Der U-Tisch und seine Kuriositäten: Konoskopie und mehr… Teil 2

Begonnen von olaf.med, Dezember 19, 2024, 16:45:21 NACHMITTAGS

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

olaf.med

Hier nun die Fortsetzung:

(und hier geht's zum ersten Teil)

Die Waldmann-Kugel für größere Kristalle und Edelsteine

Ein sehr interessantes Zubehör zum U-Tisch ist die Waldmann Kugel mit der man Kristalle und Edelsteine bis zu einem Durchmesser von 11 mm messen kann. Sie besteht aus einer Vollglaskugel mit einem Hohlschliff, der Probenkammer, die mit Immersionsöl gefüllt wird. Der Deckel ist als Probenhalter ausgebildet. Davon gibt es drei verschiedene Varianten, einer mit einer Kreuzpinzette die die Probe umfasst und zwei weitere mit Glasstäben verschiedener Größe auf die die Probe aufgekittet wird. Diese Kugel wird zentrisch auf dem U-Tisch aufgebracht.

18.jpg

Waldmann 2.JPG

Die Waldmann-Kugel zur Untersuchung größerer Einkristalle und Edelsteine. Das Kompendium besteht aus der Kugel mit Hohlschliff, drei Probenhaltern für unterschiedlich große Proben und einer Spezialpinzette sowie Hilfs- und Befestigungsmaterial.

Sondersegmente

Auf speziellen Wunsch wurden auch Sondersegmente mit höheren Brechungsindizes geliefert. Diese sind hilfreich für die Messung von Kristallen mit Brechungsindizes, die deutlich oberhalb derer der normalen Segmente liegt. Mir sind solche mit n=1,75, n=1,81 und n=1,91 bekannt.

n=1,81.JPG

Sondersegmente mit hohem Brechungsindex für orthoskopisches und konoskopisches Arbeiten.

Hilfsmittel für die graphische Auswertung der Daten

Klassischerweise werden U-Tisch-Messungen graphisch ausgewertet, wobei man, ganz analog zur Geodäsie, stereographische Projektionen verwendet. Je nach Anwendung benutzt man zwei verschiedene Projektionsarten:

  • Die winkeltreue Projektion (Wulffsches Netz) für das Einmessen von optischen und kristallographischen Bezugselementen wie z.B. bei der Feldspatbestimmung.

  • Die flächentreue Projektion (Schmidtsches Netz) für die Einmessung von Kristallen für die Gefügekunde.

Grundsätzlich reicht dazu ein Karton mit aufgedrucktem Netz und einem Reisbrettstift im Zentrum, um den man ein aufgespießtes Pausblatt mit den eingetragenen Messwerten drehen kann. Besonders elegant geht das aber mit einer Drehvorrichtung nach Reinhard aus Metall, die Leitz für beide Projektionsarten lieferte.

Wulff.JPG

Reinhardsche Drehvorrichtung für winkeltreue Darstellung (Wulffsches Netz).

Indikatrixmodelle nach Reinhard

Die Kristalloptik allgemein und besonders das Arbeiten am U-Tisch setzt ein hohes Maß an dreidimensionalem Vorstellungsvermögen voraus das erlernt und trainiert werden muss. Extrem hilfreich, ja gar unentbehrlich aus didaktischer Sicht, sind dafür Modelle der Indikatrix, also der richtungsabhängigen Darstellung der Brechungsindizes. Für den U-Tisch lieferte Leitz solche Modelle der einachsigen und der zweiachsigen Indikatrix die passgenau in den U-Tisch eingelegt werden können. So lassen sich alle Messoperationen leicht und verständlich nachvollziehen.

Indikatrix 3.JPG

Vierachsiger U-Tisch mit eingelegtem Modell einer einachsigen Indikatrix. Das Modell der zweiachsigen Indikatrix liegt daneben.

Brechungsindexmessung am U-Tisch

Eine wesentliche diagnostische Eigenschaft von Kristallen ist ihr Brechungsindex, der, wie oben bereits erwähnt, richtungsabhängig ist und daher orientiert gemessen werden muss. Einerseits ist der U-Tisch ein perfektes Hilfsmittel zur Orientierung der Kristalle für solche Messungen, andererseits ist aber die Manipulation, also besonders der Wechsel von Immersionsmedien, innerhalb des Sandwichs aus unterem Segment, Glasplatte, Probe und oberem Segment sehr problematisch. Hier ist meist die Spindeltisch-Methode (siehe hier) besser geeignet. Es gibt jedoch zwei Einrichtungen, die auch genaue Brechungsindexbestimmungen am U-Tisch ermöglichen.

