Histologie des Skelettmuskels II: Ein biologisches Diffraktionsgitter!

Begonnen von Alfons Renz, Juni 30, 2011, 00:38:29 VORMITTAG

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Alfons Renz

Liebe Mikroskopiker,

Die strenge Abfolge heller und dunkler Banden im Skelettmuskel, mit Eisenhämatoxylin gefärbt, hat schon machen Mikroskopiker zum Experimentieren verleitet: Wir alle kennen das Phänomen, dass Hinterschinken, insbesondere dann, wenn er schon etwas älter ist, bei schräg einfallendem Licht, aus einen bestimmten Winkel betrachtet, in allen Farben schillert. Schon Leuvenhook, der als erster die Querstreifung des Muskels beobachtet hat, sah diese am deutlichsten an einer Muskelfaser, die er sich aus einem hohlen Zahn gestochert hatte.

Ähnliche regelmässige Abfolgen heller und dunkler Muster kennt man sonst noch von Diatomeenschalen oder im Holz, und beide Objekte lassen sich für solche Versuche ebenso verwenden, wenn auch nicht so schön:



Dieses Präparat wurde im Tübinger Kurs für Mikroskopie von Prof. Haselmann zur Demonstration der Diffraktion am Strichgitter verwendet. Legt man es auf den Objekttisch (ohne Kondensor!!) und beleuchtet es mit parallelem Strahlengang, so funkelt dieses rabenschwarze Präparat wie ein Juwel in allen Farben:



Aber nur, wenn man in einem ganz bestimmten Winkel auf das Präparat schaut.

Diesen Winkel misst man mit einen angelegten Geo-Dreieck, in unserem Fall ziemlich genau 55 Grad (Markierung mit Dreieck).





Für diesen Winkel gilt die Gleichung der Gitterkonstanten, und daraus lässt sich bei bekanntem Winkel (55 Grad) der Abstand der Gitterlinien berechnen. Ca 1 µm in unserem Beispiel (Berechnung siehe Bild).

Das überprüfen wir - nach Einsetzen des Kondensors - durch Vermessung des Bandenmusters unseres Präparats:







Zur Messung legt man ein Objektmikrometer statt des Muskels unter das 100x-Objektiv und vergleicht den Abstand zwischen zwei Linien:



Der Abstand zwischen zwei Banden des Muskels beträgt also circa 1 µm, q.e.d.

Dies stimmt ganz gut mit der elektronenmikroskopischen Beschreibung des Aufbaus des Sarkolemms überein:



Nun kommt noch ein letzter Test: Man nimmt (bei 100-fach vergrößerdem Objektiv) das Okular heraus und schaut (mit Diopter oder Beobachtungsfernrohr) in die hintere Brennebene des Objektivs:



Man sieht sehr gut den ersten und auch noch gerade den zweiten abbildenden Strahl, der nach Abbe das Auflösungsvermögen definiert. Zwar nicht ganz so schön (weil nur in einer Richtung periodisch), wie mit der von ihm entwickelten Testplatte (hier mit schwacher Vergrößerung/Apertur!):



Aber für den Hausgebrauch des finanziell immer klammen Mikroskopikers durchaus brauchbar, wenn man damit die Apertur von Objektiven testen möchte, oder die Funktion eines biologischen Gitters erklären möchte. Z.B. angesichts eines grünlich schillernden Schinkens.

Mit herzlichen Diffraktionsgrüßen,

Alfons



Holger Adelmann

Sehr netter Versuch, lieber Alfons,

schöner kann man die Bildentstehung durch Diffraktion im Milkroskop mit diesen einfachen Mitteln nicht zeigen  :)

Das erinnert mich an eine Versuchsreihe die ich vor vielen Jahren einmal mit Juergen Stahlschmidt und dem Abbe'schen Diffraktionsapparat gemacht habe. Wenn ich Zuhause bin stelle ich dazu passend noch ein paar Beispiele ein.

Herzliche Gruesse
Holger


Ronald Schulte

Alfons,

Sehr interessantes Thema!
Kann mich nur schlecht vorstellen das in so ein Schwarzes Präparat überhaupt noch was zu sehen gibt.
Weist du zufällig ob es eine Heidenhainsche Färbung ist?

