Leitz A-Stativ mit Binokulartubus nach JentzschDas Mikroskop, das ich heute vorstellen möchte, ist ein großes Mikroskop von Ernst Leitz Wetzlar aus dem Jahre 1922 (lt. anderer Tabelle offenbar 1924). Das A-Stativ mit dem noch recht gründerzeitlich anmutenden schweren Messingfuß zeichnet sich dadurch aus, das neben dem großen Monokulartubus, der auch für photographische Zwecke ausgelegt ist, auch ein
Binokulartubus montiert werden kann.



Offenbar inspiriert durch das von Carl Pulfrich 1904 konstruierte Vergleichsmikroskop, dessen Teilerprisma aus zwei Einzelprismen aufgebaut war, deren Kittflächen vor dem Zusammenkitten mit einer halbdurchlässigen Verspiegelung versehen wurden, stellte Ernst Leitz Überlegungen über einen Binokulartubus an. Felix Jentzsch, Assistent an der Giessener Universität, wurde mit der Entwicklung eines entsprechenden Tubus betraut. Der Biokulartubus nach Jentzsch war 1913 serienreif. Er ermöglichte ein binokulares Sehen bei Verwendung aller Okulare und Objektive des Leitz-Sortiments. Die Okularstutzen waren als Schlitten in einem Bereich von 54 bis 70 mm über ein zentrales Stellrad parallel zu verschieben, einer war mit einem Dioptrienausgleich ausgestattet. (Gerlach: Geschichte der Mikroskopie, Frankfurt 2009, S 246ff). Die Verspiegelung der Kittschicht ist als grundsätzliches Konstruktionsprinzip bis heute erhalten geblieben (Moe: The Story of the Microscope, Dänemark 2004, S 178f). Der zunächst fest eingebaute Tubus wurde später auswechselbar, wobei als Zubehör für monokulare Mikroskope auch ein nachrüstbarer Tubus ins Programm aufgenommen wurde.
Mein Mikroskop verfügt über einen Wechselschlitten, der es erlaubt, die Tuben mit wenigen Handgriffen zu tauschen. Hierbei wird ein kleiner Klemmhebel gelöst und der Tubus in seiner Führung nach oben heraus gezogen und der entsprechende Wechseltubus von oben wieder hinein gesteckt und festgeklemmt. Diese Konstruktion sollte im Wesentlichen bis zum Ortholux erhalten bleiben!





Das B-Stativ ist enorm schwer, das Mikroskop allein wiegt bereits 7 kg – ohne Transportschrank. Es ist ein großer dreh- und zentrierbarer Kreuztisch montiert, dessen Gängigkeit einstellbar ist. Das Mikroskop verfügt über einen großen Abbeschen Beleuchtungsapparat. Der 3-fach-Revolver ist mit den Achromaten 2, 4 und 6 bestückt. Mitgeliefert wurden ein Okularpaar 4x, jeweils ein mit „0“, „2“ bzw. „3“ graviertes Okularpaar, zwei Compens Okulare 18x sowie ein Oklarpaar 8x, das bereits die Gravur „Periplan“ trägt. Ferner gehören ein großer Monokulartubus mit aufsteckbarer Blende sowie ein Drehtisch mit zwei Halteklammern zum Lieferumfang.
Das Mikroskop weist durchschnittliche Gebrauchsspuren auf, die Mechanik ist in Ordnung, abgesehen vom X-Trieb des Kreutisches, der gelegentlich aushakt; Spiegel und Optik sind einwandfrei. Man kann mit dem Mikroskop problemlos auch heute noch arbeiten, sofern man über eine entsprechende Lichtquelle oder ausreichendes Tageslicht verfügt. Das Bild ist absolut akzeptabel, das Gesichtfeld allerdings recht klein.
Was ich an dem Mikroskop mag? Kein Leitz wie jedes andere – schön und
binokular!
Außerdem darf der Binokulartubus nach Jentzsch wohl als Meilenstein in der Mikroskopentwicklung angesehen werde. Die ersten Konstruktionen sind übrigens erhalten geblieben: die unlackierten Tuben liegen in der letzten Vitrine der Beck’schen Sammlung im neuen Rathaus in Wetzlar.

Das Nachfolgemodell, das bereits mit einem geneigten Biokulartubus mit Umlenkprisma ausgestattet ist, hat es bin in die Höhle des Löwen geschafft - es steht im Optischen Museum Jena.

Herzliche Grüße,
Florian