Botanik: Pflasterritzenflora 18: Mauer-Glaskraut (Parietaria judaica) *

Begonnen von Peter T., Oktober 14, 2025, 22:54:47 NACHMITTAGS

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

Peter T.

Genau genommen findet man das Mauer-Glaskraut gar nicht so sehr zwischen Pflastersteinen, trotzdem ist es ein würdiger Vertreter der Pflasterritzenflora als "Kulturfolger".
Typischerweise im Mittelmeerraum vorkommend, ist es dort sehr häufig und findet sich an allem, was einer Mauer auch nur ähnlich sieht. Es hat etwas Unverwüstliches und wächst vorzugsweise in Mauerspalten und an Mauerfüßen. Es ist als Mitglied der Urticaceae ein "Familienangehöriger" unserer Brennessel.

Zunächst der typische Habitus

Bild 1 (Wikimedia Commons, Autor G. Hagedorn)


Für den Beitrag habe ich mir Sprossachse, Blattstiel und Blatt angeschaut. Schnittdicke ist durchgehend 30 µm, gefärbt wurde mit FCA nach Etzold.

Zunächst die Übersicht über die Sprossachse. Schneidet man unmittelbar nach dem Abgang vom nächstdickeren Spross, so ist die Sprossachse hohl

Bild 2


Das bedingt natürlich eine maximale Biegsamkeit, die für den Wuchs der Pflanze unter sehr wechselhaften Bedingungen vorteilhaft ist. Die für den Transport von Nährstoffen und Wasser erforderlichen Leitbündel sind hier nur als schmaler Saum erkennbar.

Die Übersicht im polarisierten Licht zeigt eine Fülle an Trichomen

Bild 3


Im weiteren Verlauf des Sprosses füllt sich dieser allmählich mit Markparenchym, das Xylem wird deutlich ausgeprägter

Bild 4


Rechts erkennt man den Abgang eines Blattstiels

Das ganze jetzt noch im polarisierten licht

Bild 5


Bei Schnitten noch weiter in Richtung Sprossende finden wir dann das vertraute Bild, der Querschnitt rundet sich auch mehr und mehr

Bild 6


Im polarisierten Licht sieht es so aus:

Bild 7


Und im Detail

Bild 8


Noch etwas näher ran

Bild 9



Dann kommen wir zum Blattstiel. Die Stiele sind winzig, eine Herausforderung beim Schneiden und Färben. Sind sie angefärbt, kann man zumindest bläuliche Punkte erkennen. Der folgende Schnitt ist am größten Durchmesser etwa 660 µm breit. Man hat hier wieder das Gefühl, man könnte die Zellen im Schnitt zählen

Bild 10


Weiter geht es in Richtung der Blattspreiten

Bild 11


Und wieder im polarisierten Licht

Bild 12


Die Spreiten werden länger und länger

Bild 13


Bild 14


Im letzten Bild sieht man, wie die Seitenadern des Blattes nach außen streben. Der Schnitt trifft sie nicht mehr quer, sondern längs.

Jetzt ist es Zeit, auf eine Besonderheit des Mauer-Glaskrauts hinzuweisen. In der Epidermis bildet diese Pflanze spezielle Idioblasten aus, die so genannte Cystolithen erzeugen. Das sind Strukturen aus Claciumcarbonat, die unterschiedliche Formen annehmen können. Meist sind sie keulen- bis pyramidenförmig.
Die Cystolithen sind spannende Gebilde mit mehreren Funktionen:

- mechanische Verstärkung der Epidermis

- Lichtstreuung und UV-Schutz

- Calcium-Puffer und vor allem: Co2-Quelle: Bei zunehmender Trockenheit des Standortes und starker Sonneneinstrahlung schließen sich die Stomata, was zu verminderter Co2-Aufnahme führt. Dann wird aus dem Cystolith nach folgender Formel Co2 "extrahiert", was dann zur lokalen Photosynthese verwendet werden kann: CaCO₃ + 2H⁺ → Ca²⁺ + H₂O + CO₂↑

Die Pflanze ist so optimal an ihren trockenen und heißen Standort angepasst.

(Ich hoffe, das ist jetzt nicht zu weit entfernt von der im Mikroskop sichtbaren Anatomie, um die es ja in diesem Forum geht, aber für mich gehört das einfach zur Faszination dazu. Als Nicht-Biologe ist das auch für mich bei jeder neuen Pflanze ein Lernprozess.)

Hier eine Schemazeichnung eines Cystolithen (nach Fahn (1990))

Bild 15


Vorzugsweise finden sich Cystolithen beim Mauer-Glaskraut an der Blattoberfläche. Sie sind mit einem Stiel an der Zellwand befestigt.

Hier nun eine Aufnahme eines ungefärbten Blattes im Hellfeld (20x Objektiv, Ausschnitt)

Bild 16


Bild 17 (1oox Oil Objektiv, Stack)


In der Draufsicht kann man die Struktur des Cystolithen gut erkennen.

Im Querschnitt sind nahezu in jedem Schnitt Cystolithen zu finden

Bild 18


Um einen Stiel zu finden, braucht es schon etwas Glück

Bild 19


Jetzt noch ein weiteres Beispiel dazu

Bild 20


Was man außer dem Cystolithen noch erkennen kann, ist die monströse Ausprägung der Epidermiszellen, vor allem an der Blattoberfläche. Sie sind riesig und fast ballonartig aufgetrieben (vakuolisiert). Das einreihige Palisadenparenchym wirkt richtiggehend eingestaucht und für das Schwammparenchym ist kaum noch Platz.
Der Sinn der Megazellen der Epidermis ist auch wieder vielfältig: Wasserspeicher, Turgorstabilisierer, Formfestiger, Lichtstreuer. Gerade für eine Pflanze, die zu Gunsten schnellen Wachstum weitgehend auf Stützgewebe verzichtet (z.B. findet man bei Parietaria judaica kein Sklerenchym) ist diese Epidermis eine geniale Lösung.

Hier noch mal ein Überblick über die Zellorganisation im Blatt

Bild 21


Neben den sehr häufigen einzelligen Trichomen gibt es auch mehrzellige mit Drüsenfunktion

Bild 22 (Stack)



Wie immer freue ich mich über Kommentare, Berichtigungen und Ergänzungen.

Liebe Grüße
Peter

Hans-Jürgen Koch

Lieber Peter,

eine zeitaufwendige Arbeit.
Die Bilder 4, 6 und 21 gefallen mir am besten.

Gruß
Hans-Jürgen
Plants are the true rulers - Pflanzen sind die wahren Herrscher.

<a href="http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=2650.0" target="_blank">Hier geht es zur Vorstellung</a>

Gerne per "Du"

Peter T.

Lieber Hans-Jürgen,

herzlichen Dank!

Du hast Recht: Je spannender die Pflanze und je mehr Besonderheiten drin stecken, desto mehr Zeitaufwand. Und der ist mittlerweile wirklich bemerkenswert. Aber der Lohn sind die Bilder und vor allem der eigene Lerneffekt.

(Da sehe ich gerade, dass bei Bild 4 der Hintergrund noch etwas schmutzig ist, das sollte ich noch korrigieren.)
Liebe Grüße
Peter

Heiko

Hallo Peter,
Deiner Anregung folgend, Cystolithen und Haare im Querschnitt eines Blattes von Parietaria judaica:

Parietaria judaica, Mauer-Glaskraut, Cystolithen und Haare, verkl.jpg

Gruß, Heiko

Peter T.

Hallo Heiko,

vielen Dank für Deine Ergänzung. Ein ganz wunderbares Foto!
Liebe Grüße
Peter