Vergleich alter und neuer Objektive: Hartnack No 9 & Leitz Pl Plan Apo 100x 1,32

Begonnen von Alfons Renz, Mai 18, 2010, 00:51:17 VORMITTAG

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Alfons Renz

Liebe Freunde alter Optiken,

In der Diskussion des Themas 'Hohe Trockenobjektive' war die Frage aufgetaucht, in wieweit sich die Optiken "in den letzten 100 Jahren" verbessert hätten. Dabei hatte ich auf Luftblasen in optischen Gläsern auf die möglich förderliche Wirkung von 'Dreckeffekten' hingewiesen, und damit eine These weitergegeben, die ich so von älteren und sehr erfahrenen Kollegen übernommen hatte, ohne sie selbst zu überprüfen. Mir war zudem aufgefallen, wie wenig sich manchmal auch sehr deutliche Delaminationen auf die Qualität des mikroskopischen Bildes auswirken. Und dass die Bilder einfacher Achromaten zumindest von Laien häufig als 'knackiger' eingestuft wurden als die des 100x Plan Apos, wie ich es bei Objektiven von Leitz der 70iger Jahre festgestellt habe.

Den Beweis bin ich bislang schuldig geblieben. Um aber nicht gleich von den Freunden moderner, aber unbezahlbarer Objektive gesteinigt zu werden, habe ich die Frage entschärft, in dem ich die Entwicklung der 'letzten 100 Jahre' um 40 weitere Jahre zurück vergelegt habe und nun ein Hartnack No 9 (ca. 1870) und ein Leitz Plan Apo 100x 1,32 (ca. 1970) vergleiche:



Dieses Objektiv galt als eines der Besten der Zeit  und wurde denen von Zeiss zumindest gleichgesetzt.



Granulozyt (Hartnack No 9 immersion, Coolpix 995)



Derselbe Granulozyt mit dem Leitz Pl Apo 100x 1,32 170 mm

Beide Objektive hatten eine 'faire Chance' an meinem Orthoplan mit Variotubus, wobei einschränkend gesagt werden muss, dass beide Bilder eigentlich viel besser sein könnten:

Das Hartnack zeigte im 2. Linsenglied (einem Doublett) so starke punktförmige Degenerationserscheinungen im Linsenkitt - es sah aus wie mit Punkten gesprenkelt - dass ich es eigentlich gar nicht verwenden wollte:



Auch den vorhandenen Korrekturring habe ich erst auf dem Photo erkannt und zum Mikroskopieren nicht optimiert. Prof. Hartnack möge daher verzeihen, wenn sein Paradeobjektiv nicht im besten Licht präsentiert wird - aber vielleicht hat Jemand unter den Lesern ein noch besser Erhaltenes, das man testen könnte, oder vielleicht das legendäre No 11?

Ebenso ist das auf 170 mm korrigierte Plan Apo am neueren 160 mm Orthoplan am falschen Platz. Zudem bringt der Variotubus mit seinen vielen Linsen eine weitere Verschlechterung der Bildqualität.

Mit beiden Objektiven habe ich jeweils nur ein Bild gemacht, ohne lang zu optimieren. Der Kondensor ist ein einfacher 402a Ph und kein achromatisch-aplanatischer mit 1,4. Es könnte also alles durchaus besser sein, und, wenn die Zeit reicht, werde ich daher noch einen zweiten Versuch starten...

Aber hinsichtlich der Kernaussage beweist der Vergleich, dass in der alltäglichen Labormikroskopie, bei der die Technik nicht bis zum Letzten ausgereizt wird, das mikroskopische Durchlichtbild hinsichtlich der Auflösung (Ergonomie, Bildebnung, Kontrastverfahren etc. sind eine ganz andere Sache!) keine wesentlichen Verbesserungen erfahren hat. In der Praxis schlägt sich dies in der Tatsache nieder, dass z.B. die von Robert Koch 1908 bei Piroplasmen beschriebenen Strahlenkörper von vielen Kollegen hartnäckig angezweifelt wurden, bis sie in den 70iger Jahren im Elektronenmikroskop bestätigt wurden. Ebenso haben die klassischen Zeichnungen des Blutbilds und seiner Parasiten kaum Verbesserungen nötig gehabt.