Die Durchflusskammer nach Emmons

Die Durchflusskammer nach Emmons ist eine U-Tisch Einsatz mit dem integrierten unteren Halbkugelsegment das Teil eines thermostatisierten Wasserkreislaufs ist in dem sich auch ein Abbe-Refraktometer befindet. U-Tisch und Refraktometer sind also auf gleicher Temperatur die durch den Thermostat in einem Bereich von Zimmertemperatur bis ca. 80°C regelbar ist. Untersucht werden Körnerpräparate in denen ausgewählte Körner mittels des U-Tischs orientiert werden. Als Immersion wird eine Flüssigkeit gewählt, deren Brechungsindex bei Raumtemperatur geringfügig höher ist als der des Kristalls; das Refraktometer wird mit der gleichen Immersion befüllt.

Prinzipiell ist die Temperaturabhängigkeit des Brechungsindexes bei Flüssigkeiten um mehrere Größenordnungen größer als bei Festkörpern. Beim Erhitzen sinkt der Brechungsindex der Immersion daher schnell und stetig, wobei der des Festkörpers innerhalb der Messgenauigkeit gleich bleibt. Am Punkt der Brechungsindexgleichheit verschwindet die Grenzfläche zwischen den beiden Medien und man kann den gerade wirksamen Brechungsindex am Refraktometer bestimmen.

Emmons.JPG

Die Durchflusskammer nach Emmons, Teil eines thermostatisierten Wasserkreislaufs zur Erhitzung der Probe bei der Brechungsindex-Messung.

Das U-Tisch-Refraktometer nach Berek

Das gleiche Messprinzip wird beim U-Tisch-Refraktometer nach Berek genutzt, allerdings verwendet man statt des trägen Wasserkreislaufs eine elektrische Widerstandsheizung durch welche die Temperatureinstellung wesentlich schneller erfolgt. Anstelle des externen Refraktometers benutzt man den U-Tisch selbst als internes Refraktometer zur Messung des Brechungsindex der Immersion im Moment der Brechungsindexgleichheit mit dem Kristall. Dies geschieht, genau wie beim Halbkugelrefraktometer nach Abbe, durch Messung des Grenzwinkels der Totalreflektion beim Übergang vom optisch dichteren zum optisch dünneren Medium. Ein exakt halbkugelförmiger Hohlschliff in dem oberen Halbkugelsegment dieser Einrichtung nimmt Immersion und Kristall auf, der Grenzwinkel der Totalreflektion wird gegen eine Luftfläche unterhalb eines dünnen Deckglases, das die Immersionsküvette abschließt, gemessen. Eingestellt wird die Hell-Dunkel-Grenze der Totalreflektion bei Beobachtung der hinteren Brennebene des Objektivs mittels der Bertrand-Linse.

Das U-Tisch-Refraktometer ist eine komplexe und sehr seltene Einrichtung deren genaue Beschreibung den Rahmen dieser Ausführungen sprengen würde, aber Interessenten schicke ich gerne eine Kopie der Anleitung (in Englisch) zu.

Diese Einrichtung gab es als Zubehör zu vorhandenen U-Tischen oder auch als komplettes Kompendium mit einem UT2, wie hier abgebildet.

17.JPG

Refr.2.JPG

Das U-Tisch Refraktometer nach Berek als Kompendium mit einem UT2 mit elektrischer Widerstandsheizung und Spezialokular.

Neuere Konstruktionen

Auf die Beschreibung der Standard-U-Tische anderer Hersteller, die sich durchweg an Bereks Konstruktion orientierten, möchte ich hier verzichten, allerdings verdienen zwei Entwicklungen aus der Zeit um 1950 eine besondere Erwähnung, da bei ihnen die ,,ausgetretenen Pfade" zugunsten anderer mechanischer Lösungen verlassen wurden. Geplant hatte ich eigentlich beide Einrichtungen in der scheinbar endlosen Freizeit nach Eintritt in den Ruhestand ausführlich auf ihre Brauchbarkeit hin zu testen, allerdings ist das bisher der Realität zum Opfer gefallen, Betroffene wissen was ich meine😁.

Der dreiachsige U-Tisch von Cooke, Troughton & Simms

Nach einem Vorschlag von Hallimond und Taylor (1950) bauten Cooke, Troughton & Simms (später von Vickers weitergeführt) in England eine dreiachsigen U-Tisch mit einigen konstruktiven Neuerungen, der eine einfachere Handhabung ermöglichen sollte. Er hat sich allerdings nie auf breiter Basis durchgesetzt.

9.jpg

Der dreiachsige U-Tisch von Cooke, Troughton & Simms

Die ,,Platine Theodolite Bordet-Nomarski" von Nachet

Einen völlig neuen und sehr ungewöhnlichen Weg beschritt die Firma Nachet in Paris mit der Konstruktion der ,,Platine theodolite" nach Bordet-Nomarski. Hier dient die gesamte bewegliche Mechanik eigentlich nur dazu die Winkelablesung der verschiedenen Drehachsen zu ermöglichen. Die gesamte optische Einheit, also Halbkugelsegmente und Dünnschliff samt mechanischer Halterung und äußerem Teilkreis, wird alleine durch Adhäsion durch einen Ölfilm in der passgenauen Hohlform der Frontlinse des Kondensors gehalten. Ein erster Versuch zeigte, dass diese Führung ganz erstaunlich präzise und verlässlich ist, ganz entgegen meinem ersten Gefühl.

