Botanik: Blattstiel der Zaubernuss (Hamamelis spec.) *

Begonnen von Fahrenheit, September 13, 2010, 22:30:47 NACHMITTAGS

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

Fahrenheit

Liebe Pflanzenfreunde,

im schönen Thread von Roderich habe ich - mal wieder  :) - die Frage aufgeworfen, ob der gezeigte Schnitt tatsächlich Blattstiel oder doch nicht eher Spross ist.
Um meinen Verdacht selbst zu prüfen oder zu widerlegen, habe ich mir selbst im örtlichen Gartenmarkt ein Blatt einer Hamamelis-Art besorgt und diesmal lag ich wohl daneben - die Blattstiele der Zaubernuss haben allem Anschein nach einen sehr regelmäßigen Querschnitt.

Die genaue Art der von mir untersuchten Pflanze kann ich leider nicht benennen - auf dem Etikett war neben der Verkaufsbezeichnung nur der Gattungsname Hamamelis genannt. Für nähere Informationen zu dieser Gattung verweise ich auf Roderichs Thread, der sich die Mühe gemacht hat, schon einiges Wissenswerte zusammenzutragen bzw. zu verlinken.

Um schnell einen Überblick zu bekommen, habe ich einen der frischen Schnitte in Ethanol unter das Mikroskop gelegt - und dort vergessen. Als das Ethanol schon fast ganz verdunstet war, viel mir der Objektträger wieder auf - und ich konnte einige - wie ich hoffe - interessante Bilder machen. Dazu später mehr.

Hier ein Überblick über das Blatt und die beiden Schnittebenen:

Bild 1: Schnittebenen 1 und 2 am Blattstiel eines Blattes der Zaubernuss

Man kann in etwa schon erkennen, dass die untere, sprossnahe Hälfte des Blattstiels (Schnitt 1) deutlich dicker ist, als die obere (Schnitt 2).
Sorry für den schlechten Weißabgleich, hab's leider zu spät bemerkt ...  :-[  

Geschnitten habe ich das frische Blatt freistehend mit dem Zylindermikrotom und Einmalklingen von Leica. Die Schnittdicke liegt bei ca. 50 µm. Nach anschließender Schnittfixierung mit AFE (ca. 2 Stunden) habe ich mit Wacker W3A gefärbt: Acridinrot (1% in Ethanol 50% für ca. 8 Minuten), Acriflavin (1% in Aqua dest. für ca. 30 Sekunden) und Astrablau (1% in Aqua dest. mit einer Spur Acriflavin für ca. 40 Sekunden).

Zunächst einige Bilder vom dünneren oberen Teil des Blattstiels (Schnitt 2):

Bild 2: Übersicht über den Querschnitt, Vergrößerung 50x, Stapel aus 8 Bildern

Bis auf eine "Schleife" zeigt sich ein annähernd ringförmiges Leitbündel (Xylem. Phloem, Sklerenchym). Damit ist in meinen Augen auch ein komplett ringförmiges Leitbündel wie in Roderichs Bild möglich. Der Gesamtdurchmesser beträgt ca. 2 mm.
Im Unterschied zu einem Sprossquerschnitt gibt es hier jedoch kein sekundäres Dickenwachstum und somit auch kein Cambium, wie das nächste Bild zeigt.

Bild 3a/b: Ausschnitt aus der Schnittebene 2, Bild 3b mit Beschriftung. Vergrößerung 100x, Stapel aus 11 Bildern


MP : Markparenchym
XL : Xylem
Pl  : Phloem
SK : Sklerenchym
RP : Rindenparenchym
Ep : Epidermis
Cu : Cuticula
SH : Sternhaar

Bild 4: Die "Schleife" bei zweihundertfacher Vergrößerung, Stapel aus 6 Bildern

Kein Cambium zwischen Xylem und Phloem. Am Rande des Sklerenchymrings rhomboedrische Calciumoxalat-Drusen.

Bild 5: Eines der Sternhaare, Vergrößerung 200x, Stapel aus 27 Bildern


Nun einige Bilder von der Schnittebene 1:

Bild 6: Übersicht, Vergrößerung 50x, Stapel aus 8 Bildern

Das deutlich stärke Rindenparenchym fällt hier im Vergleich zu Bild 2 ebenso ins Auge, wie der fehlende Sklerenchymring.
Statt dessen findet sich hier im Anschluss an das Phloem ein unregelmäßiger Kollenchymring. Der Gesamtdurchmesser beträgt annähernd 3 mm.

Bild 7: Ausschnitt aus der Schnittebene 1, Vergrößerung 200x, Stapel aus 10 Bildern

Xylem und Phloem sind von Strahlen parenchymatischen Gewebes unterbrochen. Die Kollenchymzellen zeigen verdickte, hier fast schwarze Zellwände.
Wiederum ist am Übergang vom Xylem zum Phloem kein Cambium erkennbar.

