Das koloniebildende Wimperntierchen Ophrydium versatile

Begonnen von Bernd, Mai 27, 2010, 20:37:12 NACHMITTAGS

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Bernd

Liebe Ciliaten-Freunde,


hier der schon länger versprochen Beitrag über Ophrydium versatile (alle Fotos DIC).

Ophrydium versatile wurde von Penard (1922) ausführlich untersucht und beschrieben. Seine Beschreibung wurde durch Wilbert (1977) ergänzt. Die hier gegebene Beschreibung folgt im wesentlichen diesen beiden Autoren, mit einigen Ergänzungen aus Foissner (1992).

Die Zooide von Ophrydium versatile sitzen in großer Zahl mit ihrem Hinterende an der Peripherie einer bei jungen Kolonien mehr oder weniger kugelförmigen Gallertmasse. Auf der Oberfläche der Kolonie stehen die Tiere in becherartigen Gehäusen, in die sie sich zurückziehen können. Die Gallertgehäuse sind so klar, daß sie normalerweise unsichtbar sind. Im Inneren der Kolonie sind die Gallertmassen verschmolzen. Die Kolonien sind daher relativ feste Gebilde. Ältere oder von ihrer Unterlage losgerissen und frei im Wasser treibende Kolonien sind meist fladenförmig und schwabbelig. Die Kolonien haben oft einen Durchmesser von mehreren Zentimetern, können aber auch bis zu 15 cm groß werden, und sind durch die symbiontischen Grünalgen in den Zooiden intensiv grün gefärbt. Im Inneren der Kolonien finden sich häufig eine oder mehrere Gasblasen.


Ophrydium-Kolonien


Zooide in der Gallertkugel.

Die Zooide sind schlank, langgestreckt, vasenförmig und sehr kontraktil. Ihre maximale Länge kann 400 – 500 (600) µm erreichen. Das Hinterende ist zugespitzt und nicht wie der übrige Körper im Querschnitt rund, sondern lateral komprimiert und mit Längsfalten versehen.


Fast vollständig gestreckter und mit symbiontischen Algen gefüllter Zooid. Länge ca. 250 µm.


Zooide, Aufsicht auf das Peristom.

Die Pellicula ist fein quergestreift. Die kontraktile Vakuole, die sich etwas oberhalb der Körpermitte befindet, mündet über einen langen Kanal an der dorsalen Wand des Mundtrichters und entleert sich somit in das Vestibulum. Der Makronukleus ist sehr schmal, bandförmig, ganz fein granuliert und erstreckt sich fast über die gesamte Länge des Zooids. Der sehr schwer zu beobachtende Mikronukleus ist klein, oval und findet sich in der Nähe des Makronukleus, etwa auf der Hälfte seiner Länge. Die Zooide enthalten eine große Anzahl von Zoochlorellen, von denen die meisten im Vorderkörper liegen. Das Peristom ist nicht auffallend kopfartig abgesetzt und besitz einen nur schwach ausgeprägten Wulst, der nur wenig über den Körperrand herausragt. Die adorale Wimpernspirale beschreibt am fast ebenen, schräg herausgehobenen Peristomdiskus 1½ Umgänge, setzt sich in die Schlundröhre fort und steigt in derselben bis zum Pharynx herab.


Detailaufnahmen des Peristoms. Pfeil: Cilien des Mundtrichters.

Kontrahierte Zooide sind elliptisch bis fast kugelförmig und kleiner als 100 µm.


Kontrahierter Zooid, Länge ca. 80 µm.

Die Zooide sind gestielt, die Stiele aber nicht kontraktil. Sie verzweigen sich zur Peripherie hin dichotom.


Links: Hinterende mit dem dünnen, flexiblen, aber nicht kontraktilen Stiel (St) und der Skopula (Sk). Rechts oben: Skopula. Rechts unten: Teil des Makronucleus.


Unter ungünstigen Bedingungen können sich die Zooide nach der Ausbildung eines adoralen Wimpernbandes von ihrem Stiel ablösen und als Schwärmer (Telotroch) davon¬schwimmen.


Schwärmer, auf 2 verschiedene Ebenen fokussiert. Länge ca. 130 µm.

Die Zellteilung erfolgt durch die für peritriche Ciliaten typische Längsteilung. Teilungsbereite Zooide ziehen das Peristom ein und runden sich ab. Bei der Teilung wird der die Tochterzellen trennende Spalt zuerst am Vorderende des Zooids sichtbar. Etwas später entsteht ein zweiter Spalt am hinteren Ende des Zooids. Zu diesem Zeitpunkt ist bei beiden Tochterzellen schon eine neue Skopula ausgebildet und der Stiel in zwei Teile gespalten.



Verschiedene Phasen der Zellteilung.

Die beiden Spalten wandern aufeinander zu bis sie sich im hinteren Viertel des Zooids vereinen, wodurch die Trennung der beiden Tochterzellen erfolgt. Anschließend entfalten beide Tochterzellen wieder ihre Peristome. Die Zellteilung erfolgte bei meinen Beobachtungen in etwa 30 bis 45 Minuten.



Bei der Konjugation vereinigt sich ein freischwimmender Mikrokonjugant mit einem normal aussehenden, festsitzenden Zooid (Makrokonjugant), indem er sich mit seinem Hinterende immer an der gleichen Stelle, ein wenig vor der Mitte, an den Makrokonjuganten anheftet.


Konjugation. Der Mikrokonjugant hat sich mit seinem Hinterende an den Makrokonjuganten angeheftet. Länge des Makrokonjuganten ca. 165 µm. P: Peristom.

Danach erfolgt die Konjugation, die unter Umständen mehrere Tage dauern kann und bei der der Inhalt des Mikrokonjuganten mehr oder weniger vollständig in den Makrokonjuganten übergeht. Mikrokonjuganten entstehen, indem sich normale Individuen schnell hintereinander mehrfach teilen, so daß die Tochterzellen sehr klein werden. Diese kleinen Zooide, die ein normales Peristom besitzen, bilden einen postoralen Wimpernkranz und lösen sich als Mikrokonjuganten von ihrem Stiel ab.


Literatur:
Foissner, W., Berger, H. & Kohmann, F. (1992) Taxonomische und ökologische Revision der Ciliaten des Saprobiensystems. – Band II: Peritrichia, Heterotrichida, Odontostomatida. Informationsbe¬richte des Bayer. Landesamtes für Wasserwirtschaft 5, 232-238.
Penard, E. (1922) Etudes sur les infusoires d'eau douce, 279-283.
Wilbert, N. (1977) Taxonomische Untersuchungen an Ophrydium versatile O. F. Müller 1786 (Ciliophora, Peritrichida). Arch. Protistenk. 119, 54-59

Unbedingt sehenswert sind auch die O. versatile-Fotos von Gerald Helbig
http://www.mikroskopie.de/mikforum/read.php?2,26465,26465#msg-26465
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4297.0

und der Film von Bernd Wiedemann
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=5579.0
hier im Forum.


Viele Grüße
Bernd

Jürgen Boschert

Hallo Bernd,

herzlichen Dank für die tolle Zusammenstellung. Wäre das nicht evtl. schon ein Mikrokosmkos-Artikel ?

Beste Grüße !

JB
Beste Grüße !

JB

Bernhard Lebeda

Zitat von: Jürgen Boschert in Mai 27, 2010, 20:51:54 NACHMITTAGS


herzlichen Dank für die tolle Zusammenstellung. Wäre das nicht evtl. schon ein Mikrokosmkos-Artikel ?



Das will ich aber auch meinen!

Sensationell, Bernd!!


Vielen Dank

Bernhard
Ich bevorzuge das "DU"

Vorstellung

Holger Adelmann

Hallo Bernd,
super Bericht und sehr schöne Bilder !

Herzlichen Dank
Holger


Michael Plewka

hallo Bernd,
ich schließe mich den Vor-Kommentatoren an: ganze große Klasse! Bitte mehr davon...
beste Grüße Michael

Eckhard

Hallo Bernd,

sehr schöne und interessante Dokumentation. Herzlichen Dank dafür.

Viele Grüsse
Eckhard
Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
Nikon SE2000U (HF, DIK, Ph)
Olympus SZX 12 (HF, DF, Pol)
Zeiss Sigma (ETSE, InLens SE)

www.wunderkanone.de
www.penard.de
www.flickr.com/wunderkanone

steffenclauss

Hallo Bernd,

absolute Klasse!!
Vielen Dank für Deine Mühe zu diesen sehr interessanten Beitrag!

Zu dem Fundort hast Du leider nichts geschrieben, obwohl nach meiner Erfahrung im Frühjahr bis Herbst diese in fast jeden größeren See planktisch herumtreiben. Viele Seen der Mecklenburger Seenplatte sind da eine TOP-Adresse.

viele Grüße
Steffen

Jan Kros

Hallo Bernd,
Eine sehr schöne Beitrag und wunderschöne Bilder.
Herzlichen dank
Jan

Rawfoto

Gerhard
http://www.naturfoto-zimmert.at

Rückmeldung sind willkommen, ich bin jederzeit an Weiterentwicklung interessiert, Vorschläge zur Verbesserungen und Varianten meiner eingestellten Bilder sind daher keinerlei Problem für mich ...

Ralf

Hallo Bernd,

einfach Spitzenklasse dieser Beitrag und ganz neben bei hast Du mir geholfen, einen Fund von vor 5 Jahren jetzt endlich sicher bestimmen zu können. Vielen Dank!

Martin Kreutz

Hallo Bernd,

das sind einwandfreie Bilder und ein super Bericht! Besonders die Bilder der Zellteilung, von 4 sich gleichzeitig teilenden Exemplaren so dicht zusammen dürften einmalig sein. Ich meine, alle Stadien des Lebenszyklus sind im Bild festgehalten. Das kann unverändert in Druck!

Wünsche Dir einen schönen Abend!

Martin

Jürgen Boschert

Hallo,

@ Martin:

Zitat... Das kann unverändert in Druck!

Sag´ ich doch !


@Bernd: das mit dem Mikrokosmos-Artikel mein´ ich durchaus ernst.


Beste Grüße !

JB
Beste Grüße !

JB

rimbao

#12
Sorry,

hat jetzt nichts mit mikroskopieren zu tun... sondern mit den Objekten (Gallertkugeltierchen) die hier im Detail vorgestellt wurden....

am Chiemsee-Ostufer bei Arlaching (Flachwassergebiet) sind die Grünen Gallerkugeltierchen massenhaft zu finden...
teils noch festsitzend auf Steinen, gelöste sind am Wassersaum vom Wind zusammengetrieben, bzw. wegen des fallendes Wasserstandes findet man eingetrocknete!!!





@ Bernd

ich habe mir erlaubt Textteile aus diesem post zu verwenden...

siehe : http://www.chiemsee-rundumadum.de/furchenstein/2010/10/gallertkugeltierchen-massenhaft/
www.rimbao.de
www.furchenstein.de

Bernhard Lebeda

Ich bevorzuge das "DU"

Vorstellung

Alfons Renz

Hallo Bernd,

Derartig beeindruckende Bilder rufen beim Betrachter neben Bewunderung auch die Frage auf: Wie hat er die gemacht? Präparation, Mikroskop, Optik, Kamera?  Bei Publikationen wäre dies der Paragraph: Material, Methoden und Technik.

Aber da haben Sie - und die Vorschläge anderer Diskutanten - vermutlich völlig recht: Dies erfahren nur die Leser des Mikrokosmos, für den hier nochmals ganz herzlich geworben werden soll!

Ich möchte diese mittlerweile über 100jähre Zeitschrift als ein Kleinod in der oft zu fachspezifischen oder durch Werbung (bzw. exorbiatanten Preis) unattraktiven Fachliteratur bezeichnen. Hier müssen wir Mikroskopiker unbedingt Biotopflege betreiben: Nur wenn der Mikrokosmos auch von möglichst vielen Lesern abonniert wird, kann er sich im ökonomischen Wettbewerb bei moderatem Preis behaupten. Und solch schöne Bilder samt Beschreibung sind nur dann hoffentlich auch noch in 100 Jahren mit einem Griff im Bücherschrank erreichbar.

Herzliche Grüße,

Alfons