Julius Rheinberg 1896 - seine Beschreibung des Farbkontrastverfahrens

Begonnen von Lupus, November 12, 2024, 22:09:29 NACHMITTAGS

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Lupus

Hallo,

das Thema Rheinbergfilter wird im Forum immer wieder aufgegriffen. Immerhin ist es eine interessante Methode für optische Experimente, und sie kann auch sehr lehrreich sein wenn man sich etwas mit der Theorie dahinter beschäftigt. Es ging Rheinberg damals nicht um Ästhetik, sondern wie es zu seiner Zeit üblich war, um eine Optimierung der mikroskopischen Beobachtung. Immerhin hatte Abbe erst relativ kurz zuvor sein Beugungstheorie für das Mikroskop beschrieben, und speziell in der Royal Microscopical Society wurde damals intensiv über diverse Beleuchtungsverfahren diskutiert. Neben der schon lange bekannten Dunkelfeldbeleuchtung stand schiefe Beleuchtung und auch ringförmige Beleuchtung besonders im Zentrum der theoretischen und praktischen Debatte. Ein anderes Beispiel für die Erkenntnisse damaliger Zeit ist der Begriff der "kritischen Beleuchtung"  https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=47892.0

Wer sich etwas mehr für die Arbeit Rheinbergs, die von ihm getesteten Varianten (auch Filter an der Austrittspupille des Objektivs) und die Theorie der Wirkung der Filter sowie die Vorteile als neues Kontrastverfahren nach Meinung des Autors interessiert, sollte seine Veröffentlichung aus dem Jahr 1896 im "Journal of the Royal Microscopical Society" lesen. Sie war wohl eine schriftliche Fassung eines damaligen Vortrages, wie man aus einigen Formulierungen erkennen kann. Nachdem der z.T. etwas langatmige Text in Englisch eventuell nicht für jeden gut verständlich ist, habe ich die Veröffentlichung sinngemäß auf Deutsch übersetzt und als PDF-Datei angehängt.

Hubert

Rheinberg Artikel Optischer Farbkontrast 1896.pdf

Michael L.

Hallo Hubert,

vielen Dank für den Link zur interessanten Originalarbeit.

Viele Grüße

Michael

Lupus

Hallo,

was ich noch bemerkenswert finde ist, dass damals die Welt der Wissenschaft wohl ziemlich klein war, immerhin hat Rheinberg offensichtlich mehrfachen Kontakt mit der Firma Zeiss gehabt wenn man zwei Anmerkungen in der Veröffentlichung betrachtet (dabei war Rheinberg kein sehr bekannter Wissenschaftler):

"Mit anderen Worten, das Licht einer bestimmten Farbe wirkt völlig unabhängig vom Licht anderer Farben. ....  Diese Tatsache war meines Wissens bisher noch nicht experimentell nachgewiesen worden, und deshalb führte ich eine Reihe von Testexperimenten mit auf verschiedene Weise gefärbten Scheiben durch ....  Seit dieser Artikel verfasst wurde, habe ich von Dr. Czapski erfahren, dass Prof. Abbe vor einigen Jahren verschiedene Experimente mit dem gleichen Ziel durchgeführt hat."
"An dieser Stelle muss ich den gelehrten Professoren der Firma Carl Zeiss in Jena meinen Dank aussprechen, die mir im vergangenen Jahr mit großer Höflichkeit und Großzügigkeit wertvolle Hilfe und Ratschläge zur Weiterentwicklung dieses Beleuchtungssystems gegeben haben und denen bestimmte Modifikationen der Methode für Arbeiten mit geringer Objektivvergrößerung und insbesondere die folgende geniale optische Demonstration der Prinzipien der Abbe-Theorie zu verdanken sind."

Der Grundstein für die Idee des allerdings deutlich später entwickelte Mikropolychromar von Zeiss
https://www.mikroskop-online.de/Mikroskop%20BDA/Mikro%20493%20(1938)%20Mikropolychromar.pdf
http://www.microscopy-uk.org.uk/mag/indexmag.html?http://www.microscopy-uk.org.uk/mag/artdec08/ab-chromar.html
könnte vielleicht bereits damals durch den Kontakt mit Rheinberg gelegt worden sein.  ;)

Hubert

witweb

Hallo Hubert,

das ist ja wirklich toll. Vielen Dank für diese Infos und die Mühe, die du dir mit der Übertragung ins Deutsche gemacht hast. Es ist immer wieder schön, wenn man sich am Original orientieren kann, auch wenn es später immer weitere Entwicklungen gibt. Wo gibt es denn die englische Fassung? Ich hatte bereits nach Veröffentlichungen von Julius Rheinberg gesucht.


Herzliche Grüße

Michael
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Leitz Orthoplan
Zeiss Standard 18 mit Fluoreszenz-Auflichtkondensor IV FL
Lomo Biolam, Motic SMZ-168
Canon EOS 750D
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https://www.youtube.com/@Mikrokristalle

Lupus

Hallo Michael,

ZitatIch hatte bereits nach Veröffentlichungen von Julius Rheinberg gesucht
er hat nicht viel veröffentlicht, hier ist eine kleine Veröffentlichung zu einer "Austritspupillenlupe"
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=48340.msg355374#msg355374
in Beitrag #4 in diesem Link sind noch zwei weitere Veröffentlichungen von ihm.

Zum Rheinberg-Filter gibt es noch diese zwei bekannten kurzen "Notizen" aus dem Journal of the Quekett Microscopical Club
https://www.quekett.org/wp-content/uploads/2015/09/Rheinberg-Note-Coloured-Illumination.pdf
https://www.quekett.org/wp-content/uploads/2018/01/rheinberg-double-colour-illumination.pdf
und die längere Veröffentlichung zum Filter aus dem Journal of the Royal Microscopical Society, die ich übersetzt habe
https://ia800708.us.archive.org/view_archive.php?archive=/22/items/crossref-pre-1909-scholarly-works/10.1111%252Fj.1365-2818.1882.tb01547.x.zip&file=10.1111%252Fj.1365-2818.1896.tb00904.x.pdf

Hubert

purkinje

#5
Hallo Hubert,
mit dieser Methode hat Rheinberg ja sein Auf-und-ab erlebt, nach wohl initialer Wertschätzung durch die RMS, in die er 1899 aufgenommen wurde, ist die Methode nicht wirklich in der Breite angewendet worden, obwohl Spitta die Methode auch in seinem Buch 1920 kurz schildert (1). Die Fotografie spielte in der mikroskopischen Forschung eine zunehmende Rolle, war aber weitestgehend in schwarz-weiß. Interessant, dass mit der dann breiter verfügbaren Farbfotografie ab etwa 1935 das Interesse wieder ansteigt und auch kommerzialisiert wird:
1) das Einspiegelprisma nach Teissler 1934 für die bizentrischen kombinierten Hell Dunkelfeld-Kondensoren (hier gezeigt, beachtenswert die mattierte  ;) Hellfeldzone), dieses Prisma nutzt die innere Hellfeldzone um farbiges Licht einspiegeln zu können:
Teissler Prisma 1934.jpg
2) der Mikropolychromar (1933)
3) 12-farbiges Rheinberg-Set von Eastman Kodak (1935), unter Rheinbergs Beteiligung (1)

Möglicherweise bedingt durch diese Erfolge kam es zu einem wohl nicht gerade konzilianten Verhalten Rheinbergs gegenüber Zernike. Es soll sich 1934 im Quekett Microscopical Club zugetragen haben:
er gratulierte Zernike zu seinen Ausführungen, zu seiner neuen Phasenkontrastmethode und würdigt es als interessanten physikalischen Versuch. Rheinberg sieht es aber für die Mikroskopie als gefährlich an, die Phase nur einer Beugungsordnung zu ändern; daraufhin preist er ausgiebig seine eigene Methode. (2)

Später ab den 50er jahren v.a. in Amateurkreisen beliebte Methode zum Selbstbau, manchmal werden auch kleinkommerzielle Lösungen angeboten. Das wissenschaftliche Interesse liegt aber bald auf Zernikes und später Nomarskis Methoden.

Im Anhang noch die Artikel zu Rheinbergs Aufnahme in die Royal Microscopical Society (J.of RMS 1899)

Beste Grüße Stefan

Nachtrag Quellen:
1) J.G. Delly, Rheinberg Different. Color Illumination in biomedical Photography, Kodak 1976

2) B. Matsumoto u P.M. Graeves, The Leitz Heine Phase Contrast System, Quekett Journal of Miuoscopy, 2022, 45

witweb

Hallo ihr beiden,

habt recht vielen Dank für die sehr interessanten Informationen und vor allem für die Links. Das ist genug Material, um ein wenig Farbe in die graue Jahreszeit zu bringen.  :)

Viele Grüße

Michael
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purkinje

#7
Hallo Hubert, werte Interessierte der Mikroskopiegeschichte,

interessant finde ich, dass Rheinberg wohl schon einer der wirkungsvolleren Fürsprecher der Abbeschen Theorien in der Royal Microscopical Society war und sich, auch schon weit vor der o.g. Quekett meeting mit Zernike, mit Phasenkontrast-Erscheinungen auseinandergesetzt hat. Eine gewisse Skepsis dürfte bei ihm von diesen frühen Versuchen stammen: In der Abhandlungen, also dem Journal of the Royal Microscopical Society findet sich
Rheinberg, J., 1904. On the influence on images of gratings of phase difference amongst their spectra. /. Roy. Micr. Soc. 1904:388-390.
und
Rheinberg, J., 1905. The influence on images of gratings of phase-differences amongst their spectra. J. Roy. Micr. Soc. 1905: 152-155.
(Neben diesen Artikeln finden sich in beiden Bänden noch weitere Ausführungen dazu, weshalb ich die ganzen Bände hier verlinke)
Die Zurückhaltung Rheinbergs (und anderer) gegenüber Phasenkontrast als verwendbare Methode, dass ja später auch Zernike erfuhr und mehrfach geschildert hat, ist also schon weit älter.
Auch in Jena hatte man bereits über 10 Jahre vorher dazu Versuche angestellt und war wohl nicht zur Überzeugung gelangt dieses Prinzip in die breitere mikroskopische Öffentlichkeit tragen zu wollen!

Meiner Meinung nach, liegt dies auch an den damaligen Erfordernissen und Methoden: es wurde durchfixiert, in dünnen Schnitten oder ausgestrichen sehr ausgefeilt gefärbt. Da war die Notwendigkeit des nativen oder in vivo Betrachtens noch nicht so gegeben, wie später zunehmend ab den 30er Jahren. Als Kulturen immer mehr Verwendung fanden und auch Zellmechanismen im Lebenden immer mehr beobachtet wurden, änderte sich langsam die Anforderung an die mikroskopische Technik.
Auch nehme ich stark an, dass es technische Gründe gegeben haben mag, keine (ein-dimensionalen) Phasenkontrastmethoden bereits zu Beginn des 20Jh weiter zu entwickeln und zu vermarkten. Evtl hieß es damals schon: geht alles auch mit weniger Aufwand mit schiefer Beleuchtung  ;)

Beste Grüße Stefan

Lupus

Hallo Stefan,

Zitatinteressant finde ich, dass Rheinberg wohl schon einer der wirkungsvolleren Fürsprecher der Abbeschen Theorien in der Royal Microscopical Society war
direkt im Anschluss an den Artikel in dem von Dir verlinkten Band von 1905 des J.Roy.Mic.Soc. findet sich von S. 156-163 ein Nachruf auf Abbe, auch von Rheinberg geschrieben. Das dokumentiert anschaulich seine Verbundenheit mit Abbe.

Hubert