Hoffnungslos altmodisch?

Begonnen von Robert Götz, November 27, 2008, 20:59:27 NACHMITTAGS

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Robert Götz

Angesichts der tollen Bilder im Mikrofoto-Forum würde mich mal interessieren, ob es eigentlich noch Leute gibt,
die Zeichnungen machen.
In allen Anfängerbüchern, jedenfalls den älteren, wird das wärmstens empfohlen.
Klar, dass man damit nicht solche Kunstwerke schaffen kann, wie die Pantoffeltierchen von Ch. Linkenfeld. Aber es ist wohl unbestreitbar,
dass Zeichnen die Beobachtungsgabe stärkt. Und wer schaut so lange ein einziges Gesichstfeld an, wie er für eine Zeichnung brauchen
würde.
Rein aus Interesse - ohne praktischen Nutzen - möchte ich gerne fragen, ob heute noch Zeichnungen angefertigt werden.

Gruß
Robert Götz

CMB


Hallo Herr Götz,

auch ich möchte mich insoweit als "altmodisch" outen, als ich praktisch alle Objektdetails, wenn ich sie bestimmen möchte, zeichne. Ich verwende dazu binokulare Zeicheinrichtungen, also nicht ganz so wie viele Altmeister ohne Zeichenapparate.

Daneben mache ich aber auch sehr gerne Mikrofotografien, ich würde also beide Techniken nicht gegeneinander ausspielen wollen. Zeichnen ist für mich  eine Unterstützung für die eigene Beobachtung. Was ich gezeichnet habe, habe ich "wirklich" gesehen und es bleibt wesentlich besser im Gedächtnis haften.

Freundliche Grüsse

CMB

Fahrenheit

#2
Hallo Herr Götz,

seit ca. 2 Wochen habe ich wieder ein Mikroskop und ich zeichne auch wieder. Zum einen, weil meine 'Durch das Okular' Photos zur Zeit oft einfach noch zu schlecht sind, um sie hier zu zeigen und zum anderen, weil es mir immer noch Spaß macht.

In meinem ersten mikroskopischen Leben vor ca. 25 Jahren war an Mikrophotos gar nicht zu denken - ich war froh, ein - aus heutiger Sicht -  einigermaßen brauchbares Kleinmikroskop zu haben. Da habe ich schön brav mein Laborbuch geführt und alles gezeichnet, was mich beeindruckt hat.  :)

Auch was mein Vorposter über das Zeichnen gesagt hat, kann ich nur unterstützen: mit dem Stift in der Hand und beim immer wieder aufs neue Durchmustern der abzubildenden Stellen wird mir oft erst klar, was ich da eigentlich sehe.

Wenn Sie möchten, können Sie ja mal im Thread zur Schirmtanne vorbeischauen:
Schirmtanne/Idioblasten.

Schöne Grüße
Jörg Weiß
Hier geht's zur Vorstellung: Klick !
Und hier zur Webseite des MKB: Klick !

Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

Jürgen Ibs

Hallo Herr Götz,

ich oute mich hier auch als altmodischer Zeichner.  ;D Einmal zeichne ich,  weil es mir Spaß macht, dann, weil sich eine Leidenschaft von mir, die Rädertiere,  immer davonmachen, wenn ich sie knipsen will. Sie sind häufig zu dick, als dass ich alle wichtigen Details aufs Foto bringen kann, um sie zu bestimmen. Und immer zu warten, bis sie unter der Last des Deckglases halbtot daliegen, um das Bild doch nioch zu vermurksen ... Zudem muß ich gestehen, dass ich erst beim Zeichnen manche Zusammenhänge im botanischen Geschnipsel verstehe. (= Zeichnen für Dummies)
Auch Autoren wie  Wanner (von den Altvorderen ganz zu schweigen) empfehlen ja das Zeichnen.
Ich mache insofern "Fortschritte", als dass ich auch am PC zeichne, den setze ich wie einen Zeichentubus ein, also kein plattes Abzeichnen von Fotos.

gezeichnet

Jürgen
Ein freundschaftliches "du" ist immer willkommen - nicht nur dadurch ist das benachbarte Skandinavien vorbildlich.