Grüße Ronald
Mikroskope:
Leitz Orthoplan (DL, AL-Fluoreszenz und Diskussionseinrichtung).
Leica/Wild M715 Stereomikroskop.
Mikrotom:
LKB 2218 Historange Rotationsmikrotom.

hinrich husemann

#3
Hallo Abbe-Fans,
nur zur Ergänzung: Abbe-Theorie mit Hilfe einer dünnen Schinken-Scheibe (habe ich Dez. 2009 schon mal gezeigt: "Abbe-Theorie mit Schinkenbutterbrot"). War meiner Erinnerung  mit Objektiv 40/0,75 und Grünfilter 550nm. Die 3. Ordnung sieht man deshalb nicht mehr, weil sie infolge des Verhältnisses von Spaltbreite zu Gitterkonstante intensitätsmäßig sehr schwach ausfällt.

"Schinken-Scheibe "                                                                    Fourier-Ebene



Diffraktionsfreudige Mikrogrüsse
H. Husemann

Alfons Renz

Lieber Ronald,

Der Schnitt ist mit "Eisenhämatoxylin" gefärbt und auf eine Glimmerplatte aufgezogen, ganz in der Heidenhain/Graf'schen Tradition des Tübinger Anatomischen Instituts, aus welchem dieses Präparat mit hoher Wahrscheinlichkeit stammt. Solche Präparate wurden dort in den histologischen Kursen seit (mindestens) 1935 ausgeteilt.

Herzliche Mikrogrüße,

Alfons

Florian Stellmacher

Lieber Alfons,

ein großartiger, hochinteressanter Beitrag! Vielen Dank!

Herzliche Grüße,
Florian
Vorwiegende Arbeitsmikroskope:
Zeiss Axioskop 2
Olympus BHS (DL, Pol, Multidiskussionseinrichtung)
Zeiss Axiophot (DIK und AL-Fluoreszenz)
Zeiss Axiovert (Fluoreszenz)
Wild M400 Fotomakroskop (DL, DF, AL, Pol)

hinrich husemann

Hallo Herr Renz,
es hat mir doch keine Ruhe gelassen und ich habe bei mir nochmal nachgeprüft und gefunden, daß ich nicht - wie versehentlich von mir angegeben - ein 40/0,75-, sondern ein 100/1,25-Objektiv benutzt hatte. Durch Ausmessen meines Fourier-Bildes komme ich dann auf eine "Schinkengitter-Konstante" von knapp 1,5 µm.
Wenn Sie ihre beiden Mass-Pfeile (Objektmikrometer und Z-Banden) genauer miteinander vergleichen, kommen Sie statt auf 1µm praktisch auch auf etwa 1,5 µm.
Schinken ist offenbar auch etwas Konstantes.
Freundliche Mikrogrüsse
H. Husemann

K. Koch

Hallo,

stimmt, beim Foto im ersten Beitrag für den Vergleich des Abstands zwischen zwei Linien kommen auf 3 Streifen des Objektmikrometers (=15 µm) 10 Streifen des Muskels. Ergibt also 1,5 µm.

Eine wirklich erstaunliche Sache...

Viele Grüße
Klaas Koch



hinrich husemann

#8
Hallo,
aus nachträglicher Überlegung vielleicht noch eine weitere Anmerkung: Wenn man das Bild der Fourier-Ebene des Präparates von Herrn Renz genau betrachtet, findet man, daß die +/- 2. Ordnungen kaum noch zu sehen sind. Erst die jeweils dritten (nahe am Rande der Aperturblende) sind wieder deutlich intensiver. Das liegt daran, daß bei dem abgebildeten "Gitter" dessen Balken und Spalte zwar nicht genau gleich breit, aber nicht "weit davon weg" sind. Wären sie jeweils genau gleich breit, würden alle geradzahligen Beugungsordnungen vollständig unterdrückt. Grund: Die Intensitätsverteiliung der Beugung am Einzelspalt moduliert ja die Intensitäten der Beugungsordnungen des Gitters. Wenn die Spaltbreite gleich der halben Gitterkonstante ist, fallen die Minima (Nullstellen) vom Beugungsbild des Einzelspaltes genau auf die geradzahligen Beugungsordnungen.
Die Fourier-Ebene - ABBEs "primäres" Bild, enthält eben auch alle Informationen des von uns normalerweise betrachteten Mikroskop-Bildes - ABBEs "sekundäres" Bild -, nur anders verschlüsselt.
Leicht Fourier-befrachtete Mikrogrüsse
H. Husemann