"Amöbe sucht Amöbe" oder "Jagd auf Schalentiere"

Begonnen von Wolfgang Bettighofer, März 14, 2010, 20:23:16 NACHMITTAGS

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Wolfgang Bettighofer

Liebes Mikro-Forum,

vor einiger Zeit hatte ich was vom Neuston, dem Lebensraum in der unmittelbaren Nähe des Oberflächenhäutchens des Wasser, erzählt. Steht eine Probe (in Petri- oder größeren Schalen) längere Zeit im Labor, lohnt es sich oft, mit einem Deckglas etwas davon abzuheben und zu sehen, was dort lebt. Letztes Jahr konnte ich so recht spannende Beobachtungen machen.

Die Schalenamöbe Pyxidicula
Eine Menge kreisrunder Gebilde gab es zu sehen, manchmal glitten einige von ihnen langsam ein paar Durchmesser gerade aus. Die kleinen Uhrgläschen entpuppten sich als Schalenamöben aus der Gruppe der Arcella-Verwandtschaft, Gattung Pyxidicula. Die höhere Vergrößerung (Ölimmersion) zeigt eine fein strukturierte Schale und ein Wesen mit 2 kontraktilen Vakuolen und einem blasenförnigen Zellkern mit großem zentralen Nucleolus.


Übersichtsaufnahme des Oberflächenhäutchens mit Bakterienrasen, Schalen- und Nacktamöben.


Pyxidicula-Gruppe im Bakterienrasen.


Pyxidicula, fokussiert auf die Ebene des Kerns und der kontraktilen Vakuolen. In der Schale sieht man die feine sandpapierartige Strukturierung. Maßbalken 10 µm.

Ein Chitinstück einer im Probenbehälter geschlüpften und dann unglücklich gewasserten Mücke eröffnete die Gelegenheit, eine Pyxidicula-Zelle in Seitenansicht zu sehen. So bekommt man eine genauere Vorstellung von der Schalenform, auch die Pseudopodien werden sichtbar. Die Schichtdicke des Wassers war hoch, daher ist die Auflösung auch mäßig.


Seitenansicht einer Pyxidicula mit Darstellung der kegelförmigen Pseudopodien.



Nacktamöben auf Pyxidiculen-Jagd
Mit der Zeit sah ich noch weitere Gestalten in größerer Anzahl, nämlich Nacktamöben.


Saccamoeba lucens in der langgestreckten Wanderform.

Von links nach rechts sehen wir deutlich die großen rhombenförmigen Kristalle, die für die Saccamoeba lucens charakteristisch sind (ich hoffe, Ferry guckt rein und bestätigt meine Diagnose), dann schließt sich eine Zone mit Nahrungsvakuolen an, dann sehen wir ähnlich wie bei Pyxidicula der blasenförmigen Kern mit den großen zentralen Nucleolus, dann die kontraktile Vakuole, eine weitere Nahrungsvakuole und das zottige Uroid, die spezielle Struktur am Hinterende vieler Nacktamöbearten.

Formwandlung
Nacktamöben bilden sternförmige Schwebeformen aus. Sie eignen sich nicht zur Bestimmung.


Saccamoeba lucens in sternförmiger Kompaktphase. Der Zellkern (genau in der Mitte) und die großen Kristalle sind gut erkennbar. Das Anhängsel rechts auf "4 Uhr" repräsentiert das Uroid.

Pyxidiculenjagd
Dieses sternförmige Etwas floss zielsicher auf die Pyxidicula zu und zeigte sehr schnell, wie lieb sie sie hatte: ,,Zum Fressen gern...". Schritt für Schritt zeige sie auch, dass sie eine Saccamoeba lucens war. Hätte ich diese Gestaltumwandlung nicht miterlebt, hätte ich gedacht, zwei verschiedene Amöbenarten zu sehen.




Die kleine Schalenamöbe wird umflossen und einverleibt.




Die Saccamoeba im letzte Bild hat eine Schalenamöbe phagocytiert, die Verdauung ist augenscheinlich noch nicht weit fortgeschritten, zumindest erscheint der Zellkern der Pyxidicula noch intakt. Am Uroid (unten rechts), der zottigen Zellregion, welche bei der Bewegung nachgeschleppt wird, hängen zwei vor kurzem ausgeschiedene Schalen an Plasmafäden.

Schönen Abend und eine angenehme (Arbeits-)Woche,
Wolfgang Bettighofer
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Fahrenheit

Lieber Wolfgang,

vielen Dank für diese interessante Dokumentation und die tollen Bilder!