Meine Vorstellung:
http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34.0

Jürgen H.

Hallo,

ich bin auch mitunter ein altmodischer Zeichner. Ich zeichne einfach gerne. Dazu benutze ich sogar oft noch das Uraltmessingmikroskop von Leitz, das durch die Generationen auf mich gekommen ist. Der monokulare Einblick ist hier geradezu von Vorteil, weil ich mit dem linken Auge hineinsehen, mit dem rechten die Zeichnung verfolgen kann. Für die erste Anlage benutze ich aber auch den schönen Zeichenspiegel, der dazu gehört. Ich kann zudem auf seinem Drehtisch das Objekt in jede beliebige Richtung drehen.

Mikrozeichnungen erscheinen in der Regel nicht so präsentabel. Sie sind außerdem zeitraubend. Und die Möglichkeit zum Stacken eröffnet der Photographie die Tiefenschärfe auch bei der Mikroaufnahme. Aber die Zeichnung hat einen wesentlichen Vorteil: Sie kann das hervorheben, worauf es ankommt. Und daher gibt es ja auch in einer Vielzahl von Lehrbüchern, z.B. im Leman Braune, ganz hervorragende Zeichnungen, oft desselben Gegenstandes, den man auch in der Aufnahme sieht. Natürlich sind die Aufnahmen im Leman Braune nicht herausragend. Sie sind schwarz weiß, auf normales Buchpapier gedruckt. Dennoch: Der Vergleich zeigt sehr deutlich die Vorzüge der Zeichnung vor der Aufnahme: Die Struktur, das Prinzip kommen besser zum Ausdruck.

Mikrogrüße
Jürgen Harst

Robert Götz

Vielen Dank für die Antworten, die für mich sehr informativ waren.
Ganz begriffen habe ich allerdings nicht, wie man Rädertierchen zeichnen kann, wenn sie sich zu schnell zum
Fotografieren bewegen. Verfolgt man sein "Modell'", bis das Bild fertig ist, oder zeichnet man aus dem Gedächtnis,
nachdem man es gesehen hat? Sorry, falls das eine dumme Frage ist, aber mit lebenden Organismen habe ich
wenig Erfahrung. Ich schaue immer nur fixierte Zellen an.
In einem - ziemlich alten - Buch über Mikroskopie habe ich übrigens den Hinweis gefunden, man könne die Bewegung
von Mikroorganismen verlangsamen, indem man etwas Kokain zum Wasser dazugibt...
Dort steht allerdings auch, dass sich die Fotografie gegen die Zeichnung nicht wird durchsetzen können.

Gruß
Robert Götz

Capovau

#6
Ich übe mit den Studenten im Praktikum noch das Zeichnen ein wenig. Besonders auch hinsichtlich der kritischen Analyse des betrachteten Bildes. Beim Zeichenen setzt man sich intensiver und kritischer mit dem Bildinhalt, den Fehlern und Problemen bei der Präparation auseinander.

Zum 2. Nutzen lasse ich z.B. Kristalle zeichnen und lasse die Flächen ausschneiden und mittels Waage die Flächeninhalte bestimmen, also eine mechnische Integration. Dabei wirkt die Zeichenhand und die Schere als "digitaler" Filter für die Ränder.

Danach kommen die Ausschnitte auf einen Scanner und die Studenten üben und kontrollieren ihre Ergebisse mit einfacher Bildauswertung. Der Praktikumsversuch endet mit der Bestimmung der Flächen mittels moderner Bildaufnahme und Bildanalyse unter Einsatz von Kontrastierungsmethoden am Mikroskop.
Die Sache endet meist mit der verblüffenden Feststellung wie man auch mit dem klassischen Zeichenstift erstaunlich gute Egebnisse erzielen kann. Ganz nebenbei erkennen sie auch, das es nicht immer nur die High Ende Bildverarbeitung mit der teuersten Kamera sein muss.
Insofern gesehen, zeichnen jedes Jahr doch recht viele Studenten am Mikroskop. Allerdings nur am Anfang frei Hand, nach den ersten mühsamen Versuchen kommt der Zeichenaufsatz von CZJ auf das Mikroskop, damit alles auch maßstäblich und damit besser auswertbar wird.