Trotzdem, und um die Gemüter zu besänftigen: Das Hartnack-Objektiv kommt jetzt wieder in den Schrank und die neuen Objektive zurück ans Mikroskop!

Einen schönen Abend noch,

Alfons

Nachtrag zum Hartnack No 9:

Bei meinem Objektiv handelt es sich offenbar um die frühe, noch in Paris produzierte Version des 1867 bei der dortigen Weltausstellung vorgestellten Objektivs (vgl. http://www.smecc.org/history_of_oil_immersion_lenses.htm). Zudem dürfte es sich um eine Wasserimmersion handeln, was ev. ebenfalls hätte berücksichtigt werden sollen. Ein Photo des späteren, in Potsdam gefertigten Typs findet sich bei Dr. Timo Mappes unter:
http://www.musoptin.com/hartnack_immersion_9.html

Dr. Timo Mappes

Lieber Herr Renz,

bereits gestern Nacht habe ich mit Begeisterung Ihre Nachricht gelesen – und würde mich sehr freuen hier in nächster Zeit Vergleichsaufnahmen mit möglichst optimierter Beleuchtung & Einstellung antiker Mikroskopoptiken und modernen Pendants zu sehen. Mir fehlen privat leider die modernen Optiken, um diese Vergleiche unmittelbar selbst anzustellen.

Eine kleine Korrektur zu Ihrem hier verwendeten Objektiv. Es stammt aus der Potsdamer Fertigung  1878 bis 1885 – dies lässt sich durch zwei Punkte einfach belegen:

(1) die frühen Hartnack'schen Wasserimmersionen waren aus klar lackiertem Messing gefertigt, ein Beispiel aus 1873 (datierte Rechnung des Mikroskops samt Objektiv liegt vor) ist hier zu sehen:


(2) die Signaturen Hartnacks verraten wunderbar den Werdegang der Firma. Ihre Dose trägt die deutsche Aufschrift:


No. 9
Immersion
Dr. E. Hartnack
*

Die Signatur mit dem Titel tauchte erst nach der endgültigen Trennung der Werkstätten in Paris und Potsdam auf. Edmund Hartnack erhält bereits 1868 die Ehrendoktorwürde, dies schlägt sich zwar in den Druckschriften und Rechnungen der Firma nieder, nicht aber in den Signaturen der Instrumente.
Nach 1870 lauten die Signaturen der Instrumente aus Paris:


E. Hartnack & A. Prazmowski
Rue Bonnaparte 1
Paris.

Jene aus Potsdam ab Produktionsaufnahme 1872:


E. Hartnack & Co
Paris & Potsdam.

Erst mit vollständiger Übernahme der Werkstätte in Paris durch Adam Prazmowski im Jahre 1878 lautet die Signatur dort:


Mon. E..Hart. & A..Praz.
A.. Prazmowski, sucr
Rue Bonaparte, 1.
Paris.

sowie in Potsdam


Dr. E. Hartnack
Potsdam.

Interessanterweise verschwindet um 1885 der Titel wieder aus der Signatur und die Instrumente tragen den Namenszug:


E. Hartnack
Potsdam.

Damit stammt Ihr Objektiv eindeutig aus der Zeit 1878 - 1885. Der Stern * auf Ihrer Dose verweist übrigens auf den Korrektionsring des Objektivs, dieser Stern wurde auch nur über eine limitierte Zeit verwendet.

Ich freue mich auf weitere Beiträge zum Vergleich der Optiken – u.U. auch zeitgenössischer untereinander. Größte Herausforderung ist ein vergleichbarer, möglichst einwandfreier Erhaltungszustand, wie Sie dies ja bereits in Ihrer Nachricht hervorgehoben haben.

Beste Grüße
Timo Mappes
Prof. Dr.-Ing. Timo Mappes
Deutsches Optisches Museum
Carl-Zeiss-Platz 12
07743 Jena

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privat:
Museum Optischer Instrumente
www.musoptin.com

Die erste vollillustrierte deutschsprachige Seite zur Geschichte der Mikroskope für die Wissenschaft im 19. & frühen 20. Jahrhundert

Thomas Böder

Hauptmikroskope: Leitz Panphot, Ortholux, Technival 2
Kleinmikroskope: Leitz, Reichert, ROW, Lomo