Einziehen des Stieles bei Vorticella

Begonnen von wimeisrhi, März 27, 2010, 21:18:05 NACHMITTAGS

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wimeisrhi

Hallo liebes Forum,
gestern hatte ich aus einer Probe aus meinem kleinen Gartenteich jede Menge Vorticella gefunden. Immer wieder faszinierend das Einziehen des Stieles. Ich habe im Forum gesucht und auch in Google, aber keine Literatur oder Info gefunden über den Mechanismus dieser Bewegung. Ich bin da kein Fachmann und vielleicht ist das ja was Altbekanntes. Vielleicht kann mir jemand Literaturstellen oder Infos dazu geben.
Vielen Dank im Voraus und viele Grüße
Wilhelm Meister

Nomarski

Hallo Herr Meister,

Zitatgestern hatte ich aus einer Probe aus meinem kleinen Gartenteich jede Menge Vorticella gefunden. Immer wieder faszinierend das Einziehen des Stieles.
Die gleich Beobachtung hatte ich gestern auch gemacht und war ebenfalls faszieniert über die "Telefonhörerschnur".




Ich habe versucht diese beiden Zustände abzupassen, aber da diese Glockentiere unter ständiger Bewegung sind, wird die Belichtungszeit immer noch zu lang gewesen sein. Die Blitzeinrichtung hatte ich gerade noch nicht aufgebaut.

Viele Grüße
Bernd

wimeisrhi

Hallo  Bernd,
genauso hatte ich das auch im Bild.
Hier ein Foto, wo man die "Telefonschnur" sieht.

Viele Grüße aus Kärnten
Wilhelm

Nomarski

Hallo Wilhelm,

auch auf deinem Foto sind die Telefonschnüre unverkennbar. Aber die Vergrößerung dürfte bei dir eine andere gewesen sein, ich nehme mal an, mindestens mit einem 40er Objektiv.  Ich habe mit einem 16er gearbeitet, damit nicht alles gleich aus dem Bild verschwindet.

Viele Grüße
Bernd

Bernhard Lebeda

Hallo Wilhelm

im Stiel befindet sich ein System aus Filamenten (Dicke je 2-3nm) welches Spasmonem genannt wird. Diese können (ATP unabhängig, aber Calcium sensitiv) extrem schnell kontrahieren.

Genaueres in der Fachliteratur:

http://www.amazon.de/s?ie=UTF8&tag=firefox-de-21&index=blended&link_code=qs&field-keywords=protozoologie&sourceid=Mozilla-search

empfehlen möchte ich besonders die Bücher von Grell, Hausmann und Röttger!!


Viele Mikrogrüsse

Bernhard
Ich bevorzuge das "DU"

Vorstellung

wimeisrhi

Hallo,
vielen Dank für dier Infos.
Bernd: richtig es war ein 40er Objektiv am Leitz Ortholux.
Bernhard: danke für den link un d die Info.
Viele Grüße aus Kärnten
Wilhelm

Jürgen H.

Liebe Glockentierchenforscher,

das Thema erinnert mich an verflossene Zeiten, als ich mich meinem Ältesten - er war damals so etwa 10 Jahre alt - fasziniert diese Erscheinung beobachtete. Er vermutete, das sei ein Fangmechanismus, was ja nun sicher nicht richtig ist. Aber was genau löst denn dann diese Erscheinung aus und wozu dient sie?

Ich habe zu dieser Zeit einmal versuchsweise eine Kochsalzlösung durch mein Vorticellapräparat gezogen. Nach meiner Erinnerung genügten schon relativ geringe Konzentrationen der Salzlösung, um die Tierchen zum Zusammenzucken und Zusammenrollen des Stieles zu bewegen. Sie versuchten dann stets sich nach einiger Zeit wieder zu öffnen und ihre Strudelbewegung wieder aufzunehmen, um jedoch sofort wieder zusammenzuzucken. Handelt es sich also um einen Vermeidungsmechanismus? Im Falle des Kochsalzes z.B. gegen Wasserentzug aus dem Körper der Tierchen?

Mikrogrüße

Jürgen Harst

Bernhard Lebeda

Hallo Jürgen

ich denke es ist eine "Schreck bzw. Vermeidungsreaktion"

So schreibt z.B. Matthes in "Sesshafte Wimpertiere" S.9:

"...Er (der kontraktile Stiel) bewirkt bei Störung einen Rückzug zur Unterlage durch eine zick-zack förmige oder schraubige Verkürzung des Stieles..."