Bild 8a/b: Detail des Rindenparenchyms, Bild 8b mit Beschriftung. Vergrößerung 400x, Stapel aus 12 Bildern


Kl  : Kollenchymatische Zellen
SK : Stärkekörner in den Parenchymzellen
D  : Calciumoxalat-Druse
RP : Rindenparenchym
Im Gegensatz zur Schnittebene 2 finden sich hier in den Parenchymzellen eingelagerte Stärkekörner (Amyloplasten) mit ca. 3 µm Durchmesser und die Calciumoxalat-Drusen sind nicht mehr rhomboedrisch sondern sternförmig (hier ca. 15 µm Durchmesser).  

Warum ist der Blattstiel am Blattgrund (Schnittebene 1) durch ein verstärktes Rindenparenchym dicker? Warum ist das stabilere Sklerenchym durch Kollenchymfasern ersetzt und warum kommen die Amyloplasten nur hier vor?
Wie viele Pflanzen kann die Zaubernuss ihre Blätter  - wohl gemäß des Sonnenstandes und abhängig von der verfügbaren Wassermenge - ausrichten, um eine optimale Photosynthese zu erreichen und/oder die Verdunstung zu senken.
Ich vermute (wilde Theorie ;D), dass der untere Teil des Blattstiels quasi das Gelenk bildet: die starren Sklerenchymfasern würden die Beweglichkeit einschränken und sind durch das flexiblere Kollenchym ersetzt. Die Ausrichtung des Blattes erfolgt dann durch Tugorschwankungen im verdickten Parenchym. Die nötige Energie dazu würden die Amyloplasten liefern.

Zum Schluss noch einige Aufnahmen von dem eingangs erwähnten Frischmaterial, die ihren ganz eigenen Reiz haben und einige Strukturen besonders gut erkennen lassen:

Bild 9: Übersicht Schnittebene 2, Vergrößerung 50x, Stapel aus 6 Bildern


Bild 10: Ausschnitt mit "Schleife", Vergrößerung 100x, Stapel aus 7 Bildern

Der Schnitt hat sich beim Verdunsten des Ethanols etwas gewellt, daher die leicht unscharfen Stellen. Schön zu sehen die Tüpfel in den Parenchymzellen.

Bild 11: Ausschnitt des Sklerenchymrings, Vergrößerung 200x, Stapel aus 11 Bildern

Der geschichtete Aufbau der Zellwände der Sklerenchymzellen wird erkennbar.

Bild 12: Tüpfel, Vergrößerung 400x, Stapel aus 4 Bildern


Vielen Dank fürs Lesen, Anregung und Kritik sind wie immer willkommen.

Herzliche Grüße
Jörg
Hier geht's zur Vorstellung: Klick !
Und hier zur Webseite des MKB: Klick !

Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

Roderich Römhild

Tolle Bilder! Ich frage mich jedes mal, wie solche Aufnhmen zustandekommen.

Ich habe gestern auch noch einmal nachgeschaut, und bin zu auch zu einer soartigen Leitbündelanordnung gekommen.

Die Zaubernuss ist eben einfach anders. :)

FG

Rodi

Klaus Herrmann

Lieber Jörg,

reine Verzauberung, was Du da machst mit der Zaubernuß! :)
Eine einzige Frage: in dem letzten sw-Bild sind die Tüfel blau. Wie hast Du das hingezaubert?
Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


ich ziehe das freundschaftliche "Du" vor! ∞ λ ¼


Vorstellung: hier klicken

Detlef Kramer

Lieber Jörg,

wie immer saubere Arbeit.

Heute muss ich mal den Advocato diaboli spielen. Du schreibst:
ZitatWiederum ist am Übergang vom Xylem zum Phloem kein Cambium erkennbar.
bei diesem Foto (Ausschnitt)



Was ist denn dann das Gewebe, welches ich mit den blauen Pfeilen markiert habe? Nun, ich werde jetzt nicht behaupten wollen, dass dies tatsächlich ein funktionierendes Kambium sei, nachdem ich jahrelang gepredigt habe, dass es in Blättern kein sekundäres Dickenwachstum gibt. Aber, man muss vorsichtig sein. Aussehen tut es jedenfalls wie Kambium und das ist nichts ungewöhnliches. Es wächst aber bestimmt nicht - oder? Laut Lehrbüchern jedenfalls nicht.

Mit diesem kauzigen Einwurf genug für den Augenblick ;D

Herzliche Grüße

Detlef
Dr. Detlef Kramer, gerne per DU

Vorstellung: Hier klicken

Mila

Lieber Jörg,

klasse Bilder!

Schöne Ergänzung zu Roderichs thread.

Herzliche Grüße
Mila

Fahrenheit

#5
Liebe Freunde,

vielen Dank für Euer Lob, es hat mich sehr gefreut.

Lieber Roderich,

eigentlich nutze ich eine sehr einfache Kameraadaption: eine Canon Powershot A520 (die den Vorteil hat, per Programm komplett am PC fernsteuerbar zu sein) mit den  zugehörigen Filteradapter von Canon, einem Zwischenring von Klaus (52 mm Aussengewinde auf 28 mm Innengewinde) und einem Leica Periplan Okular mit angedrehtem 28 mm Gewinde.

