Lysozym from Gallus gallus via Hanging Drop Methode

Begonnen von Hyperion, Juli 10, 2010, 13:16:54 NACHMITTAGS

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Hyperion

Die Kristalle wurden mittels der Hanging Drop Methode gezüchtet.

Hierbei hängt ein Tropfen (Reservoirlösung + gelöstes Protein) an der Unterseite eines runden Deckglases über einer Reservoirlösung welche sich in einzelnen gasdichten Wells befindet.

Das ganze ist Teil eines Screenings um geeignete Bedingungen für die Zucht röntgenkristallographietauglicher Einkristalle zu erhalten.

Die Fotos wurden mit einem Stereomikroskop samt Mikroskopkamera direkt durch die einzelnen Wells geschoßen. Das Pol dient hierbei nur dem besseren Kontrast (sonst wäre ja alles farblos). Da jedoch die Wellplatten (Polycarbonat)
und die Lösungen teilwesie starke Eigenpolarisation zeigen, darf man sich über die entstehenden Farben nicht wundern. Die Beleuchtung ist auch nicht schief, der Eindruck entsteht durch Reflektionen an den hängenden Tropfen.

Da das ganze nur der Dokumentation dient (Zahl, Art + Größe der Kristalle) und pro Foto gerade mal 10-20 Sekunden investiert wurden bitte nicht über die Qualität wundern. Wenn man hunderte Wells erfassen muss, hat man keine Lust stundenlang da dran zu sitzen.

Well C5

Needlecluster, Einkristalle
20 °C 3 Tage

100 mM NaOAc Puffer pH 4,5
1,20 M NacL



Well C6

Needlecluster + Einkristalle
20 °C 3 Tage

100 mM NaOAc Puffer pH 4,5
1,35 M NaCl


Hyperion

Nachdem man einen passenden Kristall mit einer Nylonschlaufe gefischt hat und die Kristallstruktur bestimmt wurde, kommt sowas dabei heraus:

Erstellt aus PDB 2LYZ
2,00 Å Auflösung

Raytracing Image mit Pymol


Herne

Hallo Dominik,
für den uneingeweihten Voll-Laien (also für mich) sieht das aus, wie der Weg, den Roger Rabbit im Cartoonland nahm  ;D
Mal ernsthaft : Das scheint mir eine DV-gestützte Darstellung der Analyse der Einkristalle zu sein. Was sieht man da ? Was "lernt es uns" Laien?
Ein bisschen Erklärung dazu wäre schon ganz nett. ;)

Mit ratlosen Grüßen
Herbert
Die animalcula infusoria sind Blasen mit Neigungen.
G. Chr. Lichtenberg

Hyperion

#3
Ok, ok, also mal von vorne:

Um die 3D Struktur eines Kristalls zu bestimmen braucht man Einkristalle. Solche wie oben in den Bildern zu sehen sind. Diese müssen eine gewisse Mindestgröße haben und möglichst kompakt sein, mit solchen Nadeln wie oben auch mit im Bild sind kann man keine Kristallstruktur bestimmen.
Wenn man so einen passenden Einkristall gefunden hat, dann fischt man ihn mit einer Nylonschlaufe, welche an einem dünnen Stab hängt, unter dem Mikroskop aus dem Tropfen heraus. Nylon stört die Röntgenstrahlung nicht.


Quelle: http://www.ccp14.ac.uk/ccp/web-mirrors/crystals/images/did-figure3.jpg

Idealerweise fährt man dann mit dem Kristall in der Schlaufe z. B. nach Hamburg zum Synchrotron. Das ist ein großer Ring wo Physiker Elektronen beschleunigen können. Der Kristall kommt dann dort in eine Meßstation, wird permanent mit flüssigem Stickstoff beträufelt um Strahlungsschäden zu vermeiden und es wird an einem Detektor ein Beugungsmuster aufgenommen.

Das Beugungsmuster repräsentiert die Amplitude der gestreuten Röntgenwellen und sieht z. B. so aus:


Quelle: http://www-structmed.cimr.cam.ac.uk/Course/Basic_diffraction/diffpat.jpg

Jetzt hat man schonmal die eine Hälfte der Arbeit. Denn mit den Amplituden alleine kann man noch gar nichts anfangen, man braucht noch die Phase. Bei kleinen Molekülen kann man die Phase am Rechner mit statistischen Methoden bestimmen, bei Proteinen muss man sie experimentell ermitteln.

Dazu fischt man einen weiteren Einkristall und taucht ihn z. B. in eine Salzlösung von schweren Atomen. Mit dem so präparierten Kristall macht man dann wieder eine Aufnahme des Beugungsmusters. Dieses zweite Beugungsmuster sieht nun fast genauso aus wie das erste, aber da an bestimmten Stellen im Kristall schwere Atome sitzen gibt es kleine Unterschiede in den Amplituden zur vorherigen Aufnahme. Aus diesen Unterschieden kann man dann die Phasen der gestreuten Röntgenwellen berechnen.

So wenn wir nun Amplituden und Phasen haben, geht es an den Computer wo dieser dann mit - für nicht Physiker unglaublich komplizierten - Formeln eine Elektronendichtekarte des Kristalls berechnet. Das ist praktisch eine Karte der Elektronendichte am Ort XYZ.

In einer 2D Ebene sieht das so aus:


Quelle: http://www.stolaf.edu/people/hansonr/mo/fig4b.gif

Stapelt man solche Ebenen zu einem 3D Bild kommt sowas dabei heraus:


Quelle: http://images.the-scientist.com/content/figures/images/yr2001/jun11/electron_density.gif

In diese Elektronendichte kann man nun ein Modell hineinbasteln (in den obigen zwei Bildern wurde das schon gemacht), was fast vollautomatisch geht.
Der Computer vergleicht dazu die Elektronendichte die aus den Messdaten stammt mit der theoretischen Elektronendichte die das hineingebastelte Modell haben müsste. Wenn es da Differenzen gibt, wird solange am Modell rumgebastelt bis die beiden Sachen möglichst perfekt übereinstimmen.

Das Ergebnis ist dann eine 3D Struktur des Proteins und die wird in so genannten PDB Dateien gespeichert. Das sind einfache Textdateien mit u.a. XYZ Koordinaten eines jeden Atoms.

Mit einem Programm wie Pymol kann man sich diese Daten dann als Grafik darstellen lassen. Wenn ich mir jedes Atom anzeigen lasse sieht das z. B. so aus:



Die Farben sind frei wählbar, hier ist Kohlenstoff grün, Sauerstoff rot, Stickstoff blau und Schwefel gelb. Wasserstoff sieht man i. d. R. nicht, denn dieser ist so klein ,dass man ihn erst bei Auflösungen < 1 Å im Kristall sieht, was praktisch bei Proteinen nur ganz selten mal erreicht wird.

Da so eine Darstellung aber nun nicht gerade übersichtlich ist, kann man das auch noch vereinfachen. Statt sich jedes Atom anzeigen zu lassen, lässt man sich nur die übergeordneten Sekundärstrukturen anzeigen, welche die einzelnen Aminosäuren einnehmen.

So werden dann z. B. Helices rot, Faltblätter gelb (Pfeil zeigt die Richtung an) und unspezifische Strukturen einfach nur grün angezeigt. Das Ergebnis ist dann ein Bild wie in Beitrag 2. Da sieht man z. B. dass die Helices alle rechtsgängig sind.

Ich hoffe ein wenig Licht ins Dunkel gebracht zu haben.

Herne

Hallo Dominik,
vielen Dank dafür, daß du meine Frage ernstgenommen hast und für die ausführliche, umfassende Antwort.  :)
Das ist nun in der Tat ein faszinierender Einblick in eine Anwendung der Mikroskopie, die unsereins sonst völlig verschlossen ist.  :)
( Wer hat schon ein Synchrotron zu Hause ... ;) ) Das Cern kann man zwar manchmal besichtigen ...
Auch hier kann man also die Perfektion und Schönheit im Kleinen, derer sich schon Plinius bewusst war, finden!
Denn das Verfahren liefert auf allen Stufen Bilder von überraschender Schönheit. Vielen Dank für´s zeigen!

Mit freundlichem Gruß
Herbert
Die animalcula infusoria sind Blasen mit Neigungen.
G. Chr. Lichtenberg

Klaus Herrmann

Hallo Dominik,

ein schöner Einblick in die Arbeitsweise eines Strukturaufklärers! Da ist heute vieles einfacher geworden, wie vor 40 Jahren, aber man kann sich auch an komplexere Möleküle ranwagen!

Was mich immer wieder verblüfft ist, dass so komplizierte gefaltete Möleküle eines Proteins schöne Kristalle bilden können!

Danke für die gute Darstellung!
Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


ich ziehe das freundschaftliche "Du" vor! ∞ λ ¼


Vorstellung: hier klicken

Hyperion

#6
Hallo Klaus,

ja vieles ist einfacher geworden. Nur sei gesagt, dass die hier gezeigten Schritte vom Einkristall zur Struktur das sind was ein Doktorand in den letzten paar Wochen seiner Arbeit macht.
Lysozym ist ein klassisches Protein was sehr gut kristallisiert, deshalb nimmt man es häufig in Praktikas für die Studenten. Da bekommt man quasi über Nacht Kristalle.

Bei üblichen Aufgaben verbringen Doktoranden oft Jahre damit bis überhaupt mal ein Kristall da ist, der sich für eine Strukturanalyse eignet. Oft kristallisieren diese Sachen überhaupt nicht (z. B. Membranproteine) oder nur sehr schlecht (Nadeln, Mikrokristalle, Ausfällungen) oder aber der Kristall gibt nicht mehr als 6 Å her (reicht gerademal für die ungefähre Lage der Hauptkette) usw.

Zum Problem der Phasenfindung sei ein Beispiel erwähnt. Bei der Strukturaufklärung des Ribosoms (letztes Jahr Nobelpreis für Chemie) hatte man röntgentaugliche Kristalle um 1980, das Phasenproblem hatte man 1999 gelöst!

ZitatWas mich immer wieder verblüfft ist, dass so komplizierte gefaltete Moleküle eines Proteins schöne Kristalle bilden können!

Schön sind sie, aber sonst haben sie mit gewöhnlichen Kristallen kaum etwas gemeinsam. Sie sind oft weich wie Wackelpudding und zerbrechen beim Antippen mit einer Nadel (für die Insider: Proteine machen ja hauptsächlich Van-der-Vaals Wechselwirkungen und Wasserstoffbrückenbindungen, diese sind im Vergleich mit den starken Kräften bei Ionen relativ schwach). Ausserdem enthalten diese Kristalle oft große Mengen ans Lösungmittel in langen Kanälen die sich durch den Kristallziehen. Da kann so ein Ding schonmal aus 50 % Wasser bestehen.

Im Vergleich mit Kristallen kleinerer Moleküle gibt es aber auch einen Vorteil: Proteine haben weniger Symmetrieelemente. Spiegelung und Inversion sind verboten, da sie aus L --> D Aminosäuren machen würden. Bekanntlich kommen in der Natur normalerweise nur L Aminosäuren vor.