Häufig ziehn sich die Tiere ja zusammen durch mechanischen Reiz, wenn man an den Objekttisch stösst oder beim Objektivwechsel. Sicherlich lässt sich die Reaktion auch chemisch oder osmotisch induzieren (ähnlich dem Ausstoss von Trichozysten), ich müsste noch mal in der Literatur nachschaun, ob es diesbezügliche Versuche gibt.


Viele glöckliche Grüsse


Bernhard
Ich bevorzuge das "DU"

Vorstellung

Monsti

Hallo zusammen,

auch ich denke, dass es sich um eine Schutzreaktion handelt. Ich hatte einmal über längere Zeit provoziert, d.h. eine kleine Gruppe dieser Tiere immer wieder gestört, sobald sie sich wieder gestreckt hatten. Irgendwann wurde es einzelnen Individuen zu bunt und sie lösten sich vom Stiel, um auszuschwärmen.

Liebe Grüße
Angie

bewie

#9
Hallo Glockentierchen-Freunde,

ein Zitat aus Hausmann & Bradbury, Ciliates - Cells as Organisms zu Vorticella: "When disturbed by predators or chemical stimuli, the stalk contracts within milliseconds to form a tight coil...". Als Auslöser sind in der Literatur also nicht nur Fressfeinde, sondern in der Tat auch Chemikalien bekannt.

Ich behaupte allerdings, dass es neben dem Schreck über einen (potenziellen) Feind und Chemikalien noch weitere Noxen gibt, die zum Kontrahieren des Stiels führen. Wenn man eine Vorticalla vorm Objektiv hat und die Beleuchtungsstärke drastisch erhöht (wie es beispielsweise beim DIK erforderlich ist), dann spielt die Vorticelle das Spiel, das Jürgen Harst beschrieben hat: Sie kontrahiert, versucht sich dann wieder auszustrecken, kontrahiert aber gleich wieder. Erst wenn man die Beleuchtungsstärke reduziert, streckt sich das Tierchen wieder aus. Ein absolut reproduzierbares Verhalten. Ob hier das Licht der direkte Auslöser ist, oder ob es indirekt die Erwärmung der Probe ist, kann ich aber nicht sagen. Dazu müsste man mal mit diversen Filtern experimentieren.

Der Mechanismus des Stiels ist übrigens aus einem anderen Grund interessant: Wie Bernhard schon schrieb, ist er ATP-unabhängig - das heißt: Er verbraucht keinen Zelltreibstoff, wenn er ausgelöst wird. Natürlich verbraucht er dennoch Energie, die wird vorher in das Spasmonem gepumpt - es wird nämlich gegen seine natürliche Form aktiv gestreckt; deswegen gibt es entlang des Spasmonems auch Mitochondrien. Das ist etwa so, wie wenn man eine Armbrust oder ein Katapult mühsam spannt; das kostet viel Energie, die dann mit minimaler Auslöse-Energie wieder freigesetzt wird und zu einer enorm schnellen Bewegung führt, wenn die Armbrust wieder ihre natürliche entspannte Form annimmt. Solche Spannmechanismen findet man in der Natur oft dort, wo bei Gefahr ein sehr schnelle Bewegung nötig ist. Beispielsweise huldigen auch die Grashüpfer diesem Prinzip: Sie knicken ihre langen Hinterbeine aktiv ab und verriegeln sie dann unter Spannung. Bei Gefahr wird der Riegel gelöst, die Beine entspannen sich und katapultieren den Grashüpfer blitzartig aus der Gefahrenzone.

Schöne Grüße und weiterhin viel Spaß bei Vorticellen-Beobachten!
Bernd

beamish

Hallo Vorticellisten,

ich habe mir heute etliche Pröbchen aus meinem Gartentümpel betrachtet. An allen Blattresten fand ich Glockentierchen. Meine Beobachtung war, daß sie den Stiel ausfahren, den "Mund" öffnen und Wasser mit Nahrungspartikeln einstrudeln. Danach geschieht die beobachtete heftige Kontraktion des Stiels, wobei  wieder, wohl unerwünschte, zahlreiche Partikelchen im Rückstoß herausgeschleudert werden. Vielleicht ist das der Grund?

