In der Biologie ist die wissenschaftliche, d.h. durch klare Linien scharf definierte Zeichnung auch weiterhin unersetzlich. Um es zuzuspitzen: Bei einer wissenschaftlichen Zeichnung geht nicht um die exakt detailgetreue Abbildung des Objekts - das kann die Fotographie viel besser -, sondern um die genaue Beschreibung dessen, was wir zu sehen glauben und als was wir es betrachten. Eine Zeichnung ist daher immer eine ganz individuelle Interpretation des Objekts und wird daher mit dem Namen des wissenschaftlichen Autors gezeichnet, nicht mit dem Namen des technischen Zeichners, der den ersten Entwurf in die letzendlich publikationsreife Form gebracht hat.
Ein Beispiel: In der Histologie beruht unsere Erkennnis seit Virchov auf der Tatsache, dass alle Organe aus einzelnen Zellen bestehen, und jede Zelle klar von der Nächsten zu trennen ist. Diese 'postulierte' Trennlinie sieht man bei der Übersichtsbetrachtung nicht, und selbst bei stärkster Vergrößerung kann man sie oft nur erahnen. Aber sie muss da sein, und die Zelle muss auch einen Kern besitzen - in aller Regel jedenfalls. Deswegen wird man die Zelle in der Zeichnung mit einer klaren Kontur und einem Zellkern zeichnen, auch wenn dieses 'auf den ersten Blick' kaum zu erkennen ist, und schon gar nicht auf einer Fotographie.
Die Tuschezeichnung - oder 1-Bit Schwarz-Weiß Graphik am PC - zwingt den Zeichner zur eindeutigen Definition. Das kann das Photo nicht. Deshalb ist die oft zitierte Bemerkung zu einem nichtssagenden Bild 'So habe es halt ausgesehen' letztlich nur ein untrügerisches Indiz für die Tatsache, dass der Photograph den Bau und die Konstruktion des Objekts überhaupt nicht verstanden hat. Ob es sich nun um den Verlauf von Muskeln im Kopf eines Insekts oder den Feinbau eines Nieren-Glomerulus handelt.
Es lohnt sich also, die Kunst des wissenschaftlichen Zeichnens zu pflegen!
Im diesem Sinne: Die Bleistifte gespitzt und einen weißen Zeichenkarton parat!
Alfons Renz