Gruß
Thomas

Peter Reil

Hallo Herr Götz,

ich fotografiere gerne am Mikroskop, aber genausooft zeichne ich mit Hilfe von einem Zeichentubus.

Wer sich ernsthaft morphologisch mit Pilzen betätigt, kommt überhaupt nicht ums Zeichnen herum. Bei ornamentierten Sporen von < 10 µm ist ein vernünftiges Foto schwer zu realisieren. Auch Zellstrukturen widersetzen sich der "einfachen" Fotografie. In mykolischen Publikationen gibt es wohl auch deshalb viel mehr Zeichnungen als Mikrofotos.

Ich würde das Zeichnen deshalb ungern als altmodisch bezeichnen wollen, sondern als die meist gründlichere Alternative.

Freundliche Grüße

Peter Reil
Meine Arbeitsgeräte: Olympus BHS, Olympus CHK, Olympus SZ 30

Alfons Renz

In der Biologie ist die wissenschaftliche, d.h. durch klare Linien scharf definierte Zeichnung auch weiterhin unersetzlich. Um es zuzuspitzen: Bei einer wissenschaftlichen Zeichnung geht nicht um die exakt detailgetreue Abbildung des Objekts - das kann die Fotographie viel besser -, sondern um die genaue Beschreibung dessen, was wir zu sehen glauben und als was wir es betrachten. Eine Zeichnung ist daher immer eine ganz individuelle Interpretation des Objekts und wird daher mit dem Namen des wissenschaftlichen Autors gezeichnet, nicht mit dem Namen des technischen Zeichners, der den ersten Entwurf in die letzendlich publikationsreife Form gebracht hat.

Ein Beispiel: In der Histologie beruht unsere Erkennnis seit Virchov auf der Tatsache, dass alle Organe aus einzelnen Zellen bestehen, und jede Zelle klar von der Nächsten zu trennen ist. Diese 'postulierte' Trennlinie sieht man bei der Übersichtsbetrachtung nicht, und selbst bei stärkster Vergrößerung kann man sie oft nur erahnen. Aber sie muss da sein, und die Zelle muss auch einen Kern besitzen - in aller Regel jedenfalls. Deswegen wird man die Zelle in der Zeichnung mit einer klaren Kontur und einem Zellkern zeichnen, auch wenn dieses 'auf den ersten Blick' kaum zu erkennen ist, und schon gar nicht auf einer Fotographie.

Die Tuschezeichnung - oder 1-Bit Schwarz-Weiß Graphik am PC - zwingt den Zeichner zur eindeutigen Definition. Das kann das Photo nicht. Deshalb ist die oft zitierte Bemerkung zu einem nichtssagenden Bild 'So habe es halt ausgesehen' letztlich nur ein untrügerisches Indiz für die Tatsache, dass der Photograph den Bau und die Konstruktion des Objekts überhaupt nicht verstanden hat. Ob es sich nun um den Verlauf von Muskeln im Kopf eines Insekts oder den Feinbau eines Nieren-Glomerulus handelt.

Es lohnt sich also, die Kunst des wissenschaftlichen Zeichnens zu pflegen!

Im diesem Sinne: Die Bleistifte gespitzt und einen weißen Zeichenkarton parat!

Alfons Renz

bewie

Hallo in die Runde,

auch wenn ich praktisch nur noch fotografiere: Es gibt gar keinen Zweifel, eine gute Zeichnung hat eine deutlich größere generelle Aussagekraft als ein Bild. Da kann ich meinen Vorschreibern nur zustimmen.

Bei der Gelegenheit: Wir mussten früher in der Prüfung am Ende des Histokurses unser Prüfpräparat zeichnen und beschriften. Ist das heute immer noch so, oder wird inzwischen auch das per multiple choice erledigt?

