Mikrobenjäger-Latein - Restauration eines Mikroskop-Klassikers

Begonnen von TPL, April 05, 2010, 18:38:43 NACHMITTAGS

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TPL

Liebe Mikrobenjäger-Freunde und Altgeräte-Restaurateure,
die Restauration des kürzlich unter meine Bettdecke geschlüpften Steindorff-Mikrobenjägers wird eine lange, aufwändige Angelegenheit. Wer Interesse hat, kann hier in unregelmäßigen Abständen die Dokumentation des bebilderten Desasters und meine technisch verkleideten Hilfeschreie verfolgen.

Dieses Bild - von der Anbieterin zum "Ködern" geschickt (!) - hatte ja schon einen interessanten Eindruck gemacht:


...und dann der erste Anblick:

Gute Verpackung ist eine wichtige Sache: Die Gartenstuhl-Kissen waren besser in Schuss als das Mikroskop.

Ein paar Bilder zum (oberflächlich bereits gereinigten) Zustand gefällig? Die starken Objektive mussten alle zur Intensiv-Behandlung. Ansonsten sieht's doch gar nicht sooo schlecht aus:


...aber was mache ich mit den antiken Schmierstoffen?


Die Bauteile des Fokustriebs liegen inzwischen in einem WD-40-Wellnessbad und genießen die Entschlackung.

Fortsetzung folgt...
Schönen Gruß, Thomas

TPL

Die Mikrobenjäger-Beleuchtung

Die originale Niedervolt-Ansteckleuchte (Steindorff-Bestellwort LAMIK) ist als Köhlerbeleuchtung gedacht. Die Leuchte ist hier bereits gereinigt (das Innere glich vorher einem Insektenfriedhof), aber an die stark verharzte Kollektorblende komme ich (trotz Lösen der unteren Madenschraube) bisher nicht heran. Die eingeschlagene Seriennummer ist übrigens identisch mit der des Stativs und enthält laut Mach & del Cerro (2008) http://www.microscopy-uk.org.uk/mag/artdec08/mm-mdc-steindorff.html#sdfootnote3anc als erste beiden Ziffern das Baujahr - hier also 1957:


Schade nur, dass "vom Fachmann" eine fast komplett nutzlose Netzbeleuchtung am (längs verschiebbaren und zentrierbaren) Arm der ehemaligen Niedervolt-Lampenhalterung befestigt wurde.


Die untere Abdeckung des Lampenhauses und der Trafo sind seitdem verschollen.


Provisorisch habe ich das Mikroskop nun mit einer Zwiss-Winkel-Lampenfassung in Betrieb genommen, in der S. Hiller auf dem originalen Sockel der dazu gehörenden Niedervoltlampe eine LED mit einem wunderbar ausgeglichenen Spektrum montiert hat (meine Lieblingsbeleuchtung für die Pol-Mikroskopie).

Leider kann man sie nicht nah genug an die Kollektorlinse bringen.

Erleuchtende Grüße, Thomas

Hugo Halfmann

Hallo Thomas,

den "antiken Schmierstoffen" würde ich mit Bremsenreiniger zu Leibe rücken. Bei uralten Luftgewehren habe ich dieses Problem häufiger. In Verdünnung einlegen löst zwar u.U. das Fett, aber mit Sicherheit auch den Lack. Als Alternative bietet sich aber auch ein Ultraschallbad mit Industrie - Metallreiniger an, welcher dann aber dem Lack zuliebe neutral eingestellt sein sollte.
Viele Grüße aus dem Bergischen Land

Hugo Halfmann

Nomarski

Hallo Thomas,

handelt es sich bei den Zick-Zack-Nuten an den  Führungsbahnen etwa um Schmiernuten? 
Die machen nur Sinn, wenn sie über einen Kanal zu einem Schmiernippel führen.
Was für ein Aufwand, der selbst bei Zeiss nicht getrieben wurde!  8)

Beste Grüße
Bernd

TPL

Hallo Hugo,
die Behandlung in WD-40 hat Lacken bisher nicht erkennbar geschadet. Natürlich habe ich vor dem WD-40-Bad alle Teile auseinander genommen! Die lackierten Teile pinsele ich außerdem nur an den (ehemals!) blanken Stellen ein bis der fiese "Quanz" sich dort mit einem fusselreien Tuch abwischen lässt. Danach reinige ich die gesammten Teile sorgfältig mit Waschbenzin.

