Interessante Pilzfunde 85 – Rauchfarbiger Milchling

Begonnen von Bernd Miggel, August 25, 2023, 17:33:00 NACHMITTAGS

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Bernd Miggel

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Einführung, Lebensweise und Verbreitung

Vor ein paar Tagen schickte mir Pilzfreund Dieter Gewalt den frischen Hut eines Milchlings mit der Bitte, die Art zu bestimmen. Wie sich dann herausstellte, handelte es sich um den Rauchfarbiger Milchling Lactarius azonites. Diese Art stellt einen typischen Vertreter der Gruppe der ,,Korallenreizker" (Sekt. Plintogali) dar. Allen neun in Deutschland vorkommenden Arten dieser Sektion ist gemeinsam, dass ihre Milch bei Verletzungen reinweiß hervortritt, sich danach aber innerhalb mehrerer Minuten ins Rote umfärbt. Der Rauchfarbige Milchling liebt basenreiche Böden, z.B. Kalkböden, und geht eine Mykorrhiza vorzugsweise mit Eichen oder Rotbuchen ein. Die Roten Liste gefährdeter Pilze Deutschlands (2016) führt ihn als ungefährdet.

Makrofotos: Dieter Gewalt und Frank Kaster.

Bild 1 - Fruchtkörper am Fundort unter Eichen. Der kleine Fruchtkörper unten links hat die roten Farbzonen von der sich umfärbenden Milch erhalten. Foto: Frank Kaster.


Bernd Miggel

#1
Makroskopische Merkmale

Wir haben es mit einer nur mäßig großen Art mit Hutbreiten von bis zu 80 mm zu tun. Der Hut ist zunächst konvex, verflacht bald und bekommt im ausgewachsenen Stadium eine vertiefte Mitte. Gerne sind die Hüte unregelmäßig gelappt, wie es z.B. Bild 1 zeigt. Die Hutoberfläche ist fein samtig bereift und im feuchten Zustand etwas schmierig (siehe unten bei ,,Notizen"). Der Hutrand junger Exemplare ist meist  glatt, bei älteren Exemplaren oft gekerbt oder gefurcht. In der Farbe blass ocker, milchkaffeefarben, hell rauchgrau oder auch cremefarben bis weißlich, immer relativ hell. Dabei erscheinen die Farbtöne meist nicht klar, sondern eher trüb, ,,wolkig" und sind auf dem Hut mitunter ungleichmäßig verteilt. 


Bild 2 (oben) und Bild 3 (darunter) zeigen dieselbe Population, fotografiert im zeiltlichen Abstand mehrer Minuten. Man beachte beim großen, umgedrehten Exemplar die Bruchstelle des Stiels: Während diese im oberen Foto noch reinweiß erscheint, ist sie im unteren Foto bereits rot umgefärbt!  Bild 2: Dieter Gewalt, Bild 3: Frank Kaster.




Bernd Miggel

#2
Die Lamellen sind recht ungleichmäßig gewachsen, mal stehen sich eher entfernt, mal stehen sie dicht. Außerdem sind sie meist stark mit Lamelletten untermischt, oft in Stielnähe gegabelt und bei älteren Fruchtkörpern queradrig verbunden. In der Farbe entwickeln sie sich von creme über ocker bis hin zu blass orange. Eine besondere Aufmerksamkeit verdienen die Stiele. Sie sind zylindrisch und stets heller als der Hut, meist rein weiß oder cremefarben. Das Fleisch ist fest und weiß. Im Schnitt verfärbt es sich innerhalb von Minuten zu Hellrosa um. Der Geschmack des Fleisches reicht in der Fachliteratur von mild bis bitterlich oder schärflich. Ich persönlich empfand ihn als mild. Ein typischer Geruch wurde nicht festgestellt. Die leicht scharfe Milch tritt üppig und weiß aus verletzten Stellen hervor, verfärbt dann das benetzte Fleisch rosa und trocknet rosa auf. Lässt man die Milch auf einen Objektträger abtropfen, bleibt sie weiß.


Bild 4
– Es zeigt den reinweißen Stiel eines Exemplares mit hellrosa Druckstellen. Foto: Dieter Gewalt.



Bernd Miggel

#3
Mikroskopische Merkmale

Der Rauchfarbige Milchling besitzt die für die Korallenreizker typischen, hochgratigen Sporen. Sie sind bei unserer Art rundlich und besitzen eine aus  Graten mit offenen und geschlossenen Maschen bestehende Ornamentation. Dabei erreichen die Grate eine maximale Höhe von 1,5 µm oder leicht darüber. Isolierte Warzen sind nur wenige vorhanden. Die Ornamente sind amyloid, der Hilarfleck ist es nur am distalen = äußeren Ende. Die Maße betragen:

L x B = 6,3-8,0 x 6,1-7,3 µm       Schlankheitsgrad Q = 1,05-1,09


Bild 5 –  Sporen in Melzers Reagenz. Foto: Bernd Miggel.


Bernd Miggel

#4
Mikroskopiert man die Lamellen, wird man weder an der Lamellenschneide noch an der Lamellenfläche echte Zystiden (,,Makrozystiden") entdecken. An der Lamellenschneide findet man lediglich dünnwandige Marginalzellen (Bilder 6 und 7). Nach der Fachliteratur sollte die Lamellenschneide steril sein. Das scheint aber aus meiner Sicht nur bedingt zu stimmen: Einige wenige Basidien sind vorhanden, wie es Bild 7 zeigt.


Bilder 6 und 7 – Lamellenschneide, mikroskopiert in NH3-Kongorot. Fotos: Bernd Miggel.




Bernd Miggel

#5
Die Huthaut besteht aus einer Schicht sogen. ,,pseudoparenchymatischer Hyphen", das sind mehr oder weniger subglobose Zellen, aus denen schlanke Hyphenenden hervorgehen (Bild acht). Zur Veranschaulichung wurden zwei dieser Hyphen nachgezeichnet.


Bild 8
–  Radialschnitt der Huthaut, mikroskopiert in NH3-Kongorot. Foto: B. Miggel.




Bernd Miggel

#6
Notizen
•    Die bei feuchtem Wetter auffällige Schmierigkeit der Huthaut ist wohl auf eine minimale Verschleimung zurückzuführen, die mikroskopisch nur schwer nachzuweisen sein dürfte. In keiner der mir zugänglichen Literatur findet diese Auffälligkeit Erwähnung.
•    Eine aus pseudoparenchymatischen Zellen bestehende Huthaut findet sich auch bei den Täublingen, beispielsweise beim Grüngefelderten Täubling Russula virescens. In BASSO, M.T. (1999) findet sich zu Lactarius azonites die treffende Bezeichnung ,,Pileipellis di tipo virescens".

Unterschiede ähnlicher Arten gegenüber dem Rauchfarbigen Milchling
•  Rosaanlaufender Milchling (L. acris). Der Hut ist sehr schleimig, die Milch verzögert sehr scharf und verfärbt sich auch ohne Kontakt mit dem Fleisch rosa.
•  Rußfarbener Milchling (L. fuliginosus). Eine sehr ähnliche Art. Allerdings sind die Stiele wesentlich dunkler als bei unserer Art.
•  Flügelsporiger Milchling (L. pterosporus). Bei ihm ist die Huthaut meist deutlich radial gerunzelt. Die Sporenornamentation besteht aus bis zu 2,5 µm hohen Graten.
•  Pechschwarzer Milchling (L. picinus). Ein Fichtenbegleiter mit sehr dunklem Hut und dunklem Stiel.
•  Mohrenkopf-Milchling (L. lignyotus). Eine mild schmeckende Art der Fichtenwälder, mit schwarzbraunem Hut und Stiel sowie im krassen Gegensatz dazu kreideweißen Lamellen.
•  Fleischblasser Milchling (L. pallidus). Komplett cremefarbiger Fruchtkörper mit klebrig-schleimigem Hut sowie echten Cheilo- und Pleurozystiden (,,Makrozystiden"), die in Sulfovanillin schwärzen. Sporenornamentation zebriert, d.h. aus parallel verlaufenden Graten bestehend. Die Huthaut besteht aus schräg verlaufenden, in eine schleimartige Masse eingebetteten Hyphen (einem ,,Ixotrichoderm").



Literatur

•    BASSO, M.T. (1999): Lactarius Pers. Fungi Europaei 7: 644-650.
•    DÄHNKE, R.M. (1993): 1200 Pilze in Farbfotos: 948.
•    HEILMANN-CLAUSEN, J., VERBEKEN, A. & VESTERHOLT, J. (2000): The genus Lactarius: 238-241.
•    KIBBY, G. (2014): British Milkcaps. Lactarius & Lactifluus: 26 & Pl. 61.
•    KRÄNZLIN F. (2005): Pilze der Schweiz Bd. 6, Russulaceae: Nr. 6.
•    KRIEGLSTEINER, G.J. (2000): Die Großpilze Baden-Württembergs, Bd. 2: 377-378.
•    MICHAEL, M., Hennig, B. & Kreisel, H. (1977): Handbuch für Pilzfreunde Band III: Nr. 57.
•    VERBEKEN A. et al. (2018): Lactarius Pers. In: Flora Agaricina Neerlandica, Volume 7: 340-341.
•    http://tintling.com/pilzbuch/arten/l/Lactarius_azonites.html
(abgerufen am 23.8.2023).
•    https://de.wikipedia.org/wiki/Rauchfarbener_Milchling
(abgerufen am 23.8.2023).
•    https://fundkorb.de/pilze/lactarius-azonites-rauchfarbener-milchling


Viel Freude beim Anschauen!
Bernd




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Bernd Miggel

Ergänzung:
Hier noch ein Abzieh-Präparat der Huthaut, und zwar der obere Rand des Präparates. Man erkennt deutlich die rundlichen Hyphenabschnitte, aus denen nach oben hin die langen Hyphenenden hervorgehen. Allerdings braucht es etwas Fantasie.  ;)

Viele Grüße
Bernd