Euer ahnungsloser

Martin
Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D

Michael Plewka

hallo zusammen,
immer wenn es um die Frage von Ursachen von Vehaltensweisen  (den ,,Grund") der Organismen geht,  werden in der Biologie zwei  Aspekte unterschieden:

1. Proximate Ursachen:
soll heißen: es wird nach der Ursache oder dem ,,Mechanismus" eines Verhaltens gefragt.    Thematisch gehören  die in den Beiträgen zuvor genannten physiologischen Aspekte hierzu.

2. Ultimative Ursachen:
Häufig ist damit im landläufigen Sinn der ,,Zweck" eines Verhaltens gemeint  (nach dem Motto " Das Verhalten dient zum Schutz vor .." etc),  Die  Frage nach dem  Zweck  stellt sich aber genaugenommen   in der Biologie (als Naturwissenschaft) nicht . 
Aus biologischer Sicht geht  es hierbei lediglich um die Analyse von evolutiven Anpassungsstrategien der Organismen.

Bezüglich des Mechanismus, zu dem Herr Meister ja eigentlich die Frage gestellt hatte,  noch eine Ergänzung:

Alle ,,Vorticellisten" haben ja beobachtet, dass beispielsweise am Mund  bzw. den Cilien ein Reiz auftritt, die Reaktion aber woanders, nämlich im Stiel stattfindet. Wie kommt also die Information von A (Mund) nach B (Stiel)? Es scheint, dass  die Protistenzelle in diesem Fall wie eine Nervenzelle funktioniert, wobei ein elektrisches Potential von A nach B läuft. (HAUSMANN / BRADBURY (ed.): Cells as Organisms)

Unklar ist allerdings, wie dieses Signal entsteht.


beste Grüße Michael Plewka

Jürgen H.

ZitatAlle ,,Vorticellisten" haben ja beobachtet, dass beispielsweise am Mund  bzw. den Cilien ein Reiz auftritt, die Reaktion aber woanders, nämlich im Stiel stattfindet. Wie kommt also die Information von A (Mund) nach B (Stiel)?

Lieber Michael Plewka,

Wenn man es ganz genau nimmt: Haben wir das wirklich beobachtet? Vielleicht wird die Reaktion ja durchaus am Stiel ausgelöst? Denken Sie mit Ihrer Feststellung nicht jetzt auch schon einen "Zweck" der Aktion mit hinein? Etwa in der Art: Der Vorticella gelangt etwas in den Mund und deshalb zuckt der Stiel? Der beobachtete Ausstoß aus dem Mundbereich könnte ja auch die Folge des Zusammenziehen sein.

Ich vermute allerdings auch, dass die Ursache der Reaktion im Mundbereich zu suchen ist.


Die von Bernd geschilderte  Lichtreaktion (wenn es denn eine Licht- und keine Wärmereaktion ist) könnte Aufschluss geben: Das Licht könnte man vielleicht hinreichend auf einen Stiel begrenzen?

Mikrogrüße

Jürgen


Michael Plewka

hallo Herr Haarst,
ZitatDer beobachtete Ausstoß aus dem Mundbereich könnte ja auch die Folge des Zusammenziehen sein.

das ist mir zu hypothetisch.. Schließlich kann man ja genau beobachten, dass ein feines Partikel sich zunächst in der Nähe des Ciliaten befindet, und dann kommt es zufällig zu einer Berührung. Das IWF hat dazu bestimmt auch Filme. Mit Sicherheit aber gibt es einen Film  zu der Bewegungsumkehr von Paramecium, Sobald dieses an ein mechanisches Hindernis gerät (= berührt), schwimmt Paramecium rückwärts, reagiert also physiologisch über die gesamte Zellmembran mit einer Veränderung. Solche Mechanorezeptoren sind für Paramecium nachgewiesen (siehe der von mir zitierte Artikel). warum sollte das nicht auch auf andere Ciliaten übertragbar sein?
schönen Abend noch Michael Plewka


beamish

Hallo,

ich habe mir dieses "den Stiel ausstrecken, Nahrung einstrudeln, dann ruckartig wieder zurückfahren" heute zigmal angesehen. Ich bin dabei nicht auf die Idee gekommen, daß das Zurückziehen auf einen äußeren Einfluß zurückzuführen wäre. Es war ja auch nichts passiert im Präparat, keine Lichtveränderung, kein herannahendes Wesen. Mein Eindruck war, daß die "Portion" Nahrungsgemisch jetzt genug war, und durch den Rückstoß das unbrauchbare Material wieder ausgestoßen wurde. So wie wir uns mit einem "Rülpser" der Kohlensäure nach einem Glas Mineralwasser entledigen.

Herzlich,

Martin
Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D