Botanik: Corylus avellana - Stamm quer *

Begonnen von Muschelbluemchen, Dezember 12, 2010, 13:15:58 NACHMITTAGS

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Fahrenheit

Lieber Klaus,

die Schnitte sind vorgestern gut bei mir angekommen (Lieber Leopold, auch hier noch mal herzlichen Dank!). Vor Weihnachten wird das wahrscheinlich nichts mehr, aber ich werde mich mit eigenen Färbeversuchen zurückmelden.

Herzliche Grüße
Jörg
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Fahrenheit

Lieber Klaus, lieber Leopold,

die Haselnussschnitte liegen nach der Färbung gerade im letzten Wasserbad. So viel vorweg: ich kann die Ergebnisse von Leopolds Färbung bestätigen.
Mehr, wenn die Präparate fotogen genug für einige Aufnahmen sind - aber ich glaube, hier sind die Pflanzenanatomie-Experten gefragt. Es muss eine Erklärung außerhalb der Präparationsprozesse geben.

Herzliche Grüße
Jörg 
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Mila

Lieber Leopold,

warum auch immer habe ich Deinen Beitrag erst jetzt gesehen, tut mir leid :-[

Die Darstellung der Tüpfelkanäle ist ja sensationell, Dankeschön!

Und ich durfte zwischenzeitlich auch live Deine Schnitte begucken, auch dafür sehr herzlichen Dank!!!

Viele Grüße, frohe Weihnachten und guten Rutsch,
Mila

Fahrenheit

Liebe Pflanzenfreunde,

wie versprochen, hier nun meine Aufnahmen von Leopolds Schnitten. Diese habe ich nach Wacker W3A gefärbt: Eckhardschen "Eintopfmethode" in einem Uhrglas; Acridinrot 1% in Ethanol 50% für ca. 8 Minuten; Acriflavin 1% in Aqua dest. für ca. 20 Sekunden, Astrablau 1% in Aqua dest. mit einem Tropfen Acriflavin für ca. 30 Sekunden. Eingedeckt habe ich über Isopropanol in Euparal.

Bild 1: zunächst ein Überblick bei 50-facher Vergrößerung, Stapel aus 15 Bildern

Wie man sieht, zeigen sich die gleichen beiden charakteristischen Streifen wie in Leopolds Präparaten.

Bild 2a/b: da müssen wir wohl mal etwas genauer hin sehen, Bild 2b mit Beschriftung (Vergrößerung 200x, Stapel aus 8 Bildern)


Von innen nach außen:
MP : Markparenchym
Am : mehrlagiger Ring am Rande des Markparenchyms mit Parenchymzellen voller Amyloplasten
       (hier vermute ich, dass der Zweig nach dem Abfallen der Blätter geschnitten wurde.
       Die Amyloplasten liefern die erste Energie für den nächsten Austrieb im Frühjahr)
PXL : Primäres Xylem
T    : Tracheen
MS  : Markstrahl
X    : "Falschfarbenzellen"  :D
Es ist schon zu erkennen, dass die X-Zellen für Xylemzellen untypisch verdickte Zellwände haben, die nicht lignifiziert sind, so wie es Leopold bereits beschrieben hat.

Bild 3a/b: da geht noch was! 3a unsere "X-Zellen", 3b normales Xylemgewebe aus dem gleichen Schnitt; Vergrößerung 400x, Stapel aus jeweils 5 Bildern


Nun ist der Unterschied ganz deutlich zu erkennen, es handelt sich nicht um Farbansammlungen in den Zellen.

Bild 4a/b: Auf die Cellulose geschaut! 4a die "X-Zellen", 4b normales Xylemgewebe aus dem gleichen Schnitt; Vergrößerung 400x (größere Kameraobjektiv-Brennweite als bei den Bildern 3), Stapel aus jeweils 5 Bildern


Deutlich ist zu sehen, dass die Zellwände der Zellen in Bild 4a nach innen verdickt sind. Auf eine vergleichsweise dünne, lignifizierte Wandschicht (rot im Bild) folgt die Verdickung aus Cellulose (blaugrün). Es lässt sich sogar eine Schichtung erahnen.

Bild 5: Bild 4a mit Maßstab, Vergrößerung 400x, Stapel aus 5 Bildern

Die Trachee hat einen maximalen Innendurchmesser von ca. 45 µm. Die Cellulose-Wände sind zwischen 2,5 und 4 µm dick. Nur die Xylemzellen weisen die verstärkten Zellwände auf, die dazwischen liegenden Zellen der Markstrahlen und die Tracheen sind nicht betroffen.