Hallo Bernd,
die Zick-Zack-Nuten auf den Führungsbahnen sind tatsächlich Schmiernuten, aber es gibt keine Schmiernippel oder sonstige Durchführungen. Der Fokustrieb war ansonsten so derartig voll mit etrem zähem Fett bis hin zu spröden Harzkrusten, dass sich ein Vergleich mit Allem, was ich bisher an "verquanzten" Zeiss-Stativen gesehen habe, verbietet: An diesem Mikrobenjäger wurden die ungewöhnlich großen Mengen der originalen Fette wohl nie ausgewechselt und sind an allen offenen Flächen extrem stark verfestigt:


Eine Ausnahme war das Innere des Fein-Fokustriebs:

Hier ist das originale Fett noch relativ weich. Aber darin liegt auch die Gefahr: da das Fett auf den Gleitbahnen, extrem fest ist, muss das Fein-Fokusgetriebe dagegen "anarbeiten". Das würde auf Dauer nicht gut gehen. Ich kann den Schaden noch nicht abschätzen, da ich diese Spindel mit dem Getriebe derzeit nicht weiter demontiert bekomme.

Schönen Gruß, Thomas

Harald Schmitt

Hallo Thomas,

Hugo hat es schon beschrieben, Sprühreiniger auf der Basis von Hexan (Wirkung ähnlich wie Trichlor) haben bei uns (Pharmaindusdrie) die besten Ergebnisse gebracht, um verharztes Fett in Getrieben, Lager und ähnlichem zu entfernen. Ich habe bei mir ausschließlich gute Erfahrungen mit meinen Mikroskopen und  meinen Waffen gemacht. Ich verwende am liebsten Sprühreiniger S von Ditec.

Um Fett an und in unzugängliche Bereiche zu bringen, erhitze ich das Fett bis es gerade flüssig wird und spritze es dann mit einer handelsüblichen Glasspritze und gelber Nadel in selbige Bereiche. Hier wird es wohl an Kritikern dieser Methode nicht mangeln- aber der Erfolg in bisher allen Fällen hat mir recht gegeben. Die Schmierung ist besser, als wenn ich mit flüssigem Kettenfett Gleitbahnen etc. zu Leibe rücke. Ich denke, einen Versuch wäre es wert. Im übrigen, was die Lacklöslichkeit der Sprühreiniger betrifft, habe ich bei kurzem Einwirken bisher auch noch keine schlechten Erfahrungen gemacht- im Gegensatz zu einigen Kunststoffen. Aber das muß man von Fall zu Fall probieren.

Gruß Harald

Frank D.

#6
Zitat von: TPL in April 05, 2010, 19:22:15 NACHMITTAGS
Die Mikrobenjäger-Beleuchtung

....... Die Leuchte ist hier bereits gereinigt (das Innere glich vorher einem Insektenfriedhof), aber an die stark verharzte Kollektorblende komme ich (trotz Lösen der unteren Madenschraube) bisher nicht heran. ......

Hallo Thomas,

jaja, wenn der Jäger zum Gejagten wird ....!
Meinen Glückwunsch zur schönen Trophäe!

Wenn festgebackene Fette ein Eindringen von Alkohol oder Lösungsmittel verhindern hilft häufig Wärme.
Mag sein, dass nun heisses Wasser, der Backofen oder ein Brenner zum Erfolg führen,
aber auf jeden Fall darf ein Heizwiderstand -ich benutze welche mit Silikonummantelung- nicht in Deiner "Waffensammlung" fehlen.

Durch ein regelbares Netzgerät kann die Temperatur verändert werden und so über längere Zeit auf die Problemzone einwirken.
Bis jetzt wurden bei mir noch alle Fette schwach  :D !

Waidmanns Heil
Frank


Nomarski

Hallo Frank,

bei deiner Methode sieht es eher so aus, als ob durch die Induktion und die Permeabilität des Tubusstutzens das Fett entharzt wird. ;D

Nochmal zu Thomas's Führungsbahnen:

Damit es zwischen den beiden Führungsflächen nicht so schnell zum Verbacken kommt, hat man diese Nuten einfefräst.

Ich habe da noch eine Schnecke gesehen, welche auf der Feintriebachse sitzt. Diese scheint das Schneckenrad anzutreuiben, welches eine Außenkontur eines Exzenters zu haben scheint und daduch den Feintriebschlitten entsprechend anhebt. Etwa so, wie die Nockenwelle den Stößel niederdrückt.

Viele Grüße
Bernd

reblaus

Hallo Frank -
hat dieser Feintrieb Endanschläge oder lässt sich der "Nocken" kontinuierlich durchdrehen?
Gruß
Rolf

Frank D.

