Die Grünalge Aphanochaete repens

Begonnen von Bernd, März 11, 2025, 20:12:01 NACHMITTAGS

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Bernd

Liebes Forum,

begünstigt durch den milden Winter haben sich die Fadenalgen (Oedogonium, Spirogyra) in meinem kleinen Gartenteich bereits jetzt massenhaft vermehrt. Ich dachte mir, bevor ich den Versuch unternehme einen Großteil davon zu entfernen, schaue ich sie mir nochmal kurz unter dem Mikroskop an. Aus dem kurz mal anschauen ist dann eine viel längere Geschichte geworden, weil besonders die Oedogonium-Fäden dicht mit der epiphytischen Alge Aphanochaete repens bewachsen waren.

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A. repens bildet kurze Fäden, die nur lose auf den Oedogonium-Fäden haften und mit zunehmenden Deckgladruck von diesen abgelöst werden, was die detaillierte Untersuchung erheblich erleichtert.

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Das auffälligste Merkmal von A. repens sind die langen, innen leeren Haare, die leicht abbrechen. Dabei bleibt der untere Teil auf der Tragzelle zurück. Mehr zu den Haaren und ihrer Entstehung weiter unten.

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Wenn man mehr über die Biologie dieser Alge und das, was man als Amateurmikroskopiker beobachte kann oder könnte, erfahren möchte, ist die neuer Literatur, soweit mir bekannt, wenig ergiebig. Wenn die Art bzw. Gattung überhaupt erwähnt wir, rekapituliert sie meist nur Erkenntnisse vom Ende des 19. und vom beginnenden 20. Jahrhundert. Hier die Beschreibung von Heering (1914) und dazu die passende Abbildung aus Oltmanns (1922):
,,Thallus mikroskopisch klein, nur in Form einer aus einfachen oder verzweigten Fäden bestehenden Sohle ausgebildet, die auf anderen Algen wächst. Jede Zelle trägt auf der dem Substrat abgewendeten Seite meist ein- oder mehrere einzellige Haare ohne deutliche Scheide und enthält einen zentralen Zellkern und einen scheibenförmigen wand ständigen Chromatophor mit 1-2 Pyrenoiden. Ungeschlechtliche Fortpflanzung durch Makrozoosporen, die zu 1-4 in wenig veränderten vegetativen Zellen entstehen. Sie sind beim Freiwerden aus der Mutterzelle von einer Blase eingeschlossen. Sie haben 4 Cilien, ein Stigma nach der Mitte zu, im Vorderende 2 kontraktile Vakuolen und im Hinterende einen Chromatophor mit 1 Pyrenoid und bisweilen Öltropfen oder Stärkekörnern. Sie keimen bald nach dem Freiwerden, setzen sich mit dem Vorderende fest, und wachsen nach einer oder nach entgegengesetzten Richtungen in einen Faden aus.
Geschlechtliche Fortpflanzung: Befruchtung großer, wenig beweglicher weiblicher Gametozoosporen (Oosphären) mit 4 Cilien durch viel kleinere männliche Gametozoosporen (Spermatozoiden) mit 4 Cilien. Die Oosphären entstehen einzeln in stark vergrößerten Zellen des Fadens (Oogonien). sie treten von einer Blase umgeben heraus. Die Spermatozoiden entstehen in Antheridien, die 1-3 zellig sind und in jeder Zelle 2 Spermatozoiden hervorbringen. Die Spermatozoiden sind heim Austritt in eine Blase eingeschlossen, die sich bald auflöst. Ein Spermatozoid dringt dann in das farblose Vorderende der zur Ruhe gekommenen Oosphäre ein. Die Oospore hat eine doppelte Membran, enthält viel rotes Öl und geht in einen Ruhezustand über. Die Keimung ist nicht bekannt."

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Bei Oltmanns (1922) findet man auch eine Beschreibung der Entstehung der Haare. ,,Bei Aphanochaete repens sind die Haare einzellig. Die kriechenden Fäden treiben seitwärts Fortsätze (Fig. 202, 4), in welche ein Kern mit entsprechendem Plasma, aber ohne Chromatophor, einwandert. Ist das geschehen, so wird der Fortsatz durch eine Wand abgegliedert (Fig. 202, 5)."

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Natürlich stammen die Erkenntnisse in dem Lehr buch von Oltmanns nicht vom Verfasser selbst, sondern, wie in den Legenden der Abbildungen vermerkt, von Huber (1892, 1894).

Leider ist es mir trotz mehrfacher Versuche nicht gelungen, die vegetative oder sexuelle Vermehrung von A. repens zu beobachten. Aber die Bildung der Haare konnte ich im Detail studieren. Die folgenden Fotos zeigen die Stadien der Haarbildung als Sequenz verschiedener Zellen. Aus der vegetativen Zelle (N: Zellkern; P: Pyrenoid) wächst eine farblose Papille, die sehr bald durch eine Trennwand von der Mutterzelle abgetrennt wird (Pfeil).

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Dann beginnt das Haar sich zu verlängern, wobei an der Basis des Haares eine kurze Scheide (S) zu erkennen ist, die auf der Mutterzelle zurückbleibt, wenn das Haar abbricht. Da das Haar von der Mutterzelle durch eine Zellwand abgetrennt ist, kann es abbrechen, ohne daß die Mutterzelle Schaden nimmt.

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Der Zellkern der Mutterzelle ist auf allen Fotos deutlich zu erkennen. Aber weder auf diesen Fotos noch bei einer ganzen Reihe anderer Zellen, die ich in verschiedenen Stadien der Haarbildung beobachtet hatte, konnte ich einen zweiten Zellkern erkennen, der in das entstehende Haar eingewandert war.

Bei weiteren Literaturrecherchen fand ich eine Arbeit von Fritsch (1902) über Aphanochaete polychaete, in der ebenfalls die Haarbildung beschrieben wird: ,,The first indication of a developing hair is to be seen when the cell elongates slightly in the direction of the future hair. At the same time the (somewhat bluntly) pointed apex of the cell becomes colourless, the green contents collecting in the hinder part of the cell. The colourless tip is full of protoplasm, which no doubt plays an important part in the elongation of the hair, which now takes place. I was not able to observe the division of a nucleus and the transfer of the one half into the young hair, as described by Huber for Aphanochaete repens, Braun."

Meine Beobachtungen entsprechen denen von Fritsch (1902). Ganz offensichtlich teilt sich der Zellkern nicht und wandert deshalb auch nicht in das wachsende Haar ein.

Bleibt noch anzumerken, daß nach neueren Untersuchungen (Liu et al., 2023) A. repens und A. polychaete die gleiche Art sind.


Literatur:
Fritsch, F. E. (1902) Algological Notes: I. Observations on Species of Aphanochaete. Annals of Botany 16, 403-412.
Heering, W. (1914) Chlorophyceae III. Ulothrichales, Microsporales, Oedogoniales. In: Die Süsswasser-Flora Deutschlands, Österreichs und der Schweiz (Pascher, A. Eds.), Heft 6, S. 126-130.
Huber, M. J. (1892) Observations sur la valeur morphologique et histologique des poils et des soies dans les Chaetophorees. Journ. de Bot. 6, 321- 341.
Huber, M. J. (1894) Sur l'Aphanochaete repens A. Braun et sa reproduction sexuée. Bulletin de la Société Botanique de France, 41(7), XCIV-CIII.
Liu, B. et al. (2023) Aphanochaete xiantaoensis sp. nov., a new member of green algal genus Aphanochaete (Chaetophoraceae, Chaetophorales) based on morphology and molecular phylogeny. Biologia 78, 3063-3072.
Oltmanns, F. (1922) Morphologie und Biologie der Algen. Erster Band. Chrysophyceae, Chlorophyceae.

SNoK / Stephan Krall

Lieber Bernd,

tolle Recherche und tolle Aufnahmen, danke für das Teilen!

Grüße
Stephan
Mikroskope: Leica DMRB, Leitz Dialux (beide mit DIK)
Stemis: Zeiss 508, Wild Heerbrugg M5
Kameras: Sony alpha 6500 und 6400
Webseite: https://kralls.de
Vorstellung: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=41749.msg308026#msg308026

Siegfried

Hallo Bernd
Ja, beeindruckender Bericht mit aussagekräftigen Fotos. Hab wieder was dazu gelernt.
   Gruß von Siegfried

KayZed

Hallo Bernd,

ein hochinteressanter Bericht mit aussagekräftigen Fotos.
Das ist Tümpelmikroskopie auf hohem Niveau.

Danke fürs Zeigen.

LG Klaus
Zeiss Stemi 508
Zeiss Jenaval Kontrast
Nikon Z7

Peter T.

Hallo Bernd,

das sind wirklich wunderbare Aufnahmen und ganz nach meinem Geschmack, weil sie mit statischen Bildern einen dynamischen Vorgang, hier die Ausbildung der Haare, zeigen. Vielen Dank, ganz toll.
Liebe Grüße
Peter

Apochromat

Hallo Bernd,

ich wünschte mir mehr solche Beiträge in diesem Forum, wie diesen. Tolle Aufnahmen und viele Hintergrundinformationen. Taxonomie und handwerklich perfekte DIC- Bilder.

LG

Michael

Jürgen Boschert

Lieber Bernd,

mir bleibt nur, mich meinen Vorrednern anzuschließen. Danke!
Beste Grüße !

JB