Schöne Grüße
Bernd

Jürgen Ibs

Zum Zeichnen der Rotatorien: Auch erzieht das Zeichnen das Sehen (Entschuldigung: bin auch Pädagoge). Ich lege eine Kartei der Rädertiere an. Dabei versuche ich meine Skizzen solange zu verbessern, bis ich ein kennzeichnendes Bild mit möglichst vielen Einzelheiten habe. Man sieht schon, es kommt nicht auf das Indivieduelle an, sondern auf das Typische. Das Bild entsteht beim Beobachten nach und nach im Kopf und parallel auf dem Papier. Zuerst wird das bewegliche Rädertier möglichst naturgetreu in verschiednen Bewegungsphasen erfasst, dann widme ich mich getreu den Anleitungen von ich glaube Wulfert (oder eine anderer der Kenner (Donner?), Erinnerung kann trügen) den Details. Ergänzt werden Maße und weitere Beobachtungen. Auch Photos kommen dann dazu. Im Laufe der Zeit wird die Kartei immer weiter ergänzt, immer wenn ich die Gattung oder Art wieder finde.
Für mich selbst ist das eine Methode, das Tier möglichst gut kennenzulernen. Andere haben andere Vorlieben. Beim Hobby darf man ja seinen eigenen Weg gehen, es kommt auf das Vergnügen dabei an.

Grüße

Ibs
Ein freundschaftliches "du" ist immer willkommen - nicht nur dadurch ist das benachbarte Skandinavien vorbildlich.

Meine Vorstellung:
http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34.0

mlippert

Präparate muss man auch heute noch zeichnen. Uns haben sie damit den Spaß an der Sache mächtig verdorben. "Bevor ihr nicht alle 24 Präparate gezeichnet habt kommt ihr hier nicht raus, egal ob es 20 Uhr ist und ihr seit um sieben da seid!" Ich würde aber heutzutage eine bessere Methode vorschlagen. Zeichnungen sind immer subjektiv und schnell werden Sachen gezeichnet, die das Hirn nur "ergänzt" hat. Eine Abhilfe schafft das "tracen" von Fotos. Jedes Vektorgrafikprogramm biete die Möglichkeit, ein Foto "abzuzeichnen". Dadurch hat man eine Zeichnung, kann Dinge betonen, muss sich keine Gedanken um Schattierungen machen und kann alles mehrfach drucken oder ändern.

***

Beitragsinhalt auf Wunsch des Autors gelöscht

Lenzenweger

Guten Tag Herr Götz,
ich bin überrascht und erfreut darüber, wie viele positive Antworten Sie zu Ihrem Beitrag über das Zeichnen am Mikroskop erhalten haben. Für mich persönlich ist das Zeichnen mikroskopischer Objekte -  in meinem speziellen Fall sind es die Desmidiaceen - das Um und Auf mikroskopischer Beobachtung, denn nur so lernt man das Objekt bis in alle seine Details erst wirklich kennen. Wenn ich eine für mich neue Art oder Varietät vorfinde, mache ich zunächst einmal nur Zeichnungen von allen möglichen Perspektiven und dann erst gehe ich daran, die Bestimmungsliteratur zu Rate zu ziehen. So bin ich einerseits gezwungen, mir das Objekt genauest anzusehen und andererseits kann ich dadurch vermeiden, etwas zu sehen was ich sehen möchte, nur weil ich vorher durch eine ähnliche Abbildung dazu verleitet werde. Ob man nun frei zeichnet, einen alten Abbe`schen Zeichanspiegel oder einen Zeichentubus verwendet, ist eigentlich belanglos. Zur endgültigen und druckfertigen  Ausfertigung einer wissenschaftlichen Zeichnung findet jeder Autor seinen ganz persönlichen Stil, das kann so weit gehen, dass beim Vorliegen einer gezeichneten Abbildung ich mit hoher Wahrscheinlichkeit schon sagen kann, wer aus Fachkreisen sie gezeichnet hat.
Mit freundlichen Grüßen
Rupert Lenzenweger