#9
Zitat von: Nomarski in April 07, 2010, 09:43:33 VORMITTAG
Hallo Frank,
bei deiner Methode sieht es eher so aus, als ob durch die Induktion und die Permeabilität des Tubusstutzens das Fett entharzt wird. ;D

(nur für Bernd)
War auch mein ursprünglicher Gedanke Bernd, aber als dann die Lorenzkraft den Tubus in die entgegengesetzte Richtung schleuderte und sich das Fett auf den Prismen verteilte, verwarf ich diese Methode. Das kommt davon, wenn man die drei Finger der rechten Hand nicht unter Kontrolle hat.
(Scherz Ende)

Hallo Rolf,
auch wenn ich den Tubus nur als Beispiel für einen Anwendungsbereich des Heizdrahtes abgebildet habe, ist Deine Frage berechtigt.
Denn entgegen einigen Tuben der Dioptrienverstellung, bei denen diese nach dem Lösen des Skalenringes komplett herausgedreht werden können, ist dieser hier (CZJ) mit einem Begrenzungsring gesichert. Das Tubusrohr muss also zunächst vom Prismengehäuse abgeschraubt und dann der Begrenzungsring entfernt werden.
Ja und das war bei dem total verharzten Innenleben durch Wärme sehr leicht zu bewerkstelligen.

Euch noch einen schönen sonnigen Mittwoch
Frank


Nomarski

Zitat von: reblaus in April 07, 2010, 10:05:55 VORMITTAG
Hallo Frank -
hat dieser Feintrieb Endanschläge oder lässt sich der "Nocken" kontinuierlich durchdrehen?
Gruß
Rolf

Ich glaube der Frank heißt Thomas... ;D
Eigentlich sollte es zwei Anschläge geben, die bei der weiteren Demontage bestimmt auch noch zum Vorschein kommen werden. ;)

TPL

#11
Zitat von: reblaus in April 07, 2010, 10:05:55 VORMITTAGHallo Frank -
hat dieser Feintrieb Endanschläge oder lässt sich der "Nocken" kontinuierlich durchdrehen?

Hallo Rolf,
ich könnte mir denken, Du meintest mit Deiner Frage mich (Thomas).
Der Feintrieb hat keine Endanschläge und lässt sich kontinuierlich durchdrehen.

In der englischen Ausstattungsliste des Mikrobenjägers (Fig. 16; Mach & del Cerro, 2008) heißt es dazu: "Fine adjustment by infinite micrometer slow-motion-screw with graduation (1 div. = 0.002 mm)."

Das würde auch meine bisherigen Probleme mit der Fein-Fokussierung erklären: im (durch das verfestigte Gleitbahnfett sehr begrenzten) Bereich, in dem die Feinfokussierung noch wirkte, lag auch der Umschlagpunkt (höchste oder tiefste Position) des "Nocken". Dreht man also am Feintrieb immer weiter in die richtige Richtung - ohne mit dem Grobtrieb im richtigen intervall zu liegen - dann wird das Bild irgendwann auch wieder unscharf.

Schönen Gruß, Thomas

Frank D.

Zitat von: Nomarski in April 07, 2010, 14:52:37 NACHMITTAGS
Zitat von: reblaus in April 07, 2010, 10:05:55 VORMITTAG
Hallo Frank -
hat dieser Feintrieb Endanschläge oder lässt sich der "Nocken" kontinuierlich durchdrehen?
Gruß
Rolf

Ich glaube der Frank heißt Thomas... ;D

Etwas komisch kam mir die Fragestellung auch schon vor,
aber, mein Gott  .... Dioptrienverstellung - Feintrieb .... Nocken - Konterring .... Frank - Thomas, ist doch alles das Gleiche  ??? ??? !

Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche .....
Frank


reblaus

Entschuldigung Frank/Thomas !

Problem erkannt!

Eigentlich habe ich mit der Antwort gerechnet:

"Was für eine blöde Idee - ein Feintrieb wechselt doch niemals die Richtung; denn wenn man eine Richtung mal gewöhnt ist, würde es fünf Minuten später ""Knirsch"" machen - beim Versuch das Immersionsobjektiv vom Deckglas abzuheben!"

Aber bei Steindorff ist ja nicht nur die Abgleichlänge etwas Besonderes .... und Zeiss fokussiert seine Lampen im Haus auch manchmal per Exzenter.

Viel Vergnügen bei den weiteren Grabungen - und falls die Heizdecke nicht reicht um das Fett aufzuweichen gibt es ja immer noch die gute alte Lötlampe!

Gruß

Rolf



olaf.med

#14
Hallo Thomas,

wenn Du glaubst, daß Dein Mikrobenjäger in schlechtem Zustand war....... hier mal was aus meiner Wühlkiste: Teile eines Leitz SY, das Beste was der Pol-Mikroskope Markt in den 1920 und 1930 Jahren zu bieten hatte. Das arme Mikroskop wurde in einem Dünnschliff-Labor über Jahrzehnte mißbraucht. Die Bilder zeigen das Tischkugellager NACH der Entfettung und Behandlung im Ultraschall, der Dreck auf dem Kondensor ist zu  90% SIC.







Übrigens: das Mikroskop funktionierte nach der aufwändigen Restaurierung wieder einwandfrei und war auch kosmetisch wieder sehr schön.

Also nur Mut, es wird schon ;) ;)

Gruß, Olaf
Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34049.0