Das ganze schaut dann so aus:

Die Adaption ist nicht ganz optimal (mit einem Zeiss KPL 10 Brille geht es besser), reicht aber aus, wenn die Bilder gestacked werden.

Die Konstruktion kommt einfach statt eines Beobachtungsokulars ans Mikroskop. Nach dem Einstellen der Bildparameter über die Software mache ich dann einen Z-Stack und wähle das passende Bild bzw. die passenden Bilder aus. Die Erfahrung hält den Ausschuss in Grenzen.

ZitatDie Zaubernuss ist eben einfach anders
: Ja, so schrecklich normal. Sie gönnt sich höchstens mal ein kleines Zierschleifchen am Leitbündel.  ;D

Lieber Klaus,

ganz einfach: es handelt sich nicht um SW-Bilder sondern um Farbaufnahmen. Der leicht angetrocknete Schnitte zeigte sich halt in dieser minimalistischen Form. Wenn man genau hin sieht, kann man einige Töne Olivgrün entdecken und das Blau der Tüpfelränder wird wohl auf einem Beugungseffekt beruhen.

Lieber Detlef,

da streife ich mir doch sogleich die weiße Robe des Advocatus angelici über und steige in den Ring.  ;D

Nach meinem Wissenstand entsteht das Gewebe der Pflanzen und Pflanzenteile ohne sekundäres Dickenwachstum aus entsprechenden Meristemen von den jeweiliegen Wachstumsknoten aus beginnend.
Ob hier noch ein merestematisches Gewebe vorliegt, wage ich nicht zu beurteilen. Es könnten jedoch inequale Zellteilungen mit nach aussen hin größer werdenden Zellen stattgefunden haben, um die Versorgungsleistung des Phloems mit wachsender Blattgröße zu steigern.
Für ein echtes Cambium fehlen mir hier die "Ausdifferenzierungsstreifen" reifender Zellen zum Phloem und zum Xylem hin. Bei Sprossquerschnitten schaut das ja mit den mehrreihigen "Backsteinzellen" etwas anders aus:


Wie hier beim Buchsbaum: in der Mitte das Cambium, beidseitig flankiert von den "Backsteinzellen, dann oben das Xylem und unten das Phloem sich anschließend.

So lieber Advocatus diaboli, nun plädieren Sie!  ;) ;)

Disclaimer: es ist immer wieder schön, wenn man aufgrund mangelnder Erfahrung nicht von Zweifeln gebremst wird. Ich bin halt kein Biologe sondern habe nur ein paar Bücher gelesen.  ;D ;D ;D

So, wo die Robe nun wieder im Schrank ist: liege ich mit meinen Vermutungen zur Gelenkfunktion des verdickten Abschnitts des Blattstiels einigermaßen richtig oder war das völlig daneben?

Herzliche Grüße
Jörg
Hier geht's zur Vorstellung: Klick !
Und hier zur Webseite des MKB: Klick !

Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

Detlef Kramer

Lieber Jörg,

1. gut pariert!
Zitats könnten jedoch inequale Zellteilungen mit nach aussen hin größer werdenden Zellen stattgefunden haben, um die Versorgungsleistung des Phloems mit wachsender Blattgröße zu steigern.

Das wäre dann aber sekundäres Wachstum. Sei es drum, ich habe mich daran gewöhnt, dass in der Botanik nicht alles so grundsätzlich ist, wie man es als systematisch ordnender Mensch es gerne hätte.

2. Deine Hypothese zur Gelenkfunktion klingt plausibel. Gesicherte Erkenntnisse dazu kenne ich nicht.

Herzliche Grüße

Detlef
Dr. Detlef Kramer, gerne per DU

Vorstellung: Hier klicken

Fahrenheit

Lieber Detlef,

danke für die Blumen!  :)

Um hier genaueres zu erfahren, müsste man wohl in kurzer zeitlicher Folge die Entwicklungsstadien des Blattes in Serienlängsschnitten präparieren. Dann könnte man wohl erschließen, wie sich die Gewebe entwickeln.
Das ist das Diplomarbeitsthema, das schon seit Jahrzehnten in der Schublade verstaubt, weil es ob des zu erwartenden Aufwands keiner haben will ...  ;D

Leider haben wir keine Zaubernuss mehr im Garten, an der sich die Blattbewegung prüfen ließe ... nach meiner Erinnerung kann die Pflanze aber ganz schön die "Flutschen hängen lassen".

Herzliche Grüße
Jörg
Hier geht's zur Vorstellung: Klick !
Und hier zur Webseite des MKB: Klick !

Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

Mila

Lieber Jörg,

ich werde mal scharf meinen Hexenhasel beäugen und Fotos machen,

herzliche Grüße
Mila

Fahrenheit

Liebe Mila,

herzlichen Dank für Dein Angebot! Ich freue mich auf Deine Bilder.

Ich bin gespannt, ob sich meine Theorie zumindest makroskopisch belegen lässt.

Herzliche Grüße
Jörg
Hier geht's zur Vorstellung: Klick !
Und hier zur Webseite des MKB: Klick !

Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM