Rand nicht nach oben gebogen sind. Auch sind die Podetien stets becherlos. Wichtig: Sie besitzt sowohl eine negative K- als auch eine negative P-Reaktion.

Literatur

• DÜRHAMMER, O. (2003): Die Flechtenflora von Regensburg. – Sonderdruck aus: HOPPEA, Denkschriften der Regensburgischen Bot. Ges. Bd. 6: 142-143.
• WIRTH, V. (1995): Die Flechten Baden-Württembergs, 2. Aufl., 1006 S.; Ulmer, Stuttgart: 325.
• WIRTH, V. & DÜLL, R. (2000): Farbatlas Flechten und Moose: 60.
• Wirth, V. et al. (2011): Rote Liste der Flechten und flechtenbewohnende Pilze Deutschlands.
• WIRTH, V. et al. (2013): Die Flechten Deutschlands. – Eugen Ulmer KG, Stuttgart: 396-397.
• WIRTH, V. & KIRSCHBAUM, U. (2024): Die Flechten Mitteleuropas. Bestimmung und Beschreibung der wichtigsten Arten: 186-187.
https://britishlichensociety.org.uk/resources/species-accounts/cladonia-digitata
https://italic.units.it/index.php?procedure=taxonpage&num=617
http://www.norbert-kuehnberger.de/pilzbildergalerie/D_Flechten-Lichenes_-_226_Arten/index.htm
https://de.wikipedia.org/wiki/Cladonia_digitata
https://blam-bl.de/53-blam/moos-und-flechte-des-jahres/2020/150-moos-und-flechte-des-jahres-2020-ii-iii.html


Viel Freude beim Anschauen!
Bernd


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BioExplorer

Hi,
ich finde, dein Beitrag ist sehr gut gelungen! Beneidenswerte Bilder!
Ich finde es richtig gut, dass du erst einmal grundsätzliches zur Flechte schreibst und nicht direkt ans Aussehen bzw. das Verhalten unter dem Mikroskop gehst!
Liebe Grüße vom Anfänger
Felix

Bernd Miggel

Hallo Felix,

ich zähle mich auch noch zu den Anfängern und lerne bezügl. der Flechten täglich dazu!
Freut mich, dass die der Beitrag gefällt!

Herzliche Grüße
Bernd