Da die Celluloseeinlagerungen nur auf ca. einem Viertel des Sprossquerschnitts auftauchen, nehme ich an, dass sie eine Reaktion der Pflanze auf eine länger andauernde, einseitige Belastung des Zweiges darstellen und somit der Stabilisierung dienen. Liege ich mit meiner Interpretation richtig, oder gibt es andere Erklärungen?

Noch zwei Detailbilder aus dem Schnitt:

Bild 6: Primäres Xylem und Markparenchymzellen mit Amyloplasten, Vergrößerung 400x, Stapel aus 8 Bildern


Bild 7: eine große Steinzelle mit Tüpfelkanälen im Sklerenchymring außerhalb des Phloems, Vergrößerung 400x, Stapel aus 3 Bildern

Neben normalen sklerenchymatischen Zellen (kleiner Zelltyp mit satt roten Zellwänden) finden sich immer wieder Nester mit großen Steinzellen, die gelb-orange eingefärbt sind. Die große Steinzelle in der Bildmitte hat eine Länge von ca. 53 µm, ihre Tüpfelkanäle sind 5 bis 7 µm lang.

Herzliche Grüße
Jörg
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Klaus Herrmann

Lieber Jörg,

das ist Oberklasse!

Und Leopold ist voll rehabilitiert! Dass Zug- (oder ist es Druckholz?) eine so abweichende chemische Zusammensetzung hat.

Wäre wirklich eigenartig, wenn das noch nicht untersucht ist.

Deine Detailbilder sind lehrbuchreif!

Jetzt brauchen wir nur noch jemanden, der uns das erklärt!
Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


ich ziehe das freundschaftliche "Du" vor! ∞ λ ¼


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Fahrenheit

#20
Lieber Klaus,

frohe Weihnachten und vielen Dank für die Blumen!  :)

Gestern Abend war es mir zu spät, aber eben habe ich mal nach Reaktionsholz bzw. Druckholz (Nadelbäume) und Zugholz (Laubbäume) gegoogled und interessante Links gefunden, von denen ich hier eine kleine Auswahl anhänge:

Die FH Eberswalde hat eine Vorlesung zur Holzkunde im Netz, dort heißt es unter dem Punkt 2.4.2.2 Reaktionsholz:
Zitat2.4.2.2.2        Zugholz

Ähnlich dem Druckholz von Nadelhölzern bildet sich Zugholz bei Laubhölzern bei besonderen Belastungen aus, insbesondere an schiefstehenden Bäumen. Zugholz sieht weißlich, glasig ohne erkennbaren Jahrringaufbau aus. Es hat einem höheren Cellulosegehalt. Hinsichtlich dem Verhalten beim Quellen und Schwinden ist es ähnlich negativ zu beurteilen wie Druckholz. Es ist vielfach oberhalb von Astansatzstellen zu beobachten. Zugholz ist ohne Hilfsmittel an den Querschnittsflächen schwerer erkennbar. Durch Anfärben mit Cellulosereagenzien lässt sich Zugholz an Schnittflächen wegen seines höheren Cellulosegehaltes gut erkennen.

Hier wird explizit der höhere Cellulosegehalt angesprochen, was die Schnittfärbungen ja auch schön zeigen.

Du hast natürlich recht: das Thema wird erforscht, zumal es wirtschaftliche Bedeutung für die holzverarbeitende Industrie hat: die forest commission in Großbritannien unterhält z.B. eine Arbeitsgruppe Cell wall macromolecules and reaction wood (CEMARE)

Und bei der Universität für Bodenkultur in Wien gibt es noch ein kleines Bild mit Querschnitten.

Zu guter Letzt noch der Hinweis auf den entsprechenden Artikel zu Holzfehlern in der Wikipedia, dort heißt es zu Reaktionsholz:
ZitatReaktionsholz (Druckholz / Zugholz) [Bearbeiten]

Wird ein Baum durch Hanglage, durch exponierte Windlage oder durch den Druck von Schneemassen einseitig belastet, bildet sich Reaktionsholz und ein exzentrischer Wuchs. Nadelhölzer bilden talwärts Druckholz; auf der belasteten Seite teilen sich die Kambiumzellen schneller und es entstehen dickere Zellwände. An der rötlichen Färbung erkennt man, dass der Ligninanteil hier höher ist; das Holz ist hart, spröde und schwindet stark. Laubhölzer reagieren dagegen hangwärts mit der Bildung von Zugholz; der Zelluloseanteil ist hier höher, die Zellwände sind mikroskopisch gewellt, man erkennt es an seiner hellen Farbe. Es ist rau und schwindet ebenfalls stark. Wird Reaktionsholz verarbeitet, besteht besonders an der Kreissägemaschine durch Klemmen hohe Unfallgefahr.

Ich denke, damit können wir das Rätsel des "Was?" als gelöst betrachten. Aber "Wie?" merkt die Pflanze die Belastung und wie wird das Wachstum gesteuert?

Lieber Leopold,

auch Dir eine frohe Weihnacht und noch mal vielen Dank für diese sehr interessanten Schnitte!

Herzliche Grüße
Jörg
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Muschelbluemchen

Hallo Jörg

Herzlichen Dank für deine supertollen Aufnahmen und ich habe auch wieder was dazugelernt!
Die Probe habe ich am Wienfluss geerntet (Fluss ist vielleicht etwas übertrieben), doch
der Ast ist in Richtung Fluss gewachsen und war somit nicht von benachbarten Pflanzen geschützt
und war da natürlich wesentlich stärker Winddruck und Schneedruck ausgesetzt.
Ich habe dort noch von anderen Pflanzen Proben gesammelt und die zeigen fallweise ähnliche
Anpassungen!.

mit herzlichen Mikrogrüßen
Leopold

Mila

Lieber Jörg,

vielen Dank für diese Fortbildung! :)

Die Fotos zusammen mit den Erläuterungen: wirklich klasse.

Herzliche Weihnachtsgrüße
Mila

Detlef Kramer

Liebe Mila, lieber Leopold,

Ihr habt uneingeschränkt recht! Jörg macht mich überflüssig! Jedenfalls eine tolle Recherche!

Schöne Weihnachten für Euch Alle,

Detlef
Dr. Detlef Kramer, gerne per DU

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Fahrenheit

Liebe Freunde,

frohe Weihnacht und vielen Dank für Euer Lob!

Lieber Leopold,

ja, das könnte die Erklärung sein!

Lieber Detlef,

nein, ganz sicher nicht!  :)

(@ all)
Offen bleibt ja auch noch die Frage nach dem "Wirkmechanismus": mit welchen Sensoren erkennt die Pflanze die einseitige Belastung und wie regen diese wiederum die Cellulosebildung in oder an den Zellwänden an?

Herzliche Grüße
Jörg
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Rawfoto

Hallo Joerg

Die Bilder haben eine unglaubliche Qualität, hast Du nicht noch vor kurzem Probleme mit Deiner Fotoausrüstung am Mikroskop vermeldet ...

@ alle Beteiligten

Ich finde den Beitrag spitze :-)

Gerhard
Gerhard
http://www.naturfoto-zimmert.at

Rückmeldung sind willkommen, ich bin jederzeit an Weiterentwicklung interessiert, Vorschläge zur Verbesserungen und Varianten meiner eingestellten Bilder sind daher keinerlei Problem für mich ...

beamish

Danke an alle Beteiligten!
Dieser Thread war für mich noch viel lehrreicher als die von mir sowieso geschätzten Dokumentationen Eurer botanischen Schnitte.
Euer Nachfragen, recherchieren und die wissenschaftliche Neugier befriedigen, wunderbar!

Herzlich

Martin
Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D


Fahrenheit

#28
Lieber Gerhard,

mh, man ist halt nie zufrieden. Die Aufnahmen sind in der nativen Auflösung der Kamera (2272*1704 Punkte) bei weitem nicht so schön scharf. Das Herunterrechnen auf 800*600 Punkte mit leichtem Nachschärfen bringt einen erstaunlichen Qualitätsgewinn.

Lieber Martin,

nichts zu danken: genau das macht das Forum aus.  :)

Lieber Leopold,

danke für die interessanten Links! In der Richtung habe ich auch noch einen etwas älteren Aufsatz mit einem netten Experiment gefunden:

In seinem Aufsatz "Bildung von Reaktionsholz durch Zentrifugalbeschleunigung" von 1967 schreibt G. Casperson:
ZitatDamit ist erwiesen, dass die Zentrifugalkraft gleichartig wie die Schwerkraft einwirkt und die Massenbeschleunigung als Ursache für die Reaktionsholzbildung anzusehen ist.
Dazu hat er im Experiment Kastaniensprösslinge auf einer Art Zentrifuge in wechselnder Dauer und Intensität "geschleudert" und die Ergebnisse anhand mikroskopischer Schnitte bewertet.
Interessant ist, dass die Krafteinwirkung mindestens 24 h andauern muss. Weiterhin findet die Ausdifferenzierung nach den Untersuchungen von Casperson bereits in den Cabiumzellen statt, bereits ausgebildete Xylemzellen werden damit nicht in irgendeiner Weise umgewandelt.

Raven/Evert/Eichhorn und Strasburger gehen auch nicht weiter, als der Esau.

Damit wäre nun der Auslöser bekannt. Der Wirkmechanismus ist jedoch noch offen. Sorry, auch nach intensiverer Suche konnte ich dazu nichts finden.

Herzliche Grüße
Jörg
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