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Pflanzen bei Frost

Begonnen von Jürgen H., März 03, 2010, 19:50:35 NACHMITTAGS

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Jürgen H.

Liebe Mitmikroskopiker,

ein Frage, die mir bei Frost immer wieder durch den Kopf geht: Kurz bevor die Temperatur auf 0 Grad sinkt, werden die Blätter von einigen Pflanzen schlaff. Ein gutes Beispiel ist etwa die Bergenie. Auch die Rhododendronblätter verlieren an Spannung und rollen sich ein.

Weiß jemand im Forum, wie die Pflanzen das machen? Voraussetzung für diese Erscheinung wären doch zwei Dinge: Die Pflanze "fühlt", dass sich die Temperatur dem Nullpunkt nähert und pumpt das Wasser aus den Blättern. Oder?

Mikrogrüße

Jürgen

Hugo Halfmann

Hallo Jürgen,
also beim Rhododendron weiss ich  aus eigener Erfahrung und vom Gärtner meines Vertrauens, daß er bei Wassermangel die Blätter einrollt, und das nicht nur im Sommer. Man soll ihn angeblich sogar im Winter gießen.... ???......war im verregneten Bergischen Land aber noch nie nötig...... ;D

Kann man das Phänomen Hilfe vom Schnitten zeigen ?
Viele Grüße aus dem Bergischen Land

Hugo Halfmann

Detlef Kramer

Lieber Jürgen,

die Antwort muss komplex sein und ich bin auch ehrlich, dass ich nicht alle Aspekte erklären kann. Es sind nicht die Blätter als Gesamtheit, sondern die Zellen, die Wasser an den außerzellulären Raum abgeben, um so ihren Zellsaft "einzudicken". Aber, wie geschieht das? Die Plasmamembran pflanzlicher Zellen kann eigentlich kein Wasser transportieren. Das geht nur auf osmotischem Weg, d.h. die Zelle transportiert Zucker, vielleicht auch K+ nach außen und das Wasser folgt dem osmotischen Gradienten; die Zelle erschlafft, wissenschaftlich: der Turgor lässt nach und die Blätter werden schlaff. Dadurch konzentrieren sich aber lösliche Substanzen im Cytoplasma und wirken als Frostschutz.

So ungefähr funktioniert die Sache.

Wie das die Zellen fühlen? Keine Ahnung, da müsste ein Biochemiker nachhelfen.

Herzliche Grüße

Detlef
Dr. Detlef Kramer, gerne per DU

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reblaus

Hallo -

vielleicht noch zur Ergänzung von Detlefs Ausführung - es dürfte sich dabei um den gleichen Mechanismus handeln, wie bei der Bewegung der Schließzellen.

Sehr vereinfacht: Wenn die Wurzel Trockenheit fühlt, bildet sie einen Botenstoff (Abscisinsäure), der mit dem Transpirationsstrom in die Blätter transportiert wird. Dort veranlasst dieser Stoff, dass K+ aus der Schließzelle austritt bzw. nicht mehr hineingepumpt wird, dadurch wird deren osmotischer Wert niedriger, sie erschlafft, und die Spaltöffnung schließt sich.
In der Schule habe ich mal gelernt, dass sich die Spaltöffnung schließt, weil das Blatt Wasser verliert und schlaff zu werden beginnt, aber in Wirklichkeit und sinnvollweise geschieht das weit früher. Allerdings spielen hier noch viele andere Faktoren eine Rolle.

Wichtig für mich war aber der Hinweis, dass die Blätter mancher Pflanzen bei niedrigen Temperaturen Wasser abgeben um sich anzupassen. Ich habe früher Frostanpassungsmechanismen experimentell untersucht, habe aber als typischer spezialisierter  Akademiker diese den Gartenpraktikern anscheinend wohlbekannte Tatsache nicht zur Kenntnis genommen.
Zu meiner Entschuldigung mag beitragen, dass meine Weinstöcke einen derartigen Anpassungsmechanismus nicht besitzen, weil sie ja im Winter die Blätter abwerfen.

Mit bestem Dank für die Aufklärung
Rolf


Jürgen H.

Liebe Mitmikroskopiker

Herzlichen Dank für eure erklärenden Antworten. An einem habe ich aber erheblichen Zweifel: Das es die Trockenheit ist, die meine Bergenien bei Frost zu schlaffen Blättern verhilft. Ich muss wohl allerdings die Erscheinung  noch einmal genauer beobachten. Ich meine, dass das Phänomen sehr plötzlich auftritt, wenn sich der Nullpunkt nähert und zwar auch dann, wenn der Boden zuvor noch recht feucht war. Hingegen stehen die Blätter auch bei Trockenheit im Sommer recht stramm. Ich habe diese Erscheinung bisher auch immer als Schutzmechanismus gegen Frost verstanden, wobei mir nicht ganz klar ist, bei welcher Temperatur das Wasser in der Bergenie gefrieren könnte - ist ja jedenfalls nicht nur Wasser. Gräbt man im Sommer eine Bergenie aus, auch ohne einen Erdballen daran zu lassen, behält sie die volle Turgeszens der Blätter jedenfalls noch einige Zeit, es hängt ja auch ein recht dickes Rhizom unten dran.

Die Frage kam mir heute morgen bei dem Frühfrost wieder in den Sinn: Schlaffe Blätter, wie ich meine, über Nacht.

Mikrogrüße

Jürgen

reblaus

Hallo Jürgen -

tut mir leid, dass ich mich missverständlich ausgedrückt habe!
Das Faszinierende ist für mich ist ja, dass anscheinend durch Frost der gleiche Mechanismus angekurbelt wird wie durch Bodentrockenheit und der zu einer starken Verminderung des Turgors führt - unabhängig von der Wasserversorgung.
Es ist ja auch so, dass bei Bodentrockenheit die Schließzellen schon (vorbeugend) zumachen, wenn das Blatt selbst noch gar keinen Wassermangel hat, sondern erst die Wurzel.
Ich gehe aber mal davon aus, dass diese "Frosterschlaffung" kein Schaden ist, sondern wenn es warm wird wieder spurlos verschwindet (?!)

Gruß
Rolf

Jürgen H.

Hallo Rolf,

aber ja, die volle Turgeszens meiner Bergenienblätter stellt sich erstaunlich schnell ein. Heute morgen hingen sie völlig schlaff am Boden : Frost heute mittag standen sie bereits wieder völlig normal und kräftig auf ihren Stengeln. Ich frage mich auch: Wo tun die bei Frost das Wasser hin? Verdampft es durch die Schließzellen? Wird es in die unteren Bereiche weggepumpt? Ich glaube, ich muss einmal ein paar Bergenien aus meinem Garten opfern um der Frage nachzugehen, nur sind die noch nicht so recht zahlreich.

Mikrogrüße

Jürgen

Detlef Kramer

Lieber Jürgen, war wohl nicht ganz klar, was ich geschrieben habe. Das Waser geht in die Interzellularräume oder auch Apoplast genannt. Damit fehlt den Zellen der Turgor und deshalb wird das Blatt schlaff.

Alles was mit Wasser raus oder rein zu tun hat geht sehr schnell, nicht nur beim Hochwasser
  :D, sondern auch bei Zellen.

Herzlichen Gruß

Detlef
Dr. Detlef Kramer, gerne per DU

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Jürgen H.

Lieber Rolf und lieber Detlef,

ihr würdet also sagen, dass die Protoplasten der einzelnen Zellen Wasser nach außen transportieren, weil sich der osmotische Gradient ändert durch Abgabe osmotisch wirkender Stoffe aus dem Symplasten in den Apoplasten, das Wasser folgt. Mikroskopisch müsste sich dann also durch Plasmolyseversuche erweisen lassen, dass der osmotische Druck in den Protoplasten der Blattspreite meiner Bergenien bei Frost geringer ist als bei Frühjahrstemperaturen?

Mikrogrüße

Jürgen

reblaus

Hallo Jürgen -

Genau! Das mit dem Transportieren ist allerdings so eine Sache. Einerseits bleibt z.B. die "Kaliumpumpe" stehen, die normalerweise K+ unter Energieverbrauch in die Zelle schafft, andererseits wird der Protoplast auch für K+ durchlässig, sodass es nach außen "sickert". Außerdem hat man seit meiner letzten Wissensaktualisierung vor 10 Jahren sicher noch weitere Faktoren entdeckt.
Aber für deinen Plasmolyseversuch ist letzten Endes egal, welche Mechanismen das osmotische Potential verändern. Unbedingt versuchen!

Ein Erfolg würde meine These bestätigen, dass es auch heute noch Dinge gibt, die ein cleverer Forscher mit wenig Finanzaufwand (bzw. mit ohnehin herumstehenden Geräten) wenigstens qualitativ untersuchen kann, während daneben sein Kollege jammert, er könne nicht arbeiten, weil die DFG das neueste Gerät nicht bewilligt hat.

Frisch ans Werk, solange es noch kalte Nächte gibt! Allerdings steckt auch bei einfachen Versuchen der Teufel oft im Detail.

Gruß
Rolf

Jürgen H.

Herzlichen Dank lieber Rolf, für Deine Antwort. Mit dem frisch ans Werk wird es allerdings etwas dauern, die Arbeit türmt sich, Rentner müsste man sein oder Privatier, wie das früher so schön hieß..... Im Frühjahr gibt aber kleine Bergenienpflänzchen im Gartencenter und einen alten Kühlschrank gibts auch.

Mikrogrüße

Jürgen