Dieser wirklich exotische U-Tisch ist sehr selten und wenig bekannt.

39.JPG

Die ,,Platine Theodolite" von Nachet in Paris. Der gesamte innere Aufbau wird ausschließlich durch Adhäsion in einem Hohlschliff in der Frontlinse des Kondensors gehalten und geführt.
Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34049.0

beamish

Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D

hugojun

#2
man Olaf ,

mir ist ganz schwindelig vor lauter Drehungen um all die Drehtisch-Achsen
die du uns hier vorgestellt hast und zudem noch alle in allerschönstem Zustand
der Nachwelt erhalten und/oder restauriert sind/wurden.

Vielen Dank fürs zeigen und die Erklärungen, speziell der Exoten(TEIL2),
unter den ohnehin  seltener gewordenen ,,normalen" (TEIL1) Sammlungsstücken .

LG
Jürgen


Michael L.

Guten Abend Olaf,

ein phantastischer Artikel, vielen Dank!

Viele Grüße

Michael

liftboy

Hallo Olaf,

auch von mit ein ganz großes Lob für die Arbeit die Du Dir gemacht hast. Das hat Niveau!

liebe Grüße
Wolfgang
http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=785.msg3654#msg3654
LOMO-Service
Das Erstaunen bleibt unverändert- nur unser Mut wächst, das Erstaunliche zu verstehen.
Niels Bohr

witweb

Sehr beeindruckend, Olaf,

die U-Tische und deine Dokumentation zu Technik und Hintergründen.

Vielen Dank!

Michael
Dieser Post wurde aus recycelten Elektronen erstellt
------------------------------------------------------------
Leitz Orthoplan
Zeiss Standard 18 mit Fluoreszenz-Auflichtkondensor IV FL
Lomo Biolam, Motic SMZ-168
Canon EOS 750D
https://mikrokristalle.net
https://www.youtube.com/@Mikrokristalle

steffenclauss

hallo Olaf,

es macht richtig freude deinen Beitrag zu lesen! Beeindruckende Geräte mit wirklich guten Fotos- Danke!

Viele Grüße
Steffen

cesarius

Lieber Olaf,

ein typischer Medenbacher Lese- und Augenschmaus.

Herzlichen Dank für diesen tollen Beitrag.

Beste Grüße
Marcel

Thomas M

Lieber Olaf,

eine klasse Präsentation und die historischen Exponate aus Deinem reichhaltigen Fundus sind ein zusätzlicher Augenschmaus!

Herzliche Grüße
Thomas

Wutsdorff Peter

Guten Abend Olaf,
auch ich schließe mich den lobenden Worten meiner Vorgänger an.
Wieder beeindruckende Fotos mit Beschreibung.
Wo finde ich Teil I ??
Mit kristallographischen Grüßen
Peter Wff

Heiko

Lieber Olaf,
,,enzyklopädisch" ist die adäquate Bezeichnung für Deine Kenntnisse auf diesem Gebiet!
Viele Grüße,
Heiko

olaf.med

Liebe Mitlesende,

ganz herzlichen Dank für die netten Kommentare - sie bestärken mich in meinen Vorsätzen für das kommende Jahr, nämlich wieder mehr technische Artikel für das Forum zu verfassen.

@ Peter: den Beitrag findest Du in der Rubrik "Mikroskopie-Forum". Für den leichteren und schnellen Zugang habe ich die Beiträge noch durch einen entsprechenden Link in Rot am Anfang bzw. Ende der Artikel ergänzt.

Beste Grüße,

Olaf
Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34049.0

Thomas Böder

Hauptmikroskope: Leitz Panphot, Ortholux, Zeiss Nf u. Technival u. Citoval 2, Reichert Zetopan
Kleinmikroskope: reichlich...

Jürgen Boschert

Lieber Olaf,

herzlichen Dank für diese phantastische Zusammenstellung der Entwicklung der Drehtischmethoden. Mag mir gar nicht vorstellen, wieviel Zeit Du in die Restauration der gezeigten Exemplare gesteckt hast, aber das macht ja auch Spaß; besonders, wenn man solche Ergebnisse erzielt.

Dir und den Deinen geruhsame Feiertage und Alles Gute für 2025.
Beste Grüße !

JB

hotte

Lieber Olaf,
wieder eine sehr beeindruckende Beschreibung eines sehr interessanten und seltenen Mikroskop Zubehörs.
Deine Sammlung ist einmalig
Vielen Dank und liebe Grüße

Horst