Herzliche Grüße
Jörg
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Eckhard

Lieber Wolfgang,

sehr schön Bilder und eine interessante Dokumentation. Amöben finde ich auch sehr spannend. Das sind die einfachsten Raubtiere!

Herzliche Grüsse
Eckhard
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Michael Plewka

hallo Herr Bettighofer,
ich schließe mich den Vorrednern an: sensationelle Fotos, wunderbare Dokumentation der beiden Organismenarten. Ich würde gerne noch wissen, wie lange diese Phagocytose gedauert hat. Man muss ja schon ein bisschen Geduld haben, um solche Aufnahmen zu machen....

Ich bin mir 100% sicher, dass der Ausdruck "Schalentiere" von  Ihnen metaphorisch gemeint war, aber dennoch: -selbst wenn ich jetzt wieder in ein Fettnäpfchen trete-:   "Schalen"tiere" " würde mir besser gefallen ;-)

beste Grüße Michael Plewka


Wolfgang Bettighofer

#4
Guten Abend Allerseits,

schön, dass es gefällt...

Zitat"Schalen"tiere" " würde mir besser gefallen ;-)

Der war gut! Und er ermöglicht mir, eine kleine Geschichte zu erzählen.
In Schleswig-Holstein heißen die Anführungszeichen "Tüttel", und "in Tüttel kommen" bedeutet so viel wie "sich vertun" oder "etwas nicht auf die Reihe bekommen". Bei den vielen Tüttel käme ich in Tüttel...
Das passt hier auch. So ein wenig "Transferleistung" können die geschätzten LeserInnen schon bringen  ;D. Ich bin inzwischen auch wieder mutig und sage "Blaualgen", weil "Cyanobakterien" nur die verstehen, die ohnehin wissen, dass Blaualgen keine Algen sind.

Das Sonnentier und das Wimpertier und das Glockentier und das Trompetentier... Jaja, alles keine Tiere, obwohl es tierisch Spaß machen kann, sie anzugucken ;)

Zur Einverleibungsdauer:
Da muss ich mal schnell in die EXIF-Daten nachsehen. Es ging schnell, ich hatte Mühe mit dem Film-Nachladen :)
Das Umfließen und Schließen der Nahrungsvakuole dauerte so ca. 2 Minuten.
Ein paar mehr Phasen im Bild und einiges mehr an Text wird im MIKROKOSMOS-Artikel zu sehen/lesen sein, den ich gerade schreibe und der wohl im Heft 5/2010 erscheinen wird. Er gehört auch noch zu meiner Hiddensee-Serie, denn diese Viecher (haha, habe nicht "Tiere" gesagt!) stammen auch aus dem sagenumwobenen Süßwassertümpel in der Inselmitte.

Schönen Abend, Wolfgang Bettighofer



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Ferry

Hallo Wolfgang,

Das sind mit Recht sehr schöne Bilder! Ich hab niemals soviel Pyxidicula's zusammen gesehen. Es handelt sich vielleicht um Pyxidicula operculatum, aber ich bin nicht ganz sicher. Ich habe jetzt nicht viel Zeit, aber ich werde bald eine Kopie machen von die Zeichnungen von Penard von Pyxidicula patens. Es werde toll sein, wenn du diese letzte Art wieder entdeckt hast!

Viele Grüße,

Ferry Siemensma
www.arcella.nl
www.natuurfotografie.info

Wolfgang Bettighofer

Hallo Frerry,

vielen Dank für Deinen Kommentar.
Im Zusammenhang mit der Bestimmung hatte ich damals Anfang 2009 Kontakt mit Paddy Patterson und Ralf Meisterfeld. Paddy vermittelte mich dann zu einem Doktoranden, Daniel Lahr, der sich mit Testaceen auf morphologischer und molekularbiologischer Ebene beschäftigt.
Beide haben damals Kulturansätze bekommen. Es wäre sicher für beide interessant, die Art ausfindig zu machen.

Tschüß, Wolfgang

PS: Liege ich mit Saccamoeba lucens richtig?

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Ferry

Hallo Wolfgang,

Ich bin völlig einverstanden mit die Bestimmung von Saccamoeba lucens!  ;D
Aber völlig sicher kann man nie sein :-\

Viele Grüße,

Ferry
www.arcella.nl
www.natuurfotografie.info

Wolfgang Bettighofer

#8
Hallo Ferry,

danke für die Bestätigung. Solange es nur ein Bild und keine Kultur ist, reicht "große Übereinstimmung mit dem Aussehen von..." ;D
Als Amateur und die Bestimmung Übender ist Bestätigung vom Fachmann hochwillkommen :D

Tschüß